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24.000 EUR – für eine Auskunft?!

Das intransparente EU-Kostenrecht erschwert den Zugang zu Gerichten

14.05.2020

Offenlegung: Einer der Autoren dieses Beitrags arbeitet als Syndikusanwalt für FragDenStaat und ist unmittelbar in den Rechtsstreit mit Frontex involviert.

 

23.700,81 EUR hat Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, im Februar Luisa Izuzquiza und Arne Semsrott als Kosten externer Rechtsberatung in Rechnung gestellt. Die Transparenz-Aktivist*innen der Organisationen Corporate Europe Observatory bzw. FragDenStaat hatten die EU-Behörde auf Zugang zu Informationen über Grenzschutz-Patrouillenschiffe in Anspruch genommen (Hintergrund hier) und waren hiermit schließlich vor dem Europäischen Gericht in Luxemburg (EuG) unterlegen (Rechtssache T-31/18). Das Ergebnis eines weiteren Rechtsstreits über die Kosten dürfte die maßgebliche Reduzierung dieser überraschend hohen Forderung sein. Dies ändert jedoch nichts an dem einer solchen Kostenforderung zugrunde liegenden Kernproblem: Ein intransparentes EU-Kostenrecht, das strukturell ungleiche Parteien gleich behandelt und so Gefahr läuft, vom Beschreiten des Rechtswegs abzuschrecken.

Die Folge ist, dass Grundrechte, wie das Recht auf Informationszugang nach Art. 42 der EU-Grundrechtecharta (GRCh), von finanzschwachen Personen oder Organisationen nicht effektiv vor Gericht durchgesetzt werden können: Die potenzielle Kostenbelastung im Falle eines Unterliegens ist mit Blick auf die wirtschaftliche Komponente des Klageziels unverhältnismäßig und für Einzelpersonen gar existenzbedrohend. Dies rührt an dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRCh). Mehr noch: Für Transparenzklagen ist die zusätzliche Botschaft, dass EU-Einrichtungen sich von öffentlicher Kontrolle abschotten, da bereits der Versuch, als Ausgangspunkt einer Rechtmäßigkeitskontrolle Informationen über behördliches Handeln zu erlangen, teuer werden kann.

Daher sollte die fragwürdige Kostenforderung von Frontex als Ausganspunkt genommen werden, um über Reformen des EuG/EuGH-Kostenrechts nachzudenken. Es muss transparenter und schlicht kostengünstiger gestaltet werden, sodass jedenfalls die Geltendmachung von Grundrechten und anderen im öffentlichen Interesse liegenden Rechtspositionen vorbehaltlos möglich ist.

Der Fall: Auskunftsersuchen zur Frontex-Operation Triton

Frontex ist laut der Verordnung (EU) 2019/1896 in Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten seit 2004 zuständig für die Kontrolle der  Außengrenzen des Schengenraums. Die Mittel der Agentur sind im Laufe der Jahre erheblich erweitert worden, sodass Frontex mittlerweile über ein Milliardenbudget verfügt. Die Agentur nutzt es, um die EU-Außengrenzen zunehmend minutiös sowie technisch und personell hochgerüstet zu überwachen.

Von Januar 2017 bis Januar 2018 führte Frontex die Operation Triton vor den Küsten Italiens und Maltas durch, um das Seegebiet mit Schiffen stärker zu überwachen. Diesbezüglich ersuchten die späteren Kläger*innen Frontex gemäß Art. 6 Abs.1 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 um Zugang zu Dokumenten mit Informationen über Namen, Typen und Flaggen der im Zuge der Operation zwischen Juni und August 2017 eingesetzten Schiffe. Frontex verweigerte den Zugang zu den beantragten Dokumenten unter Verweis auf den Schutz des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Sicherheit (Art. 4 Abs. 1 lit. a erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001).

Transparenzklage vor dem EuG – Inanspruchnahme der Kläger*innen

Daraufhin erhoben die Antragssteller*innen im Januar 2018 Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des entsprechenden Frontex-Beschlusses. Nach Austausch diverser Schriftsätze und einer mündlichen Verhandlung wies das EuG die Klage am 27. November 2019 ab. Ohne hierzu weitere Sachaufklärung zu betreiben, folgte es Frontex darin, dass die Offenlegung der Informationen “criminal gangs” ermögliche, die Grenzüberwachung zu umgehen und die EU-Außengrenze zu überschreiten. Die Kläger*innen legten gegen das Urteil, auch vor dem Hintergrund des weiteren Kostenrisikos, keine Berufung ein.

