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Neue Initiative der polnischen Regierung in Sachen deutscher Weltkriegsreparationen

Germany v. Italy 2.0?

20.04.2018

Erneut fanden sich Anfang Januar 2018 Meldungen über Erwägungen der polnischen Regierung, Reparationsansprüche gegen die Bundesrepublik für Schäden des Landes während der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg geltend zu machen. Nun sollten US-amerikanische Gerichte helfen, die Ansprüche durchzusetzen, so der polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski. Einigen dieser Aspekte soll sich dieser Beitrag widmen.

Nie verheilte Wunden?

Seit dem Regierungswechsel in Warschau im Spätherbst 2015 überholt die neue nationalkonservative PiS-Regierung nicht nur die Innen- und Europapolitik Polens, sondern auch die polnische Außenpolitik. So werden vermehrt Ansprüche gegen die Bundesrepublik geltend gemacht. Denn, so die Ansicht der grauen Eminenz der PiS, Herrn Jarosław Kaczyński: „Die Franzosen wurden entschädigt, die Juden wurden entschädigt und viele andere Länder wurden auch entschädigt für die Verluste, die sie während des Zweiten Weltkriegs erlitten haben. Die Polen aber nicht.

Einen möglichen einseitigen Verzicht der Regierung der Volksrepublik Polen von 1953 gegenüber der Bundesrepublik erkennen die Nationalkonservativen nicht an (die entscheidende Passage der damaligen Erklärung lautet: „Mit Rücksicht darauf, daß Deutschland seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen ist […] hat die Regierung der Volksrepublik Polen den Beschluß gefaßt, mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten, um damit einen Beitrag zur Lösung der deutschen Frage […] zu leisten“).

Auf Grund der Zugehörigkeit der Volksrepublik zum Ostblock, wäre sie dem Einfluss der Sowjetunion ausgesetzt und folglich kein souveräner Staat gewesen. Ein von der Bundesrepublik behaupteter Verzicht sei folglich nichtig. Außerdem hätte nicht das zuständige Organ der Volksrepublik Polen den Verzicht erklärt, was ebenfalls zu dessen Nichtigkeit beitrage. Gestärkt wurden diese Positionen zuletzt durch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes, des polnischen Sejm im September 2017.

Bundesregierung: alles geregelt!

Die Bundesregierung nimmt die Position ein, dass die deutschen Reparationen für Polen abschließend geregelt worden sind.

Diese Position wurde bereits zuvor in einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages im August 2017 eingenommen.

Argumente, die die Wirksamkeit des Verzichtes in Frage stellen wollten – wie die Abhängigkeit der Volksrepublik Polen von der Sowjetunion oder die Nichtbeachtung polnischer verfassungsrechtlicher Vorgaben – weist der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages als unbeachtlich zurück. Zudem sei der Verzicht der polnischen Regierung von 1953 im Jahre 1970 durch den damaligen stellvertretenden polnischen Außenminister bestätigt worden.

Im Lichte dieses Verhaltens will der wissenschaftliche Dienst des Bundestages auch die spätere Position Polens während der Verhandlungen über den Zwei-plus-Vier-Vertrag sehen. Dieser sollte abschließend Forderungen aus dem Kriegszustand regeln. Zwar ist Polen nicht Vertragspartei des Übereinkommens, wäre aber an den dem Vertrag zu Grunde liegenden Verhandlungen beteiligt gewesen. Daher hätte die Bundesregierung spätestens seit Abschluss des Vertrages nicht mehr mit Ansprüchen von Seiten Polens rechnen müssen. Polen wusste um sein eigenes Verhalten in der Vergangenheit und hätte den Untergang der Forderungen mit Abschluss des Vertrags sehen müssen und dementsprechend protestieren können. Da dies nicht der Fall war, greife die völkerrechtliche Regelung der stillschweigenden Zustimmung (acquiescence). Diese Schlussfolgerung wäre ferner durch eine Expertenkommission für Kriegsreparationen des zweiten Weltkrieges des polnischen Außenministeriums von 2005 bestätigt worden (Position Paper of the Ministry of Foreign Affairs Legal Advisory Committee on Polish World War II-related Reparations Claim with Respect to Germany, The Polish Quarterly of International Affairs, 2005, no. 1, 138 – 142 (140)).

Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des polnischen Sejms hingegen bezweifelt die Abgeltung deutscher Kriegsschuld durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Die Frage von Reparationen wäre nicht explizit angesprochen und Polen wäre keine Vertragspartei des Abkommens. Weiterhin hätte die Bundesrepublik auch nach Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages weitere Abkommen zur Regelung der Entschädigung von NS-Verfolgten geschlossen, folglich würde die Bundesrepublik selber den Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht als abschließende Regelung von Reparationsfragen betrachten.

Weiterhin kommt nach Ansicht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für evtl. bestehende Ansprüche die Einrede der Verjährung in Betracht. Insofern bezieht sich das Gutachten hauptsächlich auf einen Beitrag Doehrings, welcher sich für eine Verjährung von Reparationen nach einem Zeitraum von 50 Jahren ausspricht (Doehring/Fehn/Hockerts, Jahrunderschuld– Jahrhundertsühne, 2001, S. 9 ff. (22, 24)).

Alien Tort Statute als deus ex machina?

Die polnische Regierung kündigte nun an, Ansprüche polnischer Zwangsarbeiter vor US-amerikanischen Gerichten durchzusetzen. Eine Möglichkeit, die sich auf Grund des amerikanischen Alien Tort Statutesergibt. Es ist allerdings festzustellen, dass derartige Ansprüche lediglich von einzelnen polnischen Bürgern geltend gemacht werden können, nicht von der polnischen Regierung. So schreibt der einschlägige § 1350 des 28. US-Codes vor, dass die district courts zuständig sind für “[…] any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States.” Eine Unterstützung privater Kläger bleibt der polnischen Regierung selbstverständlich erhalten.

Was ist dran?

Zunächst gilt es anzuerkennen, dass die polnischen Forderungen vor dem Hintergrund des NS-Unrechts, welche der deutsche Staat in Polen verbrach, nachvollziehbar sind. Nichtsdestotrotz ist das Vorbringen der polnischen Regierung an juristischen Maßstäben zu messen.

Einem erfolgreichen Vorbringen des polnischen Anliegens ist eine Absage zu erteilen. Dieses scheint eher politisch motiviert denn rechtlich fundiert zu sein. Ein Anzweifeln der rechtlichen Wirksamkeit des polnischen Verzichtes von 1953 ist fragwürdig.

Verzicht von unzuständiger Stelle abgegeben?

Einseitige völkerrechtliche Akte sind – auf Grund der Beschränkung der staatlichen Handlungsfreiheit –grundsätzlich restriktiv auszulegen (IGH, Nuclear Tests Case, para. 44). Insofern bieten die Guiding Principles applicable to unilateral declarations of States capable of creating legal obligations der ILC eine Hilfestellung bei der Auslegung. Für das Vorbringen Polens, dass innerstaatlich nicht die zuständige staatliche Stelle gehandelt hätte findet sich die entsprechende Regelung des Auslegung-Prinzips Nr. 4. Dieses sieht vor, dass “A unilateral declaration binds the State internationally only if it is made by an authority vested with the power to do so. By virtue of their functions, heads of State, heads of Government and ministers for foreign affairs are competent to formulate such declarations.[…]” Ein Berufen darauf, dass nicht der nach der Verfassung der Volksrepublik Polen zuständige polnische Staatsrat gehandelt habe, scheint insofern aussichtslos, wurde der polnische Verzicht von 1953 doch durch die Regierung erklärt, welche nach der oben dargestellten Auslegungshilfe als ermächtigt i.S.d. Völkerrechts angesehen werden darf.

Polnische Erklärung unter Zwang erwirkt?

