International, abwechslungsreich, politisch?
Reflektionen über berufliche Wege in das Völkerrecht in der Folge der Veranstaltungsreihe „Völkerrechtslunch“
„Du studierst Völkerrecht? – Wirst du Diplomat*in?“ – so (oder so ähnlich) könnte man sich als aufstrebende*r Jurist*in im Schwerpunktstudium den Beginn einer Unterhaltung mit (fachfremden) Kommiliton*innen vorstellen. Auch wenn die berufsperspektivische Gleichung „Völkerrecht = Diplomatie“ schnell als arg verkürzt erscheinen dürfte, stellt sich, bei genauerer Betrachtung, durchaus die Frage: was konkret anfangen mit weitreichenden Kenntnissen im internationalen Wirtschaftsrecht, im Friedenssicherungsrecht, im internationalen Umweltrecht oder der internationalen Strafjustiz?
Diese Frage stand am Beginn unserer Veranstaltungsreihe „Völkerrechtslunch“, die gestern zu Ende ging. Das zentrale Anliegen der Redaktion war hierbei zweigeteilt: Zum einen sollte die Vielfalt, die Varianz und Vielschichtigkeit möglicher Wege ins Völkerrecht nachgezeichnet werden. Im Rahmen von insgesamt zwölf moderierten mittäglichen Gesprächsformaten wurden somit die unterschiedlichsten Zugriffe auf dieses breit gefächerte juristische Teilgebiet abgedeckt – von Völkerrechtler*innen aus diplomatischem Elternhaus – denen die internationale Laufbahn quasi in die Wiege gelegt wurde – bis hin zu Menschenrechtsanwält*innen, deren Kampf für die Rechte des Einzelnen erst mit der Zeit eine internationale Dimension erhielt. Sofern überhaupt möglich findet sich hier bereits die alle Völkerrechtslunch-Teilnehmer*innen einende „motivationale Klammer“: der tiefsitzende und treibende Wunsch nach einer Tätigkeit in einem internationalen Kontext, das Hinausgehen in die Welt, die Offenheit für Herausforderungen und Sachverhalte jenseits nationaler, teils als einschränkend empfundener Grenzen – sowie, selbstredend, die Kombination mit spannenden juristischen Sachverhalten.
Zum anderen bestand die Absicht der Veranstalter*innen nicht zuletzt darin aufzuzeigen, welche Herausforderungen sich im Rahmen der beruflichen Beschäftigung mit dem Völkerrecht stellen und wie die Referent*innen – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven – auf eben jene Anforderungen reagieren (können) bzw. welche Fähigkeiten sie im Umgang mit diesen Anforderungen als zentral empfinden. Ein „Realitätsabgleich“ zwischen etwaig bestehenden Vorstellungen einer völkerrechtlich ausgerichteten beruflichen Laufbahn (in Abwandlung des Einstiegs: „Ich werde Diplomat*in!) mit den tatsächlichen Gegebenheiten an eine solche Tätigkeit bildete somit ein weiteres Anliegen der Veranstaltungsreihe. Gleichzeitig konnte auf diese Weise zudem ein kleiner, jedoch gerade in Zeiten einer globalen Pandemie dennoch wichtiger Beitrag zur juristischen Ausbildung geleistet werden, indem das zentrale Thema der Berufsfeldorientierung in Zeiten fehlender Karrieremessen allgemein zugänglich in den Fokus genommen wurde.
Aber abseits der Intention der Veranstalter*innen: was können wir nach nunmehr zwölf völkerrechtlichen Lunches über die Motivationen, Herausforderungen und Empfehlungen hinsichtlich einer beruflichen Tätigkeit im völkerrechtlichen Kontext sagen? Ohne freilich Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben stellen sich hierbei, nach wiederholtem Nachlesen der hier verfügbaren „5-Fragen-Interviews“ sowie dem Anschauen der einzelnen Lunches, einige spannende Muster heraus.
