Eigentum und Besitz
Ein paar ideengeschichtliche Gedanken zu einem juristischen Begriffspaar
In der Vorrede zum Deutschen Wörterbuch nennt Jacob Grimm die deutsche Rechtssprache seiner Zeit „ungesund und saftlos, mit römischer terminologie hart überladen“ (Dt. WBVorrede, XXXI). Er lobt dagegen die griffige Anschaulichkeit altdeutscher Gesetzestexte, die er bereits als junger Mann in seiner wunderbaren Abhandlung Von der Poesie im Recht (1816) zum Forschungsgegenstand gemacht hatte. Darin heißt es – Grimm war ein Vertreter der konsequenten Kleinschreibung : „die deutschen gesetze enthalten eine menge der schönsten [rechtswörtern], in denen jedesmal die bedeutung der sache innerlichst, mit einem reinen bild erfaszt und ausgedrückt wird“ (Kl. Schr. Bd. 6, 163). Diese alte Bildhaftigkeit und die Verwurzelung des Rechts in der Alltagsprache der Menschen entzückten Grimm: Sie sorgten nicht nur für poetischen Genuss; sie trugen auch zur allgemeinen Verständlichkeit juristischen Gedankenguts bei. Zu Grimms Zeiten allerdings galt diese schöne Einheit längst als hoffnungslos verloren. Das Lateinische hatte die Juristensprache durch und durch kolonisiert. Es bedurfte mehrere Jahrzehnte und vieler Gelehrtenkämpfe, bis in Deutschland an der Schwelle zum 20. Jahrhundert eine Eindeutschung der Rechtssprache erzielt werden konnte: Nun ersetzten deutsche Wörter und Neuschöpfungen doch die lateinischen Begriffe; die trockene, philologisch allzu fremde Fachsprache gewann wieder an Saftigkeit.
Ich habe Jacob Grimm 1997 kennengelernt, als ich in Berlin über Napoleons Kunstraub eine Dissertation schrieb und er in Paris als Restitutionskommissar für Preußen und Hessen fungierte. Ich war damals fünfundzwanzig Jahre alt und Grimm knapp dreißig, er kämpfte sich als Gelehrter durch die französischen Behörden durch, um nach Napoleons Sturz seltene Bücher, Handschriften und Gemälde deutscher Provenienz ausfindig zu machen. Diese waren nach der Revolution und während des Empire aus ganz Europa nach Paris abtransportiert worden und sollten nun an ihre rechtmäßigen Eigentümer restituiert werden. Grimm kannte Paris und seine Institutionen gut, er hatte einige Jahre zuvor hier zusammen mit Carl Friedrich von Savigny und seiner Frau in einer WG gewohnt und für ihn intensive Recherchen in der Bibliothèque Nationale betrieben, darunter auch zum „Recht des Besitzes“, Savignys großem Thema. Seitdem haben mich Jacob Grimm, Savigny, die Aneignungs- und Restitutionsproblematik der Jahre um 1800, die damit zusammenhängende Frage des Kulturerbes und des Kulturbesitzes im transnationalen Kontext ununterbrochen begleitet. Das tun sie in diesen Tagen umso mehr, als ich selbst zwischen zwei Sprachen und zwei Staaten, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Recht und Geschichte mit der Frage einer möglichen Restitution von Kulturgütern von Frankreich nach Afrika befasst bin. Anstelle der Probleme der Rechtsnachfolge, des gutgläubigen Erwerbs, der Ersitzung oder der Verjährung von Ansprüchen, die in der juristischen Debatte präsent sind, geht es mir vor allem um das konzeptionelle Potential zweier deutscher Rechtsbegriffe: „Eigentum“ und „Besitz“. Ich möchte ihnen im Folgenden – als Gast sowohl in der deutschen Sprache als auch in der Welt des Rechts – einige unfertige Gedanken widmen und mit der deutschen (Rechts-)Sprache spielen.
