Demonstration für mehr Klimaschutz am 13. Oktober 2018, Paris; Foto von Jeanne Menjoulet via Flickr (CC BY-ND 2.0).

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Quand le vin est tiré, il faut le boire

Oder: Wer sich selbst bestimmte Klimaschutzziele setzt, sollte diese auch einhalten

16.02.2021

Ansonsten drohen Konsequenzen, wie sich jetzt in einem Gerichtsverfahren vor dem Tribunal Administratif de Paris (Pariser Verwaltungsgericht) zeigte. 2018 haben sich Oxfam, Notre Affaire à Tous, Fondation pour la Nature et l’Homme und Greenpeace Frankreich zu dem Bündnis „L‘Affaire du siècle“ („die Jahrhundertfrage“) zusammengeschlossen und 2019 Klagen vor dem Pariser Verwaltungsgericht gegen die französische Regierung eingelegt. Eine erste Entscheidung dazu fiel nun am 3. Februar 2020 – zugunsten der Kläger*innen.

Was wurde gefordert?

Die Kläger*innen beantragten, den Staat zur Zahlung eines symbolischen Betrags von jeweils 1 € als Ersatz für den erlittenen immateriellen/moralischen Schaden sowie für den ökologischen/Umweltschaden zu verurteilen. Weiterhin beantragten sie, den Staat dazu aufzufordern, es zu unterlassen, den gesetzten Klimazielen nicht nachzukommen und in Zukunft alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen.

Wie argumentierte der Staat?

Die französische Regierung hat die Vorwürfe vollumfänglich zurückgewiesen. Insbesondere argumentierte Frankreich, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen dem möglichen Unterlassen des Staates, die Klimaziele zu erreichen und dem geltend gemachten Schaden gebe, da Frankreich nur für 1 % der weltweiten Treibhausgasemissionen (THGE) verantwortlich sei.

Wie entschied das Gericht?

Während die unterschiedlichen Kläger*innen sich auf unterschiedliche Gesetzesgrundlagen beriefen, befasste sich das Gericht hauptsächlich mit dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus dem französischen Zivilrecht für ökologische Schäden. Zunächst kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine solche Klage vor dem Verwaltungsgericht zulässig sei und auch das Zivilrecht anwendbar sei.

Zum Bestehen eines kausalen ökologischen Schadens

In der Begründetheit führte es zu den ökologischen Schäden aus, dass solche durch die inzwischen bekannten Folgen der globalen Erderwärmung, welche insbesondere auch schon in Frankreich zu spüren sind, bestehe. Dabei berief sich das Gericht u.a. auf den aktuellen Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und stützte die Argumentation damit auf wissenschaftliche Erkenntnisse.

Weiterhin kam es zu dem Ergebnis, dass kein Kausalzusammenhang zwischen möglicherweise unzureichenden Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz sowie zur Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien und dem ökologischen Schaden bestünde, da es sich hier nur um zwei Sektoren der Klimapolitik handele, die keine aktive Teilhabe an der Verursachung des ökologischen Schadens hätten.

Zu den Zielen zur Reduktion von THGE

In Bezug auf die Reduktion von THGE kam das Gericht jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Kausalzusammenhang vorliege. Frankreichs internationale Verpflichtung, THGE zu reduzieren stützt sich zum einen auf das Klimarahmenübereinkommen der Vereinten Nationen (UNFCCC) und das Übereinkommen von Paris, zum anderen gibt die EU spezifische THGE Reduktionsziele verbindlich vor. Um diesen gerecht zu werden, legte Frankreich eine nationale Obergrenze für THGE fest, aus der sich gleichzeitig die prozentualen Reduktionsziele ergaben. Die nationale Obergrenze und die Reduktionsziele galten zunächst von 2015 bis 2018 und werden seitdem in Fünf-Jahres-Intervallen festgelegt. Im ersten Zeitraum von 2015 bis 2018 überschritt Frankreich das Kohlenstoffbudget erheblich und verfehlte das vorgesehene Ziel, die THGE um 1,9 % im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu reduzieren. Die THGE gingen lediglich um 0,9 % zurück – ein Versäumnis des Staates.

