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Viel Lärm um nichts

Die funktionelle Immunität von Kriegsverbrechern

09.02.2021

Am 28. Januar hat der Bundesgerichtshof keine Rechtsgeschichte geschrieben und das ist gut so. Denn alles andere als die ergangene Entscheidung wäre ein katastrophaler Rückschlag für die weltweite Verfolgung von Kriegsverbrechen gewesen. Gleichwohl gibt die mündliche Urteilsbegründung Anlass zur Kritik. Denn bisher setzt sich das Urteil nur unzureichend mit den Details der völkerrechtlichen Debatte auseinander und birgt in der präventiven Eröffnung der Diskussion Gefahren.

Das unscheinbare Verfahren begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) München (§ 120 Nr. 8 GVG). Ahmed Zaheer D. war Oberleutnant der afghanischen Armee gewesen. Auf dem Gelände einer Militärkaserne hatte er 2014 gemeinsam mit anderen Soldaten gefangene Talibankämpfer verhört, sie dabei geschlagen und ihnen Stromschläge angedroht. Etwas später befahl er, den Leichnam eines Talibankommandeurs öffentlich aufzuhängen. Das OLG stellt hierzu fest, dass er „den Leichnam einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person in erniedrigender und entwürdigender Weise an einem Strick aufhängte.“ Nur wegen des zweiten Sachverhalts erfolgte eine Verurteilung nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Eine Verurteilung wegen Folter (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) im ersten Fall lehnte das OLG ab und griff stattdessen auf gefährliche Körperverletzung und Nötigung nach dem StGB zurück. Hiergegen legte die Bundesanwaltschaft Revision ein. In der Hauptverhandlung stellte sich der Bundesgerichtshof (BGH) drei Fragen: (1) War die Misshandlung während des Verhörs Folter? (2) Genießt ein Angehöriger ausländischer Streitkräfte Immunität vor deutschen Strafgerichten? (3) Muss er, da Regeln des Völker(gewohnheits)rechts betroffen sind, die zweite Frage dem BVerfG vorlegen (Art. 100 (2) iVm Art. 25 GG)? Im nun ergangenen Urteil stellte der Senat klar, dass er „keine ernstzunehmenden Zweifel“ an der Durchbrechung der Immunität bei Kriegsverbrechen erkennen kann. Zudem erfolgte, fast nebensächlich, eine Verurteilung wegen Folter nach dem VStGB anstatt nur nach dem StGB.

Doch wie kam der BGH dazu, sich diese Fragen überhaupt zu stellen? Ein Blick auf die Immunität beginnt bei der Staatenimmunität, die Ausfluss des Verständnisses souveräner Staaten als gleichwertige Völkerrechtssubjekte ist. Hieraus leitet sich eine Immunität mancher Menschen ab, nämlich derjenigen, die hoheitliche staatliche Funktionen ausüben (funktionelle Immunität). Dass dies nicht grenzenlos gelten kann ist schon in Art. 227 des Versailler Vertrages angelegt, der Wilhelm den Zweiten unter Anklage stellte. Ohne eine Durchbrechung der Immunität wären auch keine Nürnberger Prozesse sowie zahlreiche andere internationale Straftribunale möglich gewesen. Allerdings – und hier muss differenziert werden – belegen diese Beispiele nicht notwendigerweise, dass eine Durchbrechung auch vor nationalen Strafgerichten stattfindet. Hierüber wird seit einigen Jahren in der Literatur und der International Law Commission (ILC) kontrovers diskutiert. Die ILC nimmt dabei im Auftrag der Generalversammlung die Aufgabe wahr, „die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts sowie seine Kodifizierung zu begünstigen“ (Art. 13 (1) a Charta der VN). 2006 hatte sie sich dem Thema „Immunity of State officials from foreign criminal jurisdiction” angenommen. Der erste Berichterstatter hierzu hatte in seinem dritten Bericht eine Immunitätsausnahme bei schwersten Völkerrechtsverbrechen sowohl systematisch kritisiert (Rn. 54 ff.) als auch ihre völkergewohnheitsrechtliche Geltung bezweifelt (Rn. 68 ff.). Die zweite Berichterstatterin hingegen sah hinreichende Belege für eine völkergewohnheitsrechtliche Durchbrechung der Immunität vor ausländischen nationalen Gerichten bei bestimmten schweren Völkerrechtsverbrechen (Rn. 184). Dem schlug die Kritik einiger Mitglieder der ILC entgegen, die sich methodisch gegen die Auswahl der herangezogenen Gerichtsentscheidungen wandten. Insbesondere könne ein Rückgriff auf fast ausschließlich europäische Gerichte kein umfassendes Gewohnheitsrecht belegen. (zB hier). Auch sei die Liste der Verbrechen, bei denen die Immunität durchbrochen werden soll, willkürlich (zB Redebeiträge in der ILC). Gleichwohl blieben diese Einwände in der ILC und der Literatur in der Minderheit.

