Fünf Fragen an Dr. Elisabeth Tichy-Fisslberger
Ständige Vertreterin Österreichs bei den Vereinten Nationen in Genf
Am 11. Januar 2021 ist Dr. Elisabeth Tichy-Fisslberger der erste Gast in unserer Gesprächsreihe “Völkerrechtslunches”. Sie war 2020 Präsidentin des UN-Menschenrechtsrates und ist Ständige Vertreterin Österreichs bei den Vereinten Nationen in Genf.
In insgesamt zwölf Online-Gesprächsterminen laden wir völkerrechtliche Expert*innen aus der Praxis zu einstündigen Gesprächen ein, in welchen sie in ihren Werdegang sowie ihre jetzige Tätigkeit Einblick gewähren. Anschließend haben Studierende und andere Interessierte die Gelegenheit, Fragen zu Karriere und Tätigkeit zu stellen (der Veranstaltungshinweis und das Programm finden sich hier).
Bereits im Vorfeld stand Elisabeth Tichy-Fisslberger uns Rede und Antwort:
Frau Tichy-Fisslberger, warum haben Sie sich für eine völkerrechtliche Karriere entschieden?
Ich habe den Großteil meiner Karriere im diplomatischen Dienst verbracht. Davor war ich einige Jahre im Dienste der Europäischen Kommission. Meine Arbeit war nie eine rein juristische, hatte aber immer mit rechtlichen Fragen zu tun: Zuerst beschäftigte ich mich circa 20 Jahre lang mit Europarecht, vor allem dem Primärrecht (ich war u.a. in die österreichischen Beitrittsverhandlungen zur EU und dann später in die Verhandlungen der Verträge von Amsterdam, Nizza und Lissabon eingebunden). Dann hatte ich einige Jahre lang mit dem Rechtsbereich Migration/Flüchtlinge/Menschenhandel, etc. zu tun sowie mit allem, was auch nur im Entferntesten das Konsularrecht und den Status von Bürgern im Ausland betrifft.
Seit drei Jahren bin ich die Ständige Vertreterin Österreichs bei den internationalen Organisationen in Genf. Für das Jahr 2020 wurde ich zur Präsidentin des UN Menschenrechtsrats gewählt und konzentrierte mich vor allem auf den davon betroffenen Fragenbereich.
Was macht das Völkerrecht für Sie besonders?
Auch das muss ich mit der Kautele antworten, dass ich mich ja nicht nur als Völkerrechtlerin fühle, sondern als Diplomatin mit gewissen Grundkenntnissen im Rechtsbereich. Ich verfolge mit großem Interesse die Entwicklungen des internationalen Rechts sowohl bei der Standardsetzung als auch – und da wird es viel mühsamer – bei deren Umsetzung. Als jemand, der sich jahrelang mit dem Europarecht befasst hat, leide ich immer an den mangelnden Umsetzungsmöglichkeiten des Völkerrechts.
Was ist die größte Herausforderung für das Völkerrecht im 21. Jahrhunderts?
In dem Maße, in dem unsere Welt multipolarer wird, wird auch das Völkerrecht, das im Wesentlichen auf der Basis westlicher Rechtsvorstellungen entstanden ist, in zunehmendem Maße hinterfragt. Dabei geht es oft nicht nur darum, auch andere Rechtsvorstellungen einzubringen, sondern die Anwendbarkeit von Völkerrecht gegenüber nationalen Souveränitätsansprüchen erst einmal neu zu bekräftigen. Das Völkerrecht ist immer ein Abbild geopolitischer Entwicklungen, hinkt diesen aber zumeist etwas hinterher.
Welche überraschenden Fähigkeiten benötigen Sie für ihren Beruf?
Als Diplomat verhandelt man sehr viel an Texten, die nicht nur – aber auch – juristischer Natur sind. Da muss man oft kreativ sein, um Formulierungen zu finden, die juristisch nicht falsch, aber doch politisch soweit interpretierbar sind, dass man einen Konsens erzielen kann. Außerdem ist es gut, wenn man schon einmal mit möglichst vielen Ländern und Kulturen in Kontakt war und mehrere Sprachen spricht. Die wichtigste Fähigkeit in meinem Beruf ist aber wahrscheinlich die Resilienz. Bevor ein diplomatischer Kompromiss zu einem Rechtstext steht, hat man sich vermutlich schon mehrfach in eine Sackgasse verrannt, aus der man erst einmal wieder herausfinden muss, ehe es weitergeht.
Was würden Sie Nachwuchsvölkerrechtler*innen gerne sagen?
Ich würde vor allem sagen, dass man sich auf eine Karriere möglichst vielseitig vorbereiten sollte. Man kann heute nicht wissen, welches Thema in zehn oder 20 Jahren Konjunktur haben wird. Wichtig sind daher in jedem Fall Flexibilität, offene Augen, offene Ohren und ein kreativer Zugang zu digitalen Hilfsmitteln.
Für fast alle Rechtssparten wird sich die Welt voraussichtlich ausweiten: In meiner Generation mussten sich junge Juristen wohl noch nicht mit den Rechtssystemen und Völkerrechtskonzeptionen anderer Weltteile, wie China oder Indien, befassen, wenn sie sich nicht dafür besonders interessiert haben. In Zukunft wird das wichtig werden.
Assessor Lukas Kleinert, Master Droit, LL.M. war bis vor kurzem Rechtsreferendar am OLG Hamburg. Er ist seit 2018 Mitglied der Redekation des Völkerrechtsblogs.
Matthias C. Kettemann ist Forschungsprogrammleiter am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Forschungsgruppenleiter am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin und am Sustainable Computing Lab der Wirtschaftsuniversität Wien und Vertretungsprofessur für Völkerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.