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Endlich! – Erster Haftbefehl gegen einen ranghohen Vertreter des syrischen Assad-Regimes

Zur strafrechtlichen Verfolgung von im syrischen Bürgerkrieg verübten Verbrechen in Deutschland

11.06.2018

Können mutmaßliche syrische Völkerrechtsverbrecher einfach unbehelligt nach Europa ein- und wieder ausreisen? Diesen Eindruck musste man bei der Lektüre eines Berichtes gewinnen, der vor einigen Wochen in der französischen Tageszeitung „Le Monde“ erschien. Bereits im Januar diesen Jahres sei Ali Mamluk, der als „Direktor des Nationalen Sicherheitsbüros“ der Ba’ath-Partei, seit Jahrzehnten eine feste Größe in dem syrischen Sicherheits- und Unterdrückungsapparat, auf Einladung des italienischen Geheimdienstes AISE nach Rom geflogen und habe dort seinen italienischen Amtskollegen Alberto Manenti getroffen, bevor er wieder nach Damaskus zurückgekehrt sei.

Die Hoffnung liegt auf den Drittstaaten

Schlaglichtartig verdeutlichte diese Meldung noch einmal den eklatanten Mangel an strafrechtlicher Verfolgung der langen Liste von Verbrechen, die der syrischen Regierung vorgeworfen werden. Dass dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) insoweit die Hände gebunden sind, sollte inzwischen bekannt sein: Da Syrien kein Vertragsstaat des Römischen Statuts für den IStGH ist und Russland eine Überweisung der Situation durch den VN-Sicherheitsrat auf Dauer verhindern wird, kann er jedenfalls die Verbrechen der Regierungsseite nicht verfolgen.

Schon lange ruhen die Hoffnungen der Folteropfer und ihrer Angehörigen daher auf der Strafjustiz sogenannter Drittstaaten und ihren Strafverfolgungsaktivitäten auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips. Das ist seit der Yerodia-Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs nicht nur starkem völkerrechtspolitischen Druck, sondern auch rechtsgrundsätzlicher Kritik ausgesetzt; der Ausfall internationaler accountability mechanisms im Falle der Völkerrechtsverbrechen der Assad-Seite zeigt aber, dass das Weltrechtsprinzip vorerst unverzichtbar bleibt. Der deutsche Gesetzgeber hat insofern einen Mittelweg gewählt: Die zuständige Generalbundesanwaltschaft (GBA) kann Taten auf dem syrischen Kriegsschauplatz verfolgen, die sich als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sogar Völkermord qualifizieren lassen, sie muss es aber nicht.

„No safe haven Germany“ – leider zu kurz gesprungen

Generell hat die GBA insoweit eine restriktive Haltung eingenommen, die sie unter das Motto: „No safe haven Germany“ gestellt hat. Der frühere Leiter des Referates für Völkerstrafrecht bei der GBA erläuterte diesen Ansatz so: „Niemand, der sich des Völkermordes, eines Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eines Kriegsverbrechens verdächtig gemacht hat, findet in Deutschland einen vor Strafverfolgung sicheren Unterschlupf“. Im Umkehrschluss heißt das freilich: Anstrengungen zur Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen als Drittstaat werden nur hinsichtlich solcher Täter unternommen, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten. Um in dem Bild zu bleiben: Als unsicherer Hafen erweist sich Deutschland also nur für solche Völkerrechtsverbrecher, die hier längerfristig „vor Anker“ gehen wollen. Wer lediglich kurzzeitig nach Deutschland reist, braucht angesichts der „no safe haven“-Strategie das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) nicht zu fürchten, denn Ermittlungen kommen dann immer zu spät. Zugleich kann die Erfassung der systematischen Dimension von Völkerrechtsverbrechen so nie gelingen, denn die Ermittlungen bleiben selbst in den wenigen Fällen, in denen sie stattfinden, auf Einzelpersonen beschränkt. „No safe haven Germany“ war daher als Maxime der Strafverfolgung von Taten nach dem VStGB stets verfehlt.

