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Raus aus dem fossilen Zeitalter – Zieht dem Energiecharta-Vertrag den Stecker!

31.01.2022

Auf der Grundlage des Energiecharta-Vertrags fordern Unternehmen wie RWE Milliarden vom niederländischen Staat, weil sie nach dem niederländischen Kohleausstiegsgesetz von 2019 ihre Kohlekraftwerke schließen müssen. Doch der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Schiedsklausel des Vertrages für Streitigkeiten innerhalb der EU unanwendbar ist. Die Niederlande müssen nun aus dem Energiecharta-Vertrag austreten, und Deutschland sollte das auch tun, schreiben Laura Duarte Reyes und Claudia Müller-Hoff und schließen sich damit der Forderung mehrerer niederländischer Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen an, darunter Urgenda, Greenpeace, SOMO und Milieudefensie.

 

Im September 2021 entschied der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Moldawien gegen Komstroy (C-741/19), dass der Vertrag über die Energiecharta (ECT) und insbesondere die Klausel, die es erlaubt, Staaten vor privaten Investitionsschiedsgerichten zu verklagen, nicht von Investoren in der EU gegen andere EU-Staaten angewendet werden kann. Unternehmen berufen sich auf diesen Vertrag, um Staaten zu verklagen, wenn sie der Ansicht sind, dass öffentliche Klimaschutzmaßnahmen ihren Investoreninteressen schaden.

Genau das tut der deutsche Energiekonzern RWE derzeit: Auf der Grundlage des ECT fordert das Unternehmen 1,4 Milliarden Euro vom niederländischen Staat, weil es sein Kohlekraftwerk im Eemshaven bis 2030 schließen muss. Der Energiekonzern Uniper verfolgt eine ähnliche Strategie gegenüber den Niederlanden, weil er sein Kohlekraftwerk Maasvlakte früher schließen muss. Diese Klagen sollten nun aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs abgewiesen werden.

Der Energiecharta-Vertrag (ECT) wurde nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ mit dem Ziel geschaffen, westeuropäischen Investoren Investitionen in osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern zu erleichtern. Wie andere Investitionsverträge enthält auch der ECT eine umstrittene Klausel für die Investor-Staat-Streitbeilegung (investor state dispute settlement, ISDS). Mit diesem Mechanismus können Unternehmen unter Umgehung nationaler Gerichte Schadensersatz in Milliardenhöhe fordern, wenn ihre Investitionen, und unter Umständen auch zukünftige Gewinne, bedroht sind.

Das schwedische Unternehmen Vattenfall nutzte diese Klausel 2012 gegen Deutschland, um 4,5 Milliarden Euro für die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie zu fordern. Und genau das passiert jetzt wieder in den Niederlanden. Mit der Entscheidung, Kohlekraftwerke bis 2030 abzuschalten, wollte das niederländische Parlament das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung unter 1,5°C zu halten, und die nationalen gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen. Doch Uniper und RWE fechten diese Entscheidung an und fordern von den Niederlanden Milliardenbeträge. Alle Beteiligten hätten den Kohleausstieg unseres Erachtens schon von weitem kommen sehen können. Dennoch beschlossen RWE und Uniper, 2015 und 2016 neue Kohlekraftwerke in Betrieb zu nehmen. Ob das niederländische Kohleausstiegsgesetz von 2019 zu einer Entschädigungsverpflichtung für die Kläger führt, scheint allerdings zweifelhaft. Staatliche Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse ergriffen werden, nicht diskriminierenden Charakter haben und verhältnismäßig sind, stellen unter Umständen keine entschädigungspflichtige Enteignung dar (“police powers doctrine” nach Völkergewohnheitsrecht).

Interessenkonflikte

ISDS-Schiedsgerichte stehen wegen möglicher Interessenkonflikte und mangelnder Transparenz bei der Urteilsfindung immer wieder in der Kritik (siehe zum Beispiel hier und hier). Der Europäische Gerichtshof hat nun noch weitere Grenzen für ihren Einsatz in EU-internen Streitigkeiten gezogen.

Das jüngste Konstroy-Urteil (C-741/19) des Europäischen Gerichtshofs steht im Einklang mit dem sogenannten Achmea-Urteil aus dem Jahr 2018 (C-284/16), in dem festgestellt wurde, dass Investor-Staat-Schiedsverfahren, die auf bilateralen Investitionsverträgen zwischen EU-Mitgliedstaaten beruhen, nicht mit dem allgemeinen EU-Recht vereinbar sind. Die Entscheidung von diesem Monat geht einen Schritt weiter, indem sie die Achmea-Begründung auf den multilateralen ECT überträgt. Damit sendet der Europäische Gerichtshof auch ein deutliches Signal, auch an RWE und Uniper: Sie hätten ihre Klagen niemals einreichen dürfen.

Dennoch geht RWE nach eigenen Angaben in den deutschen Medien davon aus, dass das EuGH-Urteil keine direkten Auswirkungen auf das eingeleitete ISDS-Verfahren haben wird. Theoretisch ist dies möglich, denn das Investitionsschiedsgericht ist nicht Teil der EU und daher nicht an das EuGH-Urteil gebunden, welches wegen der extensiven Auslegung seiner Zuständigkeit für die Frage des Intra-EU-Disputs kritisiert worden ist. Allerdings sind die nationalen Gerichte in der EU an das EuGH-Urteil gebunden, so dass es schwer vorstellbar ist, wie RWE und Uniper einen Schiedsspruch gegen einen EU-Mitgliedstaat auf EU-Gebiet durchsetzen könnten.

