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Sind die Menschenrechte in Zukunft noch Menschen-Rechte?

13.05.2014

Diese Frage mag auf den ersten Blick tautologisch anmuten – wessen Rechte außer jene des Menschen sollten Menschenrechte denn sein? Menschenrechte sind – so indiziert es der Begriff doch bereits sprachlich – universelle Rechte, die allen Menschen qua Menschsein gleichermaßen angeboren sind, d.h. die jeder Mensch allein aufgrund seines Menschseins besitzt. Doch sind die fundamentalen Rechte, die unter dem Begriff der Menschenrechte firmieren, konzeptionell notwendig Menschen-Rechte? Impliziert das für die Menschenrechte konstitutive Merkmal der Universalität („alle Menschen“) auch deren Exklusivität („nur Menschen“)? Konkreter: Können neben Menschen auch andere Tiere Träger von „Menschenrechten“ sein?

Menschenrechte setzen nicht zwingend ein vernunftbegabtes Subjekt voraus

Aus der Sicht des geltenden Rechts und der herrschenden Meinung fällt die Antwort eindeutig negativ aus: Tiere können keine Rechte haben, geschweige denn Menschenrechte. Zu einem solchen Ergebnis kommt man einerseits, indem begründungstheoretisch direkt auf das biologische Menschsein abgestellt wird. Allerdings setzen sich biologistische Erklärungsversuche heutzutage – in Anlehnung an andere ungerechtfertigte Differenzierungen aufgrund bloß biologischer Merkmale, etwa Rassismus oder Sexismus – zunehmend dem Vorwurf des „Speziesismus“ aus, von dem sie sich aus ethischer Sicht kaum rehabilitieren können. Von einer direkten Bezugnahme auf Spezies wird denn auch meist abgesehen und stattdessen eine essentiell menschliche Eigenschaft hervorgehoben, welche einen privilegierten normativen Status des Menschen in der Form von Würde und Rechtsträgerschaft rechtfertigen soll (siehe z.B. Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt …“). Derartige essentialistische Begründungstheorien identifizieren typischerweise die Vernunftnatur des Menschen als differentia specifica, welche den Menschen als rational-autonomen Akteur von der restlichen Natur abhebt. Tatsächlich fungierte der (vermeintliche) Mangel an Vernunft historisch als wirkmächtiges Werkzeug zur ontologischen Trennung von Menschen und anderen Tieren und als Rechtfertigung für den Ausschluss von Tieren (sowie von „animalisierten“ Menschen) aus der Rechtsgemeinschaft.

Eine solche, auf (fehlende) Vernunftfähigkeit rekurrierende Argumentation ist indes unvereinbar mit dem geltenden Menschenrechtsparadigma, dessen Schlüsselmerkmal und emanzipatorischer Fortschritt es ist, dass die Menschenrechte allen Menschen bedingungslos zustehen, ungeachtet individueller geistigerFähigkeiten. Eben diese unhintergehbare egalitäre Errungenschaft gebietet es, als Subjekt der Menschenrechte das kantische, rational-autonome Subjekt durch ein neutrales Subjekt frei von partikularen Merkmalen wie intellektuellen Fähigkeiten zu substituieren. Fehlende Vernunftfähigkeit führt augenscheinlich nicht zur Aufhebung der Menschenrechte von prä-, post- oder nonrationalen Menschen. Wie kann mangelnde Vernunftfähigkeit dann aber eine glaubhafte Basis liefern, um Tieren fundamentale Rechte kategorisch vorzuenthalten? Es ist genau die Universalität der Menschenrechte, welche es erfordert, von der Anknüpfung an rationale Qualitäten der Rechtsträgerin abzusehen und welche die vernunftrechtlich begründete Exklusivität der Menschenrechte (in dem Sinne, dass sie nur Menschen zukommen können) dadurch entplausibilisiert.

Menschenrechte schützen vulnerable Subjekte

Rein metaphysische, ahistorische Begründungstheorien übersehen außerdem einen weiteren wesentlichen Aspekt der Menschenrechte, dessen Beachtung für die vorliegende Fragestellung überaus aufschlussreich ist. Historisch betrachtet hat sich die vergleichsweise junge Institution der Menschenrechte auch als Schutzinstrument gegen und emanzipatorische Reaktion auf menschliche Leid- und Unrechtserfahrungen – verursacht durch Kriege, Sklaverei, Genozid und verschiedene Formen der Diskriminierung – herausgebildet. Insbesondere im Völkerrecht wurden die Menschenrechte erst infolge des Grauens des Zweiten Weltkriegs und des durch ihn verursachten Massenelends sowie im Zuge der Dekolonialisierung endgültig institutionalisiert. In dieser Hinsicht interessant ist, dass die für die Entstehung der Menschenrechte mitursächlichen Gewalterscheinungen in engem Zusammenhang zur normalisierten kollektiven Gewalt gegen Tiere stehen könnten. Beachtenswert ist hier folgende Passage aus Theodor W. Adornos Minima Moralia:

„Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom. Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Menschen trifft. Der Trotz, mit dem er diesen Blick von sich schiebt – ‚es ist ja bloß ein Tier‘ –, wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das ‚Nur ein Tier‘ immer wieder sich bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten.“

