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Die Schiedsgerichtsbarkeit löst die Rechtfertigungsprobleme internationaler Rechtsprechung nicht

04.08.2014

Eine Replik auf Stephan Schill

Internationale Rechtsprechung greift tief in unser Leben ein. Entscheidungen der Welthandelsorganisation zur Subvention grüner Energie, Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes zum Kruzifix in italienischen Klassenräumen oder womöglich anstehenden Urteile von Investitionsschiedsgerichten zur deutschen Energiewende, sie alle gestalten die Möglichkeiten der individuellen und kollektiven Freiheitsausübung. Internationale Rechtsprechung ist eine Ausübung öffentlicher Gewalt und wie jede öffentliche Gewalt bedarf sie einer demokratischen Legitimation. Diese Sichtweise auf internationale Gerichte—als multifunktionale Akteure, die öffentliche Gewalt ausüben und einer demokratischen Legitimation bedürfen—haben Armin von Bogdandy und ich in unserem Buch In wessen Namen? genauer ausgeführt. Sie leitet meine Replik auf Stephan Schills Beitrag an.

Ich teile viele der Beobachtungen und Analysen Stephan Schills, habe aber Bedenken mit Blick auf seine Antwort. Vor dem Hintergrund einer erstarkenden Rechtsprechung mit konstatierten Legitimationsproblemen schlägt Schill vor, stärker auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zu setzen. Die Schiedsgerichtsbarkeit biete, so Schill, eine bereits gängige Alternative, die weniger Legitimationsprobleme aufwerfe. Das mag in bestimmten Fällen zutreffen. Die Schiedsgerichtsbarkeit in das Zentrum der globalen Judikative zu setzten ist jedoch eher Teil des Problems denn seiner Lösung.

Zunächst lässt sich aus dem tatsächlich ansteigenden Gebrauch schiedsgerichtlicher Verfahren gewiss nicht ohne weiteres ihre normative Attraktivität ablesen. Allgemein ist daran zu erinnern, wie es Eyal Benvenisti und George Downs für das Völkerrecht getan haben, dass Informalität und Fragmentierung mächtigen Akteuren in die Hände spielt und zumeist Ausdruck ihrer Vorlieben ist. Darüber hinaus sehe ich insbesondere drei kritische Aspekte der Argumentation. Erstens kommt die Betonung der Schiedsgerichtsbarkeit mit einer Akzentverschiebung von Institutionen zu Entscheidungen. Sie wendet sich von den Legitimationsproblemen ab, die gerade institutioneller Natur sind. Zweitens ist die Parteiautonomie als normative Basis unzureichend wenn die Entscheidungen über den Fall hinaus wirken. Das tun sie aber gerade dann, wenn man begründete und öffentliche Entscheidungen einfordert um sie so der Kritik und Kontrolle zugänglich zu machen. Drittens steht auch Schills Ansatz vor basalen Schwierigkeit, den Kontext in der Abstraktion einzufangen.

Entscheidungen und Institutionen

Der Vorschlag stärker auf schiedsgerichtliche Verfahren zu setzen, um den Rechtfertigungsproblemen internationaler Rechtsprechung beizukommen, verschiebt den Akzent von Institutionen auf Entscheidungen. Das löst das Problem nicht. Wie Schill selbst in seinem Beitrag und andernorts geschickt ausführt, üben internationale Investitionsschiedsgerichte öffentliche Gewalt aus wenn sie auf der Grundlage eines internationalen Vertrags agieren. Sie unterscheiden sich graduell, nicht aber kategorisch, von den Urteilen eines nationalen Verwaltungsgerichts etwa über die Rechtmäßigkeit von Enteignung und Entschädigung. Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sind prinzipiell anfechtbar und werden von Richtern gefällt, die qua ihres Amtes mit der Sache befasst sind. Das Verfahren und die Entscheidung sind gemeinhin öffentlich. Kurzum, die Institution des Gerichts setzt prinzipiell Desiderata der demokratischen Legitimation aller öffentlichen Gewalt um, auch der Judikative.

