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Das Dilemma der Intra-EU Investor-Staat Schiedsgerichtsbarkeit

Der EuGH könnte im Fall Achmea bald die Unvereinbarkeit von intra-EU Investor-Staat Schiedsgerichten mit europäischem Recht erklären – mit weitreichenden rechtlichen Konsequenzen

17.01.2018

Über den Achmea-Fall (Rechtssache C-284/16), seine Hintergründe und die mündliche Verhandlung wurde auf diesem Blog bereits an anderer Stelle berichtet. Die dem Fall zugrundeliegende rechtliche Problematik beruht auf den bilateralen völkerrechtlichen Investitionsschutz-Verträgen zwischen EU Mitgliedstaaten (intra-EU BITs), die materielle Schutzstandards für Investoren beinhalten und in den meisten Fällen zur Streitbeilegung die Möglichkeit der Anrufung eines internationalen Schiedsgerichts vorsehen. Hundertfünfundneunzig intra-EU BITs sind noch in Kraft und fast alle von ihnen enthalten eine Investor-Staat Schiedsklausel. Auf die Vereinbarkeit solcher Schiedsklauseln mit den Artikeln 344, 267 und 18 AEUV bezieht sich die vom deutschen Bundesgerichtshof im Fall Achmea gestellte Vorlagefrage. Auf der Grundlage dieser Klauseln sind bislang mindestens 102 Schiedsverfahren eingeleitet worden, fast die Hälfte davon noch anhängig.

Am 19. September 2017 hat Generalanwalt Melchior Wathelet seine Schlussanträge zu dem Fall verkündet und dabei überraschend deutlich gemacht, keine Unvereinbarkeiten zwischen internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und Europarecht erkennen zu können (besprochen u.a. hier, hier und hier). Der EuGH wird sich in seiner Entscheidungsfindung nun auch auf diese Vorarbeit stützen können. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Luxemburger Richter sich der Argumentation des Generalanwalts anschließen werden. Zwar orientiert sich der EuGH häufig an Schlussanträgen seiner Generalanwälte, diese sind für ihn aber nicht bindend.

Wahrscheinlicher ist wohl, dass der Gerichtshof entgegen der Empfehlung des Generalanwalts und somit gegen die Möglichkeit innereuropäischer Investor-Staat Schiedsverfahren entscheiden wird. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die möglichen rechtlichen Konsequenzen einer Unvereinbarkeitserklärung der BIT Schiedsklauseln mit europäischen Recht.

Die Position der Kommission

Schon seit geraumer Zeit betrachtet die EU Kommission diese innereuropäischen Schiedsverfahren mit Argwohn und hat als amicus curiae bereits häufig auf etwaige Unvereinbarkeiten der BITs mit dem Europarecht hingewiesen. Bislang allerdings erfolglos. Auch das Damokles-Schwert möglicher Vertragsverletzungsverfahren hat die meisten Mitgliedstaaten bislang noch nicht dazu bewegen können ihre intra-EU BITs auf den Prüfstand zu stellen oder gar abzuschaffen. Allein Italien und Irland haben ihr gesamtes innereuropäisches BIT Programm beendet. Klassischerweise kapitalexportierende Staaten wie etwa Deutschland, das wegen des weltweit ersten BITs mit Pakistan aus dem Jahr 1959 als „Begründer“ des modernen Investitionsschutz-Rechts gilt, aber auch Frankreich oder die Niederlande stellen sich gegen die völlige Abschaffung dieser völkerrechtlichen Instrumente bzw. fordern adäquate Substitute.

Unvereinbar – und dann?

Sollte der EuGH die Unvereinbarkeit der BIT Schiedsklauseln mit dem Europarecht feststellen, hätte dies fundamentale Konsequenzen für die innereuropäische Investor-Staat Schiedsgerichtsbarkeit. Zwar hätte die Entscheidung der Luxemburger Richter keinen unmittelbaren Effekt auf bestehende BITs: Diese völkerrechtlichen Verträge blieben weiter in Kraft und würden somit auch unverändert die Rechtsgrundlage für Schiedsverfahren bilden, denn der EuGH hat nicht die Kompetenz völkerrechtliche Verträge der Mitgliedstaaten für nichtig zu erklären. Die Mitgliedstaaten müssten aber gem. Art. 4 (3) EUV für eine effektive Umsetzung der Entscheidung sorgen, also die in den BITs enthaltenen Klauseln ändern oder die BITs als Ganzes beenden. Andernfalls drohten Vertragsverletzungsverfahren, die in empfindlichen Strafzahlungen münden könnten (Art. 260 II AEUV).