„Hinaus in die Welt“
Mit Blick auf die Frage nach dem „Warum?“ einer völkerrechtlichen Laufbahn bestätigte sich die bereits oben beschriebene „motivationale Klammer“: der Wunsch nach einer international ausgerichteten Tätigkeit, verbunden mit einem tiefsitzenden Interesse an Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, des (internationalen) Menschenrechtsschutzes oder der Beendigung der Straflosigkeit für Völkerrechtsverbrechen – diese Motive wurden von allen Referent*innen betont, teils ergänzt von persönlicher Prägung durch Familie, Dozent*innen oder Kommiliton*innen. Obgleich nicht zwingend vorgezeichnet bestätigten die Vitae einer ganzen Reihe von Referent*innen zugleich: der (juristische) Weg hinaus in die Welt führt in vielen Fällen in der Tat in die nationalen Außenministerien oder internationale Organisationen, somit in die „klassischen“ völkerrechtlichen Betätigungsfelder. Insbesondere mit Blick auf Tätigkeiten im Bereich des Menschenrechtsschutz zeigte sich zugleich: die Zugänge zum internationalen Recht sind heute diverser als in früheren Dekaden, obgleich weiterhin durch teilweise „traditionelle“ Muster geprägt.
Der Wunsch nach einer Tätigkeit „draußen in der Welt“ lässt sich nicht ohne Rückgriff auf die persönlich empfundenen Besonderheiten und Reize des Völkerrechts begreifen: so breit wie der berufliche Hintergrund unserer Referent*innen, so unterschiedlich gestaltete sich deren persönliche Faszination für dieses Rechtsgebiet: vom Fehlen einer zentralen Rechts(durch-)setzungsinstanz, der Politiknähe und Interdisziplinarität einer völkerrechtlichen Tätigkeit, bis hin zu deren schier unerschöpflichen Anwendungsbereichen, dem Einnehmen einer dezidierten Außenperspektive auf (welt-)politisches Geschehen bis hin zu metajuristischen Qualitäten des Völkerrechts als zivilisierender Rechtsordnung und ordnende universelle Sprache, mit welcher sich der Blick auf den Globus und die internationale Politik einfangen lassen – die Besonderheiten des Völkerrechts als genuinem und vielfältigem Rechtsgebiet wurden durchweg betont.
Hiermit verbunden thematisierten unsere Referent*innen jedoch auch die vielfältigen Herausforderungen, denen sich das internationale Recht sowie die multilaterale internationale Ordnung insgesamt erwehren müssen: die Distanzierung staatlicher Akteure von einer normbasierten internationalen Ordnung, die stetige Neu- und Uminterpretation sowie Kontestation völkerrechtlicher Normen und die somit begünstigte, fortgesetzte Schwächung des Multilateralismus insgesamt wurden unisono als zentrale Konfliktlinien benannt. Auffallend hierbei war zugleich, dass diese Tendenzen nicht einseitig der Ignoranz oder dem bewussten Kalkül autoritärer Mächte zugeschrieben, sondern zugleich einer Bigotterie bzw. Gleichgültigkeit des Westens angelastet wurden. Die Um- bzw. Durchsetzung zentraler völker- und menschenrechtliche Normen (bzw. deren Nicht-Durchsetzung) wurde hierbei – gemeinsam mit Aspekten wie der Straflosigkeit für Völkerrechtsverbrechen, der Krise westlicher Demokratien sowie der erodierenden Akzeptanz völkerrechtlicher Verpflichtungen – als aktuelle Kernherausforderungen des internationalen Rechts herausgearbeitet, insb. vor dem Hintergrund alternativer völkerrechtlicher Narrative wie bspw. im Falle Chinas.
Das völkerrechtliche Skill-Set
Welcher Fähigkeiten bedarf es nun, sich diesen Herausforderungen im Rahmen einer völkerrechtlichen Laufbahn zu stellen? Auf diese, für angehende Jurist*innen zentrale Frage, wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe selbstverständlich ausgiebig eingegangen. Geben wir uns für einen Moment einem Gedankenexperiment hin und entwerfen – basierend auf den Berichten unserer Referent*innen – den/die idealtypische*n Völkerrechter*in: ein mit Verständnis für Diplomatie und (internationale) Politik beschlagendes Individuum, belastbar, gedanklich flexibel, von ausgeglichenem Gemüt, geduldig und resilient, empathisch und (kulturell) sensibel, mit guten Nerven und innerer Unabhängigkeit versehen. Zugleich textaffin und sprachbegabt, mit Verhandlungsgeschick, Kreativität, Kompromissbereitschaft und sprachlicher Finesse ausgestattet sowie starken kommunikativen Fähigkeiten und schneller Auffassungsgabe gesegnet. Hervorragende juristisch-fachliche Kenntnisse, Mehrsprachigkeit, interkulturelle Skills sowie strategisches Geschick runden abschließend das Anforderungsprofil ab. Ach ja: von Vorteil wäre zugleich, mit gesundem Menschenverstand handelnd komplexe Sachverhalte auf das Wesentliche reduzieren zu können. Klingt doch gar nicht so schwierig, oder?
