Nefertiti bust at Neues Museum Berlin; photo by cammaert via Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

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Zwischen Recht und Politik

Die Rechts- und Eigentumsverhältnisse an Kulturgütern der Kolonialzeit nach deutschem Zivilrecht und Völkerrecht

28.09.2018

Bisher „ungedachte juristische Konstruktionen“ wünscht sich Bénédicte Savoy, wenn sie in ihrem jüngsten Werk über die Zukunft des (kolonialen) Kulturerbes nachdenkt. Doch wie ist eigentlich die Rechtslage an kolonialen Kulturobjekten? Bestehen Ansprüche zur Rückforderung solcher Güter? Diese Fragen hat unlängst der Deutsche Museumsbund in einem „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ aufgegriffen (S. 65 ff.). Befund der Analyse: Ansprüche auf Rückforderung kolonialer Kulturgüter bestehen weder nach deutschem Zivilrecht noch nach Völkerrecht. Anhand eines Fallbeispiels zeichnet dieser Beitrag die Argumentation des Leitfadens ergänzt um eigene Gedanken nach und erörtert die Rolle des Rechts in der Restitutionsdebatte.

Fallbeispiel: Die Witbooi-Bibel

Auch wenn gemeinsame Muster erkennbar sind, kann eine Untersuchung der Rechts- und Eigentumsverhältnisse an Kulturgütern der Kolonialzeit nur im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung erfolgen. Als Beispiel für eine solche eignet sich die Bibel von Hendrik Witbooi, einem bedeutenden Nama-Anführer („Kaptein“) gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Namibia. 1893 wurde seine Bibel beim Überfall auf Hornkranz durch Soldaten der deutschen Schutztruppe erbeutet. Dann verlor sich für einige Jahre die Spur der Bibel, bis sie 1902 von einem Beamten der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes dem Stuttgarter Lindenmuseum geschenkt wurde. Soweit ersichtlich, befindet sich das 1866 in Berlin gedruckte Werk seitdem in dem schwäbischen Museum.

Heute liegt dem Auswärtigen Amt eine Anfrage Namibias vor, die Bibel zurückzugeben. Doch trotz der Bereitschaft des Lindenmuseums ist es zu einer Rückgabe bisher nicht gekommen. Grund dafür: Neben Namibia reklamieren auch die Nama sowie die Nachfahren Witboois den Gegenstand für sich. Derzeit laufen Verhandlungen.

Das deutsche (historische) Zivilrecht

Welches Recht galt 1893 in Hornkranz? Für eine lückenlose Aufarbeitung der Eigentumslage an der Bibel ist diese Frage nach dem Grundsatz der Intertemporalität zu stellen. Danach ist auf einen (historischen) Sachverhalt stets das Recht der damaligen Zeit anzuwenden. Der Leitfaden geht hier auf das „Schutzgebietsgesetz“ ein, welches die Rechtsverhältnisse in den deutschen Kolonialgebieten regelte. Geht man von der Anwendbarkeit des Gesetzes aus (zur Rechtmäßigkeit der Kolonisation Südwestafrikas siehe jedoch hier), ist dessen § 2 in seiner für das Jahr 1893 maßgeblichen ersten Fassung in den Blick zu nehmen. Dieser verweist für die Anwendbarkeit des Bürgerlichen Rechts auf das „Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit” (siehe hier), das wiederum regelt, in welchen Konstellationen welches Bürgerliche Recht zur Anwendung kommt. Man sieht, dass schon die Ermittlung des anzuwendenden Rechts für Schwierigkeiten sorgt.

Nichts anderes gilt – wenn auch wohl weniger für den hier geschilderten Sachverhalt – für die materiell-rechtliche Beurteilung eines Erwerbs in der Kolonialzeit. Insoweit verwundert es nicht, dass sich der Leitfaden mit endgültigen Aussagen zurückhält. Es sei „[…] durchaus denkbar, dass es Erwerbungsvorgänge gegeben hat, die auch nach damaligem Recht fehlerhaft waren. So dürfte auch in der Kolonialzeit ein Diebstahl nicht zu einem wirksamen Eigentumserwerb geführt haben […]“ (S. 69, 70; Hervorhebungen des Verfassers).

