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PR-Problem oder Clash of Cultures?

Die Scheuklappen gegen internationales Antidiskriminierungsrecht müssen endlich runter

05.11.2014

Eine Replik auf Alexander Tischbirek

Angesichts der zurückhaltenden Rezeption internationaler Menschenrechtspakte in der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bescheinigt Alexander Tischbirek den internationalen Menschenrechtsabkommen ein gleich doppeltes PR-Problem. Zum einen würden einschlägige Menschenrechte zu wenig wahrgenommen (Sichtbarkeitsproblem), zum anderen wider besseren Wissens schlicht nicht erstgenommen (Autoritätsproblem). Um seine These zu untermauern, blickt Tischbirek auf die nationale Rezeption eines jüngeren menschenrechtlichen Instruments, die 2009 in Deutschland in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK). Tischbirek untersucht damit aber nicht irgendein internationales, Menschenrechte garantierendes Übereinkommen, sondern eines, das einer bestimmten gesellschaftlich benachteiligten (behinderten) Gruppe „den vollen Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantieren will”. So steht es schon in der Präambel der UNBRK. Die UNBRK ist mithin ein antidiskriminierungsrechtliches Abkommen – und darin liegt ein weiteres Problem.

Clash of concepts – mehr als ein PR-Problem

Denn Tischbireks hellsichtige Analyse der deutschen Rezeption internationaler Menschenrechte scheint insbesondere auf die Rezeption internationalen Antidiskriminierungsrechts zuzutreffen. Entsprechend ließe sich seine Analyse zu großen Teilen auf die Diskussion nationalen Antidiskriminierungsrechts übertragen. Die Abwehrdiskurse ähneln sich, und sie verstärken sich. Der deutsche juristische Mainstream interessiert sich nicht nur wenig für internationale Menschenrechte gegen Diskriminierung, sondern auch für die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt vielen deutschen Jurist_innen immer noch als systemwidriger Fremdkörper, der dem deutschen Recht von der EU aufoktroyiert wurde und die Privatautonomie bedroht.

Doch bei alldem handelt es sich nicht um ein bloßes PR-Problem. Zum Sichtbarkeits- und Autoritätsproblem kommt ein weiteres Problem hinzu, dem im PR-Modus nur schlecht beizukommen ist, weil es inhaltlich-konzeptioneller Natur ist.

Zum Beispiel: ICERD und der Fall Sarrazin

Wie die Abwehr von Internationalem Antidiskriminierungsrecht und ein enges Diskriminierungsverständnis zusammenwirken, zeigt die Diskussion der Entscheidung des UN-Antirassismus-Ausschusses (CERD) im Fall Türkischer Bund Berlin-Brandenburg (TBB) gegen Deutschland. Der Ausschuss entschied 2013, Deutschland habe gegen Art. 6 ICERD verstoßen, weil es seine Bevölkerung durch die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das der TBB gegen Thilo Sarrazin wegen Volksverhetzung und Beleidigung angestrengt hatte, nicht ausreichend vor Äußerungen geschützt habe, die CERD als rassistische Hassrede im Sinne der Konvention einstuft.

Während einschlägige NGOs und kritische Jurist_innen die Entscheidung begrüßten, hagelte es Schelte von Bundesregierung und herrschender Meinung. Katja Behr, Leiterin des Referats Menschenrechte im BMJV und Verfahrensbevollmächtigte der Bundesregierung beim EGMR kritisierte die Entscheidung auf der Menschenrechtstagung des Deutschen Anwaltsvereins scharf, weil er nicht respektvoll mit innerstaatlichen Traditionen umzugehen wisse. Sie zitierte dazu den Völkerrechtler Christian Tomuschat, der CERD in der EuGRZ 2013, S. 262 ff. vorgeworfen hatte: „Mit seinem raschen Urteil und seiner Sprachlosigkeit hat sich der Ausschuss (…) selbst diskreditiert”. Nun ist die Kürze der Entscheidungsbegründung angesichts der umfangreichen Entscheidungspraxis, zahlreicher General Comments des CERD und der vom Ausschuss herangezogenen Rechtsgutachten, die die rassenbiologischen Referenzen Sarrazins detailliert nachzeichnen, durchaus nachvollziehbar. Wenn Tomuschat dem Ausschuss angesichts dessen „intellektuelle Unschärfe“ attestiert und ihm vorhält die „rechtlich höchst bedeutsame Frage, ob die Türken und die Araber überhaupt als eine ‚Rasse’ betrachtet werden können“ nicht diskutiert zu haben, dann zeugt das erstens von einer ordentlichen Portion Arroganz und zweitens von einem verkürzten Rassismusbegriffsverständnis.