An dieser Stelle verlassen wir zügig dieses überspitzte Gedankenexperiment, können allerdings festhalten, dass die Tätigkeit im internationalen Kontext – freilich je nach konkreter inhaltlicher Ausgestaltung und Umgebung mit Unterschieden versehen – einer Vielzahl an Fähigkeiten bedarf, die über im Studium angeeignete Kenntnisse und Skill-Sets teils weit hinausreichen. Ganz im Sinne der Veranstaltungsreihe hatten unsere Referent*innen abschließend auch hierfür eine Reihe hilfreicher Vorschläge bereit, um sich einer (zukünftigen) Tätigkeit im internationale Recht anzunähern: ein offener Geist, der Glaube an die eigenen Fähigkeiten sowie der Mut sich dem Unbekannten und Fremden zu stellen – diese Eigenschaften scheinen für junge Völkerrechtler*innen unabdingbar zu sein. Das genuine und tiefsitzende Interesse an einer Tätigkeit im internationalen Rahmen – auch unter Berücksichtigung möglicher Unwägbarkeiten, wie beispielsweise der zunehmenden Unsicherheit oder gar Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen u.a. in internationalen Organisationen – wurde durch die Veranstaltungsreihe hinweg immer wieder ins Zentrum gerückt, ebenso wie das (zumindest in Teilen) nicht immer ausreichend hierauf vorbereitende Jurastudium – die Bereitschaft sich über den Lernstoff hinaus im Rahmen von Moot Courts, durch Praktika im Ausland oder dem Erwerb zusätzlicher Fremdsprachenkenntnisse gezielt auf eine internationale Laufbahn vorzubereiten sollte insbesondere dem juristischen Ausbildungsbetrieb weiterhin Ansporn zu praxisnäherer und anwendungsbezogener Lehrplangestaltung sein.
„Werde ich jetzt eigentlich Diplomat*in?“
Die Frage wird – auch nach der Völkerrechtslunch-Reihe – weiterhin jede*r für sich selbst beantworten müssen (ausgeschlossen ist dies sicherlich nicht). Was aber bleibt nach nunmehr zwölf gemeinsamen (obgleich virtuellen) Mittagsessen mit völkerrechtlicher Begleitmusik? Vielleicht dies: das internationale Recht ist ein großer juristischer Spielplatz mit seinen ganz eigenen Nischen und Ecken, auf dem sich zurechtfinden nicht immer einfach ist, der seinen Besucher*innen aber eine einzigartige thematische Vielfalt und abwechslungsreiche Betätigungsfelder offenbart. Die Anforderungen sind oftmals hoch – man denke nur an die beinahe obligatorische Mehrsprachigkeit oder die am besten langjährige Auslandserfahrung in möglichst unterschiedlichen Ländern. Allen Referent*innen war jedoch „unterm Strich“ die Begeisterung für ihre wirklich internationale Tätigkeit an oftmals hochpolitischen, juristisch anspruchsvollen sowie (zumindest in Teilen) greifbar sinnstiftenden Tätigkeitsfeldern anzumerken. Wo ein*e jede*r den persönlichen Schwerpunkt zu setzen gedenkt ist eine andere Frage; vielleicht ist einfach die Begeisterung für das internationale Recht in all seinen Facetten die gemeinsame Klammer, die Referent*innen und Teilnehmer*innen hier zusammenhält.
Was bleibt also? Nun, der Völkerrechtslunch wird weitergehen! Und obgleich die genauen Details noch erarbeitet werden, können wir sagen: unsere Mittagessen werden sich verändern – und insbesondere auch berufliche Karrierewege für junge Völkerrechtler*innen außerhalb des deutschsprachigen Raums aufzeichnen. Auf diese neuen und spannenden Einblicke freuen wir uns – stay tuned!
Raphael Oidtmann is an Adjunct Lecturer at Mannheim Law School, an external PhD candidate at Goethe University Frankfurt, and an editor at Völkerrechtsblog.