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Vom Internationalen in der Privatrechtslehre

Berührungsängste und Relevanz

18.03.2016

Aus Sicht des Kollisionsrechts auf einem völkerrechtlichen Blog zu schreiben, stellt eine gewisse Herausforderung dar, da sich die beiden Materien zwar berühren, aber es doch strukturell große Unterschiede gibt.

Verortung der Diskussion

Bevor auf die Frage eingegangen werden kann, wie das Internationale Privatrecht (IPR) und andere Bereiche, die sich mit privatrechtlichen grenzüberschreitenden Fragen beschäftigen, stärker in der Lehre vertreten werden sollte, sollte gefragt werden, in welchem Umfang dieses Ziel überhaupt anzustreben ist. Mit anderen Worten: Sollen diese Bereiche (stärker) Teil des Examenspflichtstoffs werden oder weiterhin als Spezialmaterie vor allem im Schwerpunktbereichsstudium angeboten werden?

Da es viele Rechtsgebiete gibt, die bisher nur „in Grundzügen“ im Examen abgefragt werden können (je nach JAG etwa ZPO, Arbeitsrecht, Familienrecht, Erbrecht, FamFG, Rechts- und Verfassungsgeschichte, Kommunalrecht, StPO, Wirtschaftsstrafrecht, Europarecht, Völkerrecht etc.), würde die erste Möglichkeit im Zweifel dazu führen, dass alle die genannten Gebiete ebenfalls stärkere Beachtung in JAG und Staatsexamina reklamierten. Dies verstärkte die bereits vorhandene Tendenz in Examensklausuren, immer stärker Einzel- und Detailwissen und weniger System- und Strukturverständnis abzufragen.

Die Alternative wäre, die Studierenden verstärkt zu einem internationalprivatrechtlichen Schwerpunktbereichsstudium zu animieren. Dies hätte den Vorteil, dass mit Studierenden zusammenzuarbeiten wäre, welche wirklich Interesse an einer Wissensvertiefung haben und nicht nur unter Druck noch einen unter vielen weiteren Aspekten lernen müssen.

Mir scheint die Vertiefung im Schwerpunkt vorzugswürdig. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, den Studierenden einen Eindruck zu vermitteln, dass in der heutigen globalisierten, europäisierten und vernetzten Welt Grundkenntnisse im Privatrecht mit internationalem Bezug notwendig sind. Um dies zu erreichen, könnte man (parallel zu Veranstaltungen in der Rechtsgeschichte, -philosophie, -methodik) einen Grundlagenkurs im Grundstudium etablieren, der den interessierten Studierenden erste Einblicke in Kollisionsrecht, Rechtsvergleichung, Völkerrecht, Europarecht und Einheitsrecht gewährt.

Praxisrelevanz

Fragt man sich, wie attraktiv ein internationalprivatrechtlicher Schwerpunkt für einen Studierenden ist (und blendet dabei externe Effekte wie als besonders großzügig bekannte Betreuer aus), hat dieser eigentlich sehr gute Chancen, Interesse zu wecken: „International“ ist ein Modewort und „internationale“ Tätigkeiten wecken Interesse.

Auch sind die internationalprivatrechtlichen Fragestellungen extrem praxisrelevant. Der Online-Handel, die Bevölkerungsbewegungen innerhalb (und außerhalb) Europas oder die allgemein verstärkte grenzüberschreitende Aktivität durch die Globalisierung führen dazu, dass nahezu alle privatrechtlichen Gebiete immer häufiger mit Fragen konfrontiert werden, in denen mehr als eine Rechtsordnung involviert ist.

Dieser Fakt ist aber im allgemeinen Studierendenbewusstsein nicht immer verankert. Kollisionsrechtliche, rechtsvergleichende oder auch internationalverfahrensrechtliche Fragen sind nie „alleine“ für den Ausgang eines Rechtsstreits relevant, sondern immer in Kombination mit verschiedenen nationalen Regelungen, um deren konkrete Anwendung oder Anwendbarkeit es geht. Aus diesem Grund gibt es nur wenige Stellenausschreibungen außerhalb der Wissenschaft, die speziell allgemeine Kenntnisse im Kollisionsrecht oder der Rechtsvergleichung verlangen. Typischerweise werden Kenntnisse im Handels-, Familien-, Immaterialgüter- oder Verfahrensrecht „mit seinen internationalen Bezügen“ verlangt. Den Studierenden ist daher weniger bewusst, dass Kenntnisse im IPR und verwandten Gebieten im Großteil der nicht rein lokal tätigen Kanzleien, Notariaten, Unternehmen und Gerichten sehr gefragt sind.

Dem könnte dadurch abgeholfen werden, dass in den Vorlesungen stärker der Bezug zu aktuellen Fällen hergestellt und die Praxisrelevanz betont wird. Ergänzend könnten Praktiker (Richter, Notare, Anwälte) zu Vorträgen eingeladen werden und von ihrer Tätigkeit mit einem Schwerpunkt auf grenzüberschreitenden Fragestellungen berichten.

Weiterhin könnten stärker praxisorientierte Projekte durchgeführt werden. Mit dem Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot Court ist das Internationale Verfahrens- und das UN-Kaufrecht abgedeckt. Der Moot Court motiviert bereits sehr erfolgreich seine Teilnehmer dazu, internationalprivatrechtlich tätig zu werden oder zu bleiben. Darüber hinaus sind rein kollisionsrechtliche oder rechtsvergleichende Fälle für Moot Courts schwierig zu konstruieren. Allerdings wäre es möglich, in Anlehnung an das Moot-Court-Konzept, Wettbewerbe zur Vertragsgestaltung zwischen Parteien aus verschiedenen Rechtsordnungen zu veranstalten (z.B. aus Sicht eines Notares oder auch aus Sicht zweier Parteivertreter). Solche Veranstaltungen würden darüber hinaus daran anknüpfen, dass Kautelarfragestellungen im Examen an Bedeutung gewinnen.

