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Das Gespenst einer europäischen Armee

Rechtliche und politische Anmerkungen zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung

19.12.2018

In den vergangenen Wochen geisterte einmal mehr die Vision einer europäischen Armee durch die Medien und Köpfe einiger europäischer Staats- und Regierungschefs. Die Idee einer stärkeren Kooperation der EU im militärischen Bereich ist nicht neu und auch heute schon in vielen Teilbereichen verwirklicht. Inwieweit sich die Pläne gemeinsamer Streitkräfte aber fernab von dem artikulierten europapolitischen Willen auch durchsetzen lassen, hängt von unterschiedlichen politischen und auch rechtlichen Faktoren ab. Ein Blick auf Deutschland und Frankreich, als Initiatoren der Diskussion, verdeutlicht dies. Wieviel politischer Wille zur rechtlichen Verbindlichkeit einer europäischen Armee darüber hinaus tatsächlich besteht, zeigt ein aktueller Blick auf die Einführung der ständigen strukturierten Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich (PESCO).

Macrons und Merkels Vision einer europäischen Armee

Das Ende des Ersten Weltkrieges jährte sich im November 2018 zum hundertsten Mal. Die Verwüstung und das Leid, die dieser Krieg über die Menschen in Europa brachte, sind auch heute noch an den zahlreichen Gedenkstätten, Erinnerungsorten und Soldatenfriedhöfen in ganz Europa für die Nachwelt erhalten und sichtbar. Im Zuge des Gedenkens an das Ende dieses schrecklichen Kapitels des 20. Jahrhunderts war es der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der von der Notwendigkeit einer „richtigen europäischen Armee“ sprach, um die Lehren aus dieser Vergangenheit zu ziehen.

Dank Macron weiß man nun, was eine europäische Armee offenbar nicht ist: Sie ist keine der vielen kooperativen Zusammenarbeiten im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP), sie umfasst also nicht die zahlreichen militärischen und zivilen Operationen wie etwa EUFOR, EUTM oder EULEX. Die „EU-Battlegroups“ als schnelle Kriseninterventionskörper der EU sind damit ebenso wenig gemeint wie das gemeinsame militärische Handeln der NATO und der EU im Rahmen des Berlin Plus-Abkommens. Ganz offenkundig können Macron und Merkel all dies nicht gemeint haben, als sie von einer europäischen Armee sprachen, die der Welt zeigen würde, „dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt.“ (Merkel).

Deutet man die Wortbeiträge aus Paris und Berlin nun, kann man zu dem Schluss gelangen, dass hiermit die Errichtung einer oder vielmehr der einheitlichen europäischen Armee gemeint gewesen sein muss. Nun muss man sicherlich sowohl Frankreich als auch Deutschland genügend Realitätssinn zuerkennen, der nahelegt, dass – trotz bedeutungsschwangerer Rhetorik – die Forderung nach einer gemeinsamen Streitmacht für die EU eher dem zeitgeschichtlichen Momentum Rechnung tragen sollte, als dass sie tatsächlich in absehbarer Zeit zu verwirklichen wäre. So weitreichend die Einführung europäischer Streitkräfte auch wäre, so sind doch insbesondere rechtliche Überlegungen ursächlich für den geringen Nachhall der angestoßenen Debatte. Eine europäische Armee, wie sie Merkel und Macron heraufbeschworen haben, würde zweifelsohne verfassungsrechtliche Probleme in Deutschland und Frankreich nach sich ziehen.

Verfassungsrechtliche Hürden in der Bundesrepublik Deutschland

Die zutreffende, aber in ihrem rezipierenden Duktus zum Teil ermüdende Grundformel, nach der die Bundeswehr eine Parlamentsarmee darstellt, ist eine mit der staatsorganisatorischen Muttermilch aufgenommene Selbstverständlichkeit des deutschen Grundgesetzes und den Studenten*Innen seit ihren ersten Tagen im rechtswissenschaftlichen Studium ein Begriff.

