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Kein Geld für die Taliban

Zu möglichen Reparationsforderungen Afghanistans gegen Deutschland

15.09.2023

Am vergangenen Montag, wohl kaum zufällig am 11. September, forderte ein Minister der Taliban-Regierung in einem Interview mit der NZZ Reparationszahlungen von Deutschland und kündigte an, Deutschland und weitere Bündnispartner „vor ein internationales Gericht“ bringen zu wollen. Dieses Unterfangen ist gleich aus mehreren Gründen nicht erfolgsversprechend, die im Folgenden kurz analysiert werden sollen.

Problem 1: Die Kläger

Ein etwaig bestehender Anspruch müsste zunächst von der afghanischen Regierung als der völkerrechtlichen Repräsentantin Afghanistans geltend gemacht werden.

Zwar haben die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 erneut ein „Islamisches Emirat Afghanistan“ ausgerufen. Völkerrechtlich dürfte dies allerdings höchstens als (versuchte) Umbenennung des Staates Afghanistans, nicht aber als Gründung eines neuen Staates zu werten sein. Fragen der Staatennachfolge stellen sich damit nicht, dennoch kann die Talibanregierung nicht ohne Weiteres als völkerrechtliche Repräsentantin Afghanistans angesehen werden: Soweit ersichtlich erkennt kein anderer Staat die Talibanregierung an. Auch die Vereinten Nationen verweigern der Taliban Regierung die Anerkennung: Der Vollmachtenprüfungsausschuss vertagte die Anerkennung der Vertreter der Talibanregierung sowohl 2021 als auch 2022 und die Vereinten Nationen (VN/UN) führen noch den von der vorherigen afghanischen Regierung entsandten Mr. Naseer Ahmad Faiq als „chargé d’affaires a.i.“, also zwar nicht als gewöhnlichen, aber als Interimsbotschafter. Ein ähnliches Prozedere hatte es bereits zwischen 1996 und 2001 gegeben, als die Vereinten Nationen ebenfalls auf Zeit spielten und die Vollmachten der Talibanregierung nicht anerkannten.

Nach hergebrachter völkerrechtlicher Dogmatik ist die Anerkennung von Regierungen allerdings nicht konstitutiv; es komme allein auf die Effektivität der Regierung an. Insbesondere spiele so auch die verfassungsrechtliche oder gar demokratische Legitimation der Regierung keine Rolle. Vor dem Hintergrund dieser vermeintlich klaren Grundsätze lassen sich Sinn und Unsinn der Nichtanerkennung der Taliban hinterfragen. Für den Status als Regierung ließe sich neben der effektiven Kontrolle Afghanistans anführen, dass es einige Staaten gibt, die Beziehungen zu den Taliban unterhalten, ohne diese allerdings offiziell anzuerkennen. So haben etwa die USA bereits 2020 einen Vertrag mit den Taliban geschlossen, andere Staaten haben ihre Botschaften in Kabul wieder geöffnet. Die formale Anerkennung scheint so von der Staatengemeinschaft eher als politisches Druckmittel denn als (völker-)rechtliches Kriterium behandelt zu werden; so knüpfte etwa Deutschland vor der UN Generalversammlung eine zukünftige Anerkennung der Taliban an deren Einhaltung von Menschenrechten und Kampf gegen den Terrorismus (“to respect, protect and fulfill human rights, develop inclusive governance and fight terrorism (…) there cannot be business-as-usual and no pathway towards recognition without these steps being made.”). Schließlich würde es wohl Staaten umgekehrt einfacher fallen, die Verantwortlichkeit Afghanistans auch für Akte der Taliban anzuerkennen, wie es auch im Artikelentwurf zur Staatenverantwortlichkeit in Art. 10 und Art. 4 vorgesehen ist.

Dies alles mag in der Theorie für die Stellung der Taliban als Regierung Afghanistans sprechen, wird den Taliban allerdings in der Praxis kaum über die kollektive Verweigerung der Anerkennung durch die Staatengemeinschaft hinweghelfen.

Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht, dass der Internationale Gerichtshof (IGH) über diese fehlende Anerkennung hinwegsieht: Erinnert sei an das IGH Urteil zu den Preliminary Objections im Fall Gambia v. Myanmar – dort hatte der IGH einen Wechsel der Repräsentation Myanmars mehr oder weniger ignoriert und mit der Bemerkung abgetan, Staaten und nicht bestimmte Regierungen wären Parteien in Verfahren vor dem IGH (Präsidentin Donoghue erklärte so: “the parties to a contentious case before the Court are States, not particular governments”, zit. Nach Abs. 4 der Erklärung von Richter ad hoc Claus Kress).

Dabei war die Repräsentation Myanmars durchaus streitig, hatte doch die – international, und auch von den VN nicht anerkannte– Militärregierung die Parteivertreter ausgetauscht. Dies wurde von Richter ad hoc Claus Kress in seiner Erklärung zum Urteil kritisiert (Erklärung, Abs. 2 ff.): Kress kritisierte so v.a. die fehlende Auseinandersetzung des IGH mit diesem entscheidungserheblichen Punkt, der die Repräsentation Myanmars unproblematischer erscheinen ließ als diese völkerrechtlich war und forderte den IGH auf, seinen Umgang mit der Anerkennung von Regierungen zu reflektieren und zukünftig zu verbessern. Verbesserungswürdig scheint in der Tat nicht nur der Ansatz des IGH, sondern auch der der Vereinten Nationen insgesamt – anstatt Repräsentationsfragen transparent in der Generalversammlung zu diskutieren (wie etwa von Barber gefordert), wird die Entscheidungsmacht an den Vollmachtenprüfungsausschuss ausgelagert, der im Zweifel gar nicht entscheidet.

Eine Gelegenheit, die von Kress geforderten Verbesserungen umzusetzen, würde bei einer möglichen Klage der Taliban durchaus bestehen; jedenfalls sofern nicht der IGH die Klage bereits wegen Unzuständigkeit abweisen würde. Dies leitet über zum nächsten Problem, namentlich dem zuständigen Gericht.

Problem 2: Das Gericht

Vor welchem Gericht könnten die Taliban Reparationsforderungen geltend machen? Die Antwort wohl: vor keinem! Insbesondere die Zuständigkeit des IGH, der wohl als einziges internationales Gericht in Betracht käme, wäre für die afghanischen Ansprüche nicht begründet.

Zunächst ist keine zuständigkeitsbegründende Vertragsklausel i.S.d. Art. 36(1) IGH-Statut ersichtlich. Des Weiteren hat Deutschland zwar eine Unterwerfungserklärung gem. Art. 36(2) IGH-Statut abgegeben; diese gilt aber einerseits erst ab 2008, andererseits hat Deutschland der Unterwerfungserklärung einen Vorbehalt beigefügt, der u.a. den Streitkräfteeinsatz im Ausland von der Unterwerfungserklärung ausnimmt. Noch dazu hat Afghanistan keine entsprechende Erklärung abgegeben, sodass die Voraussetzung der Reziprozität nicht gewahrt ist.

Abgesehen von einer möglichen Einigung zwischen Deutschland und Afghanistan, dem IGH diese Rechtssache zu unterbreiten, bleibt damit keine Basis für die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Auf eine solche Einigung wird sich Deutschland natürlich nicht einlassen, würde es doch so die Talibanregierung legitimieren und sich einem langen und teuren Gerichtsverfahren ausgesetzt sehen. Dieses würde außerdem, wie der nächste Abschnitt zeigen wird, nicht sicher zu Deutschlands Gunsten ausgehen – insofern ist eine Analyse der möglichen Ansprüche Afghanistans gegen Deutschland instruktiv.

Problem 3: Der Anspruch

Etwas schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob etwaige Ansprüche Afghanistans gegen Deutschland begründet wären. Insofern muss zwischen dem Einsatz der US geführten Koalition im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ und dem vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF) unterschieden werden.