Es reicht ein kurzer Blick in jedes beliebige juristische Handbuch um sich als Laie davon zu überzeugen: Das deutsche Begriffspaar „Eigentum“ und „Besitz“ existiert auch und natürlich in allen anderen europäischen Rechtssprachen. Alle beziehen sich auf das römische Recht, die Unterscheidung zwischen Besitz (possessio) und Eigentum (proprietas) ist in fast alle europäischen Kodifikationen eingegangen. Man spricht im Englischen von possession und property, im Französischen von possession und propriété, im Italienischen von possessione und proprietà etc. Und doch, so scheint mir, ist in keiner Sprache der Unterschied so herrlich greifbar und für die Fragen, die uns beschäftigen, so gut nutzbar zu machen wie im Deutschen.
Doch ein Schritt – und eine kleine Irritation – zurück. Im alltäglichen Hin- und Her zwischen den Sprachen wird einem schnell klar, dass über die Grenzen hinweg und trotz der gemeinsamen römischen Wurzel die Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz Schwierigkeiten bereitet: In der Alltagssprache entspricht der deutsche Großgrundbesitzer (von lt. possessio) dem Französischen grand propriétaire (von lt. proprietas); was im Englischen cultural property ist, ist im Deutschen Kulturbesitz; umgekehrt wird die propriété intellectuelle der Franzosen (bzw. intellectual property der Briten) im Deutschen als geistiges Eigentum bezeichnet. Der Weg über die Sprachgrenzen, so scheint es, bringt die juristischen Kategorien durcheinander, ja sie verwandelt sie in ihr Gegenteil. Das ist verwirrend. Doch gerade in dieser Verwirrung liegt möglicherweise der Anfang einer Erkenntnis. Erstens: die sprachliche Unterscheidung ist offensichtlich mehr eine Oszillation als eine scharfe Trennung, sie lädt zu Diskussionen ein. Zweitens kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in Sprachregionen, wo die juristischen Kategorien des „Besitzes“ und des „Eigentums“ aus dem Lateinischen hergeleitet sind, die Unterscheidung kaum ins kollektive Bewusstsein und dementsprechend auch nicht in die jeweiligen Alltagsprachen gedrungen ist, weswegen im Englischen, Französischen etc. das lateinische proprietas als Bezeichnung sowohl für Besitz als auch für Eigentum dominiert. Dass im Gegensatz dazu die entsprechenden deutschen Begriffe so bildhaft sind, dass hier beide im Alltag gleich präsent sind und die Differenzierung möglicherweise leichter fällt. Ach! Ich höre Sie einwenden, dass auch im deutschen Sprachraum niemand den Unterschied zwischen Eigentum und Besitz kennt und macht. Doch möchte ich für einen Augenblick bei meinem Eindruck bleiben und mit Grimm begeistert feststellen, dass in diesen „schönsten Rechtswörtern […] die Bedeutung der Sache innerlichst, mit einem reinen Bild erfasst und ausgedrückt“. Sie umgibt kein Nebel; sie sagen, was sie sind. Sie suggerieren, anders als andere Sprachen, dass das Haben unterschiedliche Formen und Prägungen haben kann.
Besitz „m. possessio, gebildet wie sitz, ansitz, aufsitz, beisitz, vorsitz“ heißt es im Grimmschen Wörterbuch, ist hergeleitet vom gemeingermanischen „sitzen“: mit aufrechtem Oberkörper auf dem Gesäß ruhen. Man kann Tiere besitzen, indem man die Schenkel um ihren Leib schließt; Sachen besitzen, wie das Huhn die Eier; oder auch im übertragenen Sinne ein Land, ein Reich, ein Gut, ein Haus oder ein Erbe – das körperliche Bild des Auf-etwas-Sitzens prägt das Verständnis der Sache. Normensystem und innere Bilder, Abstraktion und Imagination gehen Hand in Hand.
