Trumps ökonomische Erpressung
Wirtschaftlicher Druck als völkerrechtliche Intervention
Die Zollpolitik der USA unter Donald Trump war schon 2018 ein rechtspolitischer Stresstest. In der öffentlichen und juristischen Diskussion dominierte damals die Bewertung im Rahmen des Welthandelsrechts – insbesondere nach dem WTO-Recht. Das allgemeine Völkerrecht, namentlich das Interventionsverbot, blieb dagegen weitgehend unbeachtet. Diese Frage wird 2025 jedoch aktueller denn je. Mit den neuen US-Zöllen vom 2. April 2025 – pauschal 10 Prozent auf Einfuhren aus allen Staaten sowie Zusatzabgaben je nach Handelsbilanzdefizit zwischen den USA und dem Zielstaat – setzt die Trump-Regierung ihre Strategie fort, wirtschaftlichen Druck für politische Ziele zu nutzen. Auch der allgemeine völkerrechtliche Rahmen, insbesondere das Verhältnis zum Interventionsverbot, verdient dabei mehr Aufmerksamkeit. Denn wo wirtschaftliche Maßnahmen gezielt eingesetzt werden, um andere Staaten zu bestimmten Verhaltensweisen zu zwingen, droht eine Entgrenzung legitimer handelspolitischer Maßnahmen. Konkret stellt sich am Beispiel der Zölle der USA die Frage: Wann überschreitet Handelspolitik die Schwelle zur völkerrechtlich verbotenen Intervention?
Von 2018 bis 2025: Zölle als Druckmittel
Wie eingangs erwähnt, wurden bereits 2018 wirtschaftliche Maßnahmen getroffen, als Zölle in Höhe von über 300 Mrd. US-$ erhoben wurden, maßgeblich gegen China wegen vermeintlich unfairer Handelspraktiken, aber auch allgemein auf Stahl- und Aluminiumimporte. Maßgeblich motiviert waren die Maßnahmen durch das negative Handelsbilanzdefizit mit China. 2025 ergriff Präsident Trump weitaus weitreichendere Maßnahmen. Trump unterzeichnete beispielsweise am 01.02.2025 eine Verordnung, die 25 Prozent Importzölle gegen Kanada und Mexiko und 10 Prozent gegen China aufgrund vermeintlicher Förderung undokumentierter Einwanderung und Drogenhandels erhob. Auch drohte er 25 Prozent Zölle auf alle kolumbianischen Importe an, nachdem Präsident Gustavo Petro die Landung zweier US-Militärflugzeuge mit Migranten in Kolumbien verweigert hatte. Darauf folgten die Maßnahmen des 02.04.2025, den Trump als Liberation Day bezeichnete. Die US-Regierung kündigte hier neue Zölle von pauschal 10 Prozent auf alle Einfuhren an – ergänzt durch spezifische Aufschläge gegen Staaten mit hohen bilateralen Handelsbilanzüberschüssen. Zum 09.04.2025 wurden die Zölle für 90 Tage auf den Basissatz von 10 Prozent gesenkt – mit Ausnahme chinesischer Importe, für die ab Mitte April ein Zollsatz von 145 Prozent gilt. Die unmittelbare Begründung Trumps für diese Maßnahmen bleibt vage – es gehe um wirtschaftliche Gerechtigkeit und nationale Resilienz. Doch politisch ist klar: Die Zölle zielen auf eine Korrektur globaler Handelsströme und sollen Staaten zwingen, ihre Exportüberschüsse abzubauen, etwa durch höhere Importe von Produkten aus den USA und der Verlagerung der Produktionsstandorte in die USA.
Innerstaatlich ist diese Strategie rechtlich angreifbar. Zwar hat der Präsident durch den International Emergency Economic Powers Act von 1977 erhebliche Spielräume, doch die Berufung auf „nationale Sicherheit“ erscheint 2025 noch fragwürdiger als 2018 – zumal es nun um pauschale Maßnahmen gegen alle Staaten geht. Eine konservative NGO legte daher bereits Klage bei einem US-Bundesgericht gegen die Zölle ein.
