The Corporation, Law and Capitalism by Greetje Baars, Haymarket Books (2020)

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Rechtsform(en) jenseits des Kapitalismus?

17.06.2020

The Corporation, Law and Capitalism ist ein wichtiges Buch. Mit einem historisch-materialistischen Fokus auf die rechtliche Konfigurierung des Unternehmens als Rechtsperson zeigt Grietje Baars exemplarisch die Rolle des Rechts für die Ausgestaltung des Kapitalismus. In ihrem Ausgangspunkt bezieht sich Baars dabei auf einen historischen Materialismus gestützt auf die Autoren Pashukanis und Miéville. Dementsprechend geht Baars davon aus, dass das Eigentum raison d’etre des Rechts sei (S. 19). Eigentum sei als Grundnorm eines jeden Rechtssystems zu verstehen (S. 29). Vor diesem Hintergrund erzählt Baars eine faszinierende Geschichte der Ausbildung der grundlegenden Elemente der Rechtsform des Unternehmens im (vor allem englischen) nationalen Recht sowie internationalen Recht. Sie zeichnet sodann vor allem durch die Analyse bedeutender historischer und aktueller Gerichtsprozesse nach, wie das Internationale Strafrecht die Verantwortung von Unternehmen systematisch verdeckt und ihre Position als Akteure im internationalen Kontext befördert hat. Abschließend stellt sie dar, wie auch aktuelle Diskurse der Corporate Social Responsibility diese Tendenz fortschreiben.

Ich möchte drei Fragen aufwerfen, die sämtlich auf das Verständnis von Recht, Rechtsform und Kapitalismus zurückgehen, das Grietje Baars Buch zu Grunde liegt. Dafür ist es notwendig kurz den Standpunkt von Grietje Baars zu rekapitulieren. Wie bereits erwähnt, legt sie ihrer Untersuchung ein an Pashukanis angelehntes Verständnis von Warenform und Rechtsform zu Grunde:

„Yet, since law, in the commodity form theory of law, is an inherently capitalist instrument (qua form, regardless even of content) based and built on the Grundnorm of private property ownership and inhering between formally equal subjects, it cannot but serve the interest of capital and reflect the underlying economic relations” (S. 29, Fn. weggelassen).

Das hat auch Folgen für ihre Einschätzung eines etwaigen emanzipatorischen Potentials des Rechts:

„[…] the form of law is not an empty vessel into which we can pour any (progressive or even socialist) content. Our resistance must turn against the concept of private property, against capitalism and against law: away from legal emancipation toward human emancipation” (S. 379 Fn. weggelassen)

Vor diesem Hintergrund möchte ich diskutieren, ob das Buch die historische Ausbildung des Rechts (1.), die konstitutive Rolle des Rechts für ökonomische Austauschbeziehungen (2.) sowie das emanzipatorische Potential des Rechts (3.) zu stark auf eine bestimmte Lesart verengt, so dass jeweils wichtige Aspekte aus dem Fokus geraten.

1. Die historische Ausbildung des Rechts

Das Buch erzählt in Kapitel 2 eine faszinierende Geschichte des Unternehmens im Recht. Gerade im Wirtschaftsrecht wird – wie Grietje Baars zutreffend bemerkt – einer historischen Betrachtung viel zu wenig Beachtung geschenkt. Die Erzählung von Baars ist jedoch mit dem Ausgangspunkt, dass das Eigentum als Grundnorm eines jeden Rechtssystems sei, sehr stark auf spezifisch kapitalistische Aspekte der Entwicklung des Rechts fokussiert. Es scheint aber durchaus fraglich, ob wir tatsächlich alle Aspekte der Entwicklung des Rechts historisch derart stark auf einen solchen Begriff des Eigentums verengen können. Der Rechtshistoriker Harold Berman bezeichnet z.B. das Kanonische Recht als erstes Rechtssystem Europas. Inwiefern können wir aber auch das Kanonische Recht aus dem Eigentum als Grundnorm erklären? Hinzu kommt, dass die Geschichte des Rechts schon bezogen auf die Konfiguration des Eigentums ganz unterschiedliche Formen kennt. Das von Baars zentral gesetzte Privateigentum ist nur eine dieser Formen. Es gab etwa mit der Allmende historisch stets auch andere Formen der rechtlichen Konfiguration von Eigentum, die in aktuellen Commons-Debatten durchaus präsent sind und neben dem Privateigentum stets auch Formen des Sozialeigentums. Deshalb sind durchaus auch rechtliche Konfigurationen des Eigentums für einen demokratischen Sozialismus denkbar . Die Verengung auf ein Recht, dessen raison d’etre das Privateigentum ist, verdeckt diese durchaus diverse Geschichte des Rechts jenseits kapitalistischer Wirtschaftsweisen. Gerade jenseits eurozentrischer Perspektiven gibt es etwa mit der Bewegung des Derecho Alternativo und des emanzipatorischen Rechtspluralismus  durchaus gegenhegemoniales Recht.

2. Die konstitutive Rolle des Rechts

Diese Erkenntnis deckt sich im Ansatz mit einer Vielzahl unterschiedlicher kritischer Ansätze, die sich unter dem Titel Neue Politische Ökonomien des Rechts versammeln (vgl. etwa Grewal, Harvard Law Review, 128 (2014), 626; Pistor, The Code of Capital, 2019; sowie die Beiträge auf lpeblog.org). Diese Ansätze gehen von der konstitutiven Rolle des Rechts für ökonomische Austauschbeziehungen aus. Eigentum, Vertrag, Markt , Geld  und auch das Unternehmen haben jenseits ihrer rechtlichen Konfigurationen keinen Bedeutungsgehalt, ja, gar keinen ontologischen Status. Es gibt sie je nur als rechtliche Konfigurationen.

