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Gerechtigkeit jenseits der Hauptstraße?

Zivilrechtliche Klagen bei Kriegsverbrechen

05.11.2025

Strafverfahren gegen syrische Geheimdienstmitarbeiter in Koblenz oder ehemalige IS-Kämpfer in Frankfurt zeigen: Deutschland ist zu einem wichtigen Forum für die internationalen Strafjustiz geworden. Spätestens seit der Reform des Völkerstrafgesetzbuch im Jahr 2024 ist es den Opfern in den allermeisten Fällen möglich, sich als Nebenklägerinnen und Nebenkläger an dem Verfahren zu beteiligen. Doch die Frage, wie Betroffene darüber hinaus zivilrechtlich Genugtuung auch gegenüber den einzelnen Tätern erlangen können, bleibt weitgehend ungelöst. Zwischen Staaten- und Amtsimmunität, komplizierten kollisionsrechtlichen Verweisungen und praktischen Hürden spannt sich ein dichtes Geflecht rechtlicher und praktischer Hürden auf.

Dabei bietet eine zivilrechtliche Haftung erhebliches Potenzial, die strafrechtliche Verfolgung zu ergänzen. Besonders interessant ist dieser Ansatz im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen, die von Unternehmen begangen oder unterstützt werden. Bei der Begehung von Kriegsverbrechen durch Unternehmen muss im (Völker-)Strafrecht beispielsweise auf die dahinterstehenden Einzelpersonen zurückgegriffen werden, da Deutschland keine originäre Verbandsstrafe kennt. Ein mögliches organisatorisches Versagen, etwa in Form eines Organisationsverschuldens des Unternehmens, tritt in den Hintergrund. Das Zivilrecht bietet demgegenüber die Gelegenheit, das Unternehmen als solches in den Blick zu nehmen. Unabhängig von individueller strafrechtlicher Verantwortung kann in diesen Fällen Schadensersatz von dem oftmals deutlich solventeren Unternehmen verlangt werden.

Dieser Beitrag soll daher die Hürden beleuchten, die ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Kernverbrechen des Völkerstrafrechts (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression) überwinden muss: Die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Immunität für hoheitliches Handeln. Untersucht wird dabei ausschließlich die Haftung natürlicher und juristischer Personen. Nicht Gegenstand des Beitrags ist hingegen das komplexe Themenfeld der Amtshaftung für Kernverbrechen vor Zivilgerichten. Hierfür wird auf Beiträge in der Literatur verwiesen.

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte

Die Begründung der Zuständigkeit deutscher Gerichte stellt im Verfahren die wohl kleinste Hürde dar. Nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-Verordnung richtet sich die Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten. Das bedeutet: Unabhängig davon, ob die behauptete Verletzung im Ausland von ausländischen Staatsbürgern begangen wurde, sind deutsche Gerichte für die Klagen zuständig. Damit weist die Zuständigkeitsregelung eine Ähnlichkeit zum Weltrechtsprinzip im Völkerstrafgesetzbuch auf, das eine Verfolgung bestimmter Straftaten auch unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit der Beteiligten ermöglicht.

Für Unternehmen mit Sitz in Deutschland ist die Zuständigkeit deutscher Gerichte gem. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO gegeben. Weitere Anknüpfungspunkte auch für Tochtergesellschaften bietet die Judikatur zu Menschenrechts- und Klimaklagen. Eine besondere Bedeutung kommt daher der neuen EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen (CSDDD) zu. Bislang lässt sich eine Zuständigkeit für Tochtergesellschaften nur schwer begründen. Der Entwurf der Richtlinie sieht jedoch vor, die Zuständigkeit an den Nettoumsatz innerhalb der EU zu knüpfen. Dadurch würde eine „Binnenverbindung“ nach § 23 Abs. 1 ZPO geschaffen, so dass eine Zuständigkeit deutscher Unternehmen gegeben ist.

Kollisionsrechtliche Einordnung: Das anwendbare Recht

Ist die Zuständigkeit geklärt, rückt die Frage des anwendbaren Rechts in den Fokus. Das anwendbare Recht bestimmt sich nach den Regeln des internationalen Privatrechts. Bei deliktsrechtlichen Ansprüchen ist Art. 4 Abs. 1 der Rom II-Verordnung maßgeblich. Danach findet auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung das Recht des Ortes Anwendung, an dem der Schaden eingetreten ist (lex loci damni). Das Recht gilt dabei genau in der Form, in der es vor Ort auch angewandt wird. In Syrien betrifft dies das syrische Recht, auf der ukrainischen Halbinsel Krim jedoch russisches Recht, da jenes dort de facto zur Anwendung kommt.