Unabhängig von der US-amerikanischen Rechtslage stellt sich die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit. Auf WTO-Ebene sind die Maßnahmen Trumps recht offensichtlich rechtswidrig. Sie verstoßen gegen zentrale Grundprinzipien wie das der Meistbegünstigung (Art. I GATT) und das der Nichtdiskriminierung (Art. III GATT). Selbst unter der Annahme einer formal tragfähigen Berufung der US-Regierung auf die Sicherheitsausnahme (Art. XXI GATT), bleibt die praktische Bedeutung des Streitbeilegungssystems der WTO gering: Seit Jahren blockieren die USA die Nachbesetzung der Richter des Appellate Body des Streitschlichtungsgremiums der WTO – eine verbindliche Rechtsdurchsetzung ist damit seit Dezember 2019 faktisch unmöglich. Daneben sind Klagen unter Verweis auf regionale Verträge denkbar: Zölle gegen Mexiko und Kanada verstoßen gegen das United States-Mexico-Canada Agreement und wären eindeutig rechtswidrig. Doch auch hier kann Trump sich auf vermeintliche nationale Sicherheitsausnahmen berufen. Daher stellt sich die Frage, ob die Zölle nicht auch aus einer anderen Perspektive als völkerrechtswidrig zu betrachten sind.
Das Interventionsverbot: Wirtschaftlicher Zwang im Visier des Völkerrechts
Das Interventionsverbot – abgeleitet aus der Staatensouveränität gemäß Art. 2 Abs. 1 UN-Charta und als Völkergewohnheitsrecht anerkannt – untersagt es Staaten, in die inneren oder äußeren Angelegenheiten anderer Staaten mit Zwang einzugreifen. Zu diesen inneren Angelegenheiten gehört nach Aussage des Internationalen Gerichtshofs (IGH) die Wahl des politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Systems innerhalb des eigenen Staates sowie die Gestaltung der auswärtigen Politik (siehe Nicaragua, § 205). Der IGH schloss nicht aus, dass auch wirtschaftlicher Zwang (economic coercion) völkerrechtswidrig sein kann, wenn er darauf abzielt, einen anderen Staat zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, das in dessen eigene Angelegenheiten fällt. Doch konnte der IGH damals keinen Verstoß gegen das Interventionsverbot durch handelsbeschränkende Maßnahmen der USA feststellen und bestimmte auch die Voraussetzungen eines Verstoßes nicht. Bis heute ist umstritten, ob wirtschaftlicher Druck gegen das Interventionsverbot verstoßen kann. Dazu muss der Interventionsbegriff durch die Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts genauer abgegrenzt werden, Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut. Somit ist die Bestimmung der Staatenpraxis und der begleitenden opinio iuris bezüglich des Einsatzes von wirtschaftlichem Druck entscheidend, um festzustellen, ob ein Verbot dessen mittlerweile dem Staatenkonsens entspricht.
Die Staatenpraxis ist dabei nicht eindeutig. Denn die weit überwiegende Zahl der Staaten erhebt keinerlei wirtschaftliche Druckmaßnahmen, wie Analysen der Welthandelsströme zeigen. Zu nennen sind aber beispielsweise die Maßnahmen Chinas gegen Australien ab 2020, die jedoch nicht mit Forderungen an Australien verbunden waren. Der Einsatz von Handelsbeschränkungen zur Beeinflussung anderer Staaten ist China nicht nachzuweisen. Über diesen konkreten Fall hinausgehend ist damit die Frage entscheidend, ob ein hinreichender Staatenkonsens hinsichtlich eines Verbotes wirtschaftlichen Zwanges nachzuweisen ist. Dabei hat sich das Völkerrecht seit der Nicaragua-Entscheidung des IGH 1986 gewandelt: Ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates sieht eine Vielzahl der Länder Maßnahmen wie die der USA 2025 als einseitige Sanktionen an und hält sie für völkerrechtlich unzulässig. Während nicht-westliche Länder dies schon lange vertreten (siehe beispielsweise hier oder hier, § 6), zeigte sich der Westen bisher eher zurückhaltend. Erst 2023 verabschiedeten die G7 eine Erklärung, in der auch sie wirtschaftlichen Zwang ablehnten. Besonders entscheidend ist die Einführung eines Instruments zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen (Anti-Coercion Instrument, ACI) der EU, das wirtschaftlichen Zwang als rechtswidrig einordnet und im Gegenzug Reaktionen der EU zulässt, die selbst das Völkerrecht verletzen dürfen. Solche Reaktionen wären völkerrechtlich als Gegenmaßnahmen einzuordnen. So kommt auch die UN-Sonderberichterstatterin zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen Alena Douhan zu dem Schluss, dass Maßnahmen, die durch ökonomische Mittel Einfluss auf andere Staaten nehmen sollen, im Regelfall völkerrechtswidrig sind. Das gilt nur dann nicht, wenn sie gerechtfertigt sind.