Warum sollte das bei der öffentlichen Gewalt einer internationalen Entscheidung anders sein? Hier scheint die Finalität des Schiedsspruchs das überragende Ziel zu sein—die Unanfechtbarkeit und Durchsetzung einer erst- und letztinstanzlichen Entscheidung. In der Tat sind internationale Schiedssprüche über die ICSID-Konvention oder die New York-Konvention weltweit durchsetzbar. Einen Revisions- oder Kontrollmechanismus gibt es nicht. Dass dies nicht zufriedenstellend ist, zeigt sich sowohl an den Tendenzen einiger ICSID Annullment Committees, einen fragile Ersatz zu schaffen, als auch an den Entscheidungen einiger nationaler Gerichte, die Durchsetzung internationaler Schiedssprüche zu verweigern. Warum dieser singuläre Fokus auf der Finalität? Dem Argument liegt zumeist die Annahme der richtigen Entscheidung einer neutralen und unvoreingenommenen Instanz zugrunde. Die Unvoreingenommenheit lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. Das muss man aber gar nicht. Auf die Entscheidungsweisheit einer einzigen, nicht politisch eingebetteten, und nicht zu überprüfenden Instanz zu setzen ist vordemokratisch.

An institutionellen Fragen insbesondere der Einbettung der Entscheidung führt bereits mit Blick auf die Rechtfertigung der Entscheidung gegenüber den Parteien kein Weg vorbei. Einige Probleme können im Prozess der Schiedsgerichtsbarkeit selbst eingefangen werden. Wenn es um Revisionsmöglichkeiten, Richterwahl, Öffentlichkeit oder die Einbettung in politische Prozesse geht, so steuert man schnell auf eher permanente Institutionsformen zu, wie jene etwa der Welthandelsorganisation. Der Konsens der Parteien, den Schill akzentuiert, kann sicher ein gutes Stück weit tragen: volenti non fit injuria. Doch seine Belastbarkeit schwächt ab, wenn einer der Akteure ein Staat ist, der seinen Bürger*innen gegenüber verantwortlich ist. Der Parteienkonsens ist zudem immer dann unzureichend, wenn Entscheidungen über den Fall hinaus wirken.

Gewalt und Gründe

Wenn ich nun anmerke, dass auch schiedsgerichtliche Entscheidungen als Präjudizen über den Fall hinaus wirken und die Rechtsordnung gestalten, so tue ich das auch mit den Arbeiten von Stephan Schill, seiner Dissertation etwa zur Multilateralization of International Investment Law. Die systemische Wirkung internationaler Entscheidungen verschärft die Problematik, denn sie kann von der Legitimationskraft des Parteikonsenses nicht eingefangen werden. Wie ist dem beizukommen? Abgesehen von einer Politisierung des Völkerrechts, die politisch-legislative Prozesse gegenüber der vorauseilenden richterlichen Gewalt stärkt und Rechtsprechung institutionell einbettet, liefern hier auch die Entscheidung und ihre Begrünung Ansatzpunkte.

Ein Urteil, das keine Gründe liefert, hat keinen präjudiziellen Effekt. Seine Gewalt würde in dieser Hinsicht gemindert. Doch solche Entscheidungen widersprächen dem geltenden Recht, das (Schieds-)Richter*innen verpflichtet, ihre Entscheidung zu begründen. Dies nicht zu tun, ist einer der schmalen Gründe, aus denen ein Schiedsspruch im Rahmen des ICSID aufgehoben werden kann (Art. 52(1)(e) ICSID-Konvention). Eine Entscheidung nicht oder allzu minimalistisch zu begründen, hätte auch den Preis, dass sie kaum kritisiert und kontrolliert werden kann. Zwar würde sie sich weniger auf das Rechtssystem auswirken, Dritte müssten sich nicht mit ihren Konsequenzen auseinandersetzen, doch gegenüber den Parteien ist die Entscheidung kaum noch zu rechtfertigen.

Wenn Entscheidungen mit Gründen versehen und so kritisierbar als auch kontrollierbar sind, so wirken sie als Präjudizen. Die präjudizielle Dynamik internationaler Entscheidungen beschränkt sich nicht auf ständige Gerichtsinstitutionen sondern erstreckt sich auf ad-hoc Schiedsgerichte. Es geht gar nicht um den formellen Rechtsstatus früherer Entscheidungen, um eine Pflicht, ihnen zu folgen oder sich zumindest mit ihnen auseinanderzusetzen. Es geht um die Dynamik der Klageschrift, die alle passenden Fälle argumentativ in Anspruch nimmt, der Reaktion des Beklagten, die ebenso verfährt, und der Parteienvorträge, die allesamt den Schiedsrichtern frühere Entscheidungen geradezu aufdrängen. Ich habe andernorts ausgeführt, wie Präjudizen in dieser Dynamik der Rechtspraxis eine Autorität gewinnen, die gerade nicht an ihrer Überzeugungskraft hängt.

