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Einheit und Vielfalt des Verfahrensrechts

Wir freuen uns, die zwölfte Prozessrechtstagung im Jahr 2026 an der Universität
Augsburg auszurichten. Vom 30. Juli bis zum 1. August 2026 wollen wir uns vertieft mit dem Verfahrensrecht auseinandersetzen. Die Tagung soll aus zwei Blöcken bestehen: Zum einen wollen wir Grundlagen und Grundstrukturen des Verfahrensrechts untersuchen. Zum anderen wollen wir mit dem Insolvenzrecht ein besonderes Verfahrensrecht in den Blick nehmen. Die Prozessrechtstagung verfolgt damit erstmals das Ziel, auch dem insolvenzrechtlich orientierten Nachwuchs ein Forum zum Austausch und zur Diskussion zu eröffnen. Nachfolgend haben wir einige thematische Anregungen für beide Blöcke zusammengestellt.

I. Grundlagen des Verfahrensrechts
Die Prozessrechtstagung schafft seit elf Jahren, was in der Rechtswissenschaft im Übrigen schon seit längerem nur noch wenig Raum einnimmt: eine interdisziplinäre Debatte über das Verfahrensrecht als eine Materie. Die Tendenz, Verfahrensrecht rechtsgebietsspezifisch zu betreiben, ist unverkennbar, nimmt aber Chancen, voneinander zu lernen und Synergien zu erkennen. Daher möchte sich die kommende Tagung in ihre eigene Tradition stellen und die Grundlagen des Verfahrensrechts als diesjähriges Generalthema aufgreifen. Einheit und Vielfalt – zwei Säulen des Verfahrensrechts, die sich bedingen. Die Einheit meint grundlegende Prinzipien, die für ein kohärentes, berechenbares und gerechtes Rechtssystem von fundamentaler
Bedeutung sind. Vielfalt beschreibt die funktionsspezifischen Besonderheiten, die zu einer pluralistischen Ausdifferenzierung führen, die den unterschiedlichen sachlichen Zielsetzungen und Schutzbedürfnissen der Rechtsgebiete gerecht werden.

Für den ersten Themenblock bietet sich insbesondere die Materialisierung des Verfahrensrechts an. Dieser Begriff fungiert als Schlagwort für eine Entwicklung, in deren Verlauf die formal geprägten Regeln des Verfahrensrechts zunehmend durch eigenständige materielle Wertungen beeinflusst und modifiziert werden, etwa die Hinweispflicht des Gerichts (§ 139 ZPO) als Ausdruck materieller Chancengleichheit, der effet utile im Europarecht oder materielle Folgen von Beweisverwertungsverboten im Strafverfahren.

Grundlagen des Verfahrensrechts finden sich auch in Fragen der Digitalisierung. Obwohl sie seit längerem einen festen Platz im juristischen Diskurs einnimmt, wirft sie weiterhin eine Vielzahl ungeklärter Fragen auf. Die Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz in der Justiz, die Digitalisierung verfahrensrechtlicher Abläufe sowie die beweisrechtliche Behandlung digitaler Dokumente stellen lediglich einen kleinen Ausschnitt der damit verbundenen Problemfelder dar.

Von besonderer Relevanz ist schließlich das Beweisrecht. Zivilprozesse entscheiden sich häufig dadurch, dass eine Partei die ihr obliegende Beweisführung nicht erbringen kann. Vor diesem Hintergrund kommt der Verteilung der Beweislast sowie den Anforderungen an das Beweismaß eine erhebliche Bedeutung zu. Vorträge könnten sich anhand aktueller Beispiele – etwa des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – mit beweisrechtlichen Instituten wie der
tatsächlichen Vermutung, der Beweislastumkehr oder dem Anscheinsbeweis
auseinandersetzen.

Selbstverständlich ergeben sich zwischen den Bereichen auch Synergien (etwa bei der
Frage nach KI-Systemen und ihrem Beweiswert). Die Themenbereiche bieten lediglich
Vorschläge – es sind Vorträge zu allen Grundlagenfragen herzlich willkommen!

