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Fünf Fragen an Dr. Christiane Höhn

Führende Beraterin des EU-Koordinators für Terrorismusbekämpfung

08.03.2021

Am 15. März 2021 (12 bis 13 Uhr) ist Frau Dr. Christiane Höhn der siebte Gast in unserer Gesprächsreihe “Völkerrechtslunches“. Frau Dr. Christiane Höhn, LL.M. (Harvard) ist die führende Beraterin des EU-Antiterrorismus-Koordinators beim Rat der EU.

In insgesamt zwölf Online-Gesprächsterminen laden wir völkerrechtliche Expert*innen aus der Praxis zu einstündigen Gesprächen ein, in welchen sie in ihren Werdegang sowie ihre jetzige Tätigkeit Einblick gewähren. Anschließend haben Studierende und andere Interessierte die Gelegenheit, Fragen zu Karriere und Tätigkeit zu stellen (der Veranstaltungshinweis und das Programm sowie die Zugangsdaten für Zoom finden sich hier). 

Bereits im Vorfeld stand Frau Dr. Höhn uns Rede und Antwort:

 

Warum haben Sie sich für eine völkerrechtliche Karriere entschieden?

Ich interessierte mich schon lange für internationale Beziehungen und Fremdsprachen, die ich an der Universität Passau mit der fachspezifischen Fremdsprachenausbildung in Englisch und Französisch vertiefte. Ich hatte Interesse an friedlichem, geordneten und auf Recht basiertem Zusammenleben der Menschheit (friedliche Konfliktlösung) und am Schutz der Menschenrechte und wusste, dass Völkerrecht hierfür eine zentrale Rolle zukommt. Es bietet die Grundlage, Ungerechtigkeiten kleiner zu machen und rechtsstaatliche Systeme zu fördern. Obwohl ich begeisterte Skifahrerin bin, eine Skilehrerausbildung habe und mein Jugendtraum war, als Skilehrerin zu arbeiten, was ich in den Semesterferien auch gemacht habe, fand ich Jura und besonders das Völkerrecht spannender und wichtiger.

Das dritte Studienjahr verbrachte ich mit einem DAAD-Stipendium in Genf, wo ich mich am Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales (HEI) und an der Universität Genf dem Thema Völkerrecht widmete. Dies wurde abgerundet durch Kurse in internationalen Beziehungen und Praktika bei den Vereinten Nationen in Genf in den Bereichen humanitäre Hilfe und Abrüstung. All dies bestärkte mich in dem Wunsch, mich auf das Völkerrecht zu spezialisieren. Ich wechselte dann nach Heidelberg, um das Völker- und Europarechtsstudium fortzuführen und schließlich in Völkerrecht zu promovieren. Außerdem arbeitete ich am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Auch das Referendariat nutzte ich für eine Station bei den Vereinten Nationen im Bereich Menschenrechte. Letztlich vertiefte ich mein Wissen in Völkerrecht durch einen LL.M. an der Harvard Law School, wo ich allerdings auch andere Schwerpunkte setzte (amerkanisches Verfassungsrecht, Leadership, Negotiation, Communication/Public speaking, US political history). Parallel zur Promotion nahm ich an einem EU-Auswahlverfahren für Juristen teil, um eine Vielzahl von Möglichkeiten, im völkerrechtlichen Bereich zu arbeiten, zu ermöglichen.

 

Was macht das Völkerrecht für Sie besonders?

Faszinierend ist für mich die Vielseitigkeit des Rechtsgebiets und die Zusammenhänge mit anderen Rechtsgebieten und Politik (Europarecht, europäische Grundrechte, amerikanisches Verfassungsrecht, internationale/europäische Zusammenarbeit im Strafrecht, polizeirechtliche Maßnahmen, Europäische Menschenrechtskonvention etc.). Ich habe nach dem 11. September zu Fragen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung gearbeitet. Diese Fragen wurden im Dialog zwischen den Rechtsberatern des US-Außenministeriums und der EU behandelt, im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe COJUR (Rechtsberater der Außenministerien der Mitgliedstaaten). Später arbeitete ich im EU-USA Kontext nach den Snowden-Enthüllungen auch zu Fragen der Überwachung und des Datenschutzes. Viele spannende rechtliche und politische Fragen stellen sich auch im Bezug auf das Spannungsfeld Sicherheit/Datenschutz/Schutz der Privatsphäre, vor allem im Bezug auf das Internet und neue Technologien. Andere Themen sind z.B. die Vereinbarkeit der Antiterrorismusmaßnahmen mit humanitärer Hilfe, die völkerrechtlich geschützt ist, die Frage der Syrienkämpfer und ihrer Familien, sowie Gewinnung, Übermittlung und Benutzung von Beweismitteln, die in Kriegssituationen gewonnen werden (battlefield information). Auch die Infrastruktur zur Gewinnung, dem Austausch und der Analyse von Informationen (“information sharing environment”) bietet viele spannende juristische Fragen.

 

Was ist die größte Herausforderung für das Völkerrecht im 21. Jahrhundert?