Die Problematik der Sunset Clauses

Die Beendigung der BITs ist jedoch durch die sog. sunset clauses deutlich erschwert. Diese schützen Investitionen, die bis zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Vertrages vorgenommen worden sind, indem für diese die Bestimmungen des BITs auch nach dessen Beendigung noch für 10-20 Jahre weitergelten. Im Falle einer unilateralen Kündigung durch einen Vertragsstaat wäre so zwar formal der Rechtsprechung des EuGHs gefolgt, tatsächlich könnten sich bereits etablierte Investoren jedoch noch etliche Jahre auf die Schiedsklausel im aufgekündigten BIT stützen um Schiedsverfahren gegen die jeweiligen Vertragsstaaten einzuleiten. Das Problem einer möglichen Unvereinbarkeit mit dem Europarecht bestünde somit trotz Vertragsbeendigung de facto fort.

Eine – u.a. von der EU-Kommission vorgeschlagene – Alternative wäre die gemeinschaftliche Beendigung der BITs durch die jeweiligen Vertragsstaaten. Zuvor müssten diese jedoch den BIT ändern und die sunset clause aus diesem streichen, um eine juristische Sekunde später dann den BIT insgesamt einvernehmlich aufzukündigen. Ob ein solches Vorgehen eine pragmatische Lösung zur Umgehung eines veralteten Mechanismus ist, der innerhalb der europäischen Union überflüssig geworden ist, oder aber einen unzulässigen Vertrauensbruch gegenüber den Investoren darstellen würde, ist höchst umstritten und hängt insbesondere von der Frage ab, wer Begünstigter der BITs ist: die Vertragsstaaten oder die Investoren.

Die Problematik der anhängigen Schiedsverfahren

Eine weitere Herausforderung stellen die laufenden intra-EU Schiedsverfahren dar. Eine mögliche EuGH Entscheidung könnte nicht ex tunc die Rechtsgrundlage der Schiedsgerichte für nichtig erklären. Sie wären also weiterhin dafür zuständig, anhängige Verfahren durch Schiedsspruch zu beenden. Eine Möglichkeit die Schiedsrichter im laufenden Verfahren zur Beachtung des EuGH Urteils zu zwingen besteht nicht.

Nationale Gerichte könnten aber im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren Einfluss nehmen. Denn die mögliche EuGH Entscheidung würde mit großer Wahrscheinlichkeit die Mitgliedstaaten verleiten, bei Schiedsurteilen zu ihren Lasten die Zahlung zu verweigern. Erfolgreich klagende Investoren müssten daher die Vollstreckung vor nationalen Gerichten anstreben. Diese richtet sich für innerstaatliche Schiedssprüche nach dem jeweiligen nationalen Zivilprozessrecht, das bzgl. der Schiedsgerichtsbarkeit in den EU Mitgliedstaaten in den meisten Fällen auf dem UNCITRAL Modellgesetz beruht, sowie für ausländische Schiedssprüche, d.h. von Schiedsgerichten mit Sitz außerhalb des Staates in dem die Vollstreckung angestrebt wird, nach der New York Convention, die von allen EU Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist. In beiden Fällen besteht die Möglichkeit für nationale Gerichte Schiedsurteile zu überprüfen und diese z.B. bei Unvereinbarkeit mit dem nationalen ordre public aufzuheben. Ein ordre public Widerspruch wäre bei Unvereinbarkeit der Schiedsklausel mit dem Europarecht gegeben.

Findige Investoren könnten aber versuchen ihre Schiedssprüche in Drittstaaten zu vollstrecken, falls sich dort potentielle Vollstreckungsobjekte befinden, wie es im Micula-Fall oder etwa bei der Beschlagnahmung des Flugzeugs des thailändischen Kronprinzen zu beobachten war. Gerichte außerhalb der EU wären nicht an die Rechtsprechung des EuGHs, sondern ausschließlich an das jeweilige nationale Recht und Völkerrecht gebunden.

