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Investitionsschiedsverfahren: Individualrechtsschutz oder „anti-demokratische Konzernherrschaft”?

20.04.2015

Einst lösten Schiedsverfahren die Kanonenbootpolitik der Industrienationen ab. Heute gerät die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit unter Beschuss. Charakteristika des Systems wie Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Übertragung von Entscheidungsgewalt auf drei Einzelpersonen als Schiedsrichter, aber auch eine vermeintlich uneinheitliche Spruchpraxis der Schiedsgerichte erregen Unruhe. Abwägungsentscheidungen zwischen öffentlichen und Unternehmensinteressen, so der Kern der Kritik in Deutschland, dürften nicht von „Schattengerichten“ in Hinterzimmern getroffen werden.

Die Entwicklung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit im modernen Völkerrecht

Die Debatte vernachlässigt, dass Schiedsgerichte im modernen Völkerrecht auf eine wesentlich längere Geschichte zurückblicken als eine institutionalisierte Gerichtsbarkeit. Exemplarisch zeigt dies das Ergebnis der Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907: Der Versuch, eine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit zu etablieren, scheiterte. Vielmehr gründeten die teilnehmenden Staaten den Ständigen Schiedshof (Permanent Court of Arbitration) zur friedlichen Streitbeilegung von – wohlgemerkt rein zwischenstaatlichen – Streitigkeiten. Konflikte sollten nicht länger militärisch, sondern durch Schiedsgerichte gelöst werden.

Aber auch der Schutz von dem, was wir heute unter Auslandsinvestitionen verstehen, ging bis zu den Haager Friedenskonferenzen häufig einher mit dem Einsatz militärischer Gewalt. Noch im 19. Jahrhundert entsandte beispielsweise in der sogenannten Don Pacifico-Affäre der britische Außenminister Lord Palmerston Militärschiffe in die Ägäis, um griechisches Eigentum in dem Wert zu beschlagnahmen, den vorher ein britischer Staatsangehöriger vergeblich von Griechenland eingefordert hatte. Es kam schließlich sogar zu einer Blockade des Hafens von Piräus.

Mit der Zweiten Haager Friedenskonferenz endete langsam diese Kanonenbootdiplomatie – parallel erstarkte das völkerrechtliche Gewaltverbot. Es entwickelte sich die heute noch bekannte Form der Durchsetzung des fremdenrechtlichen Mindeststandards oder darüber hinausgehender Rechte im Rahmen des diplomatischen Schutzes vor Schiedsgerichten, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH) und später dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Die schiedsgerichtliche Entwicklung geht von den Mixed Claims Commissions der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur Etablierung des Iran-US Claims Tribunals 1981.

Die Idee der Mütter und Väter des Grundgesetzes

Auch das Grundgesetz greift noch 1949 – trotz der zwischenzeitlichen Errichtung zweier internationaler Gerichte (StIGH und IGH) – auf die Schiedsgerichtsbarkeit zur Beilegung internationaler Streitigkeiten, wie sie auch Investitionsschutzstreitigkeiten darstellen, zurück. Art. 24 III GG normiert, der Bund werde „Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.“ Zwar hat die internationale Entwicklung eine so qualifizierte Schiedsgerichtsbarkeit bisher nicht hervorgebracht, dennoch zeigt diese Norm die grundsätzlich positive Grundhaltung der deutschen Verfassung gegenüber Schiedsverfahren – zusätzlich zur ohnehin gegebenen Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten, auch der Rechtsprechung, auf zwischenstaatliche Einrichtungen nach Art. 24 I GG.

Die heutigen Investitionsschutzverfahren

Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit selbst hat erst in den letzten 15 Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Zwar schlossen Deutschland und Pakistan bereits 1959 den weltweit ersten Investitionsschutzvertrag (BIT). Auch das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) wurde schon 1966 etabliert. Seinen ersten Fall registrierte es aber erst 1972. Die Marke von zehn neuen ICSID-Schiedsklagen in einem Jahr wurde wiederum erst 2001 gebrochen. Bis heute hat das ICSID 516 Fälle registriert. Mit denen anderer Institutionen und ad hoc-Verfahren dürfte die Gesamtzahl aller bisherigen Investitionsschiedsklagen bei 600 liegen.

Erst mit dem Schritt von der notwendigerweise auf einem State Contract beruhenden Schiedsvereinbarung zur „Arbitration without Privity“, der Schiedsgerichtsbarkeit ohne unmittelbares Vertragsverhältnis, erlebte das Investitionsschutzrecht seinen Aufschwung. Für Investitionsschiedsverfahren reichten nun BITs oder Investitionsgesetze als Grundlage. Durch diese gibt der Gaststaat sein Angebot zum Abschluss einer Schiedsabrede ab, der Investor nimmt es durch seine Klage an.