Eine große Herausforderung ist, dass Völkerrecht nicht genug durchgesetzt wird und das Recht des Stärkeren überhand nimmt. Rechtsbasierte multilaterale Zusammenarbeit wird schwieriger. Völkerrecht muss auch einer sich wandelnden Gesellschaft und Realität angepasst werden, sich weiterentwickeln. Der gemeinsame Nenner: was ist richtig, was ist verhältnismäßig, was ist kompatibel mit unseren Werten. Zusätzlich sind neue Technologien, Sicherheit und Grundrechte ein wichtiges und spannendes Thema. Wir müssen auch praktische Lösungen finden, so dass unparteiische humanitäre Hilfe trotz Anti-Terrormaßnahmen durchgeführt werden kann. Oft können wir in bestimmten Bereichen auf EU-Ebene als Modell für andere Weltgegenden voranschreiten, insbesondere wenn die klassische völkerrechtliche Zusammenarbeit durch andere, effizientere Methoden ersetzt wird. Das betrifft z.B. das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der EU-Strafrechtszusammenarbeit, wo der europäische Haftbefehl die Auslieferung ersetzt, die oft Jahre dauerte, oder die zwischenstaatliche Zusammenarbeit von Staatsanwälten mittels Eurojust.

 

Welche (überraschenden) Fähigkeiten benötigen Sie für Ihren Beruf?

Die breite deutsche Ausbildung in vielen Rechtsgebieten und das Referendariat sind eine sehr gute Basis. Die Doktorarbeit hilft beim wissenschaftlichen Arbeiten und Austausch. Die in den USA erworbenen Fähigkeiten zu Leadership, Rethorik und Verhandlungen sind täglich sehr wichtig. Zusätzlich zu guter rechtlicher Analyse und Kreativität, ist politisches Gespür und diplomatisches Geschick wichtig, z.B. für das Verfassen von Dokumenten und Handlungsempfehlungen, Interventionen in Arbeitsgruppen und bei Konferenzen oder Hintergrundgesprächen mit MedienvertreterInnen. Es ist auch nötig, komplexe Sachverhalte auf Englisch und Französisch zu analysieren, zu besprechen und auch für Nichtjuristen erklären zu können. Ich muss in der Lage sein, mit vielen verschiedenen Berufsgruppen zu arbeiten, etwa Diplomaten, der Polizei, Staatsanwälten, humanitären und Entwicklungsakteuren, Wissenschaftlern, Unternehmen, NGOs, Innen- und Justizministerien, Drittstaaten und internationalen Organisationen. Es ist wichtig, ein Netzwerk und Vertrauen aufzubauen und zu pflegen. Man muss viele Aufgaben und Themen parallel bearbeiten können. Außerdem sind Team-Management, Feedback, Mentoring und Motivation wichtig, und man braucht den Mut, schwierige Themen anzugehen und zu Ende zu bringen.

 

Was würden Sie Ihrem 20-jährigen ich gerne sagen?

Studiere und tue die Dinge, die Dich begeistern und interessieren. Höre Dir viele Ratschläge an, informiere Dich, aber entscheide letztendlich selber, was Du wirklich möchtest. Internationale Erfahrungen bereichern persönlich und fachlich. Interdisziplinarität ist ein großes Plus, auch später im Beruf, wenn wie bei mir Völkerrecht nur ein Aspekt ist. Arbeite an Deinen Kommunikationsfähigkeiten und lerne, so öffentlich zu sprechen, dass es für andere spannend ist und sie gerne zuhören. Genieße auch Deine Freizeit, Deine Hobbys und andere, vielseitige Interessen, pflege die Familie und Freundschaften, suche Dir Herausforderungen und lerne Neues, nicht nur im beruflichen Kontext. Ich habe u.a. in einer Tennismannschaft gespielt, als Skilehrerin und Assistentin der Akademieleitung der Deutschen Schülerakademien gearbeitet und Reisen und Wochenendseminare für den Club der Ehemaligen der Schülerakademien organisiert. Auch dabei habe ich viel gelernt und hatte viel Spaß. Tue etwas für Deine Fitness! Lies viele Bücher. Das Jurastudium verlangt Konzentration. Passe auf, wie viel Zeit Du auf sozialen Medien verbringst and wie viele private Informationen Du dort preisgibst. Mach interessante Praktika, auch im Ausland.

 

Die in diesem Beitrag vertretenen Meinungen sind ausschließlich die der Autorin und keine Positionen des Rates der EU oder des Ratssekretariats.

Autor/in
Lukas Kleinert

Assessor Lukas Kleinert, Master Droit, LL.M. war bis vor kurzem Rechtsreferendar am OLG Hamburg. Er ist seit 2018 Mitglied der Redekation des Völkerrechtsblogs.

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Matthias C. Kettemann

Matthias C. Kettemann ist Forschungsp­rogrammleiter am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Forschungsgruppenleiter am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin und am Sustainable Computing Lab der Wirtschaftsuniversität Wien und Vertretungsprofessur für Völkerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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