Das BVerfG hat in seiner Lissabon-Entscheidung in wenig erhellenden Bemerkungen zur künftigen verteidigungspolitischen Integration doch zumindest erahnen lassen, dass das „Ob“ eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr nicht der Verantwortung des Bundestages entzogen werden kann, vgl. BVerfGE 123, 267, Rn. 255. Viel grundlegender muss sich die Diskussion um eine europäische Armee jedoch um die Frage drehen, wie eine europäische Integration der Bundeswehr fernab einer bereits zugestandenen technischen und unterstützenden Funktionsweise über Art. 23 Abs. 1 S. 2 oder 24 Abs. 2 GG in verfassungskonformer Weise realisieren ließe. Kurzum: Wie viel „EU-Bundesstaat“ lässt sich mit Hilfe des rechtlichen Argumentariums des Grundgesetzes noch vereinbaren?

Das Grundgesetz versieht das Gesamtkonstrukt der Bundewehr nicht mit der Ewigkeitsklausel. Es entstand ohne die Bundeswehr, es würde auch die Zeit nach ihrer Abschaffung ohne verfassungsrechtlich größere Probleme überdauern. Damit hätte man zwar die Bundeswehr in ihrem bestehenden Gefüge aufgelöst, der nach wie vor und unabhängig von der Bundeswehr bestehende und an den Bundestag gekoppelte Vorbehalt („militärisches Gewaltmonopol“, BVerfGE 123, 267, Rn. 249) des Auslandeinsatzes deutscher Soldaten, stünde der Eingliederung in eine europäische Armee jedoch weiterhin im Weg. Eine Vertragsrevision, die dem Europäischen Parlament umfassende Kompetenzen zugestehen, und die es zu einem wirklichen „Repräsentationsorgan des Volkes“ (BVerfGE 123, 267, Rn. 254) entwickeln würde, dem man einen Parlamentsvorbehalt zum Einsatz deutscher Streitkräfte überantworten könnte, wäre ein möglicher und streitbarer Ansatz. Ob allerdings diese Integrationsentwicklung der EU im Rahmen des bestehenden Art. 23 GG und den hierzu ergangenen Ausführungen des BVerfG noch zu leisten wäre, darf bezweifelt werden. Eine europäische Armee ist ohne die verfassungsgebende, das jetzige Grundgesetz aus seiner Verantwortung entlassende Gewalt des Art. 146 GG nicht realisierbar.

Eine europäische Armee aus französischer Sicht: Präsident ohne Macht?

Und Frankreich? Sollte es tatsächlich zu einer gemeinsamen Armee kommen, stellen sich – insbesondere für die Grande Nation – erhebliche, an ihrer militärischen und außenpolitischen „Grandeur“ anknüpfende Folgefragen, von deren Beantwortung man aus Paris bis zum heutigen Tage nichts vernimmt. Nun muss man an dieser Stelle erwähnen, dass das politische System Frankreichs historisch bedingt dem Staatspräsidenten eine dem (heutigen) deutschen Verfassungsrecht unbekannte Fülle an Machtbefugnissen einräumt. So kommt dem Staatspräsidenten neben dem Oberbefehl über die französischen Streitkräfte auch die Befehlsgewalt über die Force de dissuasion nucléaire de la France zu. Gleichzeitig gestattet ihm die Verfassung auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik eine Domaine réservé (vgl. Art. 14 und 15 der franz. Verfassung). Die Einführung einer europäischen Armee würde somit auch in Frankreich tragende verfassungsrechtliche Bestimmungen zumindest in Frage stellen.