Anders sollte es auch nicht sein. Dass sich die Rechtsprechung heute mit gestrigen Entscheidungen auseinandersetzt, folgt dem Gebot der rechtlichen Gleichheit und wirkt Willkür entgegen. So auch Schill: „Was die ad hoc-Natur von Schiedsverfahren im Hinblick auf die Reduzierung öffentlicher Gewalt gutmacht, büßt sie im Hinblick auf das erhöhte Risiko von Inkonsistenzen und Fragmentierung wieder ein“. Eine argumentative Einbettung richterlicher Entscheidung ist unabkömmlich. Sie verstärkt gleichwohl die richterliche Rechtschöpfung und somit die Rechtfertigungsproblematik. Pointiert lässt sich Abhilfe finden, etwa in der Forderung (auch Schills), dass Richter*innen von allzu pauschalen, nicht auf den Fall gemünzten obiter dicta absehen sollten. Darüber hinaus bedeutet weniger öffentliche Gewalt durch mindere Argumentation zumeist größere Willkür der Gewalt gegenüber den Parteien.

Zudem gäbe es systemische Probleme, die sich zeigen, wenn man fragt: Sollten Entscheidungen zwar gut begründet aber nicht öffentlich sein? Das ist für Schadensersatz, der aus öffentlichen Geldern gezahlt wird, fraglich. Eine gemeingültige Lösung kann die Nichtveröffentlichung der Entscheidung mitsamt ihrer Begründung (zumindest in wesentlichen Auszügen) auch deshalb nicht sein, da eine jede Rechtsordnung für ihr gutes Funktionieren auf die Stabilisierung und Generierung normativer Erwartungen durch begründete und zugängliche gerichtsförmige Entscheidungen angewiesen ist. Gerade private Wirtschaftsakteure sind daran interessiert.

 Kontext und Abstraktion

Abschließend eine Anmerkung zu Kontext und Abstraktion. Armin von Bogdandy und ich haben unser Argument zur demokratischen Legitimation internationaler Gerichte, die letztlich im Namen der Völker und Bürger*innen Recht sprechen, auf einem Abstraktionsniveau entwickelt, das verschiedene Institutionen einschließt. Welche Anforderungen für bestimmte (Schieds-)Gerichte folgen, das muss genauer heruntergebrochen werden. In einigen Fällen der Schiedsgerichtsbarkeit reicht die Parteiautonomie gewiss sehr weit. In anderen Konstellationen, wie etwa bei Entscheidungen der Kriegsverbrechertribunale, ist sie als Legitimationsgrund absurd.

Schwierigkeiten der Abstraktion werden sich also auch für Schill ergeben. An der Strafgerichtsbarkeit oder den Menschenrechtsgerichtshöfen (zahlenmäßig immer noch mit den meisten internationalen Entscheidungen) führt sein Argument vorbei.

Ich teile sein Plädoyer schließlich, dass Privat- und Öffentlichrechtler mehr voneinander lernen können. In Amsterdam ist meine Forschung in das Projekt The Architecture of Postnational Rulemaking eingebunden, welches das anstrebt. Worauf es letztlich ankommt, wo wir Inspiration und Lehren finden, welche Strategie wir wählen, all das hängt doch vom Kontext ab. In einer Reihe konkreter Konstellationen ist Schills Vorschlag durchaus instruktiv und weiterführend. Im Allgemeinen ist die Schiedsgerichtsbarkeit aber heute nicht das Zentrum der globalen Judikative. Sie sollte es morgen auch nicht werden.

 

Dr. Ingo Venzke, LL.M. (London), ist Associate Professor an der Universität von Amsterdam und Koautor des Werkes In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens .

 

Cite as: Ingo Venzke, “Die Schiedsgerichtsbarkeit löst die Rechtfertigungsprobleme internationaler Rechtsprechung nicht”, Völkerrechtsblog, 4. August 2014, doi: 10.17176/20170105-175146.

Autor/in
Ingo Venzke
Ingo Venzke is Professor for International Law and Social Justice at the University of Amsterdam and Director of the Amsterdam Center for International Law (ACIL).
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