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Völkerrecht verstehen – Wie gewinnen wir die anderen 99%?

09.03.2016

Kein anderes Rechtsgebiet eignet sich so gut wie das Völkerrecht, um Studierende dort abzuholen, wofür sie sich im Alltag und in ihrer Freizeit interessieren und begeistern. Zudem können Analogien und Abgrenzungen zu anderen Fächern – die Besonderheiten des Völkerrechts, die oftmals als Schwachstellen wahrgenommen werden – für das Verständnis der Materie nutzbar gemacht werden.

Das Völkerrecht nimmt als horizontales, zwischenstaatliches Rechtssystem ohne feste Rechtsdurchsetzung nicht bloß fachlich eine besondere Stellung innerhalb der Rechtswissenschaft ein. Während es in Deutschland und in vielen Lehrplänen der Schweiz überhaupt nur unter den Wahlfächern rangiert, gilt es in Österreich zumindest in den Augen der Studierenden als „Nebenfach“, was sich leider auch in der geringen Stundenbemessung innerhalb der Curricula wiederspiegelt.

Lehrende des Völkerrechts stehen daher vor einer zweifachen Herausforderung: Zum einen gilt es, die ewige Frage nach dem „-recht“ im Terminus „Völkerrecht“ zu klären; zum anderen gilt es, das Fach neben der Vielzahl – zumindest in der Wahrnehmung der Studierenden – praxisrelevanterer öffentlich- und privatrechtlicher Fächer zu vermitteln.

Natürlich gibt es in jedem Jahrgang eine feste Quote an völkerrechtlich begeisterten Studierenden, die gerne im auswärtigen Bereich des Staatsdienstes, in internationalen Organisationen oder im Bereich der Menschenrechte ihre Berufung sehen. Die sind schon für die Sache gewonnen.

Die Frage aber, die sich Lehrende stellen müssen, ist dieselbe, die sich jeder erfolgreiche Verkäufer stellen muss: Wie gewinnen wir die anderen 99%? Unsere These ist, dass sich kein anderes Rechtsgebiet so gut eignet wie das Völkerrecht, um Studierende dort abzuholen, wofür sie sich im Alltag und in ihrer Freizeit interessieren und begeistern.

Vorwissen nutzbar machen

Vorwissen spielt eine maßgebliche Rolle für das Verständnis neuer Bereiche. Aus dieser Annahme lassen sich für die Lehre zwei wesentliche Grundsätze ableiten.

Zum einen ist das Bewusstsein hinsichtlich des durchschnittlichen Wissensstands Studierender im Völkerrecht zentral. Wie in anderen Bereichen führt der Einsatz völkerrechtlicher Konzepte und Fachsprache zu Erklärungszwecken eher dazu, auf die Diskrepanz zwischen dem Wissen der Lehrenden und der Studierenden hinzuweisen, als diese zu vermindern. Als stereotypes Beispiel solcher Erklärungsversuche mögen jene des IT-Technikers herhalten, die beim Laien oftmals eher zu Frustration als zu Erkenntnisgewinn führen. Gleichfalls können Lehrende des Völkerrechts in die Falle tappen, das Völkerrecht anhand des Völkerrechts zu erklären.

Zum anderen kann Vorwissen in vielfacher Hinsicht im Unterricht nutzbar gemacht werden. Lernprozesse werden durch Rückgriff auf Bekanntes wesentlich erleichtert. Dies kann nicht nur durch den gezielten Einsatz alltäglicher Beispiele, sondern auch durch Analogiebildungen unterstützt werden.

In der Lehre des Völkerrechts lässt sich diese Erkenntnis sowohl strukturell, als auch inhaltlich umsetzen:

Strukturell kann zur Einteilung der Rechtsmaterie etwa auf die zwar bekannte, im Völkerrecht jedoch unübliche Unterscheidung zwischen Allgemeinem Teil und Besonderem Teil zurückgegriffen werden. Entsprechend umfasst der Allgemeine Teil den „formellen Rahmen“, die Quellen und Rechtssubjekte, des Völkerrechts und der Besondere Teil die Rechte und Pflichten in den unterschiedlichen völkerrechtlichen Regelungsgebieten sowie die Konsequenzen deren Nichteinhaltung.

Inhaltlich kann vor allem auf bekannte Rechtsfiguren aus dem innerstaatlichen Recht zurückgegriffen werden. So lassen sich etwa hilfreiche Vergleiche zwischen dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben im innerstaatlichen Recht und im Völkerrecht, den Anknüpfungspunkten für die Ausübung der Jurisdiktion im Kollisionsrecht und im Völkerrecht, dem römisch-rechtlichen Schadenersatzrecht (der lex aquilia) und dem Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit oder zwischen Willensmängeln und Beendigungsgründen im innerstaatlichen und völkerrechtlichen Vertragsrecht ziehen. Ebenso kann die weitgehende Ähnlichkeit zwischen innerstaatlichem und völkerrechtlichem Selbstverteidigungsrecht – mitsamt der Rolle des Sicherheitsrats als quasi-Weltpolizei, weil Selbstverteidigungshandlungen theoretisch nur so lange gestattet sind, bis er Maßnahmen ergreift – als Analogie zum innerstaatlichen Recht herangezogen werden.

