Soldadu saharauiak – Polisario troops; photo by Western Sahara via Flickr (CC BY-SA 2.0).

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Trump verlässt das Weiße Haus – und hinterlässt Chaos im Westsahara-Konflikt

19.02.2021

Mit Joe Bidens Amtszeit hat eine neue Ära im Weißen Haus begonnen. Doch Donald Trump hinterlässt ein umfassendes außenpolitisches Vermächtnis, welches sich auch auf den Nahen Osten und Nordafrika erstreckt: In seinen letzten Monaten als Präsident warf Trump alle Friedensbemühungen der Vereinten Nationen (VN) in der Westsahara über Board und nutzte den erneut aufflammenden Konflikt zwischen dem Königreich Marokko und der Befreiungsbewegung Polisario, um seine Israel-Politik noch einmal zu festigen. Der Streit um das Selbstbestimmungsrecht der Wüstenbevölkerung war nach jahrzehntelangem Waffenstillstand neu entfacht, nachdem Marokko militärisch gegen eine Blockade des mauretanischen Grenzübergangs durch die Polisario vorgegangen war. Die VN und die Afrikanische Union (AU) zeigten sich besorgt über die Situation und dazu entschlossen, weiterhin eine für alle Parteien akzeptable Lösung zu finden, während die Europäische Union (EU) zur Westsahara-Politik ihres Handelspartners Marokko schweigt (mehr zur Position der EU im Konflikt hier). Trumps Eingreifen in den Konflikt um die „letzte Kolonie Afrikas“ machte einmal mehr Interessen von Minderheiten zum Spielball US-amerikanischer Weltpolitik.

Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), dem Sudan und Bahrain ist Marokko das vierte arabische Land, das seine diplomatischen Beziehungen mit Israel durch die Vermittlung von Donald Trump normalisiert. Dies verkündete Trump Ende 2020 auf Twitter und bezeichnete die Annäherung der Länder als „historischen Durchbruch“. Im Gegenzug erkannte er die stark umstrittene Souveränität Marokkos über die Westsahara an. Das dünn besiedelte Gebiet, südlich des marokkanischen Staatsgebiets, hat für Marokko geopolitische Bedeutung, denn es ist reich an Bodenschätzen und grenzt an fischreiche Gewässer. Die ursprüngliche Bevölkerung der Sahrauis kämpft durch die Polisario seit Jahrzenten für die Unabhängigkeit der Westsahara. Rechtlich gesehen entfaltet die Anerkennung der USA nur deklaratorische Wirkung im Verhältnis inter partes. In Fällen umstrittener Gebietshoheit kann sie jedoch ausschlaggebend sein, wenn sie durch einen Großteil der Staatengemeinschaft erfolgt. Aufgrund der großen symbolischen und politischen Wirkung der de facto Anerkennung durch die Großmacht USA, ist es nicht ausgeschlossen, dass weitere Staaten mit der Anerkennung marokkanischer Souveränität folgen werden. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH), welcher einen Gebietsanspruch Marokkos klar verneinte, wurde hier von beiden Ländern schlicht ignoriert. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Vereinigten Staaten es oft nicht für nötig halten ihre Außenpolitik völkerrechtskonform zu gestalten (mehr dazu hier, hier und hier). Die Welt hat sich ihren Regeln zu beugen und nicht umgekehrt.

Bedeutung für das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis

Bei Realisierung marokkanischer Gebietshoheit bleibt für die Wüstenbewohner lediglich die Möglichkeit einen Autonomiestatus zu erlangen. Der marokkanische Autonomieplan sieht eine einheitliche diplomatische Repräsentation nach außen unter marokkanischer Flagge vor. Auch militärisch und gerichtlich unterläge das Gebiet vollständig dem Königreich. Zwar beinhaltet der Plan auch einen sahrauischen Regierungschef und ein Parlament, diese sollen aber nur Entscheidungen auf lokaler Ebene treffen, sofern sie mit der Verfassung Marokkos vereinbar sind. Solch ein Autonomiestatus hätte erhebliche Auswirkungen auf die Verwirklichung des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts, auf welches sich die Sahrauis im Konflikt um ihre Unabhängigkeit berufen.