Die Verantwortlichkeit des französischen Staates

Weiterhin argumentierte das Gericht, dass die Tatsache, dass die zukünftigen Ziele noch erreicht werden könnten (bis 2030 40 % weniger THGE als 1990 sowie Kohlenstoffneutralität bis 2050) nicht dazu führe, dass der Staat nicht für seine Versäumnisse der Reduktionsziele der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht werden könne. Denn durch die Nichteinhaltung der vorherigen Ziele wurden zusätzliche THGE ausgestoßen, welche sich durch ihre lange Lebensdauer (ca. 100 Jahre) in der Atmosphäre akkumulieren und dadurch zur Verschlimmerung des ökologischen Schadens beitragen.

Daraus ergebe sich eine Teilverantwortlichkeit des französischen Staates für die ökologischen Schäden, die durch die globale Erderwärmung entstehen, was im Ergebnis zu einer Haftung des Staates führe. Jedoch lehnte das Gericht die Zahlung des symbolischen Schadensersatzes von 1 € ab, da der Grundsatz der Naturalrestitution vorgehe und die Kläger*innen nicht vorgebracht hätten, dass der Staat nicht in der Lage sei, Ausgleichsmaßnahmen vorzunehmen.

In Bezug auf den Antrag, den Staat zu besseren Klimaschutzmaßnahmen zu verpflichten, wurde die französische Regierung dazu aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntmachung des Urteils ergänzende Untersuchungen vorzunehmen und einen Bericht einzureichen, der erklärt, wie sie plant, die THGE künftig weiter zu reduzieren und welche spezifischen Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die gesetzten Reduktionsziele zu erreichen.

Zum Bestehen eines moralischen Schadens

Hinsichtlich des moralischen Schadens kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der französische Staat durch das schuldhafte Versäumnis die Maßnahmen durchzuführen, die es ihm ermöglichen, die ihm selbst auferlegten Ziele zur Verringerung von THGE zu erreichen, die kollektiven Interessen der Kläger*innen verletze. Damit sei ein unmittelbarer und sicherer moralischer Schaden entstanden, für den die Kläger*innen Schadensersatz verlangen können. Der Staat wurde dazu verurteilt, den Kläger*innen 1 € Schadensersatz zu zahlen.

Damit fällt in Frankreich binnen kurzer Zeit die zweite Entscheidung, welche zugunsten der Bemühungen, den Klimawandel zu bekämpfen, entschieden wurde. Schon im November entschied der Conseil d’état, dass die Klimaschutzziele rechtlich verbindlich seien und forderte die französische Regierung dazu auf, offen zu legen, welche Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele unternommen werden.

Was macht die Entscheidung (so) interessant?

Interessant bei der vorliegenden Entscheidung ist, dass die Kläger*innen sich zwar auch auf einen Verstoß gegen die Menschenrechte aus der EMRK berufen haben, das Gericht jedoch nicht auf diese eingegangen ist und sich hauptsächlich mit dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch auseinandergesetzt, da Frankreich national gesetzte Ziele in der Vergangenheit nicht erreicht habe und sich daraus eine klare Verantwortlichkeit ergebe.

Die bisherigen Klimaklagen, die in Europa für Aufsehen gesorgt haben, wiesen einen engen Bezug zu den positiven Verpflichtungen auf, welche sich aus Menschenrechten ergeben. Im Urgenda-Urteil wurden die Niederlande dazu verpflichtet, bis 2020 THGE um mindestens 25 % im Vergleich zu den Werten von 1990 zu reduzieren, da sich eine positive Verpflichtung hierzu aus den Menschenrechten aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) und Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) ergebe.