Tomuschat will im Einklang mit vielen Grundgesetz- und StGB-Kommentaren die Zugehörigkeiten zu „Rassegruppen“ prüfen. Mit Rasse und damit mit Rassismus könnten die Ausführungen Sarrazins schon deshalb nichts zu tun haben, weil Türken „Bürger eines anderen Staates, nämlich der Türkei“, also „Ausländer“ und „Araber (…) eine generelle Sammelbezeichnung ohne irgendeinen Identifikationswert“ seien. Doch die rassistischen Zuschreibungen und Essentialisierungen der sarrazinschen Thesen entgleichen und verletzen die bezeichneten Menschen ganz unabhängig von fremdimaginierten Rassezugehörigkeiten, selbstgewählten ethnischen Identifikationen oder ihrer türkischen, libanesischen und/oder – von Sarrazin schlicht unterschlagenen – deutschen Staatsangehörigkeit.

Mindermeinung als Meinungspolizei

Tomuschats Beitrag repräsentiert noch in einer weiteren Hinsicht einen Clash of Cultures in Sachen Antidiskriminierungsrecht. Angesichts der Entscheidung des internationalen Gremiums CERD sieht er „besondere Vorsicht am Platz, damit nicht aus Gründen der political correctness ein System der Meinungspolizei eingeführt wird, die dem Wesen demokratischer Offenheit widerspricht“ und warnt vor der Tendenz „ursprüngliche Freiheiten, wie die Meinungsfreiheit zur Gewährleistung gesellschaftlicher Harmonie zu bekämpfen“. Zugespitzt formuliert wird hier rassistische Rede als Teil des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung legitimiert, solange sie nicht von sogenannten „Rechtsextremisten“, sondern von etablierten Politiker_innen geäußert wird. Der Verstoß gegen Gleichheitsrechte und die erlittene Diskriminierungserfahrung werden mit dem Bild der „gesellschaftlichen Harmonie“ als Luxusproblem abgewertet.

Die Benennung und Pönalisierung von Diskriminierung stellt der Autor dagegen als rechtsdogmatisch unterbelichtet und rechtspolitisch naiv dar. Diskriminierende Rede wird nach dieser Lesart als streitbare tabubrechende Meinung gewürdigt, die es gegen eine mächtige internationale Gutmenschenlobby zu verteidigen gelte. Antidiskriminierungsrecht wird nicht als Reaktion auf Benachteiligungen die aus gesellschaftlichen Machtstrukturen erwachsen konzeptionalisiert, sondern als Kontrollrecht partikularer Minderheiten, das die Freiheit der Mehrheit einschränkt.

Frischer Wind gegen die herrschende Meinung

Nicht das deutsche Recht ist das Problem, sondern der deutsche Rechtsdiskurs. Internationale Menschenrechtsabkommen sind – da ist Alexander Tischbirek unbedingt zuzustimmen – eine Chance, Rechtsauffassungen Gewicht zu verschaffen, die im deutschen Rechtsdiskurs noch als sogenannte Mindermeinungen um Gehör kämpfen, die in anderen nationalen und in internationalen Kontexten dagegen schon etablierter sind. Davon wird auch die nationale Rechtsanwendung profitieren. Die Scheuklappen gegen modernes Antidiskriminierungsrecht müssen endlich runter – um international anschlussfähig und menschenrechtlich auf Höhe der Zeit zu bleiben. Doch die grundsätzlichen dogmatischen und konzeptuellen Differenzen sind nicht allein mit guter Öffentlichkeitsarbeit vermittelbar. Vielmehr bedarf es struktureller und institutioneller Veränderungen. Neben der von Tischbirek angesprochenen Schaffung von Institutionen zur Erhöhung der Sichtbarkeit und Durchsetzbarkeit internationaler Menschenrechtsabkommen, können das veränderte Curricula in der juristischen Ausbildung und eine weitere personelle Diversifizierung der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung sein.

 

Doris Liebscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien (Prof. Dr. Susanne Baer, LL.M. Michigan; Dr. Sarah Elsuni) an der Humboldt Universität zu Berlin und im Büro für Recht und Wissenschaft Berlin.

 

Cite as: Doris Liebscher, “PR-Problem oder Clash of Cultures? Die Scheuklappen gegen internationales Antidiskriminierungsrecht müssen endlich runter”, Völkerrechtsblog, 5 November 2014, doi: 10.17176/20170124-114121.

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Doris Liebscher
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