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Schiedsgerichtsbarkeit als Zentrum der globalen Judikative

30.07.2014

Die 1990er und frühen 2000er Jahre waren eine Zeit des Enthusiasmus für das Projekt, dem Völkerrecht durch eine Vielzahl ständiger Gerichte zu stärkerer Durchsetzung zu verhelfen. Kriegsverbrechertribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda, internationaler Strafgerichtshof (IStGH), World Bank Inspection Panel, WTO Appellate Body, Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und zahlreiche Gerichtshöfe in regionalen Integrationsprojekten in Afrika sprossen in dieser Zeit wie Pilze aus dem Boden. Auch der Internationale Seegerichtshof (ITLOS) nahm Mitte der 1990er seine Arbeit auf; und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wurde erst 1998 durch das 11. Zusatzprotokoll zu einem vollumfänglichen Instrument des Individualrechtsschutzes. Konzeptionell waren internationale Gerichte die Vollendung der globalen Judikative, die – abgesehen vom Internationalen Gerichtshof (IGH)– lange Zeit über scheinbar unvollendete, schiedsgerichtliche Mechanismen nicht hinausgekommen war.

Internationale Gerichte in der Legitimitätskrise

Inzwischen macht sich allerdings Ernüchterung breit. Fehlende Effizienz, lange Verfahrensdauer und hohe Kosten sind erhebliche Probleme. Der EGMR etwa ist seit Jahren bemüht, ob der Verfahrensflut den eigenen Kollaps zu verhindern. Bei den internationalen Strafgerichten wird ein Missverhältnis zwischen hohen Kosten und einer geringen Anzahl an Verfahren und Verurteilungen beklagt; fraglich ist zudem, ob sie überhaupt eine abschreckende Wirkung entfalten.

Andere Gerichte treten wegen fehlender Akzeptanz kaum oder zu wenig in Erscheinung. ITLOS hat bisher keine flächendeckende Zuständigkeit; der IStGH wird von wichtigen Staaten ignoriert; und lediglich 70 Staaten haben von der Fakultativklausel im IGH-Statut Gebrauch gemacht. Teilweise werden internationale Gerichte sogar aktiv boykottiert. Der Abschluss bilateraler Nichtauslieferungsabkommen an den IStGH durch die USA ist das sicherlich prominenteste Beispiel. Auch lang etablierte Gerichte geraten wegen schwer nachvollziehbarer Entscheidungen in die Kritik: 2012 hat z.B. Kolumbien nach der Entscheidung des IGH in der Seegrenzstreitigkeit mit Nicaragua den Pakt von Bogota gekündigt.

Neben fehlender Effizienz und Akzeptanz gibt es auch strukturelle Probleme mit internationalen Gerichten. So führt das Fehlen von Hierarchie und Kommunikationsmechanismen zwischen den Gerichten zur oft thematisierten Fragmentierung des Völkerrechts. Zudem entwickeln internationale Gerichte oftmals Eigendynamiken in Rechtsprechung und Rechtsfortbildung, die nur schwer als Ausdruck des Willens der Mitgliedstaaten zu sehen sind. All dies spiegelt die Krise internationaler Gerichte wider und wirft Fragen nach ihrer Legitimation und ihrem Stellenwert im Gefüge der internationalen Judikative auf.

Rettung internationaler Gerichte durch kosmopolitische Rekonstruktion?

Auch die Völkerrechtswissenschaft hat sich in mehreren großen Forschungsprojekten der internationalen Gerichtsbarkeit zugewendet. Neben dem schon klassischen Project on International Courts and Tribunals sind dies vor allem PluriCourts, iCourts, Yuval Shany’s Projekt zur Effektivität internationaler Gerichte und das Projekt des Max Planck Instituts zu International Judicial Institutions as Law Makers. Gemein ist diesen Projekten, dass ihr Hauptaugenmerk, wenngleich sie Schiedsgerichte hier und da thematisieren, auf ständigen internationalen Gerichte liegt. Zudem teilen sie die Grundmotivation, internationale Gerichte zu stärken.

