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Galeone San José: Schatzjagd und Unterwasserkulturerbe

Art. 16 der UNESCO-Konvention von 2001 ermöglicht effektive Schutzmaßnahmen

01.08.2018

Als die im frühen 18. Jahrhundert gesunkene, vermutlich mit sagenhaften Schätzen beladene Galeone San José 2015 vor der Küste Kolumbiens geortet wurde, war dies eine internationale Sensation. Als kürzlich bekannt wurde, dass Kolumbien die Bergung des Schiffes im Rahmen einer Public-private-Partnership plant, bei der Teile des auf über 10 Milliarden US-Dollar geschätzten Fundes als Gegenleistung an beteiligte Unternehmen gelangen könnten, begegnete dies substantieller Kritik. Im April 2018 verabschiedete der Wissenschaftlich-Technische Beirat zum UNESCO Übereinkommen über den Schutz des Unterwasserkulturerbes eine Resolution und richtete einen eindringlichen Appell an die kolumbianische Regierung. Er warnte vor einer kommerziellen Ausbeutung des Fundes, und vor den negativen Folgen, die derartige Vorhaben für die beteiligten Länder in der Vergangenheit hatten. Zudem rügte er die voraussichtliche Beteiligung von Personen, die bereits bei ähnlichen Projekten konstant gegen archäologische Standards verstoßen hätten.

End of story? Nicht ganz

Nun könnte man meinen, dass die Angelegenheit mit dieser Mahnung ihr Bewenden haben müsste: Das kolumbianische Vorhaben konfligiert zwar mit grundlegenden Bestimmungen des UNESCO-Übereinkommens, Kolumbien hat dieses allerdings nicht ratifiziert. Überdies kommt den Äußerungen des durch Art. 23 der Konvention installierten Wissenschaftlich-Technischen Beirats keine rechtliche Bindungswirkung zu. Allerdings enthält das Übereinkommen mit Art. 16 eine Bestimmung, die den Schutz des Unterwasserkulturerbes im Sinne der Konvention über die Grenzen der Vertragsstaaten hinaus ermöglicht.

Art. 16 der Konvention – in der offiziellen, englischen Version überschrieben mit „Measures relating to nationals and vessels“ – verpflichtet die Vertragsparteien alle durchführbaren Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass sich weder ihre Staatsangehörigen noch Schiffe unter ihrer Flagge an auf das Unterwasserkulturerbe gerichteten konventionswidrigen Handlungen beteiligen:

States Parties shall take all practicable measures to ensure that their nationals and vessels flying their flag do not engage in any activity directed at underwater cultural heritage in a manner not in conformity with this Convention.

Strafrechtlich sanktionierte Verbote

Den Vertragsparteien obliegen folglich Umsetzung und Durchführung der von Art. 16 vorgesehenen Schutzmaßnahmen. Deren konkreter Inhalt wird auch durch die in Art. 2 des Übereinkommens enthaltenen Grundsätze determiniert. Während Art. 2 Ziff. 1 die Gewährleistung und Verstärkung des Schutzes des Unterwasserkulturerbes als Ziel der Konvention festhält, verlangt Ziff. 4 von den Vertragsparteien, dass sie alle für diesen Schutz geeigneten, erforderlichen Maßnahmen ergreifen, und zu diesem Zweck die geeignetsten ihnen verfügbaren Mittel einsetzen.

Im Kontext von Art. 16 bedeutet dies, dass alle geeigneten Maßnahmen, die einen wirksamen Schutz des Unterwasserkulturerbes gewährleisten können, zu etablieren sind. Dafür ist vor allem an den Erlass von Verboten zu denken, die überdies zwecks Effektivität sanktionsbewehrt sein müssen. Solche Verbote könnten grundsätzlich sowohl im Verwaltungs- als auch im Strafrecht verankert werden. Da aber sowohl Art. 16 als auch Art. 2 Ziff. 1 die Gewährleistung des Schutzes verlangen und zudem gemäß Art. 2 Ziff. 4 die geeignetsten Mittel zum Einsatz