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David gegen Goliath

Ein Interview mit Survival International zu den Rechten indigener Völker

23.08.2017

Wenn man über indigene Völker in den Medien liest, dann liest man in der Regel leider selten Gutes: Land Grabbing, Vertreibung oder, wie in Australien, der Kampf der Aborigines um die Anerkennung als erste Bewohner des Landes in Form eines Vertrages. Survival International ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzt. Wir sprachen mit Linda Poppe von Survival International über aktuelle Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen des Rechts sowie die Arbeit ihrer Organisation.

Es gibt mehr als 5000 indigene Völker, aber die Probleme, denen sie begegnen, scheinen sich sehr zu ähneln. Welches sind denn aus Ihrer Sicht die Hauptprobleme und Herausforderungen indigener Völker?

Zwar gibt es keine völkerrechtliche Definition von ‘indigenen Völkern’, aber ein zentrales Element ist sicher die gemeinsame Erfahrung von Unterdrückung und Ausgrenzung.  Es ist in der Tat prägend für indigene Völker, dass sie meist oder fast in allen Fällen als Minderheiten in einem Nationalstaat leben und dort Rassismus, Diskriminierung und Landraub erfahren. Unserer Erfahrung nach sind Landrechte das zentrale Thema, also der Anspruch auf Land. Land ist für indigene Völker oft der Grundpfeiler und damit die Voraussetzung für die Verwirklichung aller anderen Rechte – ob dies nun das Recht auf Selbstbestimmung ist oder das Recht auf Leben. Diesen Zusammenhang sieht man sehr gut bei den Aborigines in Australien. Durch den Verlust ihres Landes wurde ihnen faktisch die Lebensgrundlage entzogen, was dazu beigetragen hat, dass sie in eine Spirale der Armut geraten. Ohne ihr Land und die Möglichkeit sich selbst zu versorgen, werden sie abhängig von einer Gesellschaft, die sie immer noch ausgrenzt, herabwürdigt und diskriminiert. Die Lebenserwartung der Aborigines liegt zehn Jahre unter dem australischen Durchschnitt, was auch erheblich mit ihrer sozioökonomischen Situation, ärztlicher Versorgung, guter Ernährung oder Gewaltfreiheit zusammenhängt. Der Verlust des Landes bedeutet zudem den Verlust ihrer Kultur und des traditionellen Wissens. Mit dem Zugang zu Land besteht die Möglichkeit für diese Völker, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden und diese zu gestalten. Wenn indigenen Völkern hingegen ihr Land genommen wird, werden sie in eine Situation der Abhängigkeit gedrängt, wodurch sich andere Probleme, wie Rassismus, den sie in der Gesellschaft erfahren, noch verstärken.

Wie effektiv sind da die Instrumente des internationalen und nationalen Rechts, um indigenen Völkern bei der Verwirklichung ihrer Rechte zu helfen und gegen Verletzungen ihrer Rechte vorzugehen?

Das Recht ist zentral. Es hat sich ja in den letzten Jahrzehnten einiges getan, wie zum Beispiel die UN Erklärung zu den Rechten indigener Völker von 2007. Wichtige Funktionen übernehmen zudem die UN-Sonderberichterstatterin für indigene Völker oder der Expert Mechanism des UN-Menschenrechtsrates. Das einzige verbindliche internationale Abkommen für die Rechte indigener Völker bleibt aber die ILO-Konvention 169 von 1991. Hinzukommen nationale Rechtsvorschriften in vielen Staaten, manchmal sogar mit Verfassungsrang.  Es ist natürlich immer eine Frage, wie diese Normen letztlich umgesetzt werden und oft passiert da nicht viel, obwohl zum Beispiel gerade in Lateinamerika nationale Gesetze relativ umfassend sind und Landrechte, Selbst- und Mitbestimmung indigener Völker schützen. Aber selbst wenn die Gesetze gut sind, werden sie faktisch häufig umgangen. Es ist Teil unserer Arbeit bei Survival International, politischen Druck aufzubauen, damit diese Gesetze eingehalten werden oder aber rechtlichen Beistand zu leisten. Wichtig sind da auch Institutionen, wie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, der einige wegweisende Fälle zu den Rechten indigener Völker entschieden hat. Ohne die entsprechenden Rechtsgrundlagen wäre das natürlich fast unmöglich.

Wer umgeht diese Gesetze, wo liegt die größte Bedrohung für indigene Völker? Wer ist der Gegner?

