Über 1000 deutsche Staatsangehörige haben sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) angeschlossen, davon befinden sich mittlerweile gut 40 im syrischen Kurdengebiet in Gefangenschaft. Einige von ihnen werden verdächtigt, sich wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafbar gemacht zu haben. Schon im Koalitionsvertrag vereinbarten SPD, CDU und CSU zu regeln, dass „Deutsche, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können, wenn ihnen die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann.” Wie bereits in anderen EU-Staaten diskutiert und teilweise umgesetzt, soll eine Wiedereinreise und mögliche Straflosigkeit aufgrund unzureichender Beweise durch Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft verhindert werden, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. Das Recht auf Einreise ist verfassungsrechtlich in Art. 11 GG und durch internationale Abkommen für Deutsche garantiert. Durch die Ausbürgerung verlieren die Betroffenen dieses Recht. Die Ausbürgerung soll durch eine Erweiterung des § 28 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) erreicht werden. Nach dieser Bestimmung verliert „[e]in Deutscher, der auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne […] [Zustimmung oder Berechtigung] in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt, […] die deutsche Staatsangehörigkeit“. Ein Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft ist nach Art. 16 Abs. 1 GG zwar ausnahmslos verboten, ein Verlust derselben hingegen auf Grundlage eines einfachen Gesetzes verfassungsrechtlich zulässig. Ein Verlust liegt in Abgrenzung zu einem Entzug laut BVerfG dann vor, wenn der Betroffene die Umstände, die zum Verlust führen, (zumutbar) beeinflussen konnte. § 28 StAG ist dem Wortlaut nach in seiner aktuellen Fassung nicht auf IS-Kämpfer anzuwenden, da der IS nach ganz herrschender Meinung kein Staat und sein Verhalten auch keinem anderen Staat zuzurechnen ist (dazu differenziert hier). § 28 StAG soll auf volljährige Mehrstaatler, die sich künftig an Kampfhandlungen von Terrormilizen beteiligen, ausgeweitet werden. Dies ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Durch die jüngsten Ausbürgerungspläne entzieht sich Deutschland seiner Verantwortung und verlagert diese auf kurdische Milizen. Wegen des mangelhaft funktionierenden Staatsapparates in Syrien droht dort die Straflosigkeit der IS-Kämpfer. Eine Ausübung der komplementären Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) (Art. 17 Rom Statut) vor Ort scheidet aus, da Syrien das Rom-Statut nicht unterzeichnet hat. Die zweiten Heimatstaaten der Kämpfer haben das Rom-Statut ebenfalls oftmals nicht ratifiziert, so dass eine Verurteilung nach dem aktiven Personalitätsprinzip ebenfalls ausscheidet. Die letzte Möglichkeit, um ein Strafverfahren des IStGH gegen die Hauptverantwortlichen des IS durchzuführen, wäre die Überweisung durch den Sicherheitsrat. Mit Resolution 71/248 haben die Vereinten Nationen bereits ein unparteiisches und unabhängiges Gremium zur Unterstützung der Strafverfolgung in Syrien seit 2011 eingerichtet. Zwar dient dieses Gremium primär der Aufklärung der Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch das Assad-Regime, nichtsdestotrotz werden auch die Angriffe von nichtstaatlichen Akteuren, wie durch den IS auf Zivilisten, berücksichtigt werden müssen, da sich die Resolution auf alle Gräueltaten seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien bezieht. Eine Beschränkung auf einseitige Ermittlungen gegen bestimmte Personengruppen ist völkerstrafrechtlich für die Anklagebehörde des IStGH bereits nicht zulässig und würde durch diese im Rahmen der Vorermittlungen nicht beachtet werden. Eine solche Überweisung an den IStGH ist allerdings aufgrund des engen Verhältnisses Russlands zum Assad-Regime sowie der kritischen Beziehung der USA zum IStGH und des Veto-Rechts beider Länder unwahrscheinlich. Zuletzt sind die Pläne der Bundesregierung auch wegen der vielen ungeklärten Folgefragen zu kritisieren, beispielsweise der (Rechts-) Folgen einer Ausbürgerung der IS-Kämpfer auf deren Kinder. Verlieren diese ihre durch Geburt erhaltene Staatsbürgerschaft? Steht der Schutz der Familie durch die EMRK diesem Einschnitt entgegen? Mit den Gesetzesvorschlägen riskiert Deutschland im Ergebnis die Straflosigkeit der eigenen (ehemaligen) Staatsangehörigen. Die Personalhoheit eines Staates gebietet, dass dieser, soweit berechtigt, bei verbotswidrigem Handeln seiner Staatsangehörigen von seiner Strafhoheit über diese Gebrauch macht. Dieses Band darf Deutschland nicht auf Kosten der Staatengemeinschaft zertrennen. Die Präambel des Römischen Statuts proklamiert, „dass die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht unbestraft bleiben dürfen und dass ihre wirksame Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene und durch verstärkte internationale Zusammenarbeit gewährleistet werden muss“. Dieser völkerrechtlichen Verpflichtung entzöge sich Deutschland. Vorzugswürdig wäre es, die deutschen IS-Kämpfer zu überführen und in der Bundesrepublik abzuurteilen.