Den visionärsten Ansatz zur Legitimität internationaler Gerichte haben Armin von Bogdandy und Ingo Venzke in ihrem Buch In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens vorgelegt. Sie entwickeln darin ein Verständnis internationaler Gerichte als Teil einer freiheitlich-demokratischen Völkerrechtsordnung und versuchen sie so gegen eine sich abzeichnende, „neue internationale Ordnung …, in der Staaten und regionale Zusammenschlüsse außerhalb des politischen Westens an Gewicht gewinnen und zunehmend gestaltend auf die internationalen Beziehungen einwirken“ (S. 15), zu stärken. Sie analysieren internationale Gerichte als multifunktionale Akteure, die nicht nur Streit beilegen, sondern auch rechtssetzende Funktionen innehaben und damit Träger öffentlicher Gewalt sind. Aufgrund dessen fordern sie, internationale Gerichte in ein demokratisches Grundverständnis einzubetten, das ihre öffentliche Gewalt nicht nur aus dem Konsens der Streitparteien heraus legitimiert, sondern daraus, dass internationale Gerichte Recht in kosmopolitischer Orientierung „Im Namen der Völker und der Bürger“ (S. 291) sprechen.

Sicherlich, die Demokratisierung internationaler Gerichte ist zentraler Bestandteil ihrer Legitimation. Gleichzeitig ist aber fraglich, ob der Bau einer Theorie der globalen Judikative vom Typus ständiger internationaler Gerichte her gedacht werden sollte. Dies macht Sinn, wenn ständige internationale Gerichte tatsächlich die grundtypische Institution der globalen Judikative darstellen. Gerade daran habe ich Zweifel. Vielmehr, so meine These, beobachten wir derzeit, dass sich wichtige staatliche und private Akteure von permanenten Gerichten abkehren und sich stattdessen der flexibleren und demokratisch weniger problematischen Schiedsgerichtsbarkeit zuwenden. Internationale Gerichte werden nicht verschwinden, aber sie werden aus meiner Sicht vor allem auf bestimmte Regime begrenzt sein und nicht als allgemeine Sprachrohre der globalen Völker- und Bürgergemeinschaft fungieren. Viele Staaten wollen keine derartigen internationalen Gerichte, sondern bevorzugen Institutionen, die stärkerer staatlicher Kontrolle unterliegen und weniger Eigendynamiken in der Rechtsfortbildung entwickeln. Diesem Anliegen kommt internationale Schiedsgerichtsbarkeit entgegen.

Internationale Schiedsgerichtsbarkeit als Zukunftsvision für eine pluralistische Weltgesellschaft

Internationale Schiedsgerichtsbarkeit erfährt derzeit einen rapiden Anstieg. Dies zeigt sich auf rein zwischenstaatlicher Ebene und in gemischten völkerrechtlichen Streitigkeiten zwischen Privaten und Staaten, insbesondere in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Während der IGH 13 aktive Fälle verzeichnet, sind es beim Ständigen Schiedshof 93; die Zahl der ICSID-Verfahren ist in den vergangenen Jahren auf über 500 angewachsen. Auch in rein privaten Streitigkeiten sind Schiedsverfahren auf dem Vormarsch. Allein die Internationale Handelskammer in Paris, eine unter unzähligen Schiedsinstitutionen zwischen New York und Singapur, São Paulo und Stockholm, administriert jedes Jahr rund 800 Verfahren. Gary Born spricht vor diesem Hintergrund von einer „Neuen Generation internationaler Rechtsprechung“ und rückt damit Schiedsgerichtsbarkeit ins Zentrum der globalen Judikative.

Anders als bei permanenten Gerichten stehen bei Schiedsgerichten die Parteiautonomie und der Konsens der Streitparteien, ebenso wie die Möglichkeit, die Schiedsrichter für jedes Verfahren zu bestimmen, im Vordergrund. Auch sind mit permanenten Gerichten vergleichbare Eigendynamiken in der Rechtsfortbildung weniger virulent. Momente öffentlicher Gewalt durch Rechtsfortbildung sind zwar vorhanden, aber über den konkreten Fall hinaus weniger systemprägend als bei ständigen Gerichten. Denn Schiedsgerichte verfügen nicht über den institutionellen Apparat, einmal getroffene Entscheidungen auch gegenüber Kritik fortzuführen. Entscheidungen müssen vielmehr durch ihre Begründung künftige Streitentscheider*innen und die diese für den Einzelfall ernennenden Parteien überzeugen.