Beim Eigentum verhält es sich ähnlich, wenn auch nicht ganz so körperlich. Glaubt man dem Wörterbuch zur mittelhochdeutschen Sprache (BMZ), so meint das Adjektiv „eigen“: „was ich habe, was mir gehört, und nicht andern“. Es entspricht dem Lateinischen proprius und dem Englischen own und ist im modernen Alltagsdeutsch in zahlreichen Kombinationen vorhanden. Der Suffix -tum verleiht dem Wort eine neutrale Eigenschaftsabstraktheit. Eigentum, so legt es das Gebilde nahe, ist das, was Einem entspricht, mit ihm aufs Engste verbunden ist, eine Form seines Selbst. Das Wort ist Programm.
Nun aber zur Sache. Der Besitz, so lehren es moderne juristische Handbücher, bezeichnet die »tatsächliche Gewalt über eine Sache« (BGB § 854 Abs. 1). Der Besitzer hat diese Sache unter seiner Herrschaft, er sitzt regelrecht darauf und verfügt über sie, unabhängig davon, ob diese Sache ihm auch rechtlich gehört. Der Eigentümer dagegen hat die rechtliche Herrschaftsmacht über eine Sache, er kann mit ihr „nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“ (BGB § 903). Er muss aber dafür nicht zwangsläufig in ihrem Besitz sein. Sein Eigentum, das ihm Eigene, bleibt ihm grundsätzlich auch erhalten, wenn ihm die Sache entwendet wird. „Der Dieb, der sich dein Fahrrad aneignet, ist der Besitzer des Rades, dessen Eigentümer du bleibst“, lautet ein Merksatz für angehende Juristen.
Auf Restitutions- und Kulturerbe-Debatten angewandt birgt diese Unterscheidung, wie mir scheint, ein erhebliches Potenzial. Nach ihr lassen sich Museen nämlich als Besitzer von Objekten bezeichnen, die in ihrer Gewalt sind und über die sie verfügen, ohne dass sie ihnen rechtlich gehören müssen. Eigentümer dagegen bleiben – im buchstäblichen Sinne des Wortes zumindest (was ganz innig zu jemandem gehört) – selbst bei Verlust diejenigen, denen die Objekte „eigen“ sind. Mein Eigentum in deinem Museum! Ob eine Ironie der Geschichte oder die philologische Korrektheit von Nachkriegsjuristen und -politikern dazu geführt hat, dass die größte Kultureinrichtung der Bundesrepublik 1957 „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ genannt wurde, werden wir wohl nie erfahren. Der Name ist jedenfalls Programm. Er sagt etwas aus, was die Behörde selbst lieber kaschieren oder gar leugnen möchte: Dass sie (wie die meisten anderen europäischen Museen auch) in vielen Fällen auf fremden Schätzen sitzt. Sie hat sie zwar in ihrer Gewalt und verwaltet sie nach bestem Wissen und Gewissen. Darauf hegen aber andere einen nachvollziehbaren Anspruch. Museen, möchte man verkürzt behaupten, sind Schauplätze der Oszillation zwischen Eigentum und Besitz. Ja sie sind (unter anderem) architektur- und institutionsgewordene Tempel dieser juristischen Kategorien.
Nun haben diese Tempel aber lange versucht, der Frage nach der Eigentumslage ihrer Sammlungen mit dem Schlagwort des shared heritage, des geteilten Erbes, auszuweichen. Nationaler Kulturbesitz und Kulturerbe der Menschheit wurden implizit gleichgesetzt; die allgemeine Zugänglichkeit europäischer Museen als Form eines universellen Teilens gepriesen. An solchen Orten, war zu lesen und zu hören, würden auch „Migranten ihre eigene Geschichte im Kontext anderer Kulturen entdecken können“. Dass nicht nur Migranten (!), sondern möglicherweise auch ganze Gesellschaften in den Herkunftsregionen der Exponate ein Interesse an ihnen oder einen Anspruch auf sie haben können, spielte dabei keine Rolle oder wurde mit dem Hinweis auf Partnerschaften und Ausstellungstourneen abgewiegelt. Doch in Zeiten verriegelter Grenzen und im Zuge der europäischen Debatte um die Aufarbeitung kolonialen Unrechts erwies sich shared heritage bald als diskursive Sackgasse.