Operation „Enduring Freedom“ – an der Deutschland ab November 2001 teilnahm – steht zumindest nicht auf den allersichersten völkerrechtlichen Beinen. Insbesondere die vielzitierte Sicherheitsrats-Resolution 1368 stellte keine Autorisierung zwischenstaatlicher Gewalt dar, sondern eine bloße Bekräftigung des Selbstverteidigungsrechts der USA. Dies kann aber wohl nicht als eine grundsätzliche Anerkennung eines extraterritorialen Selbstverteidigungsrechts gegen nichtstaatliche Akteure gelesen werden, auch wenn das wohl die Position der Bundesregierung war. Wenngleich ein solches Recht noch immer umstritten ist, gilt dies erst recht für den relevanten Zeitpunkt 2001: Insofern ist zu berücksichtigen, dass es vor 2001 nur sehr spärliche internationale Praxis gibt, die ein solches Recht bekräftigte. So wurden zwar ähnliche Rechtfertigungen für militärische Operationen von Südafrika, Israel und der Türkei vorgebracht, allerdings vom Sicherheitsrat und der Mehrheit der Staaten jeweils zurückgewiesen.

Dies erklärt wohl auch die zögerliche Haltung des IGH, der in seinem Urteil im Armed Activities Fall 2005 und dem Gutachten zum israelischen Mauerbau 2004 keine eindeutigen Aussagen über die Anwendung des Selbstverteidigungsrechts gegen nichtstaatliche Akteure traf. Dies wurde zwar jeweils von einigen Richter*innen in Sondervoten kritisiert (s. etwa die Sondervoten der Richter Simma, Koojimans und Richterin Higgins, eine Mehrheit für die Anerkennung eines solchen Rechts gab es aber augenscheinlich nicht. Die internationale Praxis, auf die Autor*innen verweisen, die eine weite Auslegung von Art. 51 VN Charta oder eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme des Gewaltverbots rechtfertigen könnten, setzte so erst nach 2001 ein. Selbst wenn das Selbstverteidigungsrecht im Ausgangspunkt bestand, müsste auch geprüft werden, ob die Selbstverteidigung wirklich über mehr als ein Jahrzehnt notwendig und verhältnismäßig war. Im Lichte dessen scheint ein Verstoß gegen das Gewaltverbot nicht abwegig.

Weniger kontrovers ist Deutschlands Beitrag im Rahmen der ISAF, die sowohl mit Einverständnis der damaligen Afghanischen Regierung als auch auf Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrates durchgeführt wurde. Insbesondere autorisierte der Sicherheitsrat in der Resolution 1386 so die Anwendung aller notwendigen Maßnahmen, also auch der militärischen Gewalt.

Fazit: Kein Geld für die Taliban

Das Gesuch der Taliban ist inhaltlich spannend, praktisch aber offensichtlich nicht erfolgsversprechend. Vor diesem Hintergrund scheinen die Reparationsforderungen der Taliban eher dem Wunsch nach Aufmerksamkeit geschuldet. Sollten die Taliban wirklich einen Gerichtsprozess anstreben, dann wohl eher mit dem Ziel, vom Gericht wenigstens als legitime Regierung Afghanistans anerkannt zu werden. Angesichts der bereits mangelnden Zuständigkeit eines internationalen Gerichts wird es dazu allerdings nicht kommen. Die deutsche Staatskasse wird das freuen, die Völkerrechtswissenschaft weniger, bekommt sie nun zwar neuen Anlass, die Fragen der Anerkennung von Regierungen sowie der Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Akteure zu diskutieren, aber weiterhin keine autoritativen Antworten.

 

The “Bofaxe” series appears as part of a collaboration between the IFHV and Völkerrechtsblog.

Autor/in
Rouven Diekjobst

Rouven Diekjobst, MJur (Oxon.) is a PhD student and Research Associate at Ruhr-University Bochum’s Institute for International Law of Peace and Armed Conflict.

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