Timeela Manandhar und Özgen Özdemir forschen und promovieren an der Ruhr-Universität Bochum.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen dem IFHV und Völkerrechtsblog.
Cite as: Timeela Manandhar & Özgen Özdemir, “Responsibility to punish. Zur Verantwortung Deutschlands für deutsche IS-Kämpfer”, Völkerrechtsblog, 22. März 2019, doi: 10.17176/20190322-104804-0.
Özgen Özdemir ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum und Doktorandin an ihrer juristischen Fakultät. Kontakt: oezgen.oezdemir@rub.de
Hallo Markus,
recht herzlichen Dank für dein positives Feedback! Grundsätzlich sind deutsche Strafgerichte nach dem aktiven Personalitätsprinzip dazu berechtigt, die vermeintlichen Täter abzuurteilen, wenn sie zum Tatzeitpunkt deutsche Staatsbürger_innen waren, was du erkannt hast. Bei Kernverbrechen greift zusätzlich das Weltrechtsprinzip.
Für eine Verurteilung vor den deutschen Strafgerichten müssten die vermeintlichen Täter_innen jedoch für den Prozess in Deutschland sein, d.h. einreisen oder nach Deutschland überführt werden. Die Bundesregierung will mit der Ausbürgerung aber gerade verhindern, dass die IS-Kämpfer_innen zurück auf deutsches Territorium gelangen. Begründungen u.A.: Schutz vor nationalen terroristischen Aktivitäten, insb. notwendig, da die Beweissicherung in Krisengebieten schwierig ist und dadurch die Gefahr droht, dass bekannte Kämpfer_innen nicht verurteilt werden können und dann in Deutschland frei gelassen werden müssen. Bislang ist unklar, wie das Ausbürgerungsverfahren aussehen soll: in den Niederlanden findet die Ausbürgerung vor dem Strafverfahren statt, um die Einreise zu verhindern (vgl. https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/niederlande-entziehen-vier-dschihadisten-staatsbuergerschaft).
Theoretisch könnte ein Verdächtigter, auch nach dem Verlust der Staatsbürgerschaft, nach Deutschland ausgeliefert werden, wenn es entsprechende Abkommen gibt, da das aktive Personalitätsprinzip nach dem dtStrafrecht auf den Tatzeitpunkt abstellt.
Aber das würde dem Zweck der neuen Regelung entgegen laufen. Eine Verurteilung in Abwesenheit des Täters/der Täterin erachtet die dtStPO jedoch grundsätzlich als unzulässig, vgl. § 230 StPO. Eine der in § 230 dtStPO folgenden Ausnahmeregelungen zum Abwesenheitsverfahren greift im vorliegenden Fall auch nicht, vgl. explizit § 232 StPO.
Eine Verurteilung in Deutschland ohne Einreise oder Überführung nach Deutschland ist also nicht möglich.
Bezüglich der Feststellung der Teilnahme an Kampfhandlungen durch die Ministerien: Die taz hat Recht, dass dann gerade diejenigen, bei denen Beweise vorliegen und eine Verurteilung daher wahrscheinlich ist, nicht überführt werden/einreisen dürfen. Allerdings ist völlig offen, ob die Maßstäbe für das Ministerium ähnlich sein werden wie für Strafgerichte. Dies wirft übrigens erneut Fragen auf: sind sie ähnlich, kann auch direkt ein Strafverfahren laufen. Sind sie niedriger, stellt sich die Frage der Vereinbarkeit mit dem GG aufgrund des sehr intensiven und bis zum Lebensende wirkenden Grundrechtseingriffs.
Danke für den starken Beitrag. Eine Rückfrage: Lässt sich das Problem fehlender Strafgewalt nicht über § 7 II Nr. 1 Var. 1 StGB und § 1 S. 1 VStGB lösen? § 7 II Nr. 1 Var. 1 StGB gilt ja nach allgemeiner Meinung auch, wenn der Täter die deutsche Staatsbürgerschaft nachträglich verliert, Schönke/Schröder/Eser/Weißer, § 7 StGB Rn. 12 mwN. Ich habe den tatsächlichen Reformentwurf leider auf die Schnelle im Original nicht gefunden, aus einem Bericht der taz (http://www.taz.de/!5574725/) geht aber hervor, dass für den Verlust der Staatsangehörigkeit der Nachweis strafbarer Kampfhandlungen durch die zuständigen Landesinnenministerien erforderlich ist. Zumindest für die bis zum Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitsverlusts-VA durch das Ministerium ausgeführten Kampfhandlungen wäre deutsches Strafrecht aufgrund des § 7 II Nr. 1 Var. 1 StGB doch anwendbar, oder?
Die danach begangenen Taten könnten doch dann zumindest noch nach § 1 S. 1 VStGB der deutschen Strafgewalt unterfallen. Vielen Dank für eure Antwort!