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Am Ende des Rechts angelangt – schon wieder

10.04.2017

Der mutmaßliche Giftgas-Angriff des Assad-Regimes in Syrien lässt die Vereinigten Staaten zu militärischen Mitteln im nach wie vor andauernden Syrienkonflikt greifen. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hält auch prompt das Vorgehen der Trump-Administration für völkerrechtswidrig. Das Völkerrecht stößt bei der geeigneten Antwort auf diese barbarischen Taten an seine Grenzen. Wo das (Völker-)Recht keine befriedigenden Antworten mehr geben kann, darf jedoch nicht weggeschaut werden.

Im Gegensatz zu seinem amerikanischen Amtskollegen gilt Wladimir Putin weithin nicht als eine Person, deren Zunge schneller spricht, als seine Gedanken reifen können. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, wenn er verkünden lässt, dass die amerikanische Bombardierung eines syrischen Militärflughafens als Reaktion auf den verübten Giftgas-Anschlag an der syrischen Zivilgesellschaft gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Weiß er doch das Völkerrecht in vermeintlich klarer Aussagekraft auf seiner Seite.

Nun mag man an dieser Stelle – entgegen allen nicht vorhanden Sympathien für den amtierenden US-Präsidenten – bei dieser Sache dennoch fest an seiner Seite stehen. Nicht zuletzt deshalb, da der Raketenangriff doch vor allem als Gegenaggression auf das skrupellose und menschenverachtende Vorgehen der Assad-Schergen galt und diesem Wahnsinn ein Ende machen sollte. Vom Saulus zum Paulus nach 59 Raketeneinschlägen mag man fast schon ausrufen. Und auch sonst kann man als interessierter Beobachter den Worten Putins zumindest mit einem kleinen „Hat ER das wirklich gesagt?“ versehen. Ist es denn nicht (auch) Moskaus starke und schützende Hand, die Bashar al-Assad überhaupt noch im Regierungspalast in Damaskus hält und die seit nunmehr 6 Jahren das Morden und Zerstören, die Vertreibung und die Flucht aus Syrien, so scheint es zumindest, dafür billigend in Kauf nimmt? Und war es nicht auch der russische Staatspräsident, der im Jahr 2014 mit einer – sagen wir es diplomatisch – völkerrechtswidrigen Annexion der Krim gezeigt hat, dass er nicht gerade zimperlich darin ist, das Völkerrecht zu russischen Interessen umzudeuten bzw. bis zur Unkenntlichkeit zu überdehnen? „Russland zuerst!“. Man kennt das heutzutage nur zu gut. Und dennoch gilt auch hier die allseits bekannte Wendung: Keine Gleichheit im Unrecht! Ein Völkerrechtsbruch auf russischer oder syrischer Seite rechtfertigt natürlich noch lange keinen solchen auf Seite der Amerikaner.

Das Völkerrecht – Was kann man tun?

Grund genug also um sich zum wiederholten Male die potentiellen Reaktionsmöglichkeiten, die das Völkerrecht für solche Szenarien vorsieht, anzusehen. Grundlage hierfür ist die Charta der Vereinten Nationen. Dort ist in Artikel 2 Nr. 4 das universelle Gewaltverbot statuiert. Die militärische Gewalt ist dem System der Vereinten Nationen zwar nicht gänzlich fremd, was schon alleine die Existenz des VII. Kapitels der Charta verdeutlicht. Allerdings stellen militärische Missionen mit Waffengewalt im Verständnis der Vereinten Nationen unilaterale Maßnahmen zur Widerherstellung bzw. Wahrung des Weltfriedens dar.

Von diesem Grundsatz des Gewaltverbots macht Art. 51 der Charta die (vermeintlich) einzigen Ausnahmen bei der Selbstverteidigung eines Staates, sowie bei einem Handeln durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach einem Beschluss gemäß dem bereits erwähnten Kapitel VII.

Nun scheint sich die US-Regierung nach ihren Aussagen wohl tatsächlich auf die erlaubte Selbstverteidigung in Art. 51 VN-Charta stützen zu wollen, wenn sie behauptet, dass durch den Giftgasangriff ureigene Sicherheitsinteressen der USA beeinträchtigt sind. Denn es ist völkerrechtlich anerkannt, dass die Schwelle des Art. 51 VN-Charta nach der sog. Webster-Formel bereits überschritten ist, wenn ein Ereignis unmittelbar droht, dass die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung auslöst und keine Zeit mehr für Überlegungen hinsichtlich Wahl der Alternativen und (Kampf-)Mittel bleiben. Nur kann man eine solche Bedrohungslage nicht feststellen. Denn eins ist sicher: Art 51 VN-Charta bedarf eines Bedrohungsszenarios, welches einen bewaffneten Angriff auf einen anderen Staat voraussetzt. Im Verhältnis USA-Syrien ist dies jedoch keinesfalls gegeben. Andere Erklärungsversuche macht die jetzige US-Administration erst gar nicht geltend.

Humanitäre Intervention und Schutzverantwortung – Was könnte man tun?