Auch aus demokratischer Perspektive werfen Schiedsgerichte weniger Probleme auf als ständige internationale Gerichte. Denn die ad hoc-Natur von Schiedsverfahren bedeutet eine sehr viel intensivere Kontrolle der Streitentscheider*innen durch die Streitparteien. Die Bestellung für den jeweiligen Fall erlaubt im Vergleich zur Richterbestellung an internationalen Gerichten eine intensivere Rückbindung an demokratische Prozesse. So sprechen Schiedsgerichte Recht im Namen der Parteien, seien dies Staaten, Staaten und Private, oder nur Private, nicht im Namen der Völker und der Bürger*innen. Strukturell erlaubt Schiedsgerichtsbarkeit so, besser als dauerhafte Gerichte, die pluralistische Struktur der Weltgesellschaft abzubilden. Schiedsgerichtsbarkeit kann als Brücke zwischen verschiedenen (Rechts-)Kulturen fungieren, wohingegen permanente Gerichte einen gemeinsamen kulturellen Fluchtpunkt als Gemeinschaftsnarrativ suchen, um Legitimationsdefizite zu entspannen.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Theorie der globalen Judikative?

Rückt man Schiedsgerichtsbarkeit ins Zentrum grenzüberschreitender Rechtsprechung, hat dies auch Auswirkungen auf die Theorie der globalen Judikative. Eine solche Theorie sollte die Einsicht von Bogdandys und Venzkes übernehmen, dass Schiedsgerichte multifunktionale Akteure sind, die nicht nur individuelle Streitigkeiten beilegen, sondern weitere rechtliche und soziale Funktionen haben, die Teil der Global Governance sind. Schiedsgerichte setzen Recht, indem sie normative Erwartungen generieren und stabilisieren; sie tragen ganz wesentlich zur Etablierung und Stabilisierung globaler Rechtsregime bei und üben damit, ebenso wie internationale und nationale Gerichte, öffentliche Gewalt aus. Auch eine demokratiefokussierte Ausrichtung sollte eine gewichtige Rolle spielen. Allerdings geht hier ein kosmopolitischer Ansatz, in dem Schiedsgerichte im Namen der Völker und der Bürger*innen entscheiden, zu weit. Stattdessen stehen die Parteien des Verfahrens als Legitimation vermittelnde Subjekte im Vordergrund.

Zudem sollte sich eine Theorie internationaler Schiedsgerichtsbarkeit disziplinär weder rein national noch rein völkerrechtlich, sondern in einem transnationalen, rechtsordnungsübergreifenden Rahmen aufstellen. Denn Schiedsgerichtsbarkeit kann als prozessuales Kleid fungieren, das jeglichem Rechtsverhältnis, unabhängig von seiner Rechtsgrundlage im nationalen oder internationalen Recht, übergezogen werden kann. Dies soll nicht bedeuten, dass alle Schiedsverfahren gleich zu behandeln sind – ich selbst trete für ein dezidiert öffentlich-rechtliches Leitbild für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ein – aber es indiziert, dass rechtsordnungsübergreifende Aspekte vorhanden sind, die einen Rahmen für eine allgemeine Theorie der globalen Judikative abstecken. Dadurch verschwimmen hergebrachte Grenzen zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, nationalem Recht und Völkerrecht.

Daneben müssen die spezifischen Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit adäquaten Lösungen zugeführt werden. Was die ad hoc-Natur von Schiedsverfahren im Hinblick auf die Reduzierung öffentlicher Gewalt gutmacht, büßt sie im Hinblick auf das erhöhte Risiko von Inkonsistenzen und Fragmentierung wieder ein. Dies wirft Fragen der Rechtssicherheit und damit rechtsstaatlicher Grundsätze auf, die noch nicht hinreichend gelöst sind. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass Inkonsistenzen immer dann richtig und wichtig sind, wenn das anwendbare Recht Unterschiede einfordert. Unangemessene Gleichmacherei durch internationale Schiedsgerichte ist problematisch, da dies den Willen der Streitparteien oder Vertragsstaaten ignoriert.

Gleichzeitig können Schiedsgerichte aber auch selbst dazu beitragen, das Risiko von Inkonsistenzen und Kompetenzanmaßungen zu vermeiden. Die Techniken sind hier ganz ähnlich wie bei internationalen Gerichten. Sie umfassen eine Begründung von Entscheidungen, die unnötige obiter oder zu pauschale Aussagen vermeidet. Auch gut angepasste Kontrollmaßstäbe sind förderlich, wie auch die Verknüpfung der jeweiligen Entscheidung mit anerkannten allgemeinen Prinzipien und Diskursen. Dies wirkt einer Fragmentierung entgegen und kann Inkonsistenzen vermeiden. Transparenz kommt zudem eine überragende Bedeutung zu, insbesondere bei der Beteiligung staatlicher Akteure. Schließlich müssen wir die teilweise asymmetrische Tribunalisierung problematisieren, bei der in manchen Bereichen Zugang zu Schiedsverfahren besteht, wie im Falle von Investitionsstreitigkeiten, wohingegen Interessen von Drittbetroffenen keine ähnlich effektiven Rechtsschutzinstrumente kennen.