Berührungsängste

Weiterhin schrecken einige Studierende vor internationalprivatrechtlichen Vorlesungen (und Klausuren) zurück, weil sie Berührungsängste mit dem Gebiet haben. Es halten sich teils von den Dozenten oder Kommilitonen verstärkte Gerüchte, das IPR sei „schwer“, „abstrakt“ und „anders“. Auch sei das Studium nur bei Kenntnis von mindestens französisch, englisch und spanisch auf Muttersprachniveau möglich.

Internationalprivatrechtliche Fragestellungen sind schwer und bauen auf Wissen im materiellen Recht auf. Aber das gesamte Jurastudium ist nicht für seine Einfachheit bekannt und setzt im Schwerpunktstudium Grundstudiumswissen und Denkvermögen voraus.

Das Kollisionsrecht hat auch tatsächlich eine sehr abstrakte Vorgehensweise. Dies macht zum Teil seinen Reiz aus, aber Abstraktheit ist ebenfalls nichts, wovor andere Gebiete der Rechtswissenschaft gefeit sind. Schließlich ist es eine Frage des Dozenten, wie konkret oder abstrakt die Vorlesung ist.

Was allerdings stimmt, ist der Fakt, dass das IPR und auch die Rechtsvergleichung „anders“ insofern sind, als dass sie andere Ziele als das materielle Recht haben und daher eine andere Dogmatik.

Gleich am Anfang einer IPR-Vorlesung werden viele Studierende daher informativ überfordert: Sie müssen verarbeiten, dass es überhaupt eine Meta-Rechtsordnung gibt, die andere Rechtsordnungen koordiniert, dass diese Rechtsordnung eine eigene Dogmatik und eigene Ziele hat (bzw. dass dies umstritten ist) und zugleich eigene Terminologien in primär Latein und Französisch hat. Darüber hinaus verlangt jeder IPR-Fall ihnen (teils sehr spezielle) Kenntnisse des eigenen Rechts ab und sie werden Informationen zu anderen Rechtsordnungen ausgesetzt, ohne einordnen zu können, wie wichtig dies für die restliche Vorlesung ist. Diese anfängliche Überforderung führt dazu, dass viele Studierende aufgeben und sich nicht auf die Materie einlassen.

Solche Berührungsängste könnten gemildert werden dadurch, dass die allgemeinen Vorlesungen im Zivilrecht das IPR nicht vollends ausblenden, sondern zum Beispiel im allgemeinen Kaufrecht der Dozent kurz und unproblematisch die Anknüpfung nach Artt. 3 I, 4 I a) und c) Rom I-VO prüft (evtl. darauf hinweist, dass es daneben das UN-Kaufrecht gibt) und feststellt, dass deutsches Recht anwendbar ist (z.B. „Deutsches Recht ist anwendbar nach Artt. 3 I, 4 I a Rom I-VO, da der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben.“). Wenn ein solcher oder vergleichbarer Satz in jeder Veranstaltung vorkommt, werden die Studierenden an den Gedanken gewöhnt, dass es überhaupt die Fragestellung gibt, welches Recht anwendbar ist und dass dies separat geregelt ist. Um die Angst vor der Materie zu nehmen, könnte noch darauf hingewiesen werden, dass diese Frage nicht klausurrelevant ist. Dies würde den Zugang zu einer späteren Vorlesung im IPR deutlich erleichtern, da an bereits vorhandenes Wissen angeknüpft werden kann. Auch kann so Interesse geweckt werden, ohne Druck auszuüben.

Synergieeffekte mit anderen Vertiefungsveranstaltungen

Schließlich kann im Schwerpunktstudium, soweit die Schwerpunktbereichszuschnitte dies erlauben, darauf geachtet werden, dass Synergieeffekte bezogen auf nationale und grenzüberschreitende Bereiche erzeugt werden und einzelne Veranstaltungen kombiniert werden und aufeinander verweisen. Etwa könnte eine Vorlesung „Vertiefung Handelsrecht“ kombiniert werden mit „Internationalem Handelsrecht“. Die zweite Vorlesung könnte auch für Studierende in einem handelsrechtlichen Schwerpunkt geöffnet sein und die Dozenten und Dozentinnen der Vorlesung aufeinander verweisen und sich absprechen. Dies würde das Verständnis der Studierenden für die Zusammenhänge zwischen den nationalen und grenzüberschreitenden Fragen schärfen. Darüber hinaus wären so genügend materiellrechtliche Vorkenntnisse vorhanden, um auch tief in die kollisionsrechtliche oder rechtsvergleichende Problematik einzusteigen. Darüber hinaus könnten auch Studierende aus anderen Schwerpunktbereichen für die grenzüberschreitenden Fragestellungen sensibilisiert werden.

 

Dr. Susanne Lilian Gössl, LL.M. (Tulane) ist akademische Rätin am Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht, Prof. Dr. Nina Dethloff, LL.M., Universität Bonn

 

Cite as: Susanne Lilian Gössl, “Vom Internationalen in der Privatrechtslehre – Berührungsängste und Relevanz”, Völkerrechtsblog, 18 March 2016, doi: 10.17176/20171130-095014.

Autor/in
Susanne Lilian Gössl
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