Das weitere Argument, dass die polnische Regierung bzw. der polnische Staat zum Zeitpunkt der damaligen Erklärung nicht souverän gewesen sei, mag man wie folgt verstehen: Die polnische Regierung war zum Zeitpunkt der Erklärung des Verzichtes gezwungen, diesen zu erklären. Diesbezüglich schweigen die Guiding Principles betreffend der Auslegung unilateraler Akte. Hier könnten – die Vorgaben des IGH beachtend – die Regelungen der Artikel 51 und 52 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge analog angewendet werden, um eine rechtliche Würdigung des polnischen Vorbringens zu ermöglichen. Dies ist möglich, sofern die Auslegung des einseitigen Rechtsakts dessen sui generis-Charakter wahrt (IGH, Fisheries Jurisdiction Case (Spain/Canada), para. 46).

Gem. Art. 51 WÜRV hat die Zustimmung von Staaten zu Verträgen, die unter Zwang gegen ihre Vertreter herbeigeführt wurde, keine Rechtswirkung. Art. 52 WÜRV sieht hingegen vor, dass Verträge, deren Abschluss durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt herbeigeführt wurde, nichtig sind. Insofern trägt die polnische Regierung die Beweislast, dass bei der Abgabe der Verzichtserklärung Umstände entsprechend den Regelungen der Art. 51 oder Art. 52 WÜRV vorlagen. Die Verortung der Verzichtserklärung von 1953 im Kontext anderer sowjetischer und polnischer Erklärungen und Zugeständnisse zu betrachten, begründet hingegen aus völkerrechtlicher Perspektive keinen Mangel an Souveränität bzw. Beweise für Zwang durch die Sowjetunion gegenüber der polnischen Regierung.

Weiterhin gilt es auch in diesen Fällen, die spätere Bestätigung des Verzichtes durch stillschweigende Anerkennung von polnischer Seite zu beachten. Zum Zeitpunkt der Verhandlung des “Zwei-plus-Vier”-Vertrages war die Hochzeit des sowjetischen Machtblockes jedoch bereits Geschichte.

Eine Schwäche in der deutschen Position mag allerdings in Bezug auf die Verjährung der Ansprüche gesehen werden. Betrachtet man diesbezüglich die allgemeinen Grundsätze der Verjährung im Völkerrecht, so stellt man fest, dass die beklagte Partei keine Verjährung geltend machen kann, wenn sie Zugang zu den „records of the facts“ hat (Wouters/Verhoeven, Prescription, MPEPIL 2008, para. 6) – dies aus Perspektive der Bundesregierung zu verneinen scheint zweifelhaft.

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg?

Mit der Ankündigung der Geltendmachung der Ansprüche vor US-Gerichten erkennt die polnische Regierung die Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens auf völkerrechtlicher Ebene an.

Eine Geltendmachung vor dem IGH wird bereits in der Zulässigkeit keinen Erfolg haben. Da Deutschland sich nicht der Gerichtsbarkeit des IGH für Ereignisse, die vor dem 1. Mai 2008 liegen, unterworfen hat, ist bereits der Zugang zum IGH versperrt. Auch aus dem Europäischen Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten ergibt sich nichts anderes, da Polen diesem nicht beigetreten ist. Da die Bundesregierung auch kaum einem ad hoc Schiedsverfahren zustimmen würde, bleiben für die polnische Regierung nur zwei Wege offen: die Provokation der Initiierung eines völkerrechtlichen Verfahrens durch die Bundesrepublik selbst – dieses Vorgehen ist im Fall Germany v. Italy vor dem IGH 2012 gescheitert. Oder aber die Verhandlung der Sache vor einem nationalen Gericht – aus politischer Perspektive vorzugsweise dem eines Drittstaats.