Auf Antrag von Frontex verurteilte das Gericht die Kläger*innen dazu, die Kosten des Verfahrens zu tragen (Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts). Die Anwendung von Art. 135 (3) Abs. 1 Verfahrensordnung (Keine Pflicht zur Kostentragung aus Billigkeitsgründen) zog es nicht in Betracht. Ende Januar 2020 stellte Frontex den Kläger*innen Kosten von 23.700,81 EUR „related to external counsel and travel costs“ in Rechnung. Eine irgendwie geartete Aufschlüsselung der Kosten erfolgte nicht.

Keine festen Vergütungssätze – Erstattung “notwendiger Aufwendungen”

Art. 134 Abs. 1 Verfahrensordnung regelt als allgemeine Kostentragungsregel, dass die unterliegende Partei – ausschließlich auf Antrag der anderen Partei – zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. Art. 140 Verfahrensordnung benennt als erstattungsfähige Kosten “Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren notwendig waren (“expenses necessarily incurred“), insbesondere Reise- und Aufenthaltskosten sowie die Vergütung der Bevollmächtigten, Beistände oder Anwälte” (lit. b). Das europäische Recht arbeitet hier – anders als etwa das deutsche Recht – nicht mit Regularien, die eine konkrete Berechnung der Anwaltsvergütung im Vorhinein ermöglichen. Stattdessen ist zunächst einmal vorgesehen, dass sich die Parteien auf Basis des Kostentenors über die konkrete Höhe des Kostenersatzes einigen.

Hier können die Vorstellungen jedoch erheblich voneinander abweichen: Nach deutschem Recht beispielsweise würden die zu erstattenden gegnerischen Anwaltskosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz  und den anwaltlichen Vergütungstabellen bei einem Regelstreitwert von 5.000 EUR um die 900 EUR betragen. Das ist gegenüber den knapp 24.000 EUR, die Frontex nun verlangt, eine „andere Welt“.

Gerichtliches Verfahren zur Kostenfestsetzung – Angemessenheitserwägungen

In einem Telefonatzwischen dem Prozessbevollmächtigten der Kläger*innen und Frontex teilte letztere mit, man werde nur darlegen, wie man zu der konkreten Summe gelangt sei, wenn die Kläger*innen vorher zusagten, die Rechnung zu begleichen und die Aufschlüsselung der Kosten nicht zu veröffentlichen. Die Kläger*innen wollten weder diese Zusage leisten noch haben sie die Rechnung innerhalb der von Frontex gesetzten Frist beglichen. Frontex kann nun beim EuG das “taxation of costs”-Verfahren nach Art. 170 Verfahrensordnung einleiten, in dem das EuG dann die Höhe der erstattungsfähigen Kosten festsetzt. Auch das Gericht orientiert sich jedoch in ständiger Rechtsprechung nicht an Regularien und Gebührentabellen und ist insbesondere nicht an nationalstaatliche Regeln gebunden (vgl. EuG T-256/14 Rn. 7).

Stattdessen wendet es bestimmte Kriterien an, die zu einer Einzelfallbetrachtung der Umstände des jeweiligen Rechtsstreits auf tatsächlicher Ebene führen (EuG T-256/14 Rn. 8). Hier kann die besondere Situation zivilgesellschaftlicher Akteure berücksichtigt werden. Zusammen mit der Tatsache, dass Frontex seinerseits eine breit besetzte Rechtsabteilung vorhält und die Unterstützung externer Anwälte kaum nötig haben dürfte, sollten hiernach die Kosten im konkreten Fall maßgeblich reduziert werden. Zudem wird das EuG wohl berücksichtigen, dass Frontex die Notwendigkeit der Kosten nicht detailliert dargelegt hat (vgl. EuG T-187/06 DEP Rn. 47 m.w.N.).