Folgt man dieser Analyse, ist mit den neusten Aussagen westlicher Länder die Existenz einer Verbotsnorm zumindest in Fällen offenen wirtschaftlichen Drucks nachzuweisen. Da die Erklärungen auch keine Intensitätsschwelle der Maßnahmen nennen, ist momentan davon auszugehen, dass die Maßnahmen über einer geringen Erheblichkeitsschwelle rechtswidrig wären. Damit sind die Maßnahmen Trumps mit dieser nicht vereinbar. Da beispielsweise die Zölle vom 02.04.2025 direkt die Gestaltung des ökonomischen Systems der betroffenen Länder beeinflussen sollen, indem die Handelspraxis verändert werden soll, sind eigene Angelegenheiten der Zielstaaten betroffen. Gleiches gilt eindeutig auch für die Maßnahmen gegen Kolumbien. Diese Maßnahmen stellen auch selbst keine völkerrechtlich gerechtfertigten Gegenmaßnahmen dar, da die USA keinen vorherigen Rechtsbruch der Zielstaaten der Maßnahmen anführen kann. Insgesamt ist also mit guten Argumenten zu vertreten, dass die Maßnahmen einen Verstoß gegen das allgemeine Völkerrecht darstellen. Insbesondere kann eine entschlossene Reaktion der Völkerrechtsgemeinschaft auf den Frontalangriff der USA auf das Welthandelssystem weiter zur Klarstellung der Existenz einer Verbotsnorm beitragen.
Die Reaktion der EU
Ist die allgemeine Völkerrechtswidrigkeit der Maßnahmen festgestellt, erlaubt dies der EU, auch außerhalb des WTO-Systems mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Während Völkerrechtsverstöße im Rahmen der WTO nur durch die eigene Aussetzung von Zugeständnissen im Rahmen des Dispute Settlement Understanding beantwortet werden können, erlaubt die Berufung auf das Recht der allgemeinen Gegenmaßnahmen nach dem Recht der Staatenverantwortung eine breitere Reaktion. Dies ermöglicht der EU, selbst gegenüber den USA völkerrechtliche Pflichten auszusetzen. Dazu bietet sich der Rückgriff auf das ACI zumindest aus rechtlicher Sicht besonders an. So bezeichnete auch der Vorsitzende des Handelsausschusses Anfang April 2025, Bernd Lange, die Zölle der USA gegen die EU in Höhe von 20 % als illegal und zog die Anwendung des ACI in Betracht. Dies hätte den Vorteil, dass damit in einem europarechtskonformen Verfahren auch sonstige Pflichten gegenüber den USA vorübergehend ausgesetzt werden könnten. So wären die USA insbesondere im Bereich der Dienstleistungen verwundbar, Maßnahmen gegen die in der EU operierenden Digitalkonzerne könnten die USA schwer treffen.
Das Völkerrecht darf nicht ökonomisch ausgehöhlt werden
Die Zölle von 2025 sind kein isolierter Fall. Sie stehen in einer Linie mit der trumpschen Strategie, Handelspolitik als Mittel der außenpolitischen Machtausübung zu nutzen. Das allgemeine Völkerrecht bietet mit dem Interventionsverbot einen klaren Rahmen: Staaten dürfen andere nicht durch Druckmittel zu hoheitlichen Entscheidungen nötigen. Dieses Prinzip schützt nicht nur gegen Waffengewalt, sondern auch gegen ökonomische Erpressung. Gerade in einer Welt wachsender wirtschaftlicher Asymmetrien wird dieser Schutz immer wichtiger. Wenn sich das Muster der USA durchsetzt – also Handelsdefizite mit Strafzöllen zu bestrafen, um so politische Änderungen zu erzwingen – droht eine Aushöhlung der internationalen Ordnung. Die Reaktion der betroffenen Staaten, aber auch der Wissenschaft, sollte deshalb nicht defensiv, sondern offensiv sein: Das Interventionsverbot schützt die Staaten vor wirtschaftlichem Zwang und damit mittelbar auch den freien Welthandel.

Vincent Holzhauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der bayerischen Akademie der Wissenschaften und Doktorand an der Ludwig-Maximilians-Universität München.