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Donald Trump und das Doppelte Kredibilitätsproblem

Das Verbot der Androhung von Gewalt im Lichte (Un)Glaubwürdiger Drohungen

02.07.2025

Schon vor einigen Jahren bezeichnete Stefan Talmon Donald Trump als „Totengräber des Völkerrechts“. Was sich in Trumps erster Amtszeit andeutete, transformiert sich in den ersten Monaten seiner zweiten Amtszeit in immer stärkere Erschütterungen der Autorität des Internationalen Rechts. Gleichzeitig werden seine außenpolitischen Drohgebärden immer öfter als bloße Rhetorik abgetan: „Trump Always Chickens Out“. Hierbei entsteht en passant ein doppeltes Glaubwürdigkeitsproblem des Internationalen Rechts. Doch während die Kredibilitätskrise des Völkerrechts unter Trump breit diskutiert wird (u.A.: O’Connell, Koh, Kanschat & Friedrichs), bleibt die zweite Problemstellung für das Internationale Recht – die Glaubwürdigkeit der USA unter Trump – weitestgehend unbeachtet (die bislang einzige Ausnahme: Faix & Svicevic).

Die zweite Problemstellung bezieht sich konkret auf die Interpretation des in der UN-Charter (UNCh) verankerten Verbotes der Androhung von Gewalt. Als Teil von Art. 2(4) UNCh kann das Gewaltandrohungsverbot als der – weniger beachtete (Corten: 109) – kleine Bruder des Gewaltverbotes betrachtet werden, das nach dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Nuclear Weapons (Rn. 48) als zwingende Erweiterung des Gewaltverbotes aber ebenso eine ius cogens Norm verkörpert. Die Gewaltandrohung scheint außerdem der Tatbestand der Stunde für eine Reihe von Völkerrechtlern zu sein, die Trumps außenpolitische Drohungen zu klassifizieren versuchen:

Im Verfassungsblog deuteten Markus Gehring und Tejas Rao an, dass eine Vielzahl von Drohungen (vis-à-vis Gaza, Grönland, Kanada) gegen Art. 2(4) UNCh verstoßen. Auf Opinio Juris setzte Alonso Illueca einen Verstoß des Gewaltandrohungsverbotes gegenüber Panama voraus. Und zuletzt merkte Marko Milanovic im EJIL:Talk! lakonisch an, dass ein Verstoß gegen Art. 2(4) UNCh „pretty obvious“ sei. Prima facie scheint dies naheliegend: Trump droht anderen Staaten und möchte dabei nicht ausschließen, militärische Gewalt anzuwenden. Aber kann eine Drohung völkerrechtswidrig sein, obwohl sie möglicherweise unglaubwürdig ist?

Die Voraussetzungen der Androhung von Gewalt

Mit Blick auf Rechtsprechung und Literatur muss zunächst festgestellt werden, dass die Voraussetzungen einer verbotenen Androhung von Gewalt komplexer sind, als die formell einfache Norm verspricht. Im Rückgriff auf u.A. Olivier Corten, Anne Lagerwall & François Dubuisson lässt sich eine – nicht abschließende – Liste an notwendigen Bedingungen einer Gewaltandrohung herausarbeiten:

Da Gewalt im Sinne von Art. 2(4) UNCh bewaffnete Gewalt impliziert (Weller: 111), muss eine illegale Drohung (I) eine Drohung bewaffneter Gewalt sein. Eine solche Drohung muss (II) „präzise und direkt“ formuliert, (III) an einen „eindeutig identifizierbaren“ Staat gerichtet sein (Lagerwall & Dubuisson: 912),  und dabei eine (IV) „spezifische Forderung“, die es zu erfüllen gilt, erheben (Corten: 120). Dabei muss zusätzlich ein (V) Zwangselement (Dinstein: 92) enthalten sein, wonach der Staat bei einer Nichteinhaltung der Drohung immense Kosten fürchten müsste – der sogenannte „severity threshold“ (Milanovic: 647). Schließlich muss die Bedrohung (VI) glaubwürdig sein, d.h. der Staat muss u.A. über die militärischen Kapazitäten und den politischen Willen verfügen, die Forderung durchzusetzen (Ebd.: 123).

Bei der Subsumption des Sachverhaltes der trumpschen Drohungen wird deutlich, warum die Gewaltandrohung so voreilig bejaht wird. Die Bedingungen I – V lassen sich einfach durchdeklinieren: mit Blick auf seine Drohungen – zuletzt vor dem Kongress – und seinem Unwillen, militärische Gewalt auszuschließen, liegt (I) eine Gewaltandrohung vor, deren bewaffneter Charakter mindestens impliziert wird. Die Drohungen gegenüber u.A. Panama, Kanada oder Dänemark sind außerdem in trumpscher Manier (II) direkt und (mehr oder weniger) präzise formuliert und adressieren (III) eindeutig identifizierbare Staaten. Wie Yoram Dinstein (92) betont, liegt bei Gewaltandrohungen i.d.R. ein Zwangselement vor. So auch im Falle von Trump, dessen (IV) spezifische territoriale Ansprüche bei einer Durchsetzung mit (V) immensen Kosten für die bedrohten Staaten verbunden wären. Der severity threshold des Zwangselements ist deswegen erfüllt (so schon Milanovic).