All dies sind Herausforderungen für eine Theorie der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Eine solche ist nicht nur für ein fundiertes Verständnis internationaler Schiedsgerichte wichtig; sie kann auch als Basis für eine Theorie der globalen Judikative taugen. Der Schlüssel dafür scheint mir zunächst, Schiedsgerichtsbarkeit nicht als unvollendete Form oder evolutionäres Zwischenstadium hin zu permanenten internationalen Gerichten zu betrachten, sondern als Zentrum der globalen Judikative.

 

Eine Replik auf den Beitrag findet sich hier.

 

Dr. Stephan Schill, LL.M. (Augsburg), LL.M. (NYU) ist Principal Investigator eines ERC-Forschungsprojektes zu öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit am MPI Heidelberg.

 

Cite as: Stephan Schill, “Schiedsgerichtsbarkeit als Zentrum der globalen Judikative”, Völkerrechtsblog, 30. July 2014, doi: 10.17176/20170105-174452.

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Stephan Schill
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4 Comments
  1. Lieber Stephan,

    Vielen Dank fuer diesen sehr interessanten Beitrag. Ich teile die meisten Deiner Betrachtungen und finde den Ansatz, Schiedsgerichte nicht als Zwischenstufe, sondern als “Zentrum der globalen Judikative” zu betrachten, sehr instruktiv. Ueberdies bildet dieser Ansatz, wie Du im Beitrag beschreibst, die Realitaeten ab: Die Zahlen der anhaengigen Verfahren vor ICJ und PCA (auch wenn die Zahl von 93 Verfahren m.E. auch ISDS miteinschliesst) spricht eine deutliche Sprache.

    Wo fuer mich Fragen bleiben, ist Deine Argumentation zur demokratischen Rueckbindung/Legitimation von Schiedsgerichten um Vergleich zu staendigen internationalen Gerichten. Die in der Tat potentiell “sehr viel intensivere Kontrolle der Streitentscheider durch die Streitparteien” im Rahmen eines Schiedsverfahrens bedeutet indes nicht notwendiger Weise ein verstaerktes Mass an demokratischer Rueckkopplung. Dieses haengt vielmehr von der demokratischen Rueckkopplung innerhalb der Staaten ab, die Streitparteien des (Staat-Staat)Schiedsverfahrens sind. Wo ist die demokratische Rueckbindung in einem hypothetischen Schiedsverfahren zwischen, z.B., Iran und Syrien? Die These staerkerer demokratischer Rueckbindung, wenn sie im Wesentlichen auf der verstaerkten Kontrolle der Streitparteien ueber das Verfahren beruht, haengt damit m. E. vor allem an der Parteiautonomie. Mit anderen Worten, Schiedsverfahren sind nur so gut (d.h. demokratisch) wie ihre Parteien. Das waere indes ein anderer Ansatz als von Bogdandy/Venzke, die, wenn ich es richtig verstehe, die demokratische Rueckkopplung und den demokratischen Auftrag vor allem aus der Insitution des Gerichts selbst entwickeln wollen – und damit selbstaendig und in gewisser Weise unabhaengig von den Parteien und unabhaengig oder zumindest weniger abhaengig vom Einzelfall. Ausserdem, zugespitzt gesprochen, wenn alles an den Parteien haengt bzw. von ihnen abhaengt, wo bleibt dann die genuine demokratische Funktion des Schiedsgerichts/Schiedsverfahrens? In wie weit bleibt Raum fuer die von von Bodgandy/Venzke beschriebene bzw. geforderte rechtssetzende Funktion bzw. Funktion als Traeger oeffentlicher Gewalt? Steht eine Theorie der internationalen Gerichtsbarkeit, die Schiedsgerichte in den Mittelpunkt der Betrachtung rueckt, zu diesem Ansatz im Gegensatz und inwiefern?

    Ein weiteres Level an Komplixitaet tritt in asymmetrischen Schiedsverfahren hinzu, in denen auf der anderen Seite ein nichtstaatlicher Akteur steht, also insbesondere im Falle von ISDS.

