Window Cleaners @ Waena; Foto von Daniel Ramirez via Flickr (CC BY 2.0)

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Extraterritoriale Regulierung als Staatenpflicht

Kontext, Konflikte und Komplementarität

03.08.2018

Kontext

Zwei Aspekte des von der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe im September 2017 vorgelegten Diskussionspapiers, das die Grundlage des gegenwärtigen Tauziehens um eine verbindliche internationale Regelung der Unternehmensverantwortung für Menschenrechte bildet, sind aus der Perspektive des extraterritorialen Menschenrechtsschutzes von besonderer Relevanz.

Erstens knüpft das Diskussionspapier den räumlichen Anwendungsbereich des anvisierten Instruments an Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen, die auf dem Territorium und/oder innerhalb des Kompetenzbereichs („jurisdiction“) des relevanten Staates stattfinden. Ein vergleichbarer Ansatz findet sich schon in den VN Leitprinzipien, führt jedoch dort zu einer Verneinung extraterritorialer positiver Schutzpflichten des Staates: „Gegenwärtig verpflichten die Menschenrechte Staaten grundsätzlich nicht, die extraterritorialen Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet ansässiger und/oder ihrer Jurisdiktion understehender Unternehmen zu regulieren“ (VN Leitprinzipien, para 2). Dieses Ergebnis läßt sich aus den folgenden Erwägungen herleiten. Zum einen wird generell vertreten, dass positive Schutzpflichten des Staates, die Menschenrechte im Verhältnis zwischen privaten Akteuren zu schützen, Kontrolle über (den Teil des) Territoriums voraussetzen, in dem die Menschenrechtsverletzung stattfindet. Zum anderen unterscheidet das Völkerrecht traditionell zwischen „territorialem“ und „extraterritorialem“ Menschenrechtsschutz auf Grundlage des Aufenthaltsorts des Opfers von Menschenrechtsverletzungen im Verhältnis zu dem zu verpflichtenden Staat. Da in den für den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte relevanten Konstellationen die Herkunftsstaaten global operierender Unternehmen keine Kontrolle über fremdes Territorium ausüben, führt dieser Ansatz regelmäßig zu einer Verneinung extraterritorialer Schutzpflichten gegenüber Opfern von Menschenrechtsverletzungen in den Empfängerländern ausländischer Investitionen.

Hier geht das Diskussionspaper jedoch, zweitens, einen anderen Weg. Der räumliche Anwendungsbereich staatlicher Schutzpflichten wird nicht mit Bezug auf den Aufenthaltsort des Opfers sondern mit Bezug auf den Standort / das Domizil des Unternehmens begründet. Unternehmen „under the jurisdiction of the State Party could be understood as any [corporation] which has its centre of activity, is registered or domiciled, or is headquartered or has substantial activities in the State concerned, or whose parent or controlling company presents such a connection to the State concerned“ (Diskussionspapier, S. 11). Dieser Ansatz – der sich schon in den Maastricht Prinzipien und bei den VN Vertragsorganen findet (mehr dazu hier)– weist Parallelen mit dem internationalen Privatrecht auf (etwa der Brüssel I Verordnung), das den Zuständigkeitsbereich nationaler Gerichte auf Grundlage eines Nexus mit der die Verletzung verursachenden Partei bestimmt. Angewandt auf staatliche Schutzpflichten wird hier letztlich abgestellt auf die rechtliche und faktische Kontrolle, die ein Staat über in seinem Hoheitsgebiet operierende (Teile von) Unternehmen ausübt oder ausüben kann. Insoweit als Staaten verpflichtet werden sollen, über das in ihrem Hoheitsgebiet operierende Unternehmen Einfluß auf den gesamten Unternehmenskonzern und dessen globale Lieferketten zu nehmen, führt dies zu einer erheblichen Ausweitung des extraterritorialen Menschenrechtsschutzes zugunsten von Opfern in Drittstaaten unternehmerischer Tätigkeit.

Konflikte

Gegner einer international verbindlichen Regelung extraterritorialer Schutzpfichten – darunter auch die Europäische Union und der ehemalige VN Sonderbeauftragte John Ruggie – warnen unermüdlich vor der Gefahr damit verbundener politischer Konflikte, die den 2011 mit den VN Leitprinzipien erzielten globalen Konsens zu Wirtschaft und Menschenrechten unterminieren könnten. Diese Befürchtungen sind größtenteils historisch motiviert (die beliebte Saga der 2004 gescheiterten Norms on the Responsibilites of Transnational Corporations and Other Business Entities with Regard to Human Rights), könnten sich aber dank des Verhandlungs(un)geschicks der westlichen Staatengemeinschaft noch als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen. Aus rechtlicher Perspektive jedenfalls erweisen sich die erhobenen Bedenken als wenig überzeugend.

Zum einen hat der ehemalige VN Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte John Ruggie mehrfach auf die Bedeutung sogenannter innerstaatlicher Maßnahmen mit extraterritorialem Effekt („domestic measures with extraterritorial implications“) hingewiesen, die Unternehmen über Staatsgrenzen hinaus zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichten sollen. Solche Maßnahmen erscheinen aus völkerrechtlicher Perspektive weit weniger problematisch als „jurisdiction exercised directly in relation to actors or activities overseas“, da hier der territoriale Nexus des Unternehmens zum Herkunftsstaat als Grundlage der Regulierung dient, „even though [such measures] may have extraterritorial implications“ (para 48). Das von der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe vorgelegte Diskussionspapier folgt also im Prinzip demselben Ansatz, der auch den VN Leitprinzipien zugrundelegt – oft als „parent-based“ oder „home-state“ Regulierung bezeichnet. Der Unterschied besteht allein darin, dass auf Grundlage der kompetenzrechtlichen Zulässigkeit innerstaatlicher Maßnahmen mit extraterritorialem Effekt eine entsprechende staatliche Schutzpflicht konstruiert wird.