Strukturermittlungsverfahren

Auch die GBA hat dies inzwischen wohl erkannt. Ohne sich offiziell von dem „no safe haven“-Motto verabschiedet zu haben, führt sie bereits seit Jahren sogenannte Strukturermittlungsverfahren, die sich nicht gegen bestimmte Beschuldigte richten, sondern einen völkerstrafrechtlich relevanten Gesamtkomplex betreffen. Im Rahmen dieser Strukturermittlungsverfahren werden insbesondere die im Inland zugänglichen Beweismittel zu möglichen Völkerrechtsverbrechen gesichert. Das geschieht unabhängig davon, ob sich absehen lässt, dass daraus einmal personenbezogene Ermittlungsverfahren erwachsen. Erst die Strukturermittlungsverfahren versetzen die GBA aber in die Lage, einer anderen Strafjustiz das Beweismaterial zur Verfügung zu stellen, wenn diese entsprechende Strafverfahren führt, oder aber selbst kurzfristiger konkrete Strafverfolgungsmaßnahmen zu ergreifen.

Die Völkerrechtsverbrechen unter Assad

Ein Strukturermittlungserfahren, das die GBA bereits seit September 2011 betreibt, betrifft Völkerrechtsverbrechen des Assad-Regimes. Erfasst werden hier z.B. Hinweise, die von Geflüchteten stammen, die aus den Kriegsregionen nach Deutschland gekommen sind. Umfängliche Informationen über Verbrechen, Verantwortliche, Opfer und Zeug*innen hat die GBA überdies durch Nichtregierungsorganisationen erhalten, die sich um die strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen des Assad-Regimes durch die deutsche Strafjustiz bemühen. Zu nennen sind hier insbesondere vier Strafanzeigen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Laufe des vergangenen Jahres jeweils unter Mitwirkung des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eingereicht wurden. Die erste dieser Strafanzeigen hat die Folter von sieben überlebenden Personen zum Gegenstand; die zweite Anzeige vom September 2017 betrifft tausende Fälle von Folterungen und Tötungen in den Haftanstalten der syrischen Regierung, die durch die sog. „Caesar Files“ dokumentiert werden. Zwei Anfang November 2017 eingereichte Strafanzeigen nehmen einerseits Verbrechen in den Blick, die an Gefangenen des berüchtigten Militärgefängnisses Saydnaya begangen wurden, insbesondere vorsätzliche Tötung, Verfolgung, Folter und Bestrafung ohne ordentliches Gerichtsverfahren, sowie andererseits Verbrechen des syrischen Luftwaffengeheimdienstes. Gerichtet sind diese Anzeigen gegen zahlreiche, vielfach hochrangige und namentlich benannte Angehörige der syrischen Geheimdienste und des Militärs sowie die politisch Verantwortlichen für die Folter- und Hinrichtungsprogramme.

Warten auf die GBA

Die GBA nahm diese Strafanzeigen erfreulicherweise zum Anlass, zügig eigene Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen: Zeug*innen wurden vernommen, das Bildmaterial der “Caesar-Files” zur näheren rechtsmedizinischen Prüfung auf ihre Beweistauglichkeit in einem Strafverfahren nach der StPO an Experte*innen übergeben. Dann aber geschah, so schien es zumindest von außen, monatelang nichts. Der Blick der überlebenden Opfer, die ihre Hoffnungen in die deutsche Justiz gesetzt hat, begann sich auf Verfolgungsanstrengungen in anderen Ländern zu verlagern, etwa in Österreich, wo Ende Mai eine Koalition von Menschenrechtsorganisationen und syrischen Juristen eine Strafanzeige wegen der Folterverbrechen des syrischen Regimes bei der Staatsanwaltschaft in Wien anhängig machte.

Endlich!