Diese Beobachtung scheint nahezulegen, dass Menschenrechte – figurativ ausgedrückt – solange auf unsicheren Füssen stehen, wie fundamentale Interessen der Tiere mit Füssen getreten werden. Tatsächlich kann in Tieren eine Art Testgruppe für gesellschaftliche Barbarei erkannt werden: Solange sich unsere Gesellschaft darin übt, Empathie selektiv abzustumpfen und (unnötige) Gewalt und Leidzufügung zu rationalisieren, kann diese an Tieren kultivierte Praxis der moralischen Dissonanz und Gleichgültigkeit jederzeit auf „animalisierte“ Menschengruppen überschießen (auf einen Verrohungseffekt hat bereits Immanuel Kant hingewiesen). Dieser Zusammenhang zwischen Menschenrechten und „Tierrechten“ ist einleuchtend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Menschenrechte den Menschen nicht nur als (extraordinäres) Vernunftwesen, sondern auch ganz profan als (ordinäres) Tier schützen – als verletzbaren, quälbaren Körper, der Schmerz, Leid, Freude und Trauer erfahren und sterben kann. Diese Vulnerabilität gibt Anlass zu Schutz durch Rechte (zu denken ist etwa an das Recht auf Leben, das Verbot grausamer oder unmenschlicher Behandlung oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit, insbesondere im Sinne eines Anspruchs auf Freiheit von vermeidbaren Schmerzen und Leiden). Auf dieser grundlegenden Ebene beziehen sich Menschenrechte nicht so sehr auf ein vernunftbegabtes, sondern vielmehr auf ein verletzbares Subjekt. Die hier ausschlaggebende leibliche Vulnerabilität ist aber keineswegs ein Spezifikum menschlichen Lebens, sondern ein gemeinsames Merkmal allen empfindungsfähigen Lebens (dass auch viele Tiere empfindungs- und bewusstseinsfähig sind, kann nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht ernsthaft angezweifelt werden (siehe z.B. die Cambridge Declaration on Consciousness, und ist auch im nationalen und internationalen Recht anerkannt (siehe nur Art. 13 AEUV: „Tiere als fühlende Wesen“)).

Menschenrechte sind auch Tierrechte

So betrachtet scheinen manche Menschenrechte nicht spezifisch Menschen-Rechte zu sein, sondern eine Art besonders fundamentaler Rechte zum Schutz vor (in der empfindenden Tierwelt ubiquitären) Schmerzen, Leiden und Qualen. Tiere sind unter diesem Gesichtspunkt geradezu prädestinierte Kandidaten für gewisse, elementare Menschenrechte – umso mehr, als sie nicht nur die für den Schutzzweck mancher Menschenrechte maßgebliche Verletzbarkeit teilen, sondern überdies schutzbedürftige Opfer einer beispiellosen, institutionalisierten und bis dato andauernden Unterwerfung, Ausbeutung und Massentötung sind (global werden jährlich z.B. über 60 Milliarden Landtiere allein für die Nahrungsmittelproduktion getötet).

Um abschließend auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Nein, Menschenrechte sind konzeptuell betrachtet nicht Rechte des Menschen – zumindest nicht ausschließlich. Dieser Begriff ist insofern irreführend, denn in gewissen Aspekten, insbesondere in Bezug auf die körperliche Unversehrtheit und das Leben, sind Menschenrechte genauso wenig Menschen-Rechte, wie die „rights of man“ Männer-Rechte waren (entsprechend schlägt Alasdair Cochrane den Alternativbegriff „sentient rights“ vor). Für die Zukunft des Völkerrechts ist hiernach zu erwarten, dass das gegenwärtige (historisch kontingente und daher wandelbare) Menschenrechtsparadigma überwunden wird – nicht im Sinne eines antihumanistischen Rückfalls, sondern im Sinne einer dialektischen Weiterentwicklung der Menschenrechte zu „Menschen- und Tierrechten“.

 

Eine Replik zum Beitrag findet sich hier.

 

Saskia Stucki, MLaw, ist Koordinatorin des Doktoratsprogramms „Law and Animals“ der Juristischen Fakultät der Universität Basel und derzeit Human-Animal Studies Fellow an der Wesleyan University.

 

Cite as: Saskia Stucki, “Sind die Menschenrechte in Zukunft noch Menschen-Rechte?”, Völkerrechtsblog, 13 May 2014, doi: 10.17176/20170104-160948.

Author
Saskia Stucki

Dr Saskia Stucki is a Senior Research Fellow at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Heidelberg), and currently working on her Habilitation project on Climate Mainstreaming. In 2018/2019, she was a visiting researcher at Harvard Law School, where she worked on her postdoctoral research project “Trilogy on a Legal Theory of Animal Rights” (funded by the Swiss National Science Foundation).

She did her law studies and PhD at the University of Basel, where she graduated in 2015 with an award-winning doctoral dissertation on the fundamental rights of animals. Her research interests include climate and environmental law, animal rights, human rights, legal philosophy, and international humanitarian law.

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3 Comments
  1. Meine Vorredner sollten sich wirklich ein wenig intensiver mit dem Thema auseinander setzen; gerade auch Stucki geht in ihren Texten direkt auf die genannten Gegenargumente ein. Und im übrigen – wenn es in der Vergangenheit so klar gewesen wäre (wie heute), dass menschenrechte allen Menschen zusteht, auch wenn sie nicht in allem dem Standard / Ideal entsprechen, dann hätte es nie Sklaverei oder Ausschluss von Schwarzen und Frauen von der Politik / wahlrecht etc. gegeben.

  2. Die Argumentation ist schief und verkennt die wesentlichen Charakteristika, die den Menschen gegenüber den Tieren auszeichnen – den freien Willen, die fehlende Determination, die Fähigkeit zur Kontrolle der Instinkte und Triebe sowie die Vernunftbegabtheit.

    “Es ist genau die Universalität der Menschenrechte, welche es erfordert, von der Anknüpfung an rationale Qualitäten der Rechtsträgerin abzusehen und welche die vernunftrechtlich begründete Exklusivität der Menschenrechte (in dem Sinne, dass sie nur Menschen zukommen können) dadurch entplausibilisiert.”
    – Dieser Aussage liegt ein grundsätzliches Missverständnis zu Grunde, nämlich dass die Geltung von Menschenrechten voraussetze, dass der betreffende Mensch auch wirklich seine rationalen und geistigen Fähigkeiten voll ausschöpft und dem Ideal des vernunftbegabten Menschen entspreche. Frau Stucki glaubt also, dass für geistig behinderte oder weniger rationale Menschen der Begriff Menschenrechte auch nicht zutreffe, da dieser ja “an rationale Qualitäten der Rechtsträgerin” anknüpfe. Das ist aber falsch. Menschen sind grundsätzlich durch Vernunft und der Fähigkeit zur Einsicht ausgestattet – das meint der Begriff “Menschen”rechte. Keineswegs setzt dessen Geltung voraus, dass der Mensch sich dieser Qualitäten auch tatsächlich bedient/bedienen kann. Jedem Menschen kommen kraft seinem Menschsein die elementaren Rechte zu.

    Natürlich haben auch Tiere Rechte. Genauso wie die Umwelt und die Natur generell. Nur haben sie eben andere Rechte. Gleiches gilt es gleich und ungleiches ungleich zu behandeln. Wenn die Autorin eine Weiterentwicklung “im Sinne einer dialektischen Weiterentwicklung der Menschenrechte zu „Menschen- und Tierrechten”” fordert, mutet das grotesk an. Schließlich besteht keinerlei Notwendigkeit Menschenrechte mit Tierrechten gleichzusetzten – nein, es ist viel sinnvoller Menschenrechte als genuine “Menschen”rechte aufzufassen und Tierrechte als “Tier”rechte. Auch wenn die Autorin bestehende Missstände in der Tierhaltung zu Recht anprangert, begründet das keine Notwendigkeit für die Misshandlung der gängigen Terminologie. Denn Missstände gibt es gerade trotz der Tatsache, dass wir Tierschutz sogar ins Grundgesetz aufgenommen haben. Genauso wie es auch Folter, Misshandlung und Erniedrigung von Menschen gibt – obwohl es alle möglichen Menschenrechtsmechanismen und -verschreibungen gibt. Nicht zusätzliche Verwirrung und Verrechtlichung löst das Problem des Tierschutzes, sondern konsequente Durchsetzung der bestehenden Tierrechte.

    Frau Stucki suggeriert, dass Schutz ausschließlich eine Frage der Kategorisierung sei. Das ist aber falsch. Denn, Frau Stucki, erleben wir heutzutage nicht die abscheulichsten Verbrechen gegen Menschen auch durch und in den “rechtsstaatlichen Demokratien” trotz der Tatsache, dass sich diese freiwillig dem Schutz der Menschenrechte, sei es verfassungs- oder völkerrechtlich, verpflichtet haben? Glauben Sie wirklich nicht, dass Ihre Forderung, Menschenrechte auch Tieren einzugestehen zur Nivellierung der Würde des Menschens führen wird?

  3. Selten eine solche Grütze gelesen:

    Liebe Autorin: Ich reite das Pferd, ohne von ihm hinwiederum geritten sein zu wollen – warum bin ich beim Pferdeverleiher da bedenklicher? Oder für Sie:

    Woher wissen Sie, dass ein Tier ein Subjekt ist?

    Die Frage, warum und wie wir Menschen andere Menschen als Subjekte und nicht bloß als Objekte begreifen müssen, ist geistesgeschichtlich längst geklärt (übrigens das eine metaphysische Frage): Weil sie wechselseitig Bedingung des je eigenen Be-wusstseins sind. Der Mensch wird nur unter Menschen ein Mensch. Von einem Tier habe ich noch nicht gehört, dass es durch einen Menschen zum Selbst-Bewusstsein gekommen wäre; anders herum im Übrigen auch noch nicht.

    Also bitte: Das wäre die von Ihnen zu lösende Aufgabe.

    Nichts für Ungut und viel Erfolg!.

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