Hohe Kostenrisiken bei Rechtstreitigkeiten mit EU-Einrichtungen

Eine nachgelagerte Einzelfallprüfung löst allerdings nicht das grundlegende Problem der unvorhersehbaren Anwaltskosten der Gegenseite. Die tatsächliche Situation ist derzeit diffus: Anders als EU-Agenturen wie Frontex lassen sich die EU-Organe nach gängiger Praxis zumindest in Gerichtsstreitigkeiten bezüglich Informationsanfragen nicht von externen Anwälten vertreten, sondern verlassen sich auf ihre Rechtsabteilungen. In einem solchen Fall belaufen sich entsprechende Kosten der Organe, selbst in sehr komplexen Fällen, nicht auf mehr als ungefähr 1.000 EUR. Dies ist halbwegs verlässlich. Zusammen mit dem Umstand, dass es außerhalb des Informationszugangs nur wenige Möglichkeiten gibt, im öffentlichen Interesse Klage nach Art. 263 AEUV einzureichen, ist diese Praxis wahrscheinlich auch der Grund, warum das vor den europäischen Gerichten geltende Kostenrecht bisher wenig Beachtung gefunden hat.

Wie sehr Antragsteller*innen im Ergebnis dann aber doch vom „goodwill“ der EU-Einrichtung abhängig sind, zeigt der aktuelle Fall: Holt sich eine EU-Einrichtung die Unterstützung externer Anwält*innen, wie es Frontex trotz seines soweit ersichtlich „sufficiently staffed legal department“ getan hat, steigen die Kosten in unvorhersehbare Höhen. Nach Auffassung von Ylva Johansson, der EU-Kommissarin für Inneres, haben EU-Einrichtungen dann etwa auch bei Informationsfreiheitsklagen von Einzelpersonen keine andere Wahl, als die Kosten als „recoverable“ geltend zu machen. Ein weiteres Kostenrisiko besteht darin, dass unterlegene Antragsteller*innen nach Art 134. Abs. 1 Verfahrensordnung verpflichtet werden können, die Kosten etwaiger Streithelfer der Gegenpartei (nicht jedoch von Mitgliedsstaaten und EU-Organen, Art. 138 Verfahrensordnung) mitzutragen. So entschied das EuG im November 2018 in einem Fall bezüglich Umweltinformationszugang, dass die Umweltorganisationen Greenpeace (Niederlande) und Pesticide Action Network Europe die Kosten aller Streithelfer der EU-Kommission zu tragen haben (EUG T‑545/11 RENV Rn. 118). Die Streithelfer auf Seiten der Kommission waren sieben (!) Industrieverbände und die Rechtssache war auf drei Instanzen verhandelt worden (Erstinstanz, Berufung und Rückverweisung zum EuG).

Lösungsansatz auf Rechtsprechungsebene: keine Erstattung externer Beratungskosten

Angesichts hoher Anwaltskosten, so hat das bis September 2016 bestehende Gericht für den öffentlichen Dienst (EuGöD) betont, könnten sich Personen insbesondere zum Verzicht auf wirtschaftlich wenig bedeutsame Klagen veranlasst sehen. Dies könne „die Wirksamkeit des Klagerechts […] beeinträchtigen und somit den Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, der von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden und in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, […] verletzen.” (EuGöD F-55/08 DEP Rn. 36)

Daher müsse die EU-Einrichtung “beweisen”, dass es sich um “notwendige Aufwendungen” gehandelt habe, was aber wohl nur im Ausnahmefall und für vom sachlichen und zeitlichen Umfang her sehr beschränkte Beratungsleistungen und insbesondere nicht aus Haushalts- oder organisatorischen Erwägungen möglich sein soll. Zudem sei bei der Festsetzung des erstattungsfähigen Honorars „die Leistungsfähigkeit der zur Kostentragung verurteilten Partei [zu] berücksichtigen, damit das in Art. 47 der Charta der Grundrechte verankerte Recht dieser Partei auf einen wirksamen Rechtsbehelf nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.” (EuGöD F-55/08 DEP Rn. 37/38).

Keine Übertragung der “Kein Kostenersatz”-Rechtsprechung auf andere als Beschäftigten-Konstellationen