Die Fallgruppen der Humanitären Intervention bzw. der Schutzverantwortung sind zwei nicht mehr ganz so neuartige Geschöpfe der Völkerrechtsdogmatik. Sie werden schon seit längerer Zeit in unterschiedlichen Dimensionen beleuchtet und gewürdigt. Beide haben sie gemeinsam, dass sie nicht ausdrücklich kodifiziert sind, sondern oftmals aus unrühmlichen Blockadesituationen des Sicherheitsrates herrühren. Ebenfalls gemeinsam haben beide ihre Legitimation zum Einschreiten mit Waffengewalt: schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen.

Humanitäre Interventionen auf Grund schwerster Menschenrechtsverletzungen sind bereits seit den frühen 1990er Jahren immer wieder Bestandteil des Handlungsspektrums des UN-Sicherheitsrates, wie die Missionen im Irak (1991), in Somalia (1992) oder Haiti (1994) zeigen. Alle diese Interventionen wurden jedoch vom Sicherheitsrat mandatiert. Dass es auch ohne eine ausdrückliche Mandatierung durch den Sicherheitsrat gehen, und der Glanz des Humanitären die schwierigen und durch Missbrauchsgefahr durchzogenen Mittel dieser Rechtsfigur heiligen soll, zeigte der unautorisierte NATO-Einsatz im Kosovo (1999). Spätestens dort wurde sichtbar, dass es für diese Eingriffsmöglichkeit zu viele ungewisse und nicht einheitliche Faktoren zu geben scheint, die eine generelle Aushebelung des Sicherheitsrates in Blockadesituationen nicht überzeugend darzulegen vermag.

Auch die sog. Schutzverantwortung oder auch „responsibility to protect“ wird für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder das Begehen von Kriegsverbrechen als Mittel zur Legitimation von Einsätzen ins Feld geführt. Aber auch hier zeigt die anhaltende Diskussion, dass eine Verselbstständigung dieser Figur ohne entsprechende Sicherheitsratsresolutionen nicht wirklich auf die Akzeptanz innerhalb der Staatenwelt stößt.

Es zeigt sich also nach wie vor, dass das UN-System an seiner Grundkonzeption der kollektiven Sicherheit festhält, was im Hinblick auf zwei leidvolle Weltkriege sicherlich nicht von der Hand zu weisen ist. Andere Ansätze, um das (zurecht) strikte Gewaltverbot der Charta und den zentralen Akteur im Hinblick auf die Frage nach „Krieg oder Frieden“, den UN-Sicherheitsrat, in Blockadesituation zu ersetzen, scheinen die Motive auch noch so nachvollziehbar, können noch nicht als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt gelten. Inwieweit ein System, das auf der Achtung und Durchsetzung von Menschenrechten aufgebaut wurde, eine solche Unflexibilität in ihrem operativen Handeln aushalten kann, mag man sicherlich immer weiter diskutieren können. Eine Auseinandersetzung allein damit würde den Rahmen dieses Blogs bei weitem sprengen.

Was bleibt am Ende zu tun? – Die Frage nach Richtig und Falsch

Ein Einsatz von Chemiewaffen gegen Menschen ist ein barbarisches Kriegsverbrechen, dem die Nationen dieser Welt entschieden entgegentreten müssen und das es zu verurteilen gilt. Der Angriff der USA auf den Militärstützpunkt in Syrien, von dem die Giftgasattacken ausgingen, ist, nach dem oben gezeigten, nicht mit Völkerrecht zu vereinbaren. Das Völkerrecht spricht hier eine eindeutige Sprache. Am Ende steht ein – nicht für alle – unbefriedigendes Ergebnis, dass man dem Morden nur dadurch Einhalt gebieten kann, in dem man selbst rechtsbrüchig agiert. An dieser Stelle setzen die Maßstäbe von Recht aus. Die zentrale Frage wer über „Krieg und Frieden“ letztlich zu entscheiden hat und welche Maßstäbe zur Beantwortung dieser Frage herangezogen werden müssen, sind offensichtlich keine juristischen. Die Politik setzt sich, an diesem Punkt angelangt, über das Recht hinweg. Dass mag man als Rechtswissenschaflter*in kritisieren, akzeptieren muss man es dennoch. Das (Völker-)Recht stößt hier wissentlich und willentlich an seine Grenzen. Es ist allerdings dann die Aufgabe von Recht Grenzen neu zu setzen und sich nicht im Klein-Klein des internationalen Rechts zu verlieren, wenn die Politik davon zu galoppieren droht. Gelingt dies nicht, bleiben Staaten-Alleingänge weiterhin in Mode und die Lücke zwischen Legitimität und Legalität klafft weiter.

 

Zur Replik von Christian Richter auf diesen Post geht es hier.

 

Dipl.-Jur. Alexander Groß, Assistant diplômé und Doktorand am Lehrstuhl für Deutsches Recht in Lausanne (Schweiz).

 

Cite as: Alexander Groß, “Am Ende des Rechts angelangt – schon wieder”, Völkerrechtsblog, 10 April 2017, doi: 10.17176/20170411-113426.

Autor/in
Alexander Groß
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