„Erwerb“ der Bibel durch das Lindenmuseum?

Doch ungeachtet dessen kann sich die Eigentumslage nach Verbringung eines Objekts nach Europa zulasten der einstigen Besitzer verändert haben. Beispiel Witbooi-Bibel im Jahr 1902: Hier kommt zunächst ein (gutgläubiger) rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb des Lindenmuseums nach §§ 929 S. 1, 932 I BGB in Betracht, der wohl aber wegen Abhandenkommens der Bibel bei Hendrik Witbooi an § 935 I BGB scheitert. Ferner könnte das Lindenmuseum die Bibel nach § 937 I BGB durch zehnjährigen Eigenbesitz ersessen haben. Die Ersitzung wäre jedoch nach Abs. 2 ausgeschlossen, wenn das Museum die Bibel nicht gutgläubig besaß. Auch hier stellt sich eine schwierige Frage: Welcher Gutglaubensmaßstab ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei kolonialen Objekten anzuwenden?

Doch letztlich sind diese sowie weitere zivilrechtliche Details aus zwei Gründen vernachlässigbar. Zum einen läge die Beweislast in einem Zivilprozess bei den Rechtsnachfolgern Witboois: Es dürfte ein sehr schwieriges Unterfangen werden, den genauen Weg der Bibel nachzuzeichnen. Und zum anderen ist ein etwaiger Vindikationsanspruch der Rechtsnachfolger Hendrik Witboois auf Herausgabe der Bibel aus § 985 BGB verjährt, vgl. § 195 BGB a.F. (und heute ausdrücklich § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Zwar müsste die Einrede der Verjährung im Verfahren erst erhoben werden. Doch gerade das vorliegende Beispiel zeigt den Sinn und Zweck von Verjährungsvorschriften, wie der Leitfaden treffend ausführt (S. 71, 72): „Diese haben nicht nur den Zweck, eine gewisse Rechtssicherheit oder ‘Rechtsfrieden’ herzustellen. Vielmehr sollen sich die Gerichte auch nicht mit Klagen auseinandersetzen müssen, bei denen der Sachverhalt kaum noch eruierbar und damit die Gefahr einer unzutreffenden Tatsachenfeststellung groß ist.

Auf Details wie weitere (heute ebenfalls verjährte) Herausgabeansprüche, z.B. aus § 1007 Abs. 2 BGB, muss an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet werden. Letztlich zeigt sich, dass das geltende Zivilrecht keine durchsetzbaren Ansprüche bereitstellt, koloniale Kulturgüter zurückzufordern.

Auch keine Ansprüche aus Völkerrecht

Heute existieren drei Konventionen, die (zumindest auch) den Schutz von Kulturgütern zum Gegenstand haben: die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten (1954; siehe hier), aus dem Jahr 1970 das UNESCO Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und schließlich die 1995er UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter(siehe hier). Da die Verträge jedoch nicht rückwirkend gelten, erfassen sie Ereignisse der Kolonialzeit nicht – sehr zum Missfallen der Staaten, denen einst Kulturgüter entzogen wurden.

Im Völkerrecht der Kolonialzeit scheinen wenn überhaupt Art. 6 der Kongo-Akte oder ein etwaiges völkergewohnheitsrechtliches Plünderungsverbot „passende“ Normen zur Frage nach der Rechtmäßigkeit der – neutral formuliert – Mitnahme kolonialer Kulturgüter zu sein. Doch selbst wenn das deutsche Kaiserreich beim Gefecht von Hornkranz gegen diese (oder andere) Normen verstoßen hat: Wem stünde ein etwaiger Anspruch heute zu? Im Übrigen läge eine Verwirkung des Anspruchs nahe.