Die Eigentumsfrage drängte sich wieder auf, die schon immer im Raume stand. In Berlin hatten bereits 2015 politische Aktivisten mit einer raffinierten Plakatkampagne das Thema in die Öffentlichkeit getragen: Auf schwarzem Hintergrund und in bester Museumsästhetik gesetzt war auf einem dieser Plakate der monumentale Perlenthron des Sultan Njoya aus Foumban (Kamerun) zu sehen, ein Hauptstück der Staatlichen Museen zu Berlin; und daneben in großen weißen Lettern die Frage: „Preußischer Kulturbesitz?“. Damals stuften die betroffenen Museen die Aktion als billige Provokation postkolonialer Spontis ein. Seit einem Jahr etwa versuchen Kulturfunktionäre und Museumsbeamte nun doch Antworten zu finden, indem sie nun mit der Kategorie der Legalität oder Illegalität von Erwerbungen argumentieren. Es geht in Deutschland heute vielerorts darum, Stück für Stück, Vase für Vase, Speer für Speer, Halsband für Halsband, Relief für Relief und Bild für Bild die Rechtmäßigkeit des Besitzes unter Beweis zu stellen. „Geraubte Dinge werden wir zurückgeben“, hieß es neulich in Berliner Museumskreisen. Dass die Feststellung von „Raub“ allerdings mühsam und kostspielig ist, ethisch fragwürdig sein kann (weil z.B. koloniale Sachverhalte auch heute nach dem formal geltenden europäischen Recht von damals beurteilt werden), und weder juristisch noch politisch besonders vielversprechend ist, wissen alle. Im jüngst erschienenen Leitfaden des Deutschen Museumsbundes zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialem Kontext heißt es unmissverständlich dazu: „Die derzeit geltende Rechtsordnung – dies gilt sowohl für das deutsche Recht als auch für das Völkerrecht – hält keine geeigneten Instrumente zur Klärung von Eigentumsfragen rund um Erwerbungen aus kolonialen Kontexten bereit“. Zweite Sackgasse.
Auf einer im vergangenen Juni im Collège de France in Paris abgehaltenen Tagung zum „Selbstbestimmungsrecht von Objekten ?“ plädierte der Ethnologe Benoît de L’Estoile überzeugend dafür, die aktuelle Restitutionsdebatte von ihrem engen, binären römisch-europäischen Rechtskorsett zu befreien (droit des personnes et droit des biens) und sie mit außereuropäischen Rechts- und Besitzvorstellungen zu konfrontieren. Es sei an der Zeit, alternative Konzepte von Besitz und Eigentum zu explorieren, um zukunftsweisende, innovative Rechtsmodelle für den Kulturbesitz im 21. Jahrhunderts zu entwerfen. Eine solche Exploration ist sicherlich angebracht, wenn nicht schon überfällig. Sie kann meines Erachtens aber auch in der eigenen Rechtstradition erfolgen und in dieser, im Sinne einer prospektiven Historiographie, nach verloren gegangenen Optionen oder produktiven Konstellationen suchen.
Und da drängt sich, wie mir scheint, die von Savigny um 1800 in Gang gesetzte Diskussion um „das Recht des Besitzes“ im alten Rom geradezu auf. Erstens weil ihr Gegenstand das uns bis heute prägende Recht einer antiken Kolonialmacht ist, die ein vitales Interesse daran hatte, unterschiedliche Aneignungs- und Bewirtschaftungsweisen juristisch zu fixieren, um beispielsweise die Territorialisierung von Niemandsland, das (nach römischen Recht) keinem Eigentumsregime unterlag, rechtlich zu begründen und sicherzustellen. Zweitens, weil um 1800 Museen, Restitutionen, Kunstraub, Kulturbesitz und die Frage nach dem rechtmäßigen Eigentum an Kultur in ganz Europa allgegenwärtig waren. Man bezeichnete damals Translokationen von Kulturgütern als „Verbrechen gegen die Menschheit“ (Heydenreich, 1798), Schiller fragte in einem Sonnet, wer vom Sieger oder Liebhaber wirklich im „Besitz“ der Musen sei (1803), man sprach bei den zu restituierenden Objekten aus Deutschland von „unveräußerlichem Volkseigentum“ (1815). Dabei standen nicht nur das Eigentum und der Besitz als feste Kategorien im Mittelpunkt, sondern auch die Aneignung und Besitzergreifung als dynamische Prozesse, sowie die für die aktuelle Debatte doch so zentrale Frage eines möglichen oder unmöglichen Übergangs von einer Kategorie in die andere. Anders gesagt: Es ging und geht auch darum zu klären, ob aus Besitz (worauf man sitzt) Eigentum (was einem eigen ist) werden kann, und wenn ja, wie.