Gerade deshalb sind diese Konfigurationen aber auch historisch wandelbar und politisch transformierbar. Das heißt auch: Es gibt kein Ableitungsverhältnis des Rechts oder der Rechtsform aus den ökonomischen Verhältnissen (im Sinne von Pashukanis). Das Recht lässt sich in seinem Bedeutungsgehalt und seiner Varietät deshalb auch nicht auf eine spezifische feststehende Rechtsform der bürgerlichen Gesellschaft reduzieren. Zurecht fokussiert Baars ihre Darstellung zwar auf grundlegende Elemente der Entwicklung der corporation im Recht von Großbritannien, wenn sie festhält, dass sich die grundlegenden Charakteristika der corporation schon Mitte des 19. Jh. in unterschiedlichen Ländern nach dem Vorbild Großbritanniens herausgebildet und sich seitdem nicht mehr grundlegend verändert hätten (S. 67). Denn diese Entwicklung scheint in der Tat von beispielhafter Bedeutung. Das heißt allerdings nicht, dass diese rechtliche Konfiguration des Unternehmens nicht wandelbar ist. Schon in den varieties of capitalism gibt es varieties of law, die durchaus unterschiedlich mit der Rechtspersonalität und der Haftungsbeschränkung von Unternehmen umgehen. Diese varieties reichen von unterschiedlichen Ausprägungen der Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen bis hin zu mannigfaltigen Formen des piercing of the corporate veil (in jüngerer Zeit etwa in Lieferketten). Hinzu kommen alternative Rechtsformen wie Genossenschaften und Kooperativen, die sich jenseits eines Unternehmenskapitalismus bewegen. Ein Ansatz, der zu sehr auf eine bestimmte Form der Inkorporation im kapitalistischen Recht verengt wird – so wichtig diese Erzählung als Kontrapunkt auch ist – läuft Gefahr diese varieties und alternativen Formen des Rechts aus dem Blick zu verlieren. In Baars Buch kommen deshalb existierende alternative oder abweichenden Formen des Rechts und der rechtlichen Formen der Inkorporation etwas zu kurz.

3. Das emanzipatorische Potential des Rechts

Grietje Baars beschränkt den Begriff der Rechtsform mithin auf ihre kapitalistische Erscheinungsform. Recht gibt es nur als kapitalistische Erscheinungsform. Es scheint allerdings fraglich, ob selbst ein historischer Materialismus zwingend so verstanden werden muss, dass die Form des Rechts gleichbedeutend ist mit ihrer Erscheinungsweise im Kapitalismus. So gibt es etwa auch materialistische Theorien des Rechts, die von einer relativen Unabhängigkeit des Rechts ausgehen (etwa Franz Neumann). In der Konsequenz gibt es auch materialistische Theorien des Rechts, die auch dem Recht selbst ein emanzipatorisches Potential zuerkennen. Allgemeiner fragt sich zudem, ob ein Verständnis, welches das Recht auf seine kapitalistische Erscheinungsform reduziert, noch das emanzipatorische Potential des Rechts denken kann. Grietje Baars verneint – wie zu Beginn erläutert – solch ein emanzipatorisches Potential des Rechts. Die Rechtsform sei kein „empty vessel“ (S. 379), welches mit emanzipatorischen Programmen aufgefüllt werden könne. Ein emanzipatorisches Projekt müsse sich deshalb notwendig gegen das Recht und gegen die Rechtsform richten. Ich denke, dass die Rechtsform zwar in der Tat kein „empty vessel“ ist, sie ist aber auch keine ontologische Konstante. Ein anderes Recht, eine Transzendierung der bürgerlichen Rechtsform ist möglich . Baars fordert selbst: „Our imagination and our organising must turn towards the creation of alternative forms of relating, producing, and distributing” (S. 379). Diese Aufgabe erreichen wir nicht durch die Abschaffung von Recht. Damit wäre nichts gewonnen [vgl. Fischer-Lescano, Rechtskraft 2013]. Es geht darum, die rechtlichen Formen für emanzipatorische Projekte zu finden.  „Nur rechtliche Strategien, die entgegen allem Realismus unterstellen, dass das andere Recht schon da ist, können dazu beitragen, dass es einmal hervorgebracht wird“.

Grietje Baars hat eine innovative Studie mit vielen (für mich) wichtigen Erkenntnissen vorgelegt. Meine Frage wäre aber, ob es tatsächlich richtig ist, unseren Begriff des Rechts von vornherein auf eine spezifisch kapitalistische Erscheinungsform zu beschränken. Denn dadurch laufen wir Gefahr, im Blick auf das Recht gerade solche alternativen, abseitigen, unterdrückten und gegenhegemonialen Elemente des Rechts aus den Augen zu verlieren, die für ein emanzipatorisches Programm des Rechts wichtige Potentiale bereithalten.

 

Grietje Baars, The Corporation, Law and Capitalism: A Radical Perspective on the Role of Law in the Global Political Economy (Brill 2019 & Haymarket 2020).

 

Johan Horst ist Postdoc am Integrative Research Institute Law and Society (LSI), Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin.

Dieser Beitrag wurde auch auf Englisch veröffentlicht. Die englische Version finden Sie hier.

 

Cite as: Johan Horst, “Rechtsform(en) jenseits des Kapitalismus?”, Völkerrechtsblog, 17. Juni 2020, doi: 10.17176/20200617-123933-0.

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Johan Horst
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