Vorwissen kann allerdings auch verwirren. Entsprechend ist es ebenso zentral, weitverbreitetes unrichtiges Vorwissen und mögliche falsche Assoziationen zu erkennen und ihnen aktiv entgegenzuwirken. Beispiele hierfür sind etwa die den Besuchern der UNO-City in Wien meist vermittelte Information, diese gehöre nicht zum österreichischen Staatsgebiet, oder die unterschiedliche Bedeutung von Begriffen wie etwa „Immunität“, „Gesandter“ oder „due diligence“ im innerstaatlichen Recht und im Völkerrecht.

„Cultural References“

Die Vermittlung des Völkerrechts erlaubt jedoch nicht bloß, die Studierenden dort abzuholen, wo sie fachlich stehen. Vielfach ist nicht bekannt, wie präsent diese Rechtsmaterie auch in Bereichen ist, die ansonsten eher der Zerstreuung als dem Studium dienen. Der Fundus an möglichen „cultural references“ zu Film und Fernsehen ist nirgendwo so groß wie im Völkerrecht. Zudem können diese im Unterricht durch Bedienung anderer Sinnesorgane einen enormen didaktischen Mehrwert leisten.

Das Auge übertrumpft alle anderen Sinnesorgane; laut dem Molekularbiologen John Medina braucht der Sehsinn die Hälfte der Kapazitäten unseres Gehirns. Folglich lernen wir daher am besten über bewegte und auch unbewegte Bilder, nicht über geschriebene oder gesprochene Worte.

Vor allem politisch und diplomatisch brisante völkerrechtliche Fragestellungen werden äußerst oft in Filmen, Serien oder Dokumentationen thematisiert. Diese lassen sich in Form von Kurzclips, etwa via YouTube-Videos oder auch durch kurze Ausschnitte von Filmen hervorragend in den Unterricht einbauen, um ein Thema einzuleiten oder näher zu besprechen.

Insbesondere Fehler und Ungenauigkeiten in der Darstellung der Rechtslage beziehungsweise rechtswidriges Verhalten können dabei als Diskussionsgrundlage dienen. Beispiele umfassen etwa die klar gegen die elementaren Grundsätze der WDK verstoßende Behandlung eines Missionschefs in der US-Krimiserie „Columbo“ (5. Stafel, 2. Folge: „A Case of Immunity“) oder die Erpressung eines saudischen Diplomaten in der US-Serie „Homeland“. Für die Grundsätze der friedlichen Streitbeilegung und die Abgrenzung zum internationalen Strafrecht eignet sich wiederum das Verfahren gegen Krusty den Clown – und somit gegen ein Individuum und nicht gegen einen Staat – vor dem Internationalen Gerichtshof bei den „Simpsons“.

Es gibt aber auch Positivbeispiele. Der Film „Argo“ etwa fasst in den ersten Minuten beinahe den gesamten Teheraner Geisel-Fall mitsamt den entscheidenden Fragen zusammen. So versuchen die US-Botschaftsmitarbeiter verzweifelt, die iranischen Behörden zu erreichen, woraufhin sich die Erkenntnis einstellt, dass keine Hilfe erfolgen wird; ebenso sieht man eine iranische Sicherheitskraft, die trotz der Eskalation der Lage in Inaktivität verharrt. Auch diplomatische Notfallmaßnahmen wie die Zerstörung unverletzlicher Dokumente sind zu sehen.

In „House of Cards“ wird wiederum die Möglichkeit einer „Emergency Session“ der Generalversammlung auf Grundlage der berühmten „Uniting for Peace“-Resolution ins Spiel gebracht (wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der Handlungsstrang den realpolitischen Gepflogenheiten widerspricht; eine aus russischen und US-amerikanischen Truppen bestehende Peacekeeping-Operation im Jordangraben grenzt an Science-Fiction).

Ein letztes Beispiel, das sich in der Lehre bewährt hat, sind die Kampfszenen aus dem Film „Saving Private Ryan“, die sich hervorragend unter dem Gesichtspunkt des humanitären Völkerrechts beurteilen lassen (freilich unter der Annahme, die heutige Rechtslage auf den Zweiten Weltkrieg anzuwenden).

Zuletzt sind auch offizielle Videos von Ansprachen, Stellungnahmen und Konferenzen zu erwähnen. So etwa die jüngsten Reden im Rahmen der letzten UN-Generalversammlung von Barack Obama oder Wladimir Putin, in denen das Völkerrecht beziehungsweise die Rolle der Vereinten Nationen betont wurde. Oft zeigt sich, dass diese Reden auf umso mehr Interesse stoßen, wenn man mit den Studenten die damit zusammenhängenden Hintergründe bespricht.

 

Markus Beham ist uni:docs Stipendiat am Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien. Melanie Fink ist DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an den Universitäten Leiden und Wien (‘cotutelle de thèse’). Ralph Janik ist Universitätsassistent (prae doc) an der Abteilung für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Wien. Sie sind Autoren des 2015 im Facultas Verlag erschienenen Lehrbuchs Völkerrecht verstehen.

 

Cite as: Markus Beham, Melanie Fink & Ralph Janik, “Völkerrecht verstehen – Wie gewinnen wir die anderen 99%?”, Völkerrechtsblog, 9 March 2016, doi: 10.17176/20171123-094949.

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