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Alle Wege führen nach Dublin

Über die rechtswidrige Rückschiebung eines afghanischen Flüchtlings nach Griechenland

22.08.2019

Im Jahr 2018 einigte sich Deutschland mit Griechenland in Form eines Verwaltungsabkommens darauf, dass aus Griechenland über Österreich nach Deutschland einreisende Flüchtlinge unter bestimmten Voraussetzungen unverzüglich nach Athen zurückgeführt werden dürfen. Im Zuge dessen verweigerte die Bundespolizeidirektion einem aus Afghanistan stammenden Flüchtling nach einer Kontrolle die Weiterreise und sorgte für seine Rückführung nach Griechenland, wo er zuerst einen Asylantrag gestellt hatte. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes geht nun das Verwaltungsgericht München davon aus, Deutschland habe durch die Maßnahme geltendes (Völker- und Europa-)Recht verletzt.

Gemäß dem Abkommen darf Deutschland Personen unter folgenden Voraussetzungen die Einreise verweigern und Verbringung nach Griechenland anordnen: Die Person muss bei einer Kontrolle an der Grenze zwischen Österreich und Deutschland identifiziert und die Einreise abgelehnt worden sein. Des Weiteren muss die Person internationalen Schutz begehren. Ein Eintrag nach dem 1. Juli 2017 in das Eurodac-System (Eurodac-Treffer der Kategorie I) muss zudem darauf hinweisen, dass die Person bereits Schutz in Griechenland beantragt hat. Dieses Abkommen ist rechtlich problematisch, sowohl im Hinblick auf einen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Non-Refoulement-Grundsatz als auch gegen die unionsrechtliche Dublin-III-Verordnung.

Der Non-Refoulement-Grundsatz (z.B. gemäß Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention) besagt, dass Staaten Flüchtlinge nicht ausweisen dürfen, wenn in ihren Herkunftsstaaten ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht wären. Im vorliegenden Fall bestehen schon aufgrund der Sicherheitslage in Afghanistan erhebliche Zweifel daran, dass eine Rückführung ohne weiteres zulässig wäre. Allerdings würde Deutschland den Asylbewerber nicht unmittelbar nach Afghanistan überführen, sondern lediglich nach Griechenland. Im Hinblick auf eine Asylprüfung Griechenlands darf Deutschland, auf Grund der EU-Regelungen bzgl. des  gemeinsamen europäischen Asylsystems, grundsätzlich auf eine ordnungsgemäße Verfahrensführung vertrauen. Das gilt allerdings nur, sofern kein begründeter Verdacht für das Gegenteil, in Form mehr als geringfügiger Verstöße besteht. (s. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, paras. 75-86). Genau dies ist jedoch der Fall. Der EGMR hat  festgestellt, dass Asylverfahren in Griechenland an erheblichen systemischen Mängeln leiden (para. 89). Dies lasse den Rückschluss zu, dass Griechenland eine ordnungsgemäße Einzelfallprüfung regelmäßig nicht durchführt und dementsprechend gegen das Non-Refoulement-Gebot verstößt. Von Mängeln sowohl bei der Unterbringung der Asylbewerber als auch der Bearbeitung des Asylantrags geht auch das Verwaltungsgericht München im konkreten Fall aus. Da diese Situation bereits seit Jahren besteht und sich verlässlichen Berichten zufolge bis heute nicht wesentlich verbessert hat, musste sich Deutschland bei Abschluss des Abkommens der Problematik bewusst sein. Deutschland hätte daher schon im Rahmen des Abkommen sicherstellen sollen, dass es zu keiner Verletzung von Asylrecht kommt.

Des Weiteren besteht eine Diskrepanz zu den Regelungen der Dublin-III-Verordnung über die Zuständigkeit der Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem EU-Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz. Danach ist Deutschland grundsätzlich berechtigt, eine Person, die bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat, zurückzusenden, sodass Griechenland weiterhin für die Erledigung zuständig bleibt (vgl. Art. 23 Abs. 1 der Verordnung). Eine Ausnahme gilt jedoch nach Art. 3 Abs. 2 UA. 2 der Verordnung dann, wenn wesentliche Gründe für die Annahme bestehen, dass das Asylver­fahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Be­handlung mitsichbringen.

Darüber hinaus mahnt das Gericht zutreffend an, dass eine übermäßig restriktive Auslegung des Begriffs der “Einreise” in der Dublin-III-Verordnung oder im Verwaltungsabkommen nicht zulässig ist. Befindet sich eine Person bereits jenseits der Grenze etwa in der nächsten Ortschaft, so ist sie regelmäßig so anzusehen als sei sie bereits eingereist. Das Gericht problematisiert des Weiteren Maßnahmen im Rahmen sogenannter „Pre-Dublin-Verfahren“. Darunter versteht man besondere Verfahrensregelungen hinsichtlich der Bestimmung des für die Durchführung des Dublin-Verfahrens zuständigen Mitgliedstaates. Ein solches Zuständigkeitsbestimmungsverfahren ist jedoch bisher weder rechtlich verankert, noch ist ein solches Konstrukt zulässig, sofern es Verfahrensrechte des Antragstellers aus der Dublin-III-Verordnung beschneidet (vgl. auch Erwägungsgründe 2 und 3 Dublin-III-Verordnung). Das Gericht stellt letztlich erfreulicherweise deutlich klar, dass in eine ähnliche Richtung zielende politische Maßnahmen wie etwa sog. „Transitzonen“ aus eben diesen Gründen mit geltendem Recht nicht vereinbar sind.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München stellt den effektiven Rechtsschutz Schutzsuchender sicher, es ist eine überzeugende Entscheidung. Sie zeigt auch allgemein, dass Verwaltungsabkommen zur Beschleunigung von Asylverfahren nicht unproblematisch sind. Sie sind stets vor dem Hintergrund der Sicherstellung geltender Verfahrensrechte der Asylbewerber kritisch zu hinterfragen. Eine Beschleunigung des Verfahrens ist nur soweit akzeptabel, wie sie auch die Rechte von Betroffenen wahrt.

 

Shaira-Hena Osman und Stephan Koloßa sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum.

 

Dieser Post erscheint als Teil einer Zusammenarbeit zwischen dem IFHV und dem Völkerrechtsblog.

 

Cite as: Shaira-Hena Osman & Stephan Koloßa, “Alle Wege führen nach Dublin”, Völkerrechtsblog, 22 August 2019, doi: 10.17176/20190822-201124-0.

Autor/in
Stephan Koloßa

Stephan Koloßa is a PhD Candidate at Ruhr University Bochum’s Institute for International Law of Peace and Armed Conflict (IFHV).

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