Meistens Regierungen, oft auch in Zusammenarbeit mit Großkonzernen oder mit staatlichen Unternehmen, wenn es zum Beispiel darum geht, Erkundungslizenzen für Rohstoffe zu vergeben. Unternehmen spielen sicher eine große Rolle, aber letztlich ist es der Staat, der seinen Schutzpflichten nicht nachkommt und offensichtlich Projekte vorantreibt, die die Rechte indigener Völker verletzen. Der Anspruch auf Selbstbestimmung indigener Völker stellt natürlich eine Herausforderung an das Selbstverständnis des souveränen Staates dar. Zudem ist das Land, auf dem sie leben, eine wichtige Ressource, die industriell und wirtschaftlich erschlossen werden kann und oftmals gibt es Spannungen zwischen der Nutzungsweise dieser Völker und wirtschaftlichen Interessen an Erschließung. Da kollidieren dann im Einzelfall die Rechte indigener Völker mit dem legitimen Interesse der Staaten an wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand. Dies führt letztlich dazu, dass die Rechte indigener Völker von einer Vielzahl von Akteuren bedroht sind, nicht nur von Regierungen oder Konzerne, sondern auch Tourismus oder gar Naturschutzorganisationen, die Schutzgebiete auf den Ländern indigener Völker errichten.

Naturschutzorganisationen sind wahrscheinlich nicht die ersten, die einem einfallen, wenn man an Bedrohungen für indigene Völker denkt. Sollten da nicht ähnliche Ziele bestehen, das Land zu schützen?

Das Problem mit Naturschutzgebieten ist, dass es die Vorstellung gibt, dass dort nur Natur und Tiere sein sollen und keine Menschen. Das entspricht natürlich oft nicht den realen Gegebenheiten. Zum Beispiel sind 80 Prozent der biologisch vielfältigsten Gebiete der Welt von indigenen Völkern bewohnt. Naturschutzorganisationen argumentieren dann oft, dass Menschen dieses Gebiet verlassen müssen oder das Land nicht mehr nutzen sollen, um zu jagen oder zu sammeln, Pflanzen zu nutzen oder bestimmte wichtige Stätten aufzusuchen. Damit entsteht letztlich erhebliche Konflikt um Land und Nutzungsrechte. Natürlich versuchen Naturschutzorganisationen Alternativen anzubieten, aber das ist dann oft nicht das, was indigene Völker möchten: wie zum Beispiel die Einrichtung einer konventionellen Gesundheitsversorgung, um indigene Völker davon abzuhalten, Heilpflanzen zu nutzen. Dadurch werden sie zudem wieder in die Rolle von Bittstellern gedrängt, statt als Rechtsinhaber angesehen zu werden. Die Idee der Landrechte indigener Völker und ihrer Bedeutung muss im Naturschutz noch viel stärker verankert werden. Das würde zum Beispiel bedeuten, indigene Völker viel stärker und von Anfang an in Naturschutzprojekte einzubeziehen und natürlich auch ihr Wissen einzubeziehen. Es darf nicht passieren, dass Gebiete ohne Konsultation in Nationalparks umgewandelt werden und Menschen, die dort seit vielen Generationen gelebt und gejagt haben, plötzlich als Wilderer betrachtet werden, zum Teil mit strafrechtlichen Konsequenzen.

Ist das Problem eine ethnozentrische Idee von Natur und dem Umgang mit ihr?

Absolut. Diese Gebiete verwandeln sich fast in kleine Festungen, die zum Teil mit Waffeneinsatz geschützt werden. Das ist natürlich verständlich vor dem Hintergrund von organisierter Kriminalität und Wilderei, wie im Fall von Elfenbeinhandel. In Südosten Kameruns gibt es zum Beispiel den Fall der Baka. Große Flächen von deren angestammten Land wurden in Nationalparks umgewandelt, was die Rechte der Baka ihr Land zu nutzen und zu betreten in der Praxis erheblich einschränkt. Um gegen illegalen Wildtierhandel vorzugehen, sind überdies sehr viele bewaffnete Wildhüter im Einsatz und immer wieder kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Baka und den Wildhütern, die die Baka misshandeln und aus den Wäldern vertreiben. Das ist wahrscheinlich nicht das erste, was einem beim Wort Naturschutz in den Sinn kommt. Durch einen so verstandenen Naturschutz werden die Baka ihrer natürlichen Lebensgrundlagen beraubt, dabei könnten moderne Naturschutzprojekte viel vom Wissen dieser Völker lernen, für die ein nachhaltiger Umgang mit dem Land Teil ihres Selbstverständnisses ist. Survival International hat deswegen eine Beschwerde bei der OECD-Kontaktstelle in der Schweiz eingereicht, wo die mitwirkende Naturschutzorganisation ihren Sitz hat.