Die ICSID-Problematik

Eine andere Schwierigkeit ergäbe sich mit Blick auf ICSID-Verfahren und -Schiedssprüche. ICSID, das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, ist eine internationale Schiedsinstitution, die zur Weltbankgruppe gehört. Mit bislang 62 intra-EU Investor-Staat Schiedsverfahren (auf Grundlage sowohl von intra-EU BITs als auch des multilateralen Energiecharta-Vertrags, auf letzterem basiert u.a. das Verfahren Vattenfall gegen Deutschland) ist es der wichtigste institutionelle Schiedsmechanismus für innereuropäische Verfahren.

Die Besonderheit von ICSID Schiedsgerichten ist, dass diese „keinen Sitz“ haben, sondern delokalisiert sind. Die Schiedsurteile fallen also nicht in die oben beschriebene Dichotomie von inländischen und ausländischen Schiedssprüchen. Vielmehr schafft das ICSID-Regime ein quasi autonomes und geschlossenes System der Überprüfung von Schiedssprüchen, das losgelöst von inländischer gerichtlicher Kontrolle operiert. Schiedssprüche können hier nur von sog. ad hoc committees im Rahmen der ICSID-Konvention aufgehoben werden.

Zur Vollstreckung von ICSID Schiedssprüchen bedarf es zwar auch der Unterstützung nationaler Gerichte, diese dürfen jedoch nur die Authentizität der ICSID Entscheidung überprüfen und keine inhaltliche Prüfung vornehmen und dürften daher – zumindest aus völkerrechtlicher Sicht – nicht die Vollstreckung eines intra-EU Schiedsspruches verhindern. Würde sich ein EU Mitgliedstaat dennoch gegen die Vollstreckung eines ICSID Schiedsspruchs stellen, würde dies eine Verletzung seiner völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. 53 I ICSID-Konvention bedeuten, die gem. Art. 64 ICSID-Konvention vom Heimatstaat des betroffenen Investors auch vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag getragen werden könnte.

Die Folgen einer (unwahrscheinlichen) Vereinbarkeitserklärung

Sollte der EuGH jedoch dem Generalanwalt folgen und die intra-Eu Schiedgerichte für vereinbar mit europäischem Recht erklären, wird er auf einen Schlag die Anstrengungen der EU-Kommission zunichtemachen und die unter starker Kritik stehende Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zumindest für innereuropäische Streitverfahren als möglichen Streitbeilegungsmechanismus erhalten. EU Mitgliedstaaten könnten zwar noch immer ihre BITs aufkündigen, sie müssten dies aber nicht tun.

Die derzeit bestehende Rechtsunsicherheit wäre aus der Welt und den begünstigten Investoren, die unter einen solchen BIT fielen, wäre ein zusätzliches Streitbeilegungsforum neben der jeweiligen nationalen Gerichtsbarkeit weiterhin garantiert. In Anlehnung an die Schlussanträge des Generalanwalts müsste der EuGH jedoch auch seine etablierte Rechtsprechung zum Vorabentscheidungsverfahren für Schiedsgerichte öffnen und diesen zugestehen, Vorlagefragen zu übermitteln. Auch dies würde jedoch viele praktische Rechtsfragen aufwerfen – etwa die nach der Vorlagepflicht der Schiedsgerichte und ihrer Durchsetzbarkeit. Ein europarechtliches Vertragsverletzungsverfahren oder eine Verfassungsbeschwerde wegen Entzug des gesetzlichen Richters, wie sie im deutschen Verfassungsrecht vorgesehen ist, würde jedenfalls gegenüber internationalen Schiedsgerichten in die Leere laufen, da diese sich unabhängig der Vertragsstaaten konstituieren und agieren.

Mit Blick auf die möglichen Rechtsfolgen steht dem EuGH also keine einfache Entscheidung bevor. Wie auch immer diese ausfallen wird, sie wird Licht in das Dunkel bringen. Eine Lösung der im innereuropäischen Investorenschutz bestehenden Interessenkonflikte und offenen Rechtsfragen wird aber allein durch die Luxemburger Rechtsprechung kaum erreichbar sein. Vielmehr liegt es nun an der europäischen Politik und den Mitgliedstaaten grundsätzlich Position für oder gegen das aktuelle System der Schiedsgerichtsbarkeit zu beziehen oder zumindest grundlegende Reformen in die Wege zu leiten.