Zum anderen ist der häufig geäußerte Vorwurf, extraterritoriale Regulierung würde in unzulässiger Weise in die Hoheitsrechte von Drittstaaten eingreifen, in seiner Pauschalität irreführend und falsch. In global vernetzten Wirtschaftsräumen sind extraterritoriale Auswirkungen nationalstaatlicher Regulierung an der Tagesordnung. So haben etwa – um ein aktuelles Beispiel zu nennen – deutsche Unternehmen im Zuge der Umsetzung der neuen EU Datenschutzverordnung begonnen, von Zulieferern und Vertragspartnern in Drittstaaten der Verordnung vergleichbare Standards zum Datenschutz zu verlangen. Ein derartiger „Export“ staatlicher Rechtsnormen durch private Unternehmen führt in der Regel nicht zu internationalen Konflikten, obwohl er sich außerhalb der traditionellen Rechtssetzungsinstrumente des Völkerrechts vollzieht. In bestimmten Rechtsbereichen, wie etwa dem Wettbewerbsrecht oder der Korruptionsbekämpfung, haben sich Staaten zudem schon lange über den Einsatz extraterritorialer Regulierung verständigt. Nur gilt dies – wie eine von dem ehemaligen VN Sonderbeauftragten in Auftrag gegebene Studie zeigt – eben (noch) nicht für den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Wiederum erscheint das Problem weniger die Zulässigkeit extraterritorialer Regulierung per se, sondern deren selektiver Einsatz in (wirtschaftsnahen) Rechts- und Politikfeldern.

Komplementarität

Mittlerweile ist weitgehend unbestritten, dass die Werthaftigkeit des 2011 erzielten globalen Konsenses zu Wirtschaft und Menschenrechten an der effektiven Implementierung der VN Leitprinzipien gemessen werden muss. In diesem Zusammenhang weisen Befürworter eines internationalen Vertrages zu Wirtschaft und Menschenrechten gerne auf die rechtlich unverbindliche Natur der VN Leitprinzipien hin. Hierbei wird oft übersehen, dass eine effektive Implementierung der Leitprinzipien von Seiten des Staates rechtlich verbindliche Maßnahmen zur Unternehmensregulierung fordert, die sich auch auf Unternehmenstätigkeiten außerhalb des staatlichen Hoheitsgebiets erstrecken. Nichts anderes ergibt sich aus der von der VN Arbeitsgruppe zu Wirtschaft und Menschenrechten veröffentlichten Anleitung zur Ausarbeitung nationaler Aktionspläne zu Menschenrechtsschutz und Unternehmensverantwortung. Territoriale Regulierung stößt in globalen Märkten schnell an ihre Grenzen – nicht zuletzt dort, wo (wie etwa bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen) global operierende Unternehmen von Regelungslücken, die sich aus kollektiven Handlungsproblemen auf zwischenstaatlicher Ebene ergeben, profitieren („free riding“).

Während hier zum Beispiel im Bereich der Regulierung unternehmerischer Offenlegungspflichten auf europäischer Ebene Fortschritte zu verzeichnen sind, werden die vorliegenden Nationalen Aktionspläne den Anforderungen der VN Leitprinzipien nicht gerecht, was auch für Deutschland gilt. Die überwiegend ablehnende Haltung gegenüber Regulierungstrumenten mit extraterritorialem Effekt steht im Widerspruch zur Tendenz der europäischen Nationalen Aktionspläne, unternehmensbezogene Menschenrechtsverletzungen überwiegend in den Empfängerländern europäischer Investitionen zu verorten. Begründet wird diese ablehnende Haltung häufig mit Hinweis auf die vorherrschende Rechtsunsicherheit im Bereich extraterritorialer Regulierung, den Schutz der souveränen Hoheitsrechte von Drittstaaten, und die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen (der Elefant im Raum seufzt …). Alle drei Problembereiche würden von einer international einheitlichen und verbindlichen Vereinbarung über die Grundlagen und Grenzen extraterritorialer Menschenrechtsverpflichtungen profitieren. Aus der Perspektive der internationalen Staatengemeinschaft würde der unilaterale Einsatz extraterritorialer Regulierung, wie er sich derzeit in der stückwerkhaften Implementierung der VN Leitprinzipien abzeichnet (in Großbritannien zur globalen Bekämpfung moderner Sklaverei, in Frankreich zur Verbesserung unternehmerischer due diligence in globalen Lieferketten, etc.), auf eine multilaterale rechtliche Grundlage gestellt. Auch europäische Unternehmen würden von dem so entstehenden (und so oft beschworenen) global level playing field profitieren, und sähen sich nicht länger dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Wettbewerbsvorteile durch die „Ausbeutung“ niedriger menschenrechtlicher Schutzstandards in den Empfängerländern europäischer Investitionen zu erkaufen.

 

Daniel Augenstein ist Associate Professor am Department for European and International Public Law der Universtät Tilburg.

 

Cite as: Daniel Augenstein, “Extraterritoriale Regulierung als Staatenpflicht: Kontext, Konflikte und Komplementarität”, Völkerrechtsblog, 3. August 2018, doi: 10.17176/20181005-172854-0.

Autor/in
Daniel Augenstein
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