Nun ist es also so weit: Am vergangenen Freitag wurde bekannt, dass der Generalbundesanwalt bereits zwei Tage zuvor, am 6. Juni, den Erlass eines internationalen Haftbefehls gegen Jamil Hassan, den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, erwirkt habe, weil dringender Tatverdacht wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestehe. Der erste deutsche Haftbefehl gegen einen Vertreter des Regimes von Baschar Al-Assad. Der erste Haftbefehl der Strafjustiz eines europäischen Mitgliedsstaats in diesem Zusammenhang. Ein sichtbares Zeichen, dass die Bemühungen um eine strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen des syrischen Bürgerkriegs nicht schon deswegen unmöglich sind, weil auf absehbare Zeit keine internationalen Mechanismen der Strafverfolgung greifen. Ein sichtbares Zeichen an die Opfer und ihre Angehörigen, dass auch von offizieller Seite in Europa Anstrengungen unternommen werden, die Straflosigkeit des Assad-Regimes zu durchbrechen. Endlich! Es sollte nicht der einzige Haftbefehl bleiben!

 

Boris Burghardt ist Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin und derzeit Gastprofessor für Strafrecht an der Universität Hamburg.

 

Cite as: Boris Burghardt, “Endlich! – Erster Haftbefehl gegen einen ranghohen Vertreter des syrischen Assad-Regimes”, Völkerrechtsblog, 11 June 2018, doi: 10.17176/20180611-135326-0.

Author
Boris Burghardt
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10 Comments
  1. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Folterei wirklich ein Voelkerrechtsverbrechen ist. Das deutsche Recht gibt darauf keine Antwort. Soweit es Aussagen ueber das Voelkerrecht machen will, sind das nur leere Behauptungen. Wir muessen deshalb schon schauen, wie die Staatenpraxis ist. Unds da sage ich nur Rumsfeld und Gina H.. Wenn die USA nicht mitspielen, gibt es das Voelkerrechtsverbrechen nicht. Eine Anklage waere eine verbotene Einmischung in die inneren Verhaeltnisse Syriens.

  2. Vielen Dank für die Fragen.
    1. Deutschland hat mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof eine spezifische Rechtsgrundlage geschaffen, in der die Überstellung (so die rechtstechnische Bezeichnung der “Auslieferung” an den IStGH) von Personen geregelt ist. Allerdings könnte es zu einem Verfahren gegen Jamil Hassan vor dem IStGH nur kommen, wenn der VN-Sicherheitsrat diese Situation dem Gerichtshof zur Untersuchung überweist. Das erscheint völkerrechtspolitisch auf Sicht undenkbar.

    2. Eine Immunität ratione materiae besteht hinsichtlich der Begehung von Völkerrechtsverbrechen nicht (vgl. z.B. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 759, 763 m.w.N.). Eine Immunität ratione personae kann zwar nach noch immer herrschender und durch den IGH bekräftigter Auffassung gegenüber nationalen Strafgerichten auch dann geltend gemacht werden, wenn Tatvorwürfe wegen Völkerrechtsverbrechen in Rede stehen, ersteckt sich aber nicht auf Geheimdienstoffiziere wie Jamil Hassan.

  3. Sehr geehrter Herr Dr. Burghardt,

    Mir bleiben noch zwei Fragen offen:
    >
    > 1) Kann Deutschland ggf. die Person an den IstGH ausliefern?
    >
    > 2) Würde die Person bei einer Strafverfolgung nicht Immunität genießen?
    >
    >
    > Freundliche Grüße
    > Pascal S.

  4. Kriegsrecht, weil es nach dem Versailler Vertrag, wenn ueberhaupt, um die Anwendung tatsaechlicher oder auch nur behaupteter Normen des Kriegsvoelkerechts ging. Das deutsche Recht durfte nicht weiter gehen als das Voelkerrecht. Man stelle sich einmal vor, es ginge um einen abgestuerzten Piloten in Dresden. Das Kriegsvoelkerrecht ist immer das gleiche. Dazu gibt es uebrigens eine interessasnte Stelle in der Begruendung des Gesetzentwurfs. Das lese ich als eine Art Mobrule:

    So kann etwa ein Flugzeugpilot, der die voelkerrechtlich gebotenen Vorsichtsmassnahmen (vgl. etwa Artikel 57 Abs. 2 Zusatzprotokoll I) nicht getroffen und deshalb beim Abwurf von Bomben Zivilpersonen getoetet hat, nach deutschem Recht – sofern dieses nach Paragraphen 3 bis 7 StGB anwendbar ist – wegen vorsaetzlicher Toetung strafbar sein, auch wenn das Voelkerstrafrecht sein Verhalten nicht unter Strafe stellt.