Für diesen Weg schien sich die polnische Regierung zumindest für einen Teil der polnischen Ansprüche entschieden zu haben. Diesbezüglich ist aus völkerrechtlicher Perspektive die Jurisdiktion der Vereinigten Staaten zu beurteilen. Auch diese dürfen nach hergebrachten Grundsätzen des Völkerrechtes jedoch nicht über das Handeln anderer Staaten zu Gericht sitzen (“par in parem non habet iurisdictionem“). Trotz unterschiedlichem Vorbringen in Literatur und Praxis zur Durchbrechung dieses Grundsatzes – die sog. „territorial tort exception“ (Fischer-Lescano/Gericke, Der IGH und das transnationale Recht, KJ 2010/1, 78 – 88 (82)) bzw. Ausnahmen im Fall von ius cogens-Verletzungen (Nowosielski, State Immunity and the Right of Access to Court: The Naoniewski Case before the Polish Courts, Polish Yearbook of International Law 2010, 263– 276 (269)) – reflektieren diese nicht den aktuellen Stand des Völkergewohnheitsrechts (IGH, Germany v. Italy, para. 79, 97). Die Bundesrepublik hat ein Verfahren gegen sich selbst vor US-amerikanischen Gerichten folglich nicht bzw. erst recht nicht hinzunehmen. Insofern scheitert aus völkerrechtlicher Perspektive bereits die Zulässigkeit des nationalen Verfahrens.

Auch wenn das Vorbringen Polens aussichtslos scheint, rückt die polnische Regierung von ihrem Verlangen nach Reparationen nicht ab – wie zuletzt vom polnischen Außenminister Czaputowiczbei seinem Antrittsbesuch in Berlin erklärt. Positiv festzustellen ist allerdings, dass die polnische Regierung bei dieser Gelegenheit auf den Vorschlag von Außenminister Gabriel eingegangen ist, sich über die Frage im Rahmen eines wissenschaftlichen Dialoges auseinanderzusetzen. Überraschend nun die neusten Äußerungen von Czaputowiczima. Noch dieses Jahr will die polnische Regierung Wege zur Verfolgung der Ansprüche prüfen – auch juristische.

Die vom polnischen Botschafter in Berlin im Januar angekündigten Klagen scheinen also wieder wahrscheinlicher. Auf die Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der polnischen Verzichtserklärung von 1953 dürfen wir weiter gespannt sein.

 

Dipl.-Jur. Lukas Kleinert war zuletzt wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Marc Bungenberg, LL.M. am Europa-Institut der Universität des Saarlandes. Er absolvierte seinen Zivildienst mit “kulturweit” – dem Freiwilligendienst des Auswärtigen Amtes und der deutschen UNESCO-Kommission – in der Nähe von Danzig (Polen).

 

Cite as: Lukas Kleinert, „Neue Initiative der polnischen Regierung in Sachen deutscher Weltkriegsreparationen – Germany v. Italy 2.0?“, Völkerrechtsblog, 20 April 2018, doi: 10.17176/20180420-152750.

Author
Lukas Kleinert

Ass. iur. Lukas Kleinert, Master Droit, LL.M. is writing his Ph.D. at the University of Hamburg on an European and public international law related topic. He has been a member of the editorial team of the Völkerrechtsblog since 2018.

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2 Comments
  1. Liebe Frau Bainczyk,

    haben Sie herzlichen Dank für Ihren Hinweis. Mir ist dieser Beitrag nicht bekannt gewesen. Ich werde mich aber gerne mit ihm auseinandersetzen.

    Herzliche Grüße

    Lukas Kleinert

  2. Wie bereits im Text gesagt wurde, sind Reparationen und Entschaedigungen in polnisch-deutschen Beziegungen ein Thema fuer wissenschaftliches Dialog. Deshalb beachten Sie bitte eine detallierte Darstellung des historichen Umfelds dieser Frage
    in einer Veroeffentlichung in deutscher Sprache vom Mitarbeitern des West-Instituts (Instytut Zachodni, http://www.iz.poznan.pl), Polen Prof. S. Żerko “Reparationen und Entschädigungen in den Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland” http://www.iz.poznan.pl/publikacje/iz-policy-papers/iz-pp-nr-22-reparationen-und-entschdigungen-in-den-beziehungen-zwischen-polen-und-der-bundesrepublik-deutschland

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