II. Insolvenzrecht
Das Schlüsselgesetz des Insolvenzrechts, die InsO, ist als „Dauerbaustelle” bekannt, die regelmäßig kleinere und größere Überarbeitungen erfährt. Vorträge könnten aufzeigen, in welchen Bereichen gegenwärtig Reformbedarf gesehen wird und welche Reformen gefordert werden. Stetiger Kritik sieht sich etwa die Insolvenzanfechtung ausgesetzt, die aus Gläubigersicht mit hohen Haftungsrisiken verbunden ist. Vorträge könnten die Anfechtung als Instrument im Ganzen kritisch erörtern oder sich Einzelfragen der Anfechtung zuwenden. Ein anderes Streitfeld bietet die Sanierung: Die Sanierungsinstrumente der InsO stehen vor der schwierigen Aufgabe, eine
Balance zwischen der Unterstützung redlicher Schuldner und dem Schutz der Gläubiger vor unredlichen oder leichtfertigen Schuldnern zu finden. Nachdem auf der letzten Prozessrechtstagung ein allgemeiner Überblick über das Sanierungsrecht gegeben wurde, könnten Vorträge in diesem Jahr einzelne Sanierungsinstrumente vertieft betrachten, etwa den Insolvenzplan oder die Eigenverwaltung. Doch auch außerhalb der InsO stellen sich Reformfragen. So steht bald die Evaluation des StaRUG an. Mit dem StaRUG schuf der Gesetzgeber einige neue Werkzeuge, die sich für die Unternehmenssanierung nutzbar machen lassen. Vorträge könnten z. B. erläutern, wie sich das StaRUG in der Praxis geschlagen hat oder einen Ausblick auf
eventuelle Reformen geben.

Das StaRUG fußt auf Unionsrecht, was vor Augen führt, dass das Insolvenzrecht grenzüberschreitende Bedeutung besitzt. Dies gibt Anlass, aus der deutschen
Rechtsordnung herauszutreten und andere Insolvenzrechtsregimes in den Blick zu nehmen. Denkbar wären etwa Rechtsvergleiche oder Einblicke in das europäische Insolvenzrecht.

Schließlich wirft die Digitalisierung auch im Insolvenzrecht eine Reihe von Fragen auf. So besteht großes Interesse daran, auszuloten, inwiefern sich der verstärkte Einsatz moderner Technik nutzen lassen könnte, um Insolvenzverfahren effizienter zu gestalten. Klärungsbedürftig ist aber auch, wie Kunden im Fall der Insolvenz ihres Datenhosters den Zugriff auf ihre Daten aufrechterhalten können.

III. Einreichungsmodalitäten
Diese Themenvorschläge sollen nur eine Anregung bieten. Wir sind offen für alle Vortragsangebote aus Forschung und Praxis, die einen Beitrag zur Erforschung des Prozessrechts im Allgemeinen oder des Insolvenzrechts im Speziellen leisten wollen. Hierfür würden wir uns über die Zusendung eines Exposés mit ca. 500 Wörtern bis zum 31. Januar 2026 an prozessrechtstagung@ifk.uni-tuebingen.de freuen, in dem die Grundzüge eines rund zwanzigminütigen Vortrags dargelegt werden. Interdisziplinäre Themen sind ausdrücklich willkommen. Sie erhalten eine Eingangsbestätigung. Eine Rückmeldung erfolgt bis Ende Februar. Alle Vorträge sind zur Veröffentlichung in der Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) vorgesehen. Um eine finanzielle Förderung der Übernachtungskosten wird sich derzeit bemüht.

Weitere Informationen, insbesondere auch zur Anmeldung sowie zum Ablauf der Tagung, werden unter prozessrechtstagung.de veröffentlicht.

Details
Organisation: Universität Augsburg
Deadline: 31.01.2026
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