    Das musste ich mir dann auch wegen Oberst Klein anhoeren.

  5. Wir waren an den Versailler Vertrag gebunden und der genialen deutschen Diplomatie ist es gelungen, den Prozess nach Leipzig zu ziehen, wo es mit nulla poena anfing, als ob das Voelkerstrafrecht nicht unmittelbar anwendbar waere. So lese ich jedenfalls das Reichsgericht. Nulla poena in der Lesart des Reichsgerichts ist fuer mich Friedensrecht. Soldaten sind aber keine Moerder.

    Was sind “gross violations”? Es ist naemlich nicht jeder Verstoss gegen eine Norm des Kriegsvoelkerrechts auch eine Straftat. Meiner Meinung nach fuehrt das Voelkerstrafrecht zu einem Krieg ohne Ende, siehe auch Guantanamo, wir brauchen aber Frieden. Deshalb heisst es auch in Art. 6 Abs. 5 des zweiten Zusatzprotokolls aus 1977:

    At the end of hostilities, the authorities in power shall endeavour to grant the broadest possible amnesty to persons who have participated in the armed conflict, or those deprived of their liberty for reasons related to the armed conflict, whether they are interned or detained.

  6. Wir mischen uns in eine auslaendische Staatstaetigkeit ein, die Folterei geht nur Syrien etwas an.

    Im Uebrigen meine ich, dass der Straftatbestand nur einer des Voelkerrechts sein kann, das als solches unmittelbar anwendbar sein muss. Mehr “Weltrecht” gibt es nicht. Das deutsche Recht kann nicht mehr als ein Hilfsmittel sein. Ansonsten kann das Voelkerstrafrecht sein, wie es will. Wobei es aber nicht auf die Buecher, sondern auf die Wirklichkeit ankommt. Sonst sind das alles nur fromme Sprueche. Viva Yamashita!!

  7. Erneut gelingt es mir nicht, dem Kommentar zu folgen. Um nur an den letzten Satz anzuknüpfen: Warum waren die Leipziger Prozesse “Kriegsrecht”? Das Deutsche Reichsgericht hat als nach deutschem Recht zuständiges Gericht deutsches Strafrecht und Strafverfahrensrecht angewendet. Mittelbar spielten insofern für Rechtfertigung und Entschuldigung die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Deutschen Reiches an damals geltende völkerrechtliche Konventionen und Verträge zum humanitären Völkerrecht eine Rolle. Was hat das mit “Kriegsrecht” zu tun?

  8. Ich habe Schwierigkeiten, den Kommentar zu verstehen. Er klingt aber nach radikaler Skepsis gegenüber dem Völkerstrafrecht. Warum das Erwirken eines Haftbefehls in Anwendung der gültigen deutschen Strafgesetze ein völkerrechtliches Delikt sein sollte, ist mir rätselhaft. Welche völkerrechtlichen Grundsätze sollten dadurch verletzt werden?

  9. Irgendwann habe ich mal einen Mitreisenden gefragt, was die Leute im internationalen Strafrecht immer falsch machten. Da meinte er: International criminal law is a part of international public law. Und das hat er dann drei Tage lang jeden Tag dreimal wiederholt. Fuer uns steht dagegen nulla poena im Vordergrund, Soldaten sind Moerder. Das war aber schon immer ganz falsch. Die Leipziger Prozesse fanden zwar im Frieden statt, sie waren aber Kriegsrecht.

  10. Ob es ein Voelkerrechtsverbrechen war, ist gerade fraglich. Dass wir unser Gesetz Voelkersatrafgesetzbuch nennen, heisst nichts. Da muesste man erstmal eine entsprechende Praxis nachweisen. Andernfalls waere der Haftbefehl ein voelkerrechtliches Delikt.

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