Aus politisch-völkerrechtlicher Sicht stellt sich zudem die Frage, wie sich eine solche Streitmacht auf den ständigen Sitz Frankreichs im UN-Sicherheitsrat auswirkt. Der Art. 23 Abs. 1 UN-Charta spricht zwar dem französischen Staat einen ständigen Sitz zu. Die Verteilung der ständigen Sitze erfolgte jedoch auf machtpolitischen Erwägungen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, insbesondere der damaligen Sichtweise, dass ohne diese genannten fünf Großmächte der Weltfrieden auf Dauer nicht standhalten würde. Ein ständiges Sicherheitsratsmitglied ohne die Fähigkeit sich autonom im Rahmen von Maßnahmen nach Kapitel VI und VII der UN-Charta zu beteiligen, kann sicher nicht Intention einer oft beschworenen besonderen Verantwortung (Art. 106 UN-Charta) der ständigen Sicherheitsratsmitglieder gewesen sein. Auch wenn das UN-System bestimmt nicht das Prädikat „besonders reformfreudig“ verdient, wären diese Fragen allerdings letztlich im Zuge einer umfassenden UN-Reform zu diskutieren. Es erscheint schwer vorstellbar, dass Frankreich auf diese Privilegien in der Staatenwelt zugunsten einer gesamteuropäischen Lösung verzichten würde, zumal eine solche, wie auch immer sie tatsächlich ausgestaltet wäre, im jetzigen UN-System sowieso keine Möglichkeit auf Realisierung hätte.

Die Europäische Militärkooperation: Keine Vision, sondern Realität

Auch wenn eine europäische Armee eine ambitionierte Zukunftsvision bleiben sollte, bestehen auch heute schon tiefgreifende sicherheits- und militärpolitische Kooperationen auf europäischer Ebene. Im Jahr 2017 hat die EU die Permanent Structured Cooperation (PESCO) ins Leben gerufen. Hierbei handelt es sich um eine Form der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der GSVP, die eine nie dagewesene Integration auf diesem Gebiet zum Inhalt hat und zahlreiche Maßnahmen diesbezüglich ergreift. Primärrechtlich verankert ist die verstärkte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich seit dem Reformvertrag in Art. 42 Abs. 6 iVm. Art. 46 EUV. Hinzu tritt das konkretisierende Protokoll Nr. 10. Die vertiefte Integration im Sicherheits- und Verteidigungsbereich wird hiermit die Möglichkeit eingeräumt, sich aus dem „Einstimmigkeitskorsett“ der nach wie vor intergouvernemental ausgestalteten GSVP zu lösen. Inhaltich ist im Rahmen der PESCO eine verbesserte und tiefergehende Kooperation auf zunächst insgesamt 17 Projektfeldern vorgesehen. Als Beispiele seien hier nur gemeinsame Rüstungsprojekte, maritime Minenabwehrsysteme oder ein Europäisches Sanitätskommando genannt. Auch die verbesserte Zusammenarbeit im Bereich der Cyber-Sicherheit ist vorgesehen.

Im Hinblick auf die PESCO ergeben sich – neben der Diskussion um die militärische Notwendigkeit – aber auch spannende rechtliche Folgefragen. So ist die Frage nach der Verbindlichkeit der Umsetzung der PESCO-Projekte vielleicht keine für die rechtliche Aufarbeitung entscheidende (vgl. Art. 275 AEUV), so aber doch spannende Frage. Insofern spannend, da die Vorschriften zur PESCO auf der einen Seite die Freiwilligkeit der mitgliedstaatlichen Kooperationsbemühungen betonen, gleichzeitig aber auch rechtliche Verbindlichkeiten einfordern. Und selbst wenn es sich bei ihnen nur um (drastische) Absichtserklärungen und politische Zielvorstellungen handeln sollte („verlässlicher und verbindlicher europäischer Rechtsrahmen“, vgl. Anlage 1 – Grundsätze der PESCO) – meines Erachtens übernehmen die 25 teilnehmenden Staaten jedoch mit dem Ratsbeschluss zur Teilnahme an der Verstärkten Zusammenarbeit echte Rechtspflichten (vgl. etwa Erwägungsgrund 5 des Beschlusses) – ist eine mitgliedstaatliche Verweigerung mit dem für EU-Verhältnisse scharfen Schwerts des Art. 46 Abs. 4 EUV bedroht. Gleichwohl wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich die beteiligten Staaten entweder mehr Mut oder aber einer sprachlich präzisieren Schilderung ihrer Zusammenarbeit auf diesem wichtigen Gebiet der europäischen Integration auf die Fahnen geschrieben hätten. Allein schon Art. 31 Abs. 3 lit. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) mahnt hier einen klar artikulierten mitgliedstaatlichen Willen an.