Soweit ersichtlich spielt diese Rechtsprechung jedoch nur bei Auseinandersetzungen zwischen EU-Einrichtungen und ihren Beschäftigten eine Rolle und nicht bei angrenzenden Konstellationen wie dem Rechtsstreit zwischen einem EU-Organ und einer beauftragten sachverständigen Person (EuG T-284/06 DEP II Rn 67 ff.) oder früheren Beschäftigten (EuG T-613/18 DEP). Dementsprechend wird auch bei Klagen von Einzelpersonen die grundsätzliche Frage, inwieweit EU-Einrichtungen die Kosten externer Rechtsberatung ersetzt verlangen können, entweder gar nicht eigens thematisiert oder aber apodiktisch unter Bezugnahme auf das Recht (nicht die Pflicht!), sich der “Hilfe […] eines Anwalts zu bedienen” (Art. 19 Abs. 1, 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs), bejaht: So sei die Pflicht eines EU-Organs, die objektive Notwendigkeit des Rückgriffs auf einen Anwalt nachzuweisen, weder mit Art. 19 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs noch mit der den Organen und Einrichtungen der Union bei der Führung ihrer Rechtsstreitigkeiten eingeräumten internen Organisationgewalt vereinbar.” (EuG T-278/07 P-DEP Rn. 14/15; vgl. auch EuG T-498/09 P-DEP Rn. 20).

Dementsprechend erwägt das EuG lediglich bei Bestimmung der Kostenhöhe, ob auf Grund der Organisationsstruktur und Materie die Anwaltsvertretung in dem beauftragten Ausmaß notwendig war und passt gegebenenfalls die erstattungsfähigen Kosten an. Weder wird allerdings die externe anwaltliche Vertretung an sich hinterfragt noch wird die objektive oder subjektive Verhältnismäßigkeit der Kostenforderung relativ zu dem Antragsteller in Betracht gezogen (vgl. EuG T-278/07 P-DEP Rn. 14; T-187/06 DEP Rn. 40; T-498/09 P-DEP Rn. 21). In der Regel stehen am Ende für ein Verfahren üblichen Umfangs zweistellige Stundenzahlen mit Stundensätzen im zumindest unteren dreistelligen Bereich auf dem Papier.

Durchsetzungsdefizit für Grundrechte

In diesen Konstellationen ist das intransparente und undifferenzierte Kostenrecht eine Gefahr für das Verfahrensgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 47 GRCh) und die Durchsetzung materieller Grundrechte, wie in diesem Fall das Recht auf Zugang zu Dokumenten nach Art. 42 GRCh und Art. 15 Abs. 3 AEUV.

Nicht nur in der GRCh, sondern auch in Art. 13 der EMRK ist klar anerkannt, dass der Rechtsschutz für Grundrechtsverletzungen, bspw. des Rechts auf Zugang zu Informationen (Art. 10), effektiv, adäquat und zugänglich sein muss (EGMR App. no. 18030/11). Daher dürfen die Kosten nicht exzessiv sein und keine unverhältnismäßige Einschränkung darstellen (siehe dazu z.B. EGMR App. no. 36813/97, Rn. 201). Wohl auch unter diesem Gesichtspunkt sehen die Verfahrensregeln des EGMR Kostenerstattung nur für Antragssteller*innen vor, die Kosten des betreffenden Mitgliedstaates können nicht zurückerstattet werden. Da die EU immer noch nicht Mitglied der EMRK ist, bleibt der Rechtsweg zum EGMR allerdings ausgeschlossen und der EuGH fungiert als letzte Instanz und damit auch als finales „Grundrechtsgericht“. Diese Rolle erfüllt dieser eindeutig nicht, wenn er durch die Kostenregelung teilweise unzugänglich bleibt.

Wertungswidersprüche zwischen EU-Kostenrecht und EuGH-Anforderungen an nationalstaatliches Kostenrecht

Insbesondere Informationsfreiheitsanfragen im Umweltrecht verdeutlichen die Absurdität, die das derzeitige Kostenrecht vor den EU-Gerichten kennzeichnet. Bezüglich der Kostenregelungen für Umweltstreitigkeiten in den Mitgliedsstaaten hat der EuGH die Voraussetzung der Bezahlbarkeit des Zugangs zu Gerichten deutlich benannt. Beruhend auf Art. 9 Abs. 4 der Aarhus Konvention hat der EuGH in einer Reihe von Vorabentscheidungs- (Art. 267 AEUV) und Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) verschiedene nationale Kostenregelungen betrachtet (siehe z.B. C-260/11, C-470/16, C-167/17) und festgestellt, dass Vorhersehbarkeit der Kosten geboten sei und dies „eindeutige Regeln“ erfordere (C-530/11 Rn. 56). Für die Durchsetzung von Umweltinformationsanfragen vor dem EuGH existieren diese von dem Gericht für das nationalstaatliche Recht geforderten „eindeutigen“ Kostenregeln aber gerade nicht.