Ein 1840 erschienener, bissiger kleiner Aufsatz mag verdeutlichen, wie die Diskussion einst verlief, wie flottierend oder erklärungsbedürftig manche Begriffe noch waren und wie man dies heute in der Provenienz- und Restitutionsdebatte möglicherweise fruchtbar machen könnte. Unter dem Titel Was ist und gilt im römischen Rechte der Besitz? Eine Abhandlung gerichtet gegen die v. Savigny’sche Doktrin über das Recht des Besitzes kritisiert ein in Vergessenheit geratener Jurist namens Karl Pfeifer Savignys Auslegung des römischen Besitzrechts. Darin heißt es (S. 65):
Savigny sagt: „Um als possessor [Besitzer] zu gelten, muss man das Eigentum an der Sache ausüben mit der Absicht, es als eigenes Eigentum, nicht als fremdes auszuüben“. Der Leser halte nur einige Augenblicke still und denke über diesen Satz nach […] Kann man denn auch fremdes Eigentum an einer Sache ausüben?! Wohl kann man das Eigentum an einer fremden Sache ausüben, und das tut z.B. der Dieb; überhaupt jeder, welcher die Sache als seine eigene behandelt, und doch nicht Eigentümer derselben ist. Aber was fremdes, resp. eigenes Eigentum an einer Sache ausüben bedeuten soll, das kann ich mir nicht vorstellen. Es ließe sich unter dem Willen, fremdes Eigentum auszuüben, etwa noch der Wille denken, das Eigentum einer Sache, von welcher man weiß, dass sie einem Andern gehört, auszuüben, also ein Wille, wie ihn derjenige hat, welcher eine Sache stiehlt, raubt, unterschlägt. Aber in dem Sinne versteht es Savigny nicht, denn der Dieb gerade soll den Willen haben, eigenes Eigentum an der Sache auszuüben!“
Wir merken im poetischen Nebel dieser veralteten, verknoteten deutschen Juristensprache: Zwischen dem Eigentum und dem Besitz spielte in der alten Diskussion – und in Savignys Lehre – auch noch der Wille eine Rolle. Der Wille zur Aneignung, zur Überführung des Fremden in das Eigene, zu dessen Einverleibung oder Absorption, wie Paul Valéry um 1920 das Phänomen nannte, das er eng mit der „Idee Europa“ verbunden sah: „Die Idee der Kultur, der Intelligenz, des Meisterwerks steht für uns in einem Zusammenhang – so alt, dass wir nur selten an ihn zurückdenken – mit der Idee Europa. Die anderen Teile der Welt hatten bewundernswerte Kulturen. […] Aber kein Teil der Welt hat jene einzigartige physikalische Eigenschaft besessen: die intensivste Strahlkraft vereint mit der stärksten Absorptionskraft“. Diese Absorptionskraft, der Wille zum Besitz fremden kulturellen Eigentums und zur Überführung dieses fremden in eigenes Eigentum beschreiben genau, was unsere Museen sind und warum sie uns heute Schwierigkeiten bereiten. Auch vor diesem Hintergrund lohnt es sich, vergangene Rechtsdebatten und -vorstellungen zu kennen. Die deutsche Sprache kann dabei helfen.
Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris.
Cite as: Bénédicte Savoy, “Eigentum und Besitz. Ein paar ideengeschichtliche Gedanken zu einem juristischen Begriffspaar“, Völkerrechtsblog, 17. September 2018, doi: 10.17176/20180917-112316-0 .