 

Julien Berger, Maître en Droit (Paris II), ist Doktorand im Rahmen der Kolleg-Forschergruppe “The International Rule of Law – Rise or Decline?”.

 

Cite as: Julien Berger, “Das Dilemma der Intra-EU Investor-Staat Schiedsgerichtsbarkeit”, Völkerrechtsblog, 17. Januar 2018, doi: 10.17176/20180117-091137.

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Julien Berger
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3 Comments
  1. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die internationale Gerichtsbarkeit war stets von der Sorge getragen die Autonomie der Unionsrechtsordnung sowie das Auslegungsmonopol des EuGH und somit die ausschließliche Zuständigkeit bezüglich der letztverbindlichen Auslegung des Europarechts zu wahren (siehe hierzu insbesondere das Gutachten 2/13 vom 18. Dezember 2014 zum EMRK-Beitritt sowie das Gutachten 1/09 vom 08. März 2011 zum europäischen Patentgericht ).
    Sollte der EuGH nun den Anträgen seinen Generalanwalts im oben besprochenen Fall folgen, könnte er nicht garantieren, dass die Autonomie der Unionsrechtsordnung und sein eigenes Entscheidungsmonopol durch die schiedsgerichtliche Rechtsprechung nicht berührt wird. In vielen Fällen liegen inner-europäischen Schiedsverfahren Sachverhalte mit europarechtlichem Bezug zu Grunde in denen die Schiedsrichter u.U. das Europarecht auslegen müssen.
    Der Generalanwalt plädiert in seinen Schlussanträgen nun dafür, Schiedsgerichten den Zugang zum Vorabentscheidungsmechanismus des Art. 267 AEUV zu gewähren und somit einen Dialog zwischen Investor-Staat Schiedsgerichtsbarkeit und EuGH zu ermöglichen und damit das Auslegungsmonopol des Gerichtshofs zu wahren. Hierzu müssten die Luxemburger Richter die Schiedsgerichte als “Gerichte der Mitgliedstaaten” qualifizieren.
    Nach dem autonom unionsrechtlich bestimmten Gerichtsbegriff muss ein Gericht auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet sein, einen ständigen und obligatorischen Charakter haben und einen Rechtsstreit auf der Grundlage eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens in richterlicher Unabhängigkeit rechtskräftig entscheiden können.
    Ob Investor-Staat Schiedsgerichte auf “gesetzlicher Grundlage” eingerichtet sind und einen “ständigen Charakter” haben, ist bereits fraglich. Ein Investor-Staat Schiedsgericht, insbesondere ein de-lokalisiertes ICSID Schiedsgericht, als Gericht “eines Mitgliedstaates” zu qualifizieren erscheint aber nur schwer vertretbar (siehe hierzu auch meinen Aufsatz in der SchiedsVZ 2017, 282-291).
    Darüber hinaus wäre eine Vorlageberechtigung der Schiedsgerichte – für die kein Instanzenzug vorgesehen ist – zur Wahrung der Autonomie der Unionsrechtsordnung nur dann effektiv wenn sie zugleich eine Vorlagepflicht darstellen würde. Eine solche Pflicht könnte jedoch nicht durchgesetzt werden, da die klassischem Durchsetzungsmechanismen gegen staatliche Gerichte (auf europarechtlicher Ebene das Vertragsverletzungsverfahren auf nationaler Ebene in Deutschland etwa eine Verfassungsbeschwerde wegen Enzug des gesetzlichen Richters) gegen Schiedsgerichte, die losgelöst der Staaten agieren, nicht durchsetzbar wäre.
    Da dies auch mit einer fundamentalen Änderung der etablierten EuGH Rechtsprechung zu Art. 267 AEUV einherginge, halte ich es für unwahrscheinlich, dass der EuGH dem Generalanwalt folgen wird.

  2. Warum der Autor davon ausgeht, dass es wahrscheinlicher sei, der EuGH würde dem Generalanwalt nicht folgen, lässt er also offen.

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