Dies verwundert umso mehr, als Verordnung 1049/2001 anerkennt, dass der Informationszugang auf Ebene des Verwaltungsverfahrens nicht von Kostenanfragen der informationspflichtigen Stelle verhindert werden darf. Konkret verlangt Art.10 Abs. 1 Verordnung 1049/2001, dass Kosten, die dem Antragsteller in Rechnung gestellt werden, nicht die „tatsächlichen Kosten für die Anfertigung und Übersendung der Kopien“ überschreiten. Dies macht es umso weniger nachvollziehbar, warum es dann in der nachfolgenden Klage zum EuG, die ja ebenfalls in Art. 8 Abs. 1 und 3 der Verordnung 1049/2001 explizit vorgesehen ist, keinen Kostenschutz für Antragsteller*innen mehr gibt.

Reform des Kostenrechts als zivilgesellschaftlicher Faktor

Das Kostenrecht ist ein blinder Fleck im europäischen Rechtsschutzsystem, der nun langsam mehr und mehr zu Tage tritt. Soll das EU-Kostenrecht nicht zur absoluten Barriere für Informationszugang werden, braucht es dringende Maßnahmen zu dessen Reform, etwa orientiert an bestimmten Parteienverhältnissen (natürliche Personen, gemeinnützige Vereine, etc.) oder Themenfeldern von Klagen (bspw. Transparenzklagen, Klagen mit Sozialstaatsbezug, Streitigkeiten um Einrichtungen der Daseinsvorsorge, insbesondere Kultur, Bildung, Umwelt, Energie, Wasser, Klima, etc.). Dies ist insbesondere auch im Kontext der unbedingt notwendigen Ausweitung der Klagemöglichkeiten im öffentlichen Interesse nach Art. 263 AEUV zu sehen. Derzeit verhindert die enge Auslegung der individuellen und unmittelbaren Betroffenheit durch den EuGH in den meisten gemeinnützigen Fällen noch die Klagebefugnis. Allerdings gibt es bereits Ausweitungen dieses Klagezugangs durch entsprechende EU-Gesetzgebung. Die Verordnung 1367/2006 erlaubt es Umweltorganisationen, in bestimmten Fällen Verletzungen des EU-Umweltrechts vor Gericht zu bringen und eine Öffentlichkeitsbeteiligung zur Ausweitung dieses Rechtswegs wurde gerade abgeschlossen. Es ist daher unbedingt notwendig, dass diese und ähnliche Initiativen von einer Änderung des EU-Kostenrechts flankiert werden, entweder durch eine Änderung der Verfahrensordnung oder in relevanten Verordnungen, die entsprechende Klagemöglichkeiten eröffnen.

Kurzfristig bedürfte es daneben zumindest eines klaren Impulses und einer verlässlichen Linie der Rechtsprechung im Sinne der vom Einzelfall unabhängigen “Kostenbefreiung” zivilgesellschaftlich motivierter Akteure. Diese Kostenbefreiung sollte nicht erst als Ergebnis eines – erneut Unsicherheit und Kosten verursachenden – Kostenfestsetzungsverfahrens nach Art. 170 Verfahrensordnung stehen, sondern muss kategorisch bereits im Kostentenor der Hauptsache auf Grundlage von Art. 135 (3) Abs. 1 Verfahrensordnung erfolgen. Das EUGöD hat hier die durchgreifenden Erwägungen bezüglich der Rechtsweggarantie aus der GRCh bereits formuliert. Zudem bietet der Schutz des Grundrechts auf Informationszugang nach Art. 42 GRCh und Art. 15 Abs. 3 AEUV eine weitere Basis für die sachspezifische Übertragung dieser Rechtsprechung.

 

Sebastian Bechtel ist Jurist im Environmental Democracy-Team der NGO Client Earth.

Dr. Philip Hofmann ist als Syndikusanwalt der Open Knowledge Foundation e.V. Head of Legal im Projektträger von FragDenStaat. Als solcher ist er unmittelbar in den Rechtsstreit mit Frontex involviert.

 

Cite as: Sebastian Bechtel & Philip Hofmann, “24.000 EUR – für eine Auskunft?! – Das intransparente EU-Kostenrecht erschwert den Zugang zu Gerichten”, Völkerrechtsblog, 14. Mai 2020, doi: 10.17176/20200515-013407-0.

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