Ursprünglich sicherte das Selbstbestimmungsrecht in äußerer Dimension einem unterdrückten Volk das Recht zu, sich von seiner Kolonialmacht abzuspalten und einen neuen Staat zu gründen. Heute wird ein solches Sezessionsrecht nur noch im Falle schwerster Menschenrechtsverletzungen wie ethnischer Säuberungen oder Kriegsverbrechen anerkannt (sog. remedial secession), abgesehen davon geht das Stabilitätsinteresse des Gesamtstaats jedoch vor. In der Vergangenheit wurde von gewaltvollem Vorgehen der marokkanischen Sicherheitskräfte gegen sahrauische Journalisten oder friedliche Demonstranten in der Westsahara berichtet (mehr zur menschenrechtlichen Situation vor Ort hier und hier), um ein Notrecht auf Sezession zu begründen reichen diese Vorfälle jedoch nicht aus. Der Anspruch der Sahrauis auf einen eigenen Staat auf dem Gebiet der Westsahara, dürfte nun, da sich Marokkos Anspruch auf Gebietshoheit über die Westsahara manifestiert hat, in noch weitere Ferne gerückt sein.

Das innere Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auf das Recht des Volkes im Gesamtstaat selbst über seine politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Grundsätzlich kann dies auch durch einen Autonomiestatus verwirklicht werden. Voraussetzend wäre jedoch, dass Marokko einem sahrauischen Parlament eine ausreichende politische und wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit gewährt und kulturelle und soziale Entscheidungen des Volkes respektiert. Da das Verhältnis zwischen marokkanischer Regierung und Polisario äußerst angespannt ist, ist zumindest das Einräumen einer politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit eher fraglich. Anhaltspunkte für konkrete Einmischungen in kulturelle und soziale Traditionen der Wüstenbewohner gibt es bisher allerdings nicht. Es besteht aber dennoch die Gefahr, dass im Falle des Zugeständnisses eines Autonomiestatus, die Sahrauis unter marokkanischer Staatsgewalt unterdrückt werden. Besonders bei offener Kundgabe separatistischer Meinungen oder Demonstrationen droht Schutzlosigkeit vor den Behörden. Der Proklamation Trumps, dass der Autonomieplan die einzige Lösung des Konflikts sei, stimmt das sahrauische Volk sicherlich nicht zu.

Win-Win-Situation für Marokko

Die Westsahara im Tausch gegen eine Annäherung an Israel – ein Deal, welcher Marokko in seiner Politik um den Wüstenstreifen einen erheblichen Vorteil verschafft – und dem Land dabei nicht einmal besondere Zugeständnisse abverlangt: Marokko und Israel sind seit langem wirtschaftlich, politisch und kulturell eng verbunden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts lebten rund 280.000 Menschen jüdischen Glaubens in Marokko, über eine Million Menschen in Israel haben marokkanische Wurzeln. Zwar hat sich die Größe der jüdischen Gemeinde in Marokko auf rund 3000 Mitglieder verringert, die Länder unterhalten dennoch seit Jahren gute Beziehungen, welche sich vor allem auf den Bereich der Landwirtschaft und den israelischen Tourismus in Marokko erstrecken. Auch die Geheimdienste arbeiten bereits zusammen. Die Eröffnung von Verbindungsbüros oder gar einer Botschaft in Tel Aviv sollte demnach keine wirkliche Herausforderung sein. Innerhalb der marokkanischen Regierung steht zwar die mitregierende PJD-Partei gegen eine Annäherung an Israel, abgesehen davon ist der „Westsahara Deal“ für Marokko dennoch eine Win-Win-Situation.

Das Ende für eine Konfliktlösung durch die Vereinten Nationen?

Mit der Unterstützung durch die USA, schlägt die Waage im Westsaharakonflikt nun deutlich zugunsten von Marokko aus. Dadurch könnten auch die Vereinten Nationen in ihrer Handlungsfähigkeit im Konflikt stark einschränkt werden. Als ständiges Mitglied des VN-Sicherheitsrats, ausgestattet mit einem Veto-Recht, können die USA jede Westsahara-Resolution des Sicherheitsrats blockieren (vgl. Art. 27 Abs. 3 UN-Charta). Der Erlass verbindlicher Maßnahmen wäre dann nicht mehr möglich.