Dies ist nicht automatisch ein Problem. Auch das ausländische materielle Recht kann Schutz bieten, da die Defizite zumeist auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung liegen. So existieren auch in Syrien materielle Gesetze, die Folter im Gefängnis verbieten.

Es gibt jedoch auch Konstellationen, in denen das ausländische Recht Handlungen erlaubt, die eigentlich nach dem Völkerstrafrecht verboten sind. Insbesondere in völkerrechtswidrigen Besatzungssituationen sind Handlungen wie Umsiedlung oder Enteignung im nationalen Recht häufig nicht kriminalisiert. Für die Opfer bedeutet dies: Bei direkter Anwendung des nach der kollisionsrechtlichen Verweisung maßgeblichen Rechts besteht kein Anspruch auf Schadensersatz.

Gelöst wird dieses Dilemma in der Praxis durch den Ordre-public-Vorbehalt nach Art. 26 Rom II-VO und Art. 6 EGBGB. Danach ist eine nach der Rom II-VO berufene Norm nicht anzuwenden, wenn ihr Ergebnis in offensichtlichem Widerspruch zur inländischen Werteordnung steht. In Fällen, in denen bereits die Norm selbst gegen zwingendes Völkerrecht verstößt, kann zudem Art. 25 GG herangezogen werden. Die entstehende Lücke wird dann durch ergänzende Auslegung geschlossen, entweder durch eine modifizierte Anwendung des verbliebenen ausländischen Rechts oder subsidiär durch Rückgriff auf deutsches Recht als lex fori. Allerdings ist offen, ob die Verneinung eines zivilrechtlichen Anspruchs wirklich ein Widerspruch zur inländischen Werteordnung darstellen würde, zumal eine strafrechtliche Verfolgung in Deutschland möglich ist. Die Rechtslage ist daher mit erheblicher Unsicherheit behaftet.

Zumindest für Unternehmen könnte es bald Rechtssicherheit geben: Nach Art. 29 Abs. 7 der CSDDD sollen ihre Haftungsnormen als zwingende Eingriffsnormen im Sinne von Art. 16 Rom II gelten. Damit würden Sorgfaltspflichten unabhängig vom ansonsten anwendbaren (ausländischen) Recht immer durchgreifen.

Haftungsmodelle nach deutschem Recht

Kommt deutsches Recht zur Anwendung, zum Beispiel durch den Ordre-public-Vorbehalt, so ist der naheliegendste Anspruch ein deliktsrechtlicher aus § 823 Abs. 1 BGB. Bereits ein oberflächlicher Blick auf den dort enthaltenen Katalog zeigt, dass der § 823 Abs. 1 BGB die bei Kriegsverbrechen typischerweise betroffenen Rechte und Rechtsgüter ausdrücklich erfasst. So unterfällt die unrechtmäßige Aneignung von Sachen im Zuge einer Plünderung oder die Zerstörung ziviler Objekte dem Eigentumsschutz des § 823 Abs. 1 BGB. Ebenso stellen Angriffe auf die körperliche Integrität oder gar die Tötung von Personen eindeutige Verletzungen des Lebens und der Gesundheit dar.

Komplexer sind Verbrechen, in denen kollektive Ressourcen betroffen sind (z.B. § 9 und § 11 Abs. 1 Nr. 8 VStGB), etwa Fischbestände, Wälder oder Bodenschätze. Da diese nicht individuell zugeordnet werden können, fehlt es an einem klassischen Rechtsinhaber. Die Problematik ähnelt derjenigen im Klimaschutzrecht, nach der Umweltgüter nach schon langer herrschender Meinung kein “sonstiges Recht” i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen.

Ein solches „sonstiges Recht“ könnte auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker darstellen, welches beispielsweise durch § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB geschützt ist. Dieses ist eine absolute, jedermann gegenüber wirksame Rechtsposition eines Volkes und als subjektives Recht zumindest vergleichbar mit dem Eigentumsrecht. Es weist den Inhabern eine ausschließliche Position zur alleinigen Nutzung und Herrschaft zu. Hierzu passt, dass es als ius-cogens-Norm gleichzeitig erga omnes gilt. Es handelt sich jedoch (ebenso wie bei natürlichen Ressourcen) um ein Kollektivrecht und steht nicht einer einzelnen Person als individuellem Rechtsträger zu. Bereits hier stellen sich praktische Umsetzungsschwierigkeiten, insbesondere wenn das „Volk“ keine anerkannte staatliche Struktur oder Vertretung besitzt, welches einen Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend machen könnte. Auf eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ließe sich ein Anspruch daher nur unter erheblichen Schwierigkeiten stützen.