    Dies als ein paar Fragen zu diesem interessanten Thema. Es versteht sich von selbst, dass dies nicht ins Horn der allgegenwaertigen anti ISDS-Polemik stossen soll. Im Gegenteil, wenn wir das System der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit bewahren, verbessern und/oder besser verstehen wollen, dann sind diese Fragen von besonderer Bedeutung.

    Viele Gruesse

    Andreas

  2. Lieber Andreas,

    die Frage ist hier doch, wer für Rechtsfortbildung wie verantwortlich zeichnet in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.

    Wenn ein Schiedsgericht losgelöst vom Fall und ohne dass dieser dazu Anlass gibt Recht fortbildet, am besten in Abweichung von der bisherigen herrschenden Rechtsauffassung, haben wir ein klares Legitimitätsproblem (das hätten aber auch von Bogdandy/Venzke). Insofern tun Schiedsgerichte gut daran, dass sie sich ihres lmiitierten Mandats bewusst sind und ihre Entscheidungen am Fall begründen (was nicht gleichbedeutend ist mit Nichtbeachtung systemischer Kohärenz, denn diese gehört zum normativen Material).

    Wenn hingegen ein Fall konkret Anlass gibt vorsichtig Hinweise darauf zu geben, dass sich hier ein Fortentwicklung des Rechts anbietet und dies entsprechend im normativen Material abgesichert und begründet wird, dann ist dies durch den Konsens der Streitparteien gedeckt für die Lösung des konkreten Streitfalles. Wenn sich diese Rechtsprechung dann in weiteren Schiedsgerichten fortsetzt, so ist für das Aufgreifen früherer Rechtsprechung das nachfolgende Schiedsgericht verantwortlich, nicht das ursprüngliche; auch hier wiederum leistet der Parteikonsens zum späteren Verfahren einiges an Legitimationsentlastung im Vergleich zu einem permanenten Gericht.

    In jedem Fall gilt: Der Parteikonsens gibt Schiedsgerichten keine carte blanche zur Entscheidung nach freiem Ermessen; sie müssen ihre Entscheidung in Überlegungen zum anwendbaren Recht betten. Wie gut oder schlecht sie dies tun, beeinflusst dann auch die Wirkung eines Schiedsspruches als Präzedenzfall.

    Nichtsdestotrotz gibt es systemische Effekte in der Schiedsgerichtsbarkeit, wie z.B. die Tatsache, dass überhaupt auf Präzendenzfälle geschielt wird. Hier sind dann zusätzliche Legitimationsstrategien erforderlich, wie Begründungspflichten, umfassende normative Absicherung, etc. – Überlegungen, die auch bei den permanenten Gerichten durch von Bogdandy und Venzke angestellt werden. Aber auch hier ist wieder zu betonen, dass die Einflussmöglichkeit auf die Schiedsrichter zusätzlich demokratisch legitimiert, und dies stellt einen strukturell relevanten Unterschied zu permanenten Gerichten dar.

    Viele Grüße, Stephan

  3. Lieber Stephan,

    Vielen Dank fuer Deine Antwort. Erlaube mir eine kurze Nachfrage: Ich sehe weiterhin eine Friktion mit dem Ansatz von Bogadandy/Venzke hinsichtlich Zielrichtung, Art und Inhalt der Rechtsfortbildung, die sie im Blick haben. Sie gehen, wie Du beschrieben hast, ueber die staatliche Partizipation durch Konsens als Legitimationsgrundlage hinaus und fordern Recht-sprechung “im Namen der Voelker und Buerger”.
    Schiedsgerichten ist aufgrund ihrer nichtstaendigen Natur die Tendenz inhaerent, Entscheidungen fuer den Einzelfall zu treffen. Dies ist sogar ihre primaere Aufgabe, in jedem Fall aus Sicht der Parteien. Das Interesse der Parteien an Rechtsfortbildung ist mehr under minder stark ausgepraegt, steht indes haeufig nicht im Vordergrund (dies gilt nicht nur fuer Schiedsverfahren) – sie interessieren sich vor allem fuer den Ausgang des (Einzel)Falles. Eine Recht-sprechung “im Namen der Voelker und Buerger” steht haeufig nicht im Fokus. Letzteres, der Blick ueber den Einzelfall hinaus, kann vielmehr nur Aufgabe und Zielrichtung des (Schieds)Gerichts sein. Koppelt man nun aber die (demokratische) Legimation der Schiedsgerichte und -sprueche an die Parteiautonomie und an die verstaerkte Einflussmoeglichkeit der Streitparteien, in wie weit bleibt Raum fuer den Blick ueber den Einzelfall hinaus? Ist Dein Ansatz, so gesehen, nicht doch ein qualitativ anderer als von Bogdandys/Venzes Ansatz?