Das Schiedsgericht sollte daher die Auswirkungen des EuGH-Urteils berücksichtigen, um Widersprüche zwischen den Rechtsordnungen zu vermeiden und keine Rechtsunsicherheit zu schaffen.

Andererseits haben die Niederlande vor einem deutschen Gericht beantragt, die ICSID-Schiedsklagen von Uniper und RWE in Anwendung von § 1032 Absatz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) für unzulässig zu erklären, weil sie einen innergemeinschaftlichen (EU) Charakter haben (Gz. 19 SchH 15/21). Dieses Verfahren ist beim OLG Köln anhängig. In Bezug auf das UNCITRAL-Schiedsverfahren Raiffeisen gegen Kroatien hatte der BGH kürzlich die Unzulässigkeit des Investitionsschiedsverfahrens gemäß der Achmea-Entscheidung des EuGH bestätigt und so die Bedeutung der in Achmea formulierten EU-Grundsätze für alle EU-internen bilateralen Investitionsschutzabkommen bekräftigt. Nach diesem Präzedenzfall wäre zu erwarten, dass das Kölner Gericht der Komstroy-Argumentation des EuGH folgt, um über die Klage der Niederlande zu entscheiden und das Schiedsverfahren für unzulässig zu erklären.

Der Wind des (Klima)Wandels

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Rechtssache Neubauer et al. gegen die BRD klargestellt, dass Deutschland sehr viel deutlichere Klimaschutzmaßnahmen ergreifen muss, um das Pariser Klimaziel zu erreichen, die Erderwärmung unter 1,5°C zu halten und sicherzustellen, dass künftige Generationen nicht übermäßig durch künftige Klimaschutzmaßnahmen belastet werden. Hier ist nicht nur die Regierung gefordert, mittelbare Auswirkungen könnte diese Entscheidung in der Zukunft auch auf die Gesellschaft und insbesondere auf die großen Emittenten haben. Erste Zivilklagen gegen BMW und Wintershall Dea sind bereits im Gange, um sie zu verpflichten, ihre Emissionen zu reduzieren, und das ist erst der Anfang. Ein ähnlicher Fall gegen private Unternehmen wurde in den Niederlanden Anfang 2021 in erster Instanz gegen Shell gewonnen. Indem sie ihre Kohleinvestitionen verteidigen, stellen sich RWE und Uniper eindeutig gegen ein immer lauter werdendes globales Klimaschutzgebot. Wenn ihre Aktionär*innen ihnen nicht helfen, das Ruder herumzureißen, werden es vielleicht nationale und EU-Gerichte und Gesetze tun.

Wie es weitergehen kann

Wenn RWE und Uniper sich dem 1,5°C-Ziel verpflichtet fühlen und es erreichen wollen, sollten sie ihre Klagen zurückziehen. Denn mit ihren Klagen verteuern und verzögern sie nicht nur die Energiewende. Sie üben auch Druck auf die niederländische Regierung aus, nicht das zu tun, was angesichts des drängenden Klimaproblems jetzt dringend notwendig ist.

Jedoch geht es hier um mehr als einzelne Unternehmen. Es geht ums Strukturelle, es geht um das Investorenschutzsystem des ECT. Am 13. Dezember hielten die Mitgliedsstaaten die neunte Verhandlungsrunde zur Reform des ECT ab. Leider haben diese Bemühungen bisher kaum zu wesentlichen Verbesserungen geführt. Mehrere Länder, darunter Griechenland, Spanien, Polen und Frankreich, wollen den ECT abschaffen, einschließlich der so genannten Auslaufklausel, die es Unternehmen ermöglicht, noch 20 Jahre nach Auslaufen des Vertrags Ansprüche geltend zu machen.

Würde Deutschland sich dieser wachsenden Gruppe von EU-Ländern anschließen und aus dem ECT aussteigen, könnte es verhindern, dass deutsche Energieunternehmen andere Staaten mit extrem teuren Schadensersatzforderungen für ihre Kohleausstiegsstrategien verklagen und sicherstellen, dass künftige notwendige Entscheidungen zur Bewältigung des Klimawandels vor solch räuberischem Unternehmensverhalten geschützt werden. Damit würde auch verhindert, dass die Rechnung für die Energiewende noch weiter auf die Steuerzahler*innen abgewälzt wird.

Über 1 Million europäische Bürger*innen haben eine Petition unterzeichnet, die den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag fordert. Eine Regierung, die ihre Klimaziele wirklich erreichen will, muss sich vom ECT-Joch befreien.

 

This article was also published in English here.

Autor/in
Claudia Müller-Hoff

Claudia Müller-Hoff is a German licensed attorney, with an LLM in Law in Development (Warwick). She is a senior legal advisor to the European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), where she has specialized on Business and Human Rights and transnational litigation development.

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Laura Duarte

Laura Duarte is a Legal Advisor and Bertha Justice Fellow at ECCHR. She is a Colombian licensed Attorney and holds a M.A. in Human Rights and Multilevel Governance from the University of Padua, Italy. She specializes in business and human rights and climate justice.

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