Antarktis und Amazonas als internationale Rechtssubjekte
Zukunftsträchtiger Vorschlag oder reine Utopie?
Rechte und Rechtssubjektivität von Ökosystemen oder der Natur als Ganzes sind mittlerweile Teil von Rechtsordnungen weltweit. Über das nationale Recht hinaus fordern Rechtswissenschaftler:innen und Aktivist:innen nunmehr auch die Anerkennung von Ökosystemen als internationale Rechtssubjekte und adressieren dabei entweder mehrere Staaten oder sogar die gesamte internationale Gemeinschaft. Ein solcher Ansatz birgt neben Chancen auch individuelle Herausforderungen.
Dieser Beitrag untersucht und vergleicht zwei Erklärungsentwürfe zu Rechten und Rechtspersönlichkeit internationaler Ökosysteme hinsichtlich ihres Inhalts und ihres Potenzials für einen stärkeren internationalen Naturschutz: die „Antarctica Declaration“ (AD) und die „Declaration of the Rights of the Amazon“ (DRA). Initiatoren sind im ersten Fall Wissenschaftler:innen, Akademiker:innen und Jurist:innen, welche die zivilgesellschaftliche Initiative „Antarctic Rights“ ins Leben gerufen haben. Die Erklärung der Rechte des Amazonas hingegen wurde im Juni 2024 vom Pan-Amazonian Social Forum erarbeitet, welches sich als Plattform für die Anliegen der verschiedenen amazonischen Gemeinschaften versteht.
Die beiden kürzlich entstandenen und inhaltlich neuartigen Erklärungsentwürfe bieten einen ersten Ansatz dafür, wie Rechte und Rechtssubjektivität bestimmter Ökosysteme im internationalen Recht explizit anerkannt werden könnten. Ihr Vergleich zeigt mögliche Ausgestaltungen einer solchen Anerkennung und lässt gleichzeitig darauf schließen, welche konkreten Punkte bei der Umsetzung eines solchen Ansatzes noch ungeklärt sind.
Rechte der Natur – Ansatzpunkte auch im internationalen Recht
Beide Erklärungsentwürfe basieren auf dem Rechte-der-Natur-Ansatz. Dieser beschreibt eine Bandbreite von rechtswissenschaftlichen Mechanismen, welche auf die Anerkennung der Rechten der Natur als Ganzes oder einzelner Ökosysteme abzielen und der Natur einen inhärenten Wert zuschreiben, unabhängig von ihrem Nutzen für die Menschheit. In der Praxis werden in der Regel entweder Kataloge spezifischer Rechte der Natur rechtlich festgeschrieben, es findet eine Anerkennung von deren Rechtspersönlichkeit statt, oder die beiden Ansätze werden miteinander kombiniert. Rechtspersönlichkeit impliziert sodann, dass die Natur bzw. Ökosysteme prozessuale Rechte innehaben, zu deren Verteidigung menschliche Vertreter berufen sind. In jedem Fall enthält ein Rechte-der-Natur-Ansatz eine gewisse Hochstufung der Natur vom reinen Rechtsobjekt zum Aktor und Subjekt mit eigenen, spezifischen Interessen, welche der rechtlichen Verteidigung zugänglich sind.
Aktuell sind Rechte der Natur vor allem Gegenstand des nationalen Rechts – angefangen mit einer munizipalen Satzung in den USA 2006, gefolgt unter anderem von der Verankerung in Ecuadors Verfassung von 2008 oder einem spanischen Gesetz zum Schutz der Lagune „Mar Menor“ von 2021. Doch auch im internationalen Recht finden sich erste Ansatzpunkte für Rechte der Natur. Seit 2009 verabschiedet die UN-Generalversammlung unter dem „Harmony with Nature Programme“ regelmäßig Resolutionen, welche international zu einer stärkeren Anerkennung von Interdependenzen von Mensch und Natur und deren rechtlicher Berücksichtigung beitragen sollen. Daneben untersuchen Berichte des UN-Generalsekretärs Entwicklungen des Rechte-der-Natur-Ansatzes und ähnlicher rechtswissenschaftlicher Ansätze und sprechen Empfehlungen bezüglich ihrer Umsetzung aus.
Die Biodiversitätskonvention, ein internationaler Vertrag mit quasi-globaler Gültigkeit, erkennt Rechte der Natur zwar nicht explizit an. Doch bereits ihre Präambel stellt auf den „intrinsischen Wert der Biodiversität“ ab. Der 2023 verabschiedete Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal, ein „strategischer Plan für die Durchführung des Übereinkommens und seiner Protokolle“, betont die Bedeutung von Rechten der Natur innerhalb des Biodiversitätsregimes zusätzlich, indem es sie als „integrale[n] Bestandteil“ einer erfolgreichen Umsetzung des Frameworks bezeichnet (Anlage, Abschnitt C, 7 b). Zudem sieht der Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal unter anderem vor, naturrechtebasierte Projekte finanziell zu fördern. Dabei setzt er verstärkt auf Zusammenarbeit mit lokalen und Indigenen Gemeinschaften.