Glaubwürdige und Unglaubwürdige Drohungen

Übrig bleibt (VI) das Kriterium der Glaubwürdigkeit, das mit Blick auf die vom IGH in Nuclear Weapons geforderte „signalled intention“ (Rn. 47) eine zentrale Rolle einnimmt. Die International Law Commission (ILC) (Art. 13) hat festgestellt, dass eine illegale Drohung voraussetzt, „gute Gründe“ für die Annahme zu haben, dass eine solche „seriously contemplated“ wird. Wie Olivier Corten (123) anmerkt, lässt sich diese Glaubwürdigkeit in aller Regel durch parallel stattfindende Truppenbewegungen oder Mobilisierung diagnostizieren. Gleichzeitig müssen militärische Handlungen als ad hoc Proxy der Glaubwürdigkeit auch fallabhängig kontextualisiert werden. Während am Beispiel der amerikanischen Drohungen gegen Kanada ohne groß angelegte Mobilisierung von leeren (militärischen) Drohungen gesprochen werden sollte, sollte vis-à-vis Panama, Mexiko (und ggf. auch Grönland/Dänemark) die militärische Komponente nicht so restriktiv ausgelegt werden. Gegenüber militärisch weit-unterlegenen Staaten wäre eine (partielle) Intervention, um fait accompli zu schaffen oder ein spezifisches Ziel zu erreichen, für die mächtigste Armee der Erde jederzeit ohne große Mobilisierungen denkbar, woraus für den bedrohten Staat eine ganz andere Bedrohungslatenz erwächst. Mit Blick auf die jüngsten amerikanischen Angriffe auf den Iran zeigt sich, wie unbrauchbar ein rigides Mobilisierungskriterium im Zweifel sein kann. Drohung und Angriff folgten hier Schritt auf Schritt, ohne sich durch eine fortschreitende Mobilisierung auszuzeichnen.

Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Großmächten sind Mobilisierungen ein nur bedingt ausreichendes Kriterium. Raketenangriffe (u.A. gegen den Iran), denen eine Drohung vorausging, erfordern eine solche Mobilisierung beispielsweise nicht zwangsläufig. Einer Beurteilung der Kredibilität von Donald Trump lässt sich also nicht ausweichen. Unlängst hat Aziz Huq im Project Syndicate das „Non-Credible-America“ unter Trump ausgerufen, während der amerikanische Verteidigungsminister Hegseth gegenteilig verkündete, „When this president speaks, the world should listen“ ­– was  die Schwierigkeit dieser Interpretation andeutet. Es hilft zunächst, festzustellen, was a contrario keine illegale Androhung ist. Auch hier kann auf die Arbeit der ILC verwiesen werden, wonach sich eine Androhung von „mere verbal excesses“ (Rn. 56) unterscheide. Ausgerechnet Trump wird in der Literatur als ein Paradebeispiel eines solchen „großmäuligen Anführers“ genannt, wonach Gewaltandrohungen über Twitter gegen Nordkorea und den Iran in seiner ersten Amtszeit die Kredibilitätsschwelle nicht erreichten (Corten: 123-124) – tatsächlich folgte aus seinen außenpolitischen Twitter-Schlachten überwiegend (siehe Tötung von Soleimani) keine Gewalt.

Hieraus nun abzuleiten, dass die heutigen Drohungen nicht glaubwürdig sind, wäre allerdings auch zu kurz gegriffen. Es lässt sich durchaus ein Unterschied zwischen den genannten Tweets, in denen Trump erklärte, einen „größeren und stärkeren“ atomaren Knopf als Nordkorea zu haben, und dem Iran drohte „wenn es kämpfen möchte, das sein Ende wird“, und den neu entfachten Großraum-Ambitionen in Nord- und Südamerika feststellen. Trumps zweite Amtszeit, so stellen Kanschat & Friedrichs fest, könnte im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit eine kongruentere und strukturiertere Bedrohung für die internationale Ordnung sein. Die Besuche seines Vizepräsidenten in Grönland und seines Verteidigungsministers in Panama jedenfalls lassen eine gesteigerte Glaubwürdigkeit hinter dem Anliegen – und im weiteren Sinne des Gewalteinsatzes bei ausbleibenden Resultaten – erkennen.