Auch aus der Perspektive des Grundgesetzes lassen sich diskussionswürdige Punkte erkennen. Während die verstärkte Zusammenarbeit auf dem Feld der Verteidigungskooperation jedenfalls solange von Art. 23 Abs. 1, 24 Abs. 2 GG gedeckt ist, bis der evolutiv angelegte Prozess der „gemeinsamen Verteidigungspolitik“ der Mitgliedstaaten endet und die „gemeinsame Verteidigung“ beginnt (vgl. Art. 42 Abs. 2 EUV), ist die demokratische Kontrolle und Aufarbeitung des Zustandekommens von PESCO mindestens bedenklich. Die fehlende Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 GG verwundert zum einen wegen der selbstverschuldeten Nichtwahrnehmung der traditionell starken Mitwirkungspraxis des Bundestages an europäischen Entscheidungsprozessen und zum anderen wegen der dadurch fehlenden politisch-öffentlichen Debatte, um eine stärkere europäische Einbindung. Ob der hier gewählte Weg der richtige ist, um der Skepsis der Bürgerinnen und Bürger vor den oftmals undurchsichtigen Entscheidungen Brüssels entgegenzutreten, darf bezweifelt werden.

All dies zeigt, dass eine europäische Armee – verstanden als eine umfassende Verteidigungsunion –bereits auf dem Weg ist und unumkehrbare Fakten auf dem Gebiet der militärischen Kooperation innerhalb Europas schafft. Die Wirkung hiervon wird sich als größer erweisen als die unrealistischen Ankündigungen mancher Staats- und Regierungschefs.

 

Dipl.-Jur. Alexander Groß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Deutsches Recht an der Universität Lausanne.

 

Cite as: Alexander Groß, “Das Gespenst einer europäischen Armee – Rechtliche und politische Anmerkungen zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung”, Völkerrechtsblog, 19. Dezember 2018, doi: 10.17176/20181219-095438-0.

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Alexander Groß
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3 Comments
  1. Eine solche Parallelarmee ist nach Auffassung des BVerfG nicht m Wege einer Verfassungsänderung möglich, sondern nur über eine „Verfassungsneuschöpfung’ möglich, wie es das BVerfG selbst sagt.

  2. Lieber Herr Riedel,

    da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Eine “zusätzliche” Armee, so wie Sie sie skizziert haben, würde weniger (rechtliche) Probleme bereiten. Aus deutscher Sicht ließe sich hierfür sicher auf die vorhandenen rechtlichen Mechanismen zurückgreifen. Aber genau diese “Vision” (nationale Armeen und eine europäische Armee), so glaube ich zumindest, hatten Merkel und Macron im Herbst 2018 eben gerade nicht vor Augen, als sie von “einer europäischen Armee” sprachen (s. Abschnitt Macrons und Merkels Vision einer europäischen Armee).

    Beste Grüße
    Alexander Groß

  3. ME erfordert die Einführung einer EU-Armee nicht zwingend die Abschaffung der bestehenden nationalen Armeen. In einem ersten Schritt könnte die EU-Armee als zusätzliche Kraft zu den bestehenden nationalen Armeen hinzutreten. Der Bundestag behielte den Vorbehalt über die Bundeswehr, die EU-Armee würde vom EP eingesetzt. Historische Vorbilder für eine solche Konstruktion gibt es genügend. Auf diese Weise ließen sich mE einige verfassungsrechtliche Probleme umgehen.

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