Gemein ist es diesen Klagen jedoch, dass sie letztlich einen Amtshaftungsanspruch verfolgen, entweder – wie hier – über eine direkte Schadensersatzgrundlage, über das Amtshaftungsverfahren vor dem EuG im People‘s Climate Case oder wie im Urgenda-Fall, in dem die Klägerin argumentierte, dass die Amtspflichtverletzung aus der Nichtgewährleistung von Menschenrechten folge.

Weiterhin verfestigt sich, dass die „Ausrede“, nur einen geringen prozentualen Anteil an den weltweiten THGE zu verantworten, nicht dazu führt, dass ein Staat sich aus der Verantwortung stehlen kann. Dass das Gericht auf dieses Argument Frankreichs nicht einmal eingegangen ist, mag die Aussage des Urgenda-Urteils bestätigen, wonach jeder Staat verpflichtet ist, „its part“ bei der Bekämpfung des Klimawandels beizutragen. Das bedeutet im Ergebnis:Jeder Staat hat eine Verpflichtung zur Reduktion von THGE in Proportion zu seiner Teilverantwortlichkeit für den globalen Klimawandel.

Daher wird das Urteil auch als „Victoire historique“ gefeiert. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass Staaten sich an eingegangene Verpflichtungen halten und diese auch umsetzen, um festgesetzte Ziele zu erreichen. Doch gerade im Umwelt- und Klimaschutzrecht ist dies ein beständiges Problem.

Fazit und Ausblick

Das Urteil lässt darauf hoffen, dass es zunehmend schwieriger für Staaten werden wird, Klimaziele nicht einzuhalten. Das Pariser Verwaltungsgericht erklärte nicht nur die Klimaschutzziele für rechtsverbindlich, sondern bestätigte gleichzeitig auch, dass jeder Staat mitverantwortlich für das globale Problem des Klimawandels ist. Inwieweit weitere Klimaklagen von diesem Urteil profitieren können, bleibt abzuwarten und hängt zum großen Teil davon ab, innerhalb welcher Jurisdiktion sie erhoben werden. Einen ähnlichen Fall gab es 2018 schon vor dem Berliner Verwaltungsgericht, bei dem mehrere Familien und Greenpeace Deutschland gegen die Bundesregierung auf die Einhaltung der gesetzten Klimaziele für 2020 klagten. Die Klage scheiterte an den hohen Zulässigkeitsvoraussetzungen und wurde als unzulässig abgewiesen. Mittlerweile haben die Kläger*innen jedoch Verfassungsbeschwerde gegen das deutsche Klimaschutzgesetz eingereicht, hier steht eine Entscheidung weiterhin aus. Auch der People‘s Climate Case scheiterte in der ersten Instanz an den hohen Zulässigkeitsvoraussetzungen vor dem EuG, die Kläger*innen haben Rechtsmittel eingelegt und auch hier steht eine Entscheidung durch den EuGH weiterhin aus.

Was durch dieses Urteil bestätigt wird und was sich auch in den anderen genannten Klimaklagen erkennen lässt, ist ein generelles Problem der Klimaklagen: Die Kläger*innen müssen schon betroffen sein bzw. der Schaden muss schon entstanden sein. Das genau könnte jedoch zum Problem werden. Die Schäden, die der Klimawandel anrichtet, sind zum großen Teil irreversibel und ein monetärer Schadensersatz wird daran nichts ändern. Dennoch sticht das kürzlich ergangene Urteil vor dem Pariser Verwaltungsgericht heraus, denn es zeigt, dass Klimaklagen durchaus begründet sein können, dieses auch rechtlich anerkannt wird und eine Nichteinhaltung von Klimaschutzzielen Konsequenzen hat.

Autor/in
Liv Christiansen

Liv Christiansen is a research associate and doctoral candidate at the Walther Schücking Institute for International Law in Kiel. Her doctoral thesis focuses on state responsibility for pollution of the marine environment. Her research focuses on international environmental law, international law of the sea, and climate change law.

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