„Das kommt jetzt aber ungelegen.“
Klimabedingte Migration und die gegenwärtige Diskussion um Flüchtlingsschutz
Im Juli 2015 veranstalteten der FlüchtlingsforschungsBlog und der Völkerrechtsblog gemeinsam eine Beitragsserie zur klimabedingten Flucht. In sechs Beiträgen diskutierten WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen die Zusammenhänge von Klimawandel und Zwangsmigration. Ausgangspunkt der Diskussionen war die Beobachtung, dass Klimaveränderungen in vielfältiger Weise die Lebensgrundlagen von Menschen beeinträchtigen, sei es durch langsame Veränderungsprozesse oder plötzliche Katastrophen. Zwar lassen sich eindeutige Kausalitäten zwischen Klimawandel und einzelnen Wetterereignissen kaum nachweisen, der generelle Zusammenhang ist jedoch unbestritten.
Wenn wir die Reihe nun fünf Monate später noch einmal aufgreifen, hat das zwei Gründe: Zum einen wird Ende November die UN Klimakonferenz in Paris stattfinden, bei der das Thema klimabedingter Flucht eine Rolle spielen und in das zu unterzeichnende Abkommen Eingang finden sollte. Die Aussichten der Klimakonferenz und die Rolle der klimabedingten Migration dabei wird Romina Ranke in einem Beitrag kommende Woche diskutieren. Zum anderen macht die Rückschau nach drei Monaten deutlich, in welch erschreckender Weise sich die Ausrichtung der öffentlichen Diskussionen in dieser kurzen Zeit verschoben hat. Wir erleben mit, wie in rasanter Geschwindigkeit rechtliche Garantien zum Schutz von Flüchtlingen eingeschränkt werden. Die Überlegungen sind in immer stärkerem Maße darauf konzentriert, Grenzen zu „sichern“ und die Zahl der Schutzberechtigten zu begrenzen. Die Forderung, einen größeren Personenkreis als die momentan nach rechtlicher Definition anzuerkennenden Flüchtlinge in den Blick zu nehmen, klingt heute kühner als im Juli.
Doch den Klimawandel wird die Überforderung in Europa nicht beeindrucken. Seit Jahren bestehen Vorhersagen über wachsende Wüsten, untergehende Inselstaaten und zunehmende Wetterkatastrophen. In manchen Fällen werden diese auf den Klimawandel zurückzuführenden Veränderungen selbst zur Ursache von Flucht oder notwendiger Migration. In anderen Fällen verursachen oder verstärken die Ereignisse gewaltsame Konflikte, die wiederum Menschen zur Flucht zwingen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden in den kommenden Jahren also mittelbar oder unmittelbar zu Fluchtbewegungen beitragen – daran ändert selbst ein verbesserter Klimaschutz nichts mehr. Dabei erscheint die in den letzten Wochen vielbeschworene „Bekämpfung von Fluchtursachen“ vor diesem Hintergrund leicht als Fassadenäußerung. Für die Klimaveränderungen, die überdurchschnittlich stark Regionen des Globalen Südens treffen, tragen allen voran die industrialisierten Staaten die Verantwortung.
Auf diesen Zusammenhang verweist auch Walter Kälin in einem Interview in der Blogserie. Er berichtet darin von der Arbeit mit der Nansen-Initiative, die zum Ziel hat, Vorschläge für einen internationalen Umgang mit klimabedingter Flucht zu entwickeln. Nach Konsultationen in diversen Inselstaaten im Pazifik, die stark vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind, betont Kälin den Aspekt der Umweltgerechtigkeit und die Notwendigkeit finanzieller Unterstützung für Maßnahmen der Anpassung an den Klimawandel und der Risikoreduktion.