Wurde die Verletzung eines durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechts oder Rechtsguts bejaht, muss daneben eine kausale sowie zurechenbare Verletzungshandlung vorliegen. Handelt die Person selbst und unmittelbar, lässt sich eine Verletzungshandlung ohne Schwierigkeiten bejahen. Geht die Verletzung jedoch primär vom Staat aus, stellt sich die Frage, ob Privatpersonen oder Unternehmen, die als Hilfsorgane staatlicher Behörden handeln, überhaupt zivilrechtlich haften können. Staaten genießen Immunität für hoheitliches Handeln (iure imperii), welche auch Wirkung für die Haftung von Zivilpersonen entfalten könnte. Dies war Inhalt eines vielbeachteten Falls in Frankreich, der die Produktion des hochtoxischen Entlaubungsmittels Agent Orange durch ein privates Unternehmen zum Gegenstand hatte. Das französische Gericht erklärte die zivilrechtliche Klage mit der Begründung für unzulässig, dass die Herstellung des Mittels wesensgemäß Teil einer militärischen Handlung gewesen sei und das Unternehmen keinen eigenen Spielraum gehabt habe.

Trotzdem bleibt vieles in diesem Bereich ungeklärt. Insbesondere ist auch die fortschreitende Entwicklung der Rechtsprechung zur möglichen Durchbrechung der Staatenimmunität bei Verstößen gegen ius cogens Normen von Bedeutung. Eine Lösung des Immunitätsproblems könnte sich allerdings aus einer Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB ergeben. Voraussetzung hierfür ist die Verletzung eines Schutzgesetzes. Bestimmte Normen des VStGB lassen sich durchaus als Schutzgesetze i.S.d. Vorschrift verstehen. So dient das Plünderungsverbot in § 9 Abs. 1 VStGB nicht nur der Wahrung der internationalen Friedensordnung, sondern zugleich unmittelbar den Eigentumsrechten der Betroffenen. Gleiches gilt für das Verbot der Folter oder Verstümmelung nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB: Auch hier deckt sich der Schutzzweck mit dem Regelungsgehalt des § 823 Abs. 2 BGB. Das VStGB verfolgt den Zweck, durch die Kriminalisierung schwerster Menschenrechtsverletzungen auch die Schranken staatlicher Immunität zu durchbrechen. Es erscheint daher folgerichtig, dass eine Verletzung einer völkerstrafrechtlichen Norm nicht nur strafrechtliche, sondern auch zivilrechtliche Konsequenzen nach sich zieht und somit Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB begründen kann. Bei Begründung des Anspruchs richtet sich der Umfang des Schadensersatzes dann nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Zivilrechts. Ersatzfähig ist daher nur der tatsächlich entstandene materielle Schaden bzw. immaterielle Beeinträchtigungen im Sinne des § 253 BGB.

Wie oben dargelegt, müssen sich Unternehmen auf Änderung durch die CSDDD einstellen. Die Richtlinie schafft einen eigenständigen Haftungstatbestand für Verstöße gegen menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltspflichten, Art. 29 CSDDD. Die Regelung begründet einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch der Betroffenen gegenüber Unternehmen, wobei die Höhe von den nationalen Gerichten festgelegt wird. Kollisionsrechtlich handelt es sich bei der CSDDD um eine Eingriffsnorm i.S.d. Art. 16 Rom II-VO, die auch dann Anwendung findet, wenn nach den allgemeinen Regeln ausländisches Recht maßgeblich wäre.

Ausblick: Neue Wege zivilrechtlicher Verantwortung

Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, dass zivilrechtliche Schadensersatzansprüche – etwa für Völkerrechtsverbrechen – bislang nur eingeschränkt durchsetzbar sind. Vor allem die kollisionsrechtliche Verweisung auf das Recht des Tatorts, die fortbestehende Reichweite staatlicher Immunität sowie praktische Hürden im Beweisrecht setzen den Betroffenen enge Grenzen. Gleichwohl eröffnet sich mit der Fortentwicklung des Völkerstrafrechts, der Rechtsprechung zu ius-cogens-Verstößen und der neuen CSDDD die Möglichkeit, die zivilrechtliche Haftung zu einem ernstzunehmenden Ergänzungsinstrument zu der strafrechtlichen Verfolgung auszubauen.

Damit steht der Gesetzgeber, national wie europäisch, vor der Aufgabe, einen Rahmen zu schaffen, der den Opfern realistische Chancen auf zivilrechtliche Genugtuung eröffnet, ohne die Grundsätze des internationalen Rechts aus dem Blick zu verlieren. Gelingt dies, könnte der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch nicht nur punktuelle Lücken schließen, sondern auch ein dauerhaftes Gegengewicht zur Strafjustiz bilden, und so zu einer umfassenderen Verwirklichung von Gerechtigkeit bei Völkerrechtsverbrechen beitragen.

Autor/in
Franka Weckner

Franka Weckner is a research assistant at the Institute for Comparative Law, Conflict of Laws and International Business Law of Heidelberg University.

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