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Die „Regulatory Cooperation” in TTIP

Demokratie einmal andersherum?

23.04.2015

Die Prämisse der Tagung „Freihandel versus Demokratie“ suggeriert recht provokativ einen Konflikt zwischen beiden Konzepten. Denknotwendig ist dies nicht per se, stellt das eine doch eine Wirtschaftsform und das andere eine Staatsform dar. Tatsächlich scheint der freie Handel zwischen demokratischen Staaten grundlegende gesellschaftliche Ziele wie Frieden und Wohlstand sogar zu befördern. Insbesondere verspricht der vorgesehene Abbau regulatorischer Handelshemmnisse laut einer Studie des Centre for Economic Policy Research angesichts des bereits vorherrschenden niedrigen Zollniveaus den größeren volkswirtschaftlichen Nutzen. Warum also sind Freihandelsabkommen wie TTIP auf beiden Seiten des Atlantiks so umstritten?

Die Angst vor Fremdbestimmtheit

Die Aussicht auf eine Verbesserung des Wohlstandniveaus insgesamt ist meist nur die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite zeigt, dass der internationale freie Handel eine Gesellschaft häufig in Gewinner und Verlierer aufspaltet. Diese berechtigte Angst, am Ende womöglich auf der Verliererseite zu stehen, verleitet viele zur Ablehnung der befürchteten gesetzgeberischen Fremdbestimmtheit, die aus einer transatlantischen „Regulatory Cooperation“ resultieren könnte. Das entsprechende Kapitel in TTIP geriet daher wenig überraschend in den Fokus der öffentlichen Kritik.

Die „Regulatory Cooperation“ in TTIP

Nach dem bisher bekannten Textvorschlag soll das Kapitel den institutionellen Rahmen für die künftige transatlantische Zusammenarbeit zum Abbau regulatorischer Handelshemmnisse beinhalten. Der Kommission schwebt hierzu die Schaffung eines verpflichtenden Verfahrens und einer Behördenstruktur vor, in deren Zentrum das „Regulatory Cooperation Body“ (RCB) stehen soll. Trotz der 16 Artikel umfassenden Institutionalisierung gesetzgeberischer Zusammenarbeit bleiben wichtige Detailfragen zum internen Verfahrensablauf und dem Verhältnis des RCB zu den Legislativorganen der Vertragspartner allerdings weiterhin offen. Geplant ist, das RCB mit Vertretern der Kommission und der entsprechenden amerikanischen Behörden (wahrscheinlich aus dem „Office of Information and Regulatory Affairs“, OIRA) zu besetzen. Es soll gleichzeitig Arbeitsforum und Kontrollorgan für die Zusammenarbeit sein und u.a. konkrete Gesetzesvorschläge ausarbeiten sowie neue Kooperationsfelder erschließen.

Damit wird das Abkommen um ein dynamisches Element zur Angleichung künftiger oder bereits bestehender – aber in TTIP noch nicht oder nicht abschließend geregelter – Handels- und Investitionsregelungen ergänzt – was aus rechtlicher Sicht auch Zündstoff in sich birgt. Konkret betrifft dies das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2, 10 Abs. 1 und 3 EUV). Das demokratietheoretische Problem der Verlagerung gesetzgeberischer Arbeit auf internationale Institutionen ist bereits aus der europäischen Integrationsgeschichte bekannt und war Gegenstand vieler verfassungsrechtlicher Verfahren. Auf der Unionsebene kann noch nicht auf eine so ausführliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden, was angesichts der noch relativ „jungen“ ausdrücklichen Verankerung des Demokratieprinzips in den Verträgen und dieser für die EU neuen Situation nicht verwunderlich ist.