In den letzten Jahrzehnten war der VN-Sicherheitsrat im Westsaharakonflikt handlungsfähig und versuchte durch die bis heute auf dem Gebiet anwesende Friedensmission MINURSO (SR/RES 690) auf eine friedliche Lösung hinzuwirken. Die Mission sollte den von der VN vermittelten Waffenstillstand überwachen und ein Unabhängigkeitsreferendum vorbereiten. Dieser Waffenstillstand wurde nun, am 14. November 2020, nach fast 30-jähriger Einhaltung gebrochen (mehr über die Hintergründe hier) und auch zu einem Referendum kam es aufgrund von Uneinigkeit über die Abstimmungsberechtigten nie. Dies zeigt, dass auch ein nicht blockierter Sicherheitsrat bisher nicht in der Lage war eine anhaltende Lösung des Konflikts zu finden. Das im Oktober 2020 durch den Sicherheitsrat verlängerte Mandat der MINURSO erwähnt eine Volksabstimmung als Ziel außerdem ohnehin nicht mehr. Die UN scheinen diesen Weg zur Konfliktlösung damit bereits vor dem „Deal“ Marokkos mit Trump aufgegeben zu haben. Die wohl effektivste (nicht unumstrittene) Möglichkeit des Sicherheitsrats wären wirtschaftliche Sanktionengegen Marokko, mit dem Ziel deren Militär zum Abzug aus der Westsahara zu bewegen. Diese Sanktionen stellen Maßnahmen im Sinne des Kapitels VII der UN-Charta dar (vgl. Art. 41 UN-Charta) und bedürfen deshalb zumindest einer Bedrohung des Friedens. In der Vergangenheit lag eines solche Bedrohung aufgrund des Waffenstillstands nicht vor, heute könnte sie aber mit Blick auf die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Marokko und Polisario durchaus bejaht werden. Paradoxerweise bestand gerade durch den Waffenstillstand kein Anlass für Sanktionen, während nun zwar der Anlass besteht, die Maßnahme aber durch die Einmischung der USA in den Konflikt so gut wie unmöglich geworden ist. Der Alleingang Trumps ging damit sowohl auf Kosten der sahrauischen Minderheit als auch der Vereinten Nationen.

Im Falle einer Blockierung bliebe die Möglichkeit von Generalversammlungsresolutionen, welche allerdings in der Regel unverbindlich sind und lediglich „Empfehlungen“ darstellen (vgl. Art. 10, 12 UN-Charta). Ihnen mangelt es damit im vorliegenden Fall deutlich an der notwendigen Effektivität. Eine Konfliktlösung zugunsten der Sahrauis wäre bei Blockierung des Sicherheitsrats schlicht nicht möglich. Es bliebe die Option, die Menschenrechtssituation vor Ort durch den UN-Menschenrechtsrat (HRC) zu überwachen und so die Wahrung des inneren Selbstbestimmungsrechts der Sahrauis zu unterstützen. Dies würde ihren Wunsch nach Unabhängigkeit zwar nicht verwirklichen, jedoch zumindest zeigen, dass ihre Situation und ihre Rechte nicht gänzlich in Vergessenheit geraten sind.

Hoffnung durch Joe Biden?

Auch wenn sich US-Präsident Joe Biden in seiner Haltung zu Einhaltung von internationalem Recht und Gerechtigkeit deutlich von der Trumps unterscheidet, wäre es zu optimistisch ihn als Hoffnungsträger der Sahrauis zu bezeichnen. Zwar hat er gleich zu Beginn seiner Amtszeit einige politische Entscheidungen seines Vorgängers revidiert, die Anerkennung der Westsahara zählt jedoch nicht dazu.  In einem Statement, welches am letzten Sonntag vom Weißen Hauses veröffentlicht wurde, heißt es vielmehr, Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan wolle weiter auf den Erfolg der Normalisierung diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern aufbauen. Auch vor seiner Vereidigung hatte Biden, den der israelische Präsident Netanjahu als „großen Freund“ bezeichnete, bereits anklingen lassen er werde an der Israelpolitik seines Vorgängers festhalten. Ein anderer Kurs wäre durchaus möglich. Wie Trumps Vizeaußenminister David Schenker, angesprochen auf Bidens Position zum „Deal“, klarstellte, kann jede Regierung ihre Außenpolitik selbst gestalten. Grund dafür, dass Joe Biden in diesem Fall davon absieht ist sicherlich auch, dass Marokko ein strategisch wichtiger Partner der USA in der Sahel-Zone ist und in großen Mengen Waffen aus den Vereinigten Staaten importiert. Zudem wird dem neuen Präsidenten eine große Solidarität für Israel nachgesagt. Diese begann mit seiner ersten Auslandreise als Senator nach Israel 1973 und hielt auch unter der eher israelkritischen Amtszeit Barack Obamas weiter an. Es ist daher unwahrscheinlich, dass er einen für Israel so vorteilhaften Deal kippen wird.

Die Situation für die Sahrauis sieht folglich düster aus, ihr Streben nach Unabhängigkeit und die Hoffnung auf einen eigenen Staat schwinden. Die sahrauischen Interessen sind einem außenpolitischen Erfolg der USA zum Opfer gefallen, ein Paradebeispiel dafür, wie einmal mehr Minderheiten in der Weltpolitik untergehen.

Author
Mona El Abbadi

Mona El Abbadi studiert Jura an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit dem Schwerpunkt Internationales und Europäisches Öffentliches Recht.

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