Schließlich verlangt Art. 11 Abs. 2 der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker, dass die Staaten Mechanismen schaffen (sollen), um „[…] Wiedergutmachung zu leisten für das kulturelle […] Eigentum, das diesen Völkern […] entzogen wurde.“ Diese zeitlich unbegrenzte „Pflicht“ scheint auch auf koloniale Kontexte anwendbar zu sein – allerdings ist die Erklärung der Generalversammlung nicht rechtsverbindlich, wenn auch strittig ist, ob Teile oder sogar die gesamte Erklärung völkergewohnheitsrechtlichen Charakter haben. Letztlich ist Art. 11 Abs. 2 der Erklärung jedenfalls keine Anspruchsgrundlage, sondern eine „Pflicht“, Mechanismen für Rückgaben zu schaffen.

Ausführlicherer Untersuchung bedürfen jedoch die Verträge, die sowohl deutsche Siedler als auch das deutsche Kaiserreich mit Einheimischen im heutigen Namibia geschlossen haben. Diese wohl größtenteils unfairen und ungleichen Verträge regelten zwar vorwiegend den „Erwerb” von Land. Vor dem Hintergrund durch Gewalt ausgeführter Kulturgüter bleibt eine Anwendung der Verträge auf solche Kulturgüterverbringungen jedoch überlegenswert.

Ein von diesen Überlegungen unabhängiger allgemeiner völkerrechtlicher Anspruch zur Rückforderung kolonialer Kulturgüter besteht jedoch nicht.

Also: „Ungedachte juristische Konstruktionen“?

Wie könnten von Bénédicte Savoy gewünschte neuartige Konstruktionen für die Restitution kolonialer Kulturgüter aussehen? Im Zivilrecht sind Gesetzesänderungen denkbar. Zugunsten von Rückforderungsklägern könnte vermutet werden, dass ihre Vorfahren umstrittene Objekte unrechtmäßig verloren haben. Auch könnte die Verjährungsfrist von Ansprüchen in Rückforderungsfällen verlängert oder aufgehoben werden, wie zuletzt in der Gurlitt-Affäre erwogen.

Doch selbst dann kann ein Zivilgericht stets nur den Einzelfall befrieden. Und das auch nur, wenn es dazu angerufen wird. Wo kein Kläger, da kein Richter. Zwar schiene im Falle der Witbooi-Bibel angesichts der relativ gut erforschten Objektgeschichte eine Klage – ungeachtet ihrer Erfolgsaussichten – sogar denkbar. In den allermeisten Fällen ist ein solches Szenario aber wenig realistisch. Möchte man die Restitution kolonialer Kulturgüter vorantreiben, sind kleinteilige Gesetzesänderungen das falsche Mittel.

Die Verständigung auf universale völkerrechtliche Regeln für die Rückgabe kolonialer Kulturgüter ist angesichts vieler gescheiterter Versuche in der Vergangenheit sehr unwahrscheinlich. Bilaterale zwischenstaatliche Verträge für Rückgaben auf freiwilliger Basis wie bei der Witbooi-Bibel erscheinen dagegen denkbar. Doch auch solche Rückgaben können Probleme aufwerfen, wie der Fall der Witbooi-Bibel mit drei potentiellen Rückgabeempfängern zeigt. Aus diplomatischen Erwägungen wird eine Rückgabe letztlich wohl an Namibia – und, allgemein gesprochen: in derartigen Fällen nur an einen Staat – erfolgen.

Hier sind gut durchdachte Rückgabevereinbarungen erforderlich, will ein rückgabewilliger Staat sich nicht der Kritik aussetzen, Volksgruppen und Individuen seiner ehemaligen Kolonie bei der Aufarbeitung des Kolonialismus außen vor zu lassen. Dieses Dilemma zeigt sich auch in der derzeit anhängigen Klage der Herero gegen die Bundesrepublik vor einem New Yorker Bezirksgericht (siehe dazu auf dem Völkerrechtsblog zuletzt hier und hier). Darin fordern die Vertreter der Herero Schadensersatz – und beklagen, von den Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland ausgeschlossen zu werden (siehe in der Klageschrift Rn. 1).