Diese Debatte hat den BGH zur Überraschung aller Verfahrensbeteiligten zur Einführung der Immunitätsfrage in das Verfahren bewogen. Leider setzt er sich in seiner mündlichen Urteilsbegründung jedoch kaum mit der detaillierten und nuancierten Kritik auseinander, obwohl er zur Begründung ebenfalls fast ausschließlich europäische Gerichtsentscheidungen anführt. Aufhorchen lassen zudem zwei Formulierungen (so auch hier). Zum einen scheint der Senat – systematisch fragwürdig – die Beteiligung nachrangiger Hoheitsträger an Völkerrechtsverbrechen schon nicht zum Bereich des hoheitlichen staatlichen Handelns zu rechnen. Daraus folgt zudem eine Art „Beweislastumkehr“, denn in der weiteren Begründung suchen die Richter eine Regel, welche die nationale Strafverfolgung ausschließen würde. Nur zur Sicherheit führen sie anschließend Belege für eine umgekehrt positive Erlaubnis der Strafverfolgung an. Eine solche Herangehensweise wird aber sicherlich niemanden aus der Mindermeinung überzeugen.

Neben dieser juristischen Kritik ist das Manöver des Senats aber auch politisch riskant. Offensichtlich wollte dieser einer Debatte vorgreifen und die Immunitätsfrage präventiv beantworten. Dabei wäre das in diesem Fall gar nicht nötig gewesen. Unbestritten ist auch unter den Kritikern in der ILC-Debatte, dass ihre Zurückhaltung sich lediglich auf das Völkergewohnheitsrecht bezieht, nicht aber auf vertragliche Regelungen der Immunität. Eine solche enthält implizit die Anti-Folter Konvention (Convention against Torture – CAT). Diese war schon Grund für den Internationalen Gerichtshof (IGH), der Auslieferung des ehemaligen tschadischen Präsidenten Habré zuzustimmen. Auch das House of Lords hatte sich hierauf gestützt, als es die Auslieferung des ehemaligen chilenischen Diktators Pinochet nach Spanien genehmigte. Art. 1 CAT definiert Folter durch die Beteiligung staatlicher Amtsträger. Art. 5 CAT verpflichtet die Vertragsstaaten in bestimmten Konstellationen, und nach Art. 5 (1) c auch in Fällen, in denen der Täter nicht eigener Staatsangehöriger ist, Jurisdiktion über Folter zu gewährleisten. Da sowohl Deutschland als auch Afghanistan schon zum Tatzeitpunkt des BGH-Falles Vertragsstaaten der CAT waren, und es sich hier um einen Foltervorwurf handelt, hätte sich der BGH überhaupt nicht zur gewohnheitsrechtlichen Debatte äußern müssen. Denn der Immunität ausländischer Soldaten stünde der gesamte Sinn der Anti-Folter Konvention als Ahndung staatlichen Handelns entgegen.

Vor diesem Hintergrund scheint das Urteil des BGH mehr Gefahren als Nutzen zu bringen. Auf dem Spiel steht immerhin die nationale Strafverfolgung internationaler Verbrechen und damit ein Kernelement des Kampfes gegen Straflosigkeit. Seit den Nürnberger Prozessen werden die höchsten Worte bemüht, um die Bedeutung des Völkerstrafrechts als „plea of humanity to law“ zu unterstreichen. Auch Deutschland bekennt sich zur Bekämpfung der Straflosigkeit. Dabei haben gerade die nationalen Verfahren eine bedeutende Rolle im Gefüge der internationalen Justiz. Art. 17 (1) a IStGH-Statut gibt der nationalen Strafverfolgung stets den Vorrang. Ohne aktive Mitgliedstaaten wird auch eine Institution wie der Internationale Strafgerichtshof nicht lange überleben. Eine Immunität für Soldaten würde eine nicht hinnehmbare Schieflage der Strafverfolgung bedeuten, die sich dann auf sog. Rebellen beschränken müsste. Demgegenüber steht ein zweifelhafter Nutzen der Entscheidung, die – vorbehaltlich der schriftlichen Urteilsbegründung – weder die internationale Debatte voranbringt noch endgültig sein muss (Art. 103 (1) iVm Art. 100 (2) GG). Kein anderes Justizorgan war bisher überhaupt auf die Idee gekommen, die Immunitätsfrage aufzuwerfen. Für die Generalbundesanwaltschaft, das OLG Koblenz und viele weitere Akteure in der Verfolgung internationaler Verbrechen gab es bisher keinen Anlass hierzu, obgleich alle mit vergleichbaren Fällen konfrontiert waren. Nun hat der BGH die Büchse der Pandora gleichwohl von der ILC nach Deutschland geholt.

Autor/in
Lorenz Rubner

Lorenz Rubner is a PhD candidate at the Institute for International Law of Peace and Armed Conflict (IFHV), Ruhr-University Bochum.

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