    Viele Gruesse,

    Andreas

  4. Lieber Andreas,

    vielen Dank für Deinen Kommentar. Du sprichst einen zentralen Punkt an, der letztlich damit zusammenhängt, welchen Demokratiebegriff man für die völkerrechtliche Ebene insgesamt und die Legitimation internationaler Gerichte und Schiedsgerichte im Besonderen wählt.

    Zum einen kann man demokratische Legitimation rein innerstaatlich-verfassungsrechtlich verstehen und zur demokratischen Legitimation eine Rückbindung internationaler Gerichte und Schiedsgerichte über verschiedene Legitimationsketten an das Staatsvolk verlangen. Dann ist internationale (Schieds-)Gerichtsbarkeit tatsächlich nur so legitim, wie die an ihr teilnehmenden Staaten. In jedem Fall besteht in dieser Perspektive aber nur dann ein Demokratieproblem, wenn das jeweils einschlägige verfassungsrechtliche Demokratiekonzept es verbietet, dass sich der fragliche Staat einem internationalen Gericht oder Schiedsgericht in der gängigen Ausgestaltung unterwirft (entweder allgemein oder im Verhältnis zu bestimmten Staaten). Mir fällt auf Anhieb keine Rechtsordnung ein, die für zwischenstaatliche Verfahren klare Verbote enthält; vielmehr finden sich wie in Art. 24 Abs. 3 GG Normen, die internationale Streitbeilegung ausdrücklich befürworten. Zudem würden Iran und Syrien in Deinem Beispiel ein internationales Schiedsgericht kaum als antidemokratisch kritisieren. Für die Schiedsgerichstbarkeit ist somit wichtig zu sehen, dass sie die Möglichkeit verstärkter demokratischer Kontrolle eröffnet. Schiedsverfahren werfen aus verfassungsrechtlicher Sicht damit weniger demokratische Probleme auf, sind aber nicht notwendigerweise per se demokratischer, wenn die Streitparteien nicht demokratisch sind.

    Die andere Perspektive ist die einer demokratisch verfassten Völkerrechtsgemeinschaft, will heißen der Gemeinschaft der Staaten. Das klassische Völkerrecht stellt hier vor dem Hintergrund der Staatengleichkeit und grundsätzlichen Neutralität gegenüber der innerstaatlichen Staatsorganisation einschließlich der Staatsformfreiheit nur abstrakt auf den Staat als Völkerrechtssubjekt und für die internationale (Schieds-)Gerichtsbarkeit auf die Streitparteien ab. Diese Demokratieperspektive ist sowohl bei permanenten Gerichten als auch Schiedsgerichten durch die Erteilung des Konsenses zur Unterwerfung unter die jeweilige Gerichtsbarkeit unproblematisch gewahrt. Hieran entzündet sich die Kritik von Bogdandys und Venzkes, da Konsens nicht ausreicht, um Rechtsfortbildung durch internationale Gerichte zu rechtfertigen. Ich teile diese Kritik, argumentiere aber, dass sie bei Schiedsgerichten weniger drängend ist als bei permanenten Gerichten. Auch hier gibt es Rechtsfortbildung, aber Staaten haben es in der Schiedsgerichtsbarkeit stärker in der Hand Schiedsrichter zu bestellen, die sich dieser Rechtsfortbildung anschließen oder sie ablehen. Das erlaubt zusätzlich demokratische Partizipation innerhalb der Staatengemeinschaft.

    Insgesamt sehe ich meinen Ansatz auch nicht als Gegenthese zu von Bogdandy und Venzke; vielmehr geht es mir darum herauszustellen, dass ihr Ansatz vor allem bei permanenten Gerichten zieht, die demokratierelevanten Unterschiede zu Schiedsgerichten aber nicht ausreichend berücksichtigt sind. Daneben geht es mir um den Anknüpfungspunkt für den Bau einer Theorie der globalen Judikative. Für eine solche würde ich die permanenten Gerichte nicht als Grundtypus wählen, sondern internationale Schiedsgerichte, und hier wiederum kommerzielle Schiedsgerichtsbakeit, hybride Schiedsgerichsbarkeit und zwischenstaatliche Schiedsgerichte zusammen betrachten.

    Ich hoffe, das beantwortet Deine Fragen zumindest ansatzweise.

    Viele Grüße,

    Stephan

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