Welche Rechte für Antarktis und Amazonas?
Inhaltlich deutlich weiter als die existierenden Ansätze im internationalen Recht gehen die beiden anfangs erwähnten Erklärungsentwürfe zu den Rechten der Antarktis bzw. des Amazonas. In ihren Präambeln betonen diese Dokumente die Bedeutung des jeweiligen Ökosystems und dessen aktuell bestehende kritische Lage. Beide Dokumente enthalten einen Katalog von verschiedenen Rechten, welche der Antarktis bzw. dem Amazonas und allen darin lebenden Lebewesen zuteilwerden sollen. Sie beginnen jeweils mit dem Recht auf Existenz (Art. IV(1)(a) AD und Art. 2 I DRA), gefolgt von einem Recht auf Respekt (Art. IV(1)(b) AD und Art. 2 II DRA). Weiter enthalten die beiden Dokumente relativ ähnliche Rechte in Bezug auf die Integrität von Lebenszyklen und Prozessen (Art. IV(1)(c), IV(2)(a) AD und Art. 2 III DRA) und Selbstregulierung und Identitätswahrung (Art. IV(1)(d) AD und Art. 2 IV. DRA).
Die AD erkennt der Antarktis und ihren Lebewesen eine Art Recht auf Selbstverteidigung gegen menschliche Eingriffe in ihre Würde oder Rechte zu (Art. IV(1)(e) AD), welches die DRA nicht enthält. Dafür befasst sich die DRA expliziter mit Eingriffen in die genetische Struktur von natürlichen Entitäten (Art. 2 VII DRA) und mit einem Recht auf Nichtkommerzialisierung der vitalen Prozesse (Art. 2 X DRA). Beide Dokumente enthalten wiederum ein Recht auf Restauration im Schadensfall (Art. V(2)(c) AD und Art. 2 VIII DRA) und ein Recht auf Gehör und Repräsentation (Art. V(2)(e) AD und Art. 2 XI DRA).
Den Rechten der Ökosysteme stehen nach den beiden Erklärungsentwürfen auch Pflichten aller Menschen und Staatenpflichten bzgl. Schutz, Wiederherstellung und Repräsentation der Ökosysteme gegenüber (Art. 8 ff. AD und Art. 3 ff. DRA). Die Rechtskataloge beider Dokumente sind umfassend ausgestaltet. Während die DRA sich auf die Rechte des Amazonas und spiegelbildliche Pflichten konzentriert, geht die AD inhaltlich noch weiter und wirkt ausdifferenzierter. Anders als die DRA beginnt sie beispielsweise mit einem Katalog von Definitionen.
Rechtlicher Status und Repräsentation der Ökosysteme
Bemerkenswert an der AD ist zudem, dass sie die internationale Rechtspersönlichkeit der Antarktis explizit anerkennt (Art. III(1) AD) und aus dieser internationale Befähigungen der Antarktis zur Unabhängigkeit, souveräner Hoheitsgewalt und Gleichheit mit Staaten folgert. Damit würde auch einhergehen, dass die Antarktis Partei nationaler sowie internationaler Verfahren sein kann. Die beabsichtigte Ähnlichkeit zum Status eines Staats geht auch aus dem erläuternden Memorandum zur AD hervor (S. vi, 3.1). Dennoch betont dieses auch, dass die Rechtspersönlichkeit der Antarktis einzigartig und bisher beispiellos ist (S. 13).
Ebenso sieht die AD vor, dass die Antarktis in Entscheidungsprozessen, welche sie betreffen, effektiv repräsentiert wird (Art. X(2) AD). Die AD befindet, dass dies unter anderem Teilhabe an Entscheidungsprozessen unter dem Antarktis-Vertragssystem, dem Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen oder auch solchen der Vereinten Nationen betreffen könnte (Fußnote 26). Auch die DRA bezeichnet den Amazonas als Rechtssubjekt und sieht eine Repräsentation des Amazonas gegenüber der UN-Klimarahmenkonvention vor (Art. 4(2)(c) DRA). Der Selbstverwaltungsaspekt tritt hier aber nicht so stark hervor wie bei der AD. Insbesondere trifft das Dokument keine Aussagen zur Staatensouveränität oder zur potenziellen Souveränität des Amazonas, was angesichts dessen, dass sich der Amazonas auf Hoheitsgebieten verschiedener Staaten befindet, auch deutlich drastischere Konsequenzen für diese Staaten hätte.