Die funktionale Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen

Das Investitionsschutzrecht bereitete so den Weg vom diplomatischen Schutz hin zur funktionalen Völkerrechtssubjektstellung des Einzelnen. Dem Investor kommt ein eigenes Klagerecht zu. Im Erfolgsfalle erhält er nicht nur ein bloßes Feststellungsurteil. Vielmehr wird ihm direkt eine Entschädigung in Geld zugesprochen – eine Entwicklung, die dem voranschreitet, was beispielsweise der menschenrechtliche Individualschutz im Rahmen der EMRK nur langsam zu leisten beginnt. Im Kontrast zur öffentlichen Kritik am Investitionsschutz wird der immer noch sehr zögerliche Zuspruch von Schadensersatz in Individualbeschwerdeverfahren durchweg positiv kommentiert.

Eine schiedsgerichtliche Rechtsdurchsetzung kann nur als Stärkung individueller Rechte auf internationaler Ebene gesehen werden. Sie befreit den Einzelnen aus der Abhängigkeit von den politischen Interessen seines Heimatlandes und füllt damit eine Rechtschutzlücke. Nicht immer sind Staaten schließlich gewillt, ihre Angehörigen diplomatisch zu schützen. Eindrucksvoll unterstreicht dies in Bezug auf die deutsche Bundesregierung der Fall Franz Sedelmayer v Russland.

Die öffentliche Kritik

Was ist also die Grundlage der Kritik an schiedsgerichtlicher Streitbeilegung? Eine vermeintlich investorenfreundliche Ausrichtung der Entscheidungsträger ist statistisch nicht zu verzeichnen: In weniger als einem Drittel der Fälle „gewinnt“ der Investor (so für 2013 der UNCTAD World Investment Report 2014, S. 126). Regelmäßig wird ihm auch nur ein Teil der beantragten Entschädigung zugesprochen. Auch auf die Schiedsrichterauswahl haben beide Parteien den gleichen Einfluss. Vielfach wird dieses Amt von derzeitigen oder ehemaligen Richtern am IGH oder Professoren besetzt – die Schiedsgerichte aus drei Wirtschaftsanwälten sind eine verkürzte Darstellung der Presse.

Bleibt also zu fragen, ob ein „Regulatory Chill“ (die Drohung mit Entschädigungsansprüchen, die Staaten veranlasst, Regulierungsmaßnahmen zu unterlassen) tatsächlich existiert. In der Realität zeigt sich jedenfalls, dass Staaten vor Beschluss einer Maßnahme häufig die eventuellen Risiken von (schiedsgerichtlichen) Schadensersatzforderungen sehr wohl abschätzen – und dennoch regulierend eingreifen. Ohnehin sind Schiedsgerichte keinesfalls ermächtigt, demokratische Entscheidungsprozesse umzukehren.

Insbesondere hinsichtlich Transparenz hat das Investitionsschiedsrecht in den letzten Jahren eine große Entwicklung genommen. Im Verfahren Bilcon of Delaware et al v Canada wurden 2013 bereits mündliche Verhandlungen live im Internet übertragen. Jüngst unterzeichnete Deutschland gemeinsam mit zunächst sieben weiteren Staaten die Mauritius-Konvention, die den UNCITRAL-Transparenzregeln aus dem Jahr 2014 auch für bestehende BITs Geltung verleiht. Investitionsschiedsverfahren werden so transparenter als so manche nationale Gerichtsverfahren, jedenfalls als deutsche Gerichtsverfahren: Wo werden schon Schriftsätze veröffentlicht oder Verhandlungen im Internet übertragen?

In diesem Lichte ist auch die derzeitige Debatte weiter zu führen. Es muss darum gehen, wie das bestehende System weiter verbessert werden kann, um so auch den völkerrechtlichen Individualrechtsschutz weiter zu stärken. Dies ist auch im langfristigen Interesse der Staaten – schließlich werden zwischenstaatliche Konflikte damit verringert. Nicht notwendigerweise müssen Veränderungen allerdings einseitig zu ihren Lasten gehen.

 

Sebastian Wuschka, LL.M. (Geneva MIDS), Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg & Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum

Dieser Beitrag ist Teil des Symposiums Trademocracy. Weitere Beiträge werden ebensfalls auf Juwiss erscheinen (hier).

Cite as: Sebastian Wuschka, “Investitionsschiedsverfahren: Individualrechtsschutz oder „anti-demokratische Konzernherrschaft”?”, Völkerrechtsblog, 20 April 2015, doi: 10.17176/20170403-221819.

Author
Sebastian Wuschka

Sebastian Wuschka is a research fellow at the University of Lausanne, an associated member at Ruhr University Bochum’s Institute for International Law of Peace and Armed Conflict (IFHV) and of counsel with the Complex Disputes team of Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Hamburg.

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