Die Rolle des Rechts

Trotz alldem ist die Rolle des Rechts in der Debatte um die Restitution kolonialer Kulturgüter nicht zu unterschätzen. Zwar bestehen nach geltender Rechtslage in den allermeisten Fällen keine Ansprüche auf Rückforderung, und zivilrechtliche Gesetzesänderungen erweisen sich als ungeeignet.

Das heißt jedoch nicht, dass nicht gänzlich neue Regeln geschaffen werden können. Das Recht ist „das Instrument, mit dem moralische Standards im politischen Prozess zu verbindlichen Regeln erhoben werden können“, wie die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger in der Süddeutschen Zeitung zur Restitutionsdebatte argumentiert.

Tatsächlich könnte ein Parlamentsgesetz das beste Mittel für den Umgang mit kolonialen Kulturgütern sein. Darin könnte festgelegt werden, in welchen Fällen und auf welche Weise Objekte restituiert werden. Die Reichweite des Gesetzes hinge davon ab, welche Objekte der Gesetzgeber in den Anwendungsbereich einschließt. Kolonialismusexperten könnten Fallgruppen erarbeiten, in denen eine Rückgabe angezeigt ist. Gleiches gilt für die Art und Weise einer Restitution, etwa an wen Objekte zurückgegeben werden.

Entschließt sich der Gesetzgeber zu einer gesetzlichen Regelung, wäre ein einheitlicher Umgang mit Deutschlands kolonialem Erbe möglich. Dieser ist auch erforderlich: Die Restitution eines kolonialen Kulturgutes darf nicht von der Restitutionsbereitschaft des jeweiligen Museums abhängen. Die Rückgabefrage ist, wie Schönberger darlegt, ein vom Gesetzgeber zu regelnder Aspekt der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und kein „museumspolitisches Spezialproblem ethnologischer Sammlungen”.

Ob ein neues Gesetz ein realistisches Szenario ist, erscheint allerdings fraglich. Zwar ist die Aufarbeitung der Provenienzen kolonialer Kulturgüter Gegenstand des Koalitionsvertrags. Doch ein Gesetz mit Regelungen zur Rückgabe kolonialer Kulturgüter – ähnlich den Ankündigungen Präsident Macrons in Frankreich – hätte eine ganz andere Qualität.

Bemerkenswert bleibt eine Differenzierung im Rahmen Deutschlands kolonialer Vergangenheitsbewältigung. Geht es um die Reparationsforderungen der Herero für den Völkermord an ihren Vorfahren, bleibt die Bundesregierung hart. Es könne „nicht um Entschädigungszahlungen oder Reparationen gehen“, schreibt das Auswärtige Amt auf seiner Webseite zur Deutsch-Namibianischen Vergangenheitsbewältigung. Bei der Rückgabe historisch sensibler Objekte scheinen staatliche Stellen dagegen offener zu sein: Im Mai gab die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Grabbeigaben an indigene Gruppen aus Alaska zurück. Als nächstes könnte die Witbooi-Bibel folgen. Das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung bleibt jedoch bestehen.

 

Richard Dören ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und Doktorand an der Universität Heidelberg. Eine gekürzte Fassung des Beitrags erschien am 06. September in der FAZ (S. 13).

 

Cite as: Richard Deren, “Zwischen Recht und Politik. Die Rechts- und Eigentumsverhältnisse an Kulturgütern der Kolonialzeit nach deutschem Zivilrecht und Völkerrecht”, Völkerrechtsblog, 28 September 2018, doi: 10.17176/20180928-103227-0.

Autor/in
Richard Dören
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