Weder AD noch DRA nehmen eine genaue Ausgestaltung einer Repräsentation und internationalen Teilhabe der Ökosysteme vor. So bleibt offen, wer die Vertretung der Ökosysteme vornehmen soll und wie weit diese im Rahmen von internationalen Konferenzen und Verfahren tatsächlich gehen kann. Die DRA legt hierzu jedem der Amazonas-Staaten die Pflicht auf, bzgl. der Repräsentation des Amazonas „gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen und Rechtsinstrumente festzulegen“ (Art. 5(2) DRA).
Chancen und Hindernisse der beschriebenen Ansätze
Sowohl AD als auch DRA zielen darauf ab, das aktuell im internationalen Recht reflektierte Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu hinterfragen und neue Maßstäbe für die internationale Zusammenarbeit zu setzen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Initiator:innen beider Projekte absichtlich hohe Ziele gesteckt haben und die jeweiligen Erklärungsentwürfe zumindest aber als Inspiration für den Umgang mit global relevanten Ökosystemen konzipiert haben. Die Personen hinter der AD ziehen hier eine Analogie zu der ebenfalls rechtlich nicht verbindlichen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (S. 7, 8), befürworten aber ebenfalls die zukünftige Anerkennung der Rechte der Antarktis in einem internationalen Vertrag.
Trotz der generellen rechtlichen Unverbindlichkeit solcher Erklärungen mag sich deren Verabschiedung mit Hinblick auf potenziellen entgegenstehenden Staatenwillen schwierig gestalten. Insbesondere dürfte dies die Staaten des Amazonas betreffen, welche Interesse an der Wahrung ihrer permanenten Souveränität über natürliche Ressourcen und damit ihrer Verfügungsmacht über die Natur auf ihrem Staatsgebiet haben. Auch verlangt die DRA, dass die Amazonas-Staaten ihre nationale Gesetzgebung hinsichtlich der Rechte und Rechtssubjektivität des Amazonas anpassen. Der AD gereicht dagegen zum Vorteil, dass der Erklärungsentwurf bereits an das bestehende Antarktis-Vertragssystem anknüpfen und dieses erweitern kann. Auch stehen Souveränitätsansprüche einzelner Staaten mit den Zielen der AD weit weniger im Konflikt als mit denen der DRA, weil solche Ansprüche durch das Antarktis-Vertragssystem bereits eingefroren wurden. Nicht zuletzt spielt dafür auch eine Rolle, dass sich die Antarktis außerhalb nationaler Hoheitsgebiete befindet.
Einen weiteren kritischen Punkt dürfte die Vertretung der Ökosysteme darstellen. Zum einen müsste hier eine möglichst unparteiische Vertretung der jeweiligen Ökosysteme im Interesse der Natur sichergestellt werden, welche einzelne Staaten nicht ungerechtfertigt bevorzugt oder benachteiligt und sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Naturschutz stützt. Zum anderen muss sichergestellt werden, dass eine sinnvolle Beteiligung der Vertreter an internationalen Verfahren stattfinden kann. Offene Fragen betreffen zudem auch die Reichweite der Rechte und deren Abwägung mit potenziell entgegenstehenden Menschenrechten.
Die Initiativen zu DRA und AD sind demnach inhaltlich weitreichend, lassen aber einige essenzielle Punkte offen. Zudem lässt sich festhalten, dass es internationale Rechte der Natur auch in politischer Hinsicht aktuell nicht leicht haben. Ein Ansetzen an der Antarktis als Ökosystem außerhalb staatlicher Hoheitsgewalt scheint hier noch am vielversprechendsten. Generell ist es wichtig, dass derartige Dokumente verfasst und diskutiert werden. Denn so nach außen getragen können sie Einfluss auf die Ausgestaltung des internationalen Rechts nehmen. Insbesondere im Rahmen des Regimes der Biodiversitätskonvention, welches verstärkt die Berücksichtigung der Interessen lokaler Gemeinschaften und Indigener Naturschutzansätze betont, sollten Ansätze wie die hier beschriebenen verstärkt Berücksichtigung finden. Aktuell mögen sie noch ein stückweit wie Utopien wirken – doch das traf mit Sicherheit noch vor 20 Jahren auch auf nationale Rechte-der-Natur-Ansätze zu.

Helen Arling ist Doktorandin an der Universität Trier sowie Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Koblenz. Ihre Dissertation befasst sich mit der Theorie und Umsetzung von Rechten der Natur im internationalen Recht.