Die Rechte indigener Völker sind viel umfassender in Lateinamerika verankert. In Brasilien scheint sich die Situation derzeit aber zu verschlechtern.

Brasilien ist eigentlich eines der Länder, das eine der umfassendsten Gesetzgebungen für indigene Völker hat und wo sich sehr viel getan hat in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren, um ihre Rechte anzuerkennen. Doch durch die politischen Umwälzungen im Lande hat die Agrarlobby, der sogenannte Ruralista Block, nun wieder sehr viel Einfluss in der Regierung gewonnen. Ein Gesetzesvorschlag sollte zum Beispiel die Verfahren für Umwelt- und Sozialverträglichkeit von geplanten Großprojekten vereinfachen. Brasilien hat natürlich ein Interesse daran, seine schwache Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen, allerdings bedrohen diese Gesetzesvorhaben die hart erkämpften Rechte indigener Völker. Es gibt überdies derzeit Versuche, die Rechte der indigenen Völker dadurch zu untergraben, in dem das Budget für die staatliche Behörde National Indian Foundation (FUNAI) zusammengestrichen wird, welche diese Völker bei der Ausübung ihrer Rechte und bei der Ausweisung indigenen Landes unterstützt. Ein Bericht des brasilianischen Kongresses behauptet zudem, dass die UN Konvention der Rechte indigener Völker Brasiliens Souveränität bedroht und dass die ILO Konvention 169 dazu beträgt, indigene Völker zu schaffen, die eigentlich keine seien. Das ist wirklich eine große Bedrohung für die rechtlichen Fortschritte in diesem Bereich. Insofern ist die Unterstützung internationaler Institutionen, wie zum Beispiel der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte oder aber solcher Organisation wie Survival International wichtig, einfach auch um überhaupt Öffentlichkeit herzustellen.

Wie gewinnt man diesen Kampf David gegen Goliath?

Viele indigene Völker schließen sich jetzt zusammen, die vielleicht vorher ihre eigenen speziellen Sorgen hatten, ein Staudamm, ein Agrarprojekt. Sie äußern sich gemeinsam und geschlossen, was natürlich eine ganz andere Diskussion in der Gesellschaft anstößt und es natürlich auch schwieriger für die Regierung macht, einfach wegzuhören. Die Vereinten Nationen haben vor Kurzem gemeinsam mit der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte ein Statement abgegeben, in dem sie sich sehr besorgt zeigen gegenüber den Entwicklungen in Brasilien. Wir sehen auch, dass sich nun internationale Partner wie Deutschland zur Situation äußern, was natürlich den Druck auf Brasilien erhöht, wenngleich nur in begrenztem Masse.

Wie ist es denn um das deutsche und europäische Verhältnis zu indigenen Völkern bestellt?

In Deutschland ist das alles noch sehr wenig ein Thema. Anders in anderen europäischen Ländern, wo natürlich die Kolonialgeschichte eine große Rolle spielt. Dabei sollte Deutschland sich stärker damit beschäftigen. Wir haben vor zwei Jahren eine Studie zu deutschen Unternehmen und den Rechten indigener Völker durchgeführt und wir mussten feststellen, dass da noch viel zu wenig Bewusstsein seitens der Unternehmen besteht, welche Sorgfaltspflichten sie im Umgang mit indigenen Völkern treffen. Fast keines dieser Unternehmen hat das in seinen Grundsätzen zur Wahrung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht verankert oder nimmt das überhaupt als mögliches Problemfeld wahr. Die deutsche Regierung wäre da in der Pflicht mehr zu tun. Deutschland hat die ILO Konvention 169, die die Rechte indigener Völker schützt, bisher nicht ratifiziert hat und sich auch recht stark dagegen sträubt. Das ist auch der Fall in mehreren anderen europäischen Ländern. Zur offiziellen Begründung heißt es, man bräuchte es nicht, da man keine indigene Bevölkerung habe. Dann spielen natürlich auch wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle, da man Haftungsrisiken für deutsche Unternehmen befürchtet.

 

Cite as: Mareike Riedel, “David gegen Goliath. Ein Interview mit Survival International zu den Rechten indigener Völker”, Völkerrechtsblog, 23 August 2017, doi: 10.17176/20190423-132407-0.

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Mareike Riedel
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