Doch finanzielle Unterstützung wird nicht verhindern, dass aus den Klimaveränderungen auch größere Flucht- und Migrationsbewegungen entstehen. In ihrem Beitrag plädierte Helene Ragheboom daher für ein internationales Abkommen sui generis, also einen Vertrag, der spezifisch die Zusammenhänge von Klimawandel und Zwangsmigration in den Mittelpunkt stellt. Dadurch würden bestimmte Maßnahmen und Richtwerte festgesetzt werden, an die sich Staaten halten müssten. Im Zuge der aktuellen Entwicklungen erweist sich dieser Ansatz mehr denn je als relevant.
In der Tat sind die Zusammenhänge von Klimawandel, (Zwangs-)Migration und Konflikten vielfältig und komplex, wie Christiane Fröhlich und Michael Brzoska in ihrem Beitrag näher beleuchteten. Dass sich kaum eindeutige Kausalzusammenhänge herstellen lassen, sollte aber nicht über die drängenden Fragen hinwegtäuschen, welche die klimabedingte Flucht aufwirft. Sophia Wirsching berichtete aus der Praxis der humanitären Arbeit im Bereich von Naturkatastrophen und betonte, dass extreme Wetterereignisse ebenso wie langsame Umweltveränderungen zunehmen und in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Menschen zwingen werden, ihre Heimat zu verlassen.
Nach allem, was wir über Klimawandel und die stattfindenden und voraussichtlichen Umweltveränderungen wissen, werden also nicht weniger, sondern mehr Menschen in den kommenden Jahren Schutz in anderen Staaten suchen. Viele von ihnen werden in den Herkunftsregionen bleiben, schon heute finden fast 90 Prozent der Flüchtlinge weltweit in Staaten des Globalen Südens Aufnahme. So dringend finanzielle Unterstützung dabei ist, so wenig kann eine internationale Verantwortungsteilung sich darauf beschränken. Von Europa, Nordamerika und Australien kann und wird mehr verlangt werden.
Doch diese Perspektive steht – zugegebenermaßen – quer zu allem, was wir in den letzten Monaten erlebt haben. Auf Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommend Schutz in Europa suchen, reagiert die Europäische Union mit immer stärkeren Bemühungen die Außengrenzen unpassierbar zu machen, und nimmt dabei eine anhaltende Katastrophe mit mehreren Tausend Toten allein in diesem Jahr in Kauf. Innerhalb Europas gelingt kein gemeinsames Vorgehen, in kürzester Zeit hat sich der Diskurs nationalisiert, und statt einer koordinierten Versorgung stehen innerstaatliche Interessen im Vordergrund. Die dennoch getroffenen Vereinbarungen konzentrieren sich auf den Versuch, Nachbarstaaten wie die Türkei dazu zu bewegen, Flüchtlinge von der Fahrt nach Europa abzuhalten.
Kurzum: Es scheint ein schwieriger Moment zu sein, um auf die zunehmende Rolle des Klimawandels für Fluchtbewegungen hinzuweisen. Das verringert aber keineswegs die Relevanz und Reichweite des Themas – umso wichtiger ist es, dass das Abkommen der Pariser Klimakonferenz diesen Zusammenhang benennt. Denn Verleugnung wird nichts an der Tatsache ändern, dass Menschen aufgrund von Klimaveränderungen fliehen; und dass wir ihnen Schutz bieten müssen.
Ulrike Krause ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg und leitet die Redaktion des Flüchtlingsforschungsblogs.
Dana Schmalz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Berlin/Heidelberg.
Der Beitrag erscheint parallel auf dem FlüchtlingsforschungsBlog.
Cite as: Dana Schmalz & Ulrike Krause, “„Das kommt jetzt aber ungelegen.“ : Klimabedingte Migration und die gegenwärtige Diskussion um Flüchtlingsschutz”, Völkerrechtsblog, 26 November 2015, doi: 10.17176/20171004-102621.
Dana Schmalz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg/Berlin und Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Photo credit: © UOS|ZePrOs|Simone Reukauf
Ulrike Krause ist Juniorprofessorin für Flucht- und Flüchtlingsforschung am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) und am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück sowie affiliierte Research Associate am Refugee Studies Centre der University of Oxford.