Drohungen als Legales Kalkül

Gleichzeitig lässt das Verhalten des Präsidenten von Panama und der Ministerpräsidentin von Dänemark (siehe Faix & Svicevic) erkennen, dass einem Gewalteinsatz nur bedingt Glauben geschenkt wird und vermutlich die Annahme dominiert, dass hinter dem Schleier der Drohungen der „Dealmaker Trump“ einen (öffentlichkeitswirksamen) Kompromiss bevorzugt. Die subjektive Einschätzung der Rezipienten sollte aber nicht dazu führen, dass das Völkerrecht in einer Art des vorauseilenden Gehorsams Trumps Aversion gegenüber internationalen Normen einpreist – und dabei rationalisiert. In einer Staatengemeinschaft, in der sich territoriale Anforderungen per Drohung gegenüber anderen Nationen als legitime Staatenpraxis oder als rechtliche Grauzone etablieren, erodiert schrittweise auch das Gewaltverbot – als logisch nächster Schritt. Eine solche reflexive Wirkung spricht weiterhin gegen das von Romana Sadurska (268) vorgebrachte Argument, wonach die Illegalität des Gewaltandrohungsverbot weit weniger offensichtlich ist als die des Gewaltverbotes. Hierbei würde man erratisch agierende Staaten oder Regierungen sogar übervorteilen, indem man ihnen ein politisches Grauzonen-Instrumentarium zugesteht und so, durch die Möglichkeit von Drohungen, innerstaatliche Machtunterschiede weiter verschärft.

Als Anekdote des deutschen Diskurses lässt sich hier anfügen, dass die Drohungen von Vladimir Putin gegenüber der Ukraine auch lange à la Russland hat faktisch kein Interesse, einzumarschieren“ (Sarah Wagenknecht) rationalisiert wurden – selbst noch als die ersten militärischen Übungen an der russisch-ukrainischen Grenze begannen. Die „Sprache des Rechts“ (siehe Philipp Eschenhagen) wegen einer vermeintlich strategischen Ratio hinter den Drohungen nicht zu nutzen, um illegale Androhungen von Gewalt zu verurteilen, erschwerte so das Gewaltverbot vis-à-vis Russland (durch u.A. Waffenlieferungen an die Ukraine) präventiv zu stärken. Der Umgang mit glaubwürdigen oder nicht glaubwürdigen Drohungen hat so auch einen genuin politischen Charakter.

Die Interpretation der Glaubwürdigkeit zwischen Apologie und Utopie

Eine pauschale Bejahung der illegalen Gewaltandrohung (z.B. Milanovic, Illueca) ist ebenso abzulehnen, wie eine höchst restriktive – fast apologetische –  Auslegung des Kredibilitätskriteriums. Wie Corten (125) richtig anmerkt, muss in solchen Fällen eine Einzelfallbetrachtung durchgeführt werden. Eine weitgehendere Klassifizierung des Kredibilität ist hierfür notwendig, wonach neben militärischen Fakten auch bedacht werden muss, ob die Forderungen (I) „rational erscheinen“ (Tams: 346), (II) ein gewisses „Commitment“ (Ebd.) vorhanden ist und die Androhungen (III) „politisch, historisch und geographisch“ (Corten: 124) Sinn ergeben. Im Falle von Panama ließe sich so beispielsweise argumentieren, dass der amerikanische Anspruch auf den Panama-Kanal mit Blick auf die wirtschaftliche und militärische Bedeutung rational erscheint, die Präsenz des Außen- und Verteidigungsministers und die wiederholten Forderungen der Administration ein gewisses politisches Committent demonstrieren, die jüngsten Angriffe auf den Iran und das neue amerikanische Interesse an der Monroe Doctrine die politisch-geographische Kredibilität der Drohung nahelegen.

Was hier am Beispiel Panama grob skizziert wurde, könnte in anderen Fällen zu anderen Einschätzungen der vorhandenen oder nicht vorhandenen Kredibilität einer Drohung führen. Dieser Text soll also mit dem Appell an die Völkerrechtsgemeinde schließen, sich intensiver mit den Voraussetzungen der Gewaltandrohung nach Art. 2(4) UNCh auseinanderzusetzen. Der Umgang mit sui generis-Politikern wie Donald Trump verleitet schnell dazu, sich in einer Utopie-vs-Apologie-Dynamik (Koskenniemi) auf die eine oder andere Seite zu schlagen. In erster Linie sollten aus völkerrechtlicher Sicht aber weitere Präzedenzfälle tiefgreifender analysiert werden, um die Auslegung des Kredibilitätskriteriums zu systematisieren, und so Donald Trump eine kongruente „Sprache des Rechts“ entgegenzusetzen.

Autor/in
Nikolai Ott

Nikolai Ott studies International Relations at the Technical University of Dresden. He is a student assistant at the Center for International Studies and the Chair of International Law, European Law and Public Law.

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