Das Demokratie-Defizit

Die „Regulatory Cooperation“ offenbart  das im Tagungstitel anklingende grundlegende systemische Spannungsverhältnis: Demokratische Staaten bauen auf einer Legitimationskette von unten nach oben auf – alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und wird nur auf Zeit „verliehen“ – das Völkerrecht hingegen, welches größtenteils auf zwischenstaatlichen Verträgen basiert, die grundsätzlich unabhängig von innerstaatlichen Vorgängen langfristig bindend sind, weist einen „genossenschaftlichen Charakter“ auf. Dieses Spannungsverhältnis wird normalerweise durch die demokratisch legitimierende Ratifikation der Verträge aufgelöst. Auf Grund der erst durch die Arbeit des RCB entstehenden Dynamik – logischerweise stehen zum Ratifikationszeitpunkt weder die konkreten Gegenstände noch die Art und Weise (gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung) oder die Ergebnisse der Umsetzung fest – kann hierfür eine Ratifikation des TTIP-Abkommens nicht demokratisch legitimierend wirken. Plakativ ausgerückt: Würde man die bloße Ratifikation des geplanten Verfahrens und der Behördenstruktur schon als ausreichende demokratische Legitimation anerkennen, käme sie angesichts der Weite des Anwendungsbereichs einer Art „Blanko-Vollmacht“ gleich.

Auffällig ist zudem, dass der – verglichen mit dem CETA-Abkommen – höhere Grad an institutionalisierter gesetzgeberischer Zusammenarbeit bisher nicht durch eine gleichermaßen erhöhte demokratische Teilhabe flankiert wird. Dieses Defizit kann kaum durch die vorgesehene Einbeziehung von Interessenvertretern in den RCBinternen Verhandlungsprozess aufgewogen werden, da von ihnen keine rechtlich gleichwertige demokratische Legitimationswirkung ausgeht. Ihre Einflussnahme ist weder zwingend transparent ausgestaltet noch unterliegt sie periodischer Kontrolle durch Wahlen.

Die Umkehrung der Legitimationskette

Vielleicht erachtet die Kommission dies auch für unnötig, angesichts dessen, dass an mehreren Stellen betont wurde, das RCB stelle keine Vorstufe oder zusätzliche Stufe der Gesetzgebung dar und lasse die gesetzgeberische Unabhängigkeit unberührt (vgl. Art. 14 Abs. 2 lit. c) Textvorschlag der Kommission). Mangels Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen – was nebenbei bemerkt wahrscheinlich auch gar nicht mehr von der Kompetenzgrundlage (Art. 207 AEUV) gedeckt wäre – mag diese Einschätzung formal zutreffend sein. Sie missachtet jedoch den faktischen Druck, der von aufwendig ausgehandelten Gesetzesentwürfen ausgeht, bei denen jede Abänderung im Gesetzgebungsverfahren ihren Sinn – die Harmonisierung – wieder zunichtemachen würde. Dies erzeugt die durchaus realistische Gefahr, dass wesentliche gesetzgeberische Weichenstellungen in einem nicht gewählten Gremium entschieden und somit die demokratische Legitimationskette quasi umgedreht – sprich Regularien von oben (dem internationalen „Überbau“) nach unten aufoktroyiert würden. Das europäische und die mitgliedstaatlichen Parlamente könnten zum bloßen „Abnicken“ degradiert werden, was schwerlich mit dem materiellen Gehalt des Demokratieprinzips zu vereinbaren ist. Außerdem stellt die verpflichtende, formalisierte Zusammenarbeit durchaus eine Ergänzung des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens dar, vor allem weil das Vorhaben über bloße Informations- und Notifikationspflichten wie sie aus dem WTO-Recht bekannt sind hinausgehen soll.

Schlussendlich verdient die Bewahrung demokratischer Kontrolle im Bereich nicht-tarifärer Handelshemmnisse größere Beachtung, weil damit häufig wichtige Ziele des Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltschutzes verfolgt werden, die offensichtlich die Bevölkerung ebenso tangieren wie die Verbesserung des Wohlstandsniveaus. Ein gangbarer Weg dahin könnte die frühzeitige Beteiligung von Vertretern der Parlamente beispielsweise durch Anhörungs- und Fragerechte im RCB verbunden mit einer Präzisierung der möglichen Anwendungsbereiche für die „Regulatory Cooperation“ sein.

 

Corinna Dornacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiterin an der Universität Passau.

Dieser Beitrag ist Teil des Symposiums Trademocracy vom Völkerrechtsblog und JuWiss. Weitere Beiträge werden ebenfalls auf Juwiss erscheinen. Parallel zu diesem Post erscheint auf JuWiss der Beitrag von Henner Gött.

Cite as: Corinna Dornacher, “Die „Regulatory Cooperation” in TTIP”, Völkerrechtsblog, 23 April 2015, doi: 10.17176/20170403-223005.

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2 Kommentare
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