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Schadensersatzansprüche vor nationalen Gerichten aufgrund von Völkerrechtsverstößen?

Jesner v. Arab Bank

07.03.2018

Können ausländische Unternehmen und Individuen die Verletzung von Völkerrechtsnormen durch andere ausländische Unternehmen vor Gericht rügen und Schadenersatzansprüche geltend machen?

Die Verfahren gegen Arab Bank Plc.

Ein solcher Fall wird derzeit in den USA vor dem Supreme Court verhandelt. In dem Fall Jesner v. Arab Bank stehen sich auf beiden Seiten ausländische, also nicht US-amerikanische, Staatsangehörige gegenüber. Die Klage, die unter dem Alien Tort Statute (ATS) eingereicht wurde, richtet sich gegen eine jordanische Bank (Arab Bank), die lediglich eine Zweigstelle in New York betreibt. Dieser wird vorgeworfen, Gelder über ihre dortige Zweigstelle an ihre KlientInnen unter anderem die „Hamas“ und das „Saudi Committee“ weitergeleitet haben, welche diese Gelder wiederum unter anderem für Terroranschläge in Israel und Palästina genutzt haben sollen.
Aufgrund derselben Vorwürfe war bereits 2004 eine Klage gegen die Arab Bank am Eastern District Court of New York eingereicht worden, denn während der zweiten Intifada starb unter anderem der US-Amerikaner Linde, dessen Witwe – zusammen mit anderen amerikanischen Opfern verschiedener dortiger Terroranschläge – mithilfe einer Zivilklage unter dem ausdifferenzierteren Anti-Terrorism-Act Schadensersatzansprüche geltend machen wollte. Die KlägerInnen behaupteten, dass die Bank den terroristischen Organisationen ihre Finanzdienstleistungen angeboten habe, in dem Wissen, dass die zur Verfügung gestellten Geldmittel für terroristische Zwecke verwendet würden – beziehungsweise den Organisationen zumindest mittelbar nützten. Nachdem eine US-Jury die Bank im Jahre 2014 für schuldig befand,  der Supreme Court in dem Fall Linde eine  Certiorari – die Zulassung einer eigenen Begutachtung – ablehnte und der Court of Appeals Sanktionen bestätigte, wurde im August 2015 zwischen den involvierten Parteien – Arab Bank auf der einen und mittlerweile rund 500 KlägerInnen auf der anderen Seite – eine nicht-veröffentliche finanzielle Abgeltung (undisclosed settlement) vereinbart.

Die derzeitig anhängige Klage (Jesner v. Arab Bank) wurde von einem nicht US-Staatsbürger erhoben, der behauptet, durch terroristische Anschläge im Nahen Osten verletzt worden zu sein. Wegen der Staatsangehörigkeit war in diesem Fall lediglich eine Klage unter dem sehr interpretationsoffenen und -bedürftigen ATS möglich.

Anwendbarkeit des ATS

Entscheidend ist, ob das ATS in der konkreten Situation überhaupt anwendbar ist, da es sich bei der Bank um ein (ausländisches) Unternehmen handelt. Die Bank argumentiert, dass ausländische Unternehmen nicht unter dieses Statut fallen könnten und zweifelt die Kompetenz der US-Gerichte an, da die Unternehmenshaftung nicht völkergewohnheitsrechtlich verankert sei. Der United States Court of Appeals for the Second Circuit folgte den Argumenten der Bank und urteilte, dass Unternehmen nicht Subjekt einer Klage unter dem ATS sein können. Auf der anderen Seite weisen NGOs und die Klägerseite auf die geringen Rechtsschutzmöglichkeiten der Opfer von Völker- bzw. Menschenrechtsverletzungen hin und betonen, dass ohne die Jurisdiktion der nationalen US-Gerichte keine Gerechtigkeit zu erreichen sei und die Terrorismusfinanzierung nicht wirksam bekämpft werden könne.

Extraterritorialität

Der ATS ist offen formuliert und besagt: „district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States“ (28 U.S.C. § 1350). Im Urteil Kiobel v. Royal Dutch Petroleum, in dem über eine von NigerianerInnen erhobene Klage, die gegen ausländische Ölfirmen, welche angeblich die Regierung bei Gräueltaten gegen DorfbewohnerInnen unterstützt hatten entschieden werden musste, wurde betont, dass ausländische Unternehmen Geschöpfe eines anderen (fremden) Staates seien und in Urteilen wie Sarei v. Rio Tinto – hier hatten Einwohner Papa Neu Guineas gegen die Bergbaugesellschaft Rio Tintio, die die Regierung während des Bürgerkrieges unterstützt haben Vorwürfe erhoben – weiter ausgeführt, dass keine Einigkeit zwischen den Staaten bezüglich der Unternehmenshaftung bestehe und einige Staaten eine Kompetenz der US-Gerichte sogar als „judicial imperialism“ ansehen würden, sodass Völkergewohnheitsrecht nicht festgestellt werden könne. Mithin wurden die Klagen in beiden Fällen abgewiesen.

Der (geschichtliche) Hintergrund des ATS

Tatsächlich würde eine weite Auslegung des ATS gemessen an den Konsequenzen überraschen; ein solches Verständnis würde einen Eingriff in die Souveränität anderer Staaten bedeuten und es den US-Gerichten ermöglichen, außenpolitisch brisante Entscheidungen zu treffen, denn welcher Staat sieht es gerne, dass „eigene“ Unternehmen vor einem ausländischen Gericht zu Schadensersatzleistungen verurteilten werden, obwohl die „Taten“ in Drittländern vollzogen wurden und insoweit keinen US-Bezug aufweisen. Wollten die Kongressabgeordneten im Jahre 1789, als der Judiciary Act – welcher das ATS beinhaltet – verabschiedet wurde, die USA zu einem Ort werden lassen, an dem Völkerrechtsnormen durchgesetzt werden? Diese Frage wird im Ergebnis wohl verneint werden müssen. Als der Kongress das Gesetz verabschiedete, waren keine weitreichenden Interferenzen mit anderen Rechtsordnungen und Regierungen beabsichtigt; lediglich violations of safe conducts, infringement of rights of ambassadors, and piracy“ waren nach Blackstone umfasst. Keiner der genannten Fälle weist einen extraterritorialen Bezug auf; zumindest keinen, der in die Souveränität anderer Staaten eingreifen würde und kein anerkanntes Völkergewohnheitsrecht darstellen würde. Über die historischen Beweggründe zum Erlass der Norm besteht Uneinigkeit – am häufigsten wird die Vermutung geäußert, dass der Kongress leidglich ausländische Würdenträger ermächtigen wollte, US-Bürger zu verklagen, die sie in der USA verletzt hatten.

Die Hauptargumente der Beteiligten

Die Norm, welche erst wieder in größerem Umfang in den 1980er Jahren von den Federal Courts genutzt wurde, um Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, gewann vor allem in dem Fall Sosa v. Alvarez-Machain – bei dem ein Mexikaner auf Betreiben der Drug Enforcement Agency aus Mexiko entführt wurde, um ihn in den USA vor Gericht anklagen zu können – von Bedeutung. Laut diesem Urteil ist die Anwendbarkeit lediglich begrenzt auf Völkerrechtsnormen, die specific, universal and obligatory sind. Die Anwälte der Klägerseite argumentieren, dass sie nicht eine Norm nachzuweisen haben, die Unternehmenshaftung begründet, sondern lediglich die Anwendbarkeit einer solchen Norm auf unternehmerische Kontexte. Die Bank stellt darauf ab, dass völkerrechtliche Normen grundsätzlich nur zwischen Staaten gelten und diese binden. Mithin sei durchaus nachzuweisen, dass es eine völkerrechtliche Norm gäbe, die Unternehmenshaftung zum Gegenstand habe. Darüber hinaus sei die „touch and concern“-Schwelle, wie sie seit der Entscheidung Kiobel v. Royal Dutch Petroleum verlangt werde nicht überschritten, da alle wesentliche Handlungen der Bank außerhalb der Vereinigten Staaten stattfanden.

Die politischen Implikationen

Die Frage ist selbstredend ein Politikum, die viel Raum für (politische) Diskussion lässt. Bereits die Effektivität der Unternehmenshaftung in Bezug auf die Verhinderung von Terrorismusfinanzierung wird bestritten. Zum einen wird – vor allem von der Arab Bank Union – darauf hingewiesen, dass sich die Finanzierung lediglich in den Untergrund verlagern werde und deshalb noch schwerer zu regulieren und zu kontrollieren sei und zum anderen, dass die Banken sich sogar aus solchen „unsicheren“ Regionen zurückziehen müssten, da die erforderlichen Kontrollen zu umfassend und kostspielig werden würden. Auch der Staat Jordanien argumentiert, dass das Urteil bzw. die etwaigen künftigen Urteile einen tiefen Eingriff in die staatliche Souveränität bedeuten würden und erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Lage nehmen könnten, was vor dem Hintergrund der staatlichen Souveränität kritisch zu betrachten sei.

Bewertung

Allerding müssen zumindest in einem solchen Fall, bei dem Unternehmen, die in den USA „business“ machen, dort Umsatz generieren und sich auf Grundfreiheiten berufen, auch grundsätzliche Einschränkungen hingenommen werden müssen, wenn sie rechtswidrige Praktiken vollziehen und dadurch andere zu Schaden kommen. Es darf Individuen nicht ermöglicht werden Unternehmensformen als Vehikel zu nutzen, um Tätigkeiten nachzugehen, die gegen universelle (menschenrechtliche) Prinzipien verstoßen. Die grundsätzliche Möglichkeit ist demnach – bereits aus dem Opferschutzgedanken heraus – anzuerkennen. Entscheidend ist vielmehr ist die konkrete Ausgestaltung. Eine verträgliche (hohe) „touch and concern“-Schwelle wird eingeführt bzw. nach dem Kiobel v. Royal Dutch Pertroleum Urteil beibehalten werden müssen, damit multinationale Unternehmen nicht von Klägern – auf Verdacht hin, unter Ausnutzung der Rechtslage – in teure Prozesse und Vergleiche gezwungen werden können. Welche Ausformung eine solche Schwelle haben kann und welche Kriterien – z.B. Nationalität der Angestellten, US-Interesse, inländischer Bezug –  bei der Bewertung zugrunde gelegt werden, wurde vom Supreme Court bisher offen gelassen und infolgedessen variieren auch die Interpretationen der Circuit Courts. Es bleibt abzuwarten, ob der Supreme Court greifbare Kriterien benennen wird, wie hoch er eine solche Schwelle ansetzen wird und wie er zu der Frage steht, ob auch Unternehmen unter das ATS zu fassen sind. Letzteres sollte – zusammen mit konkret ausgestalteten Kriterien – ermöglicht werden, da keine maßgeblichen Gründe entgegenstehen – der Supreme Court hat aber auch die Möglichkeit diese politisch und rechtlich schwierigen Fragen weiter unbeantwortet zu lassen.

 

Felix Behnke studiert Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg.

 

Cite as: Felix Behnke, “Schadensersatzansprüche vor nationalen Gerichten aufgrund von Völkerrechtsverstößen? Jesner v. Arab Bank”, Völkerrechtsblog, 7 March 2018, doi: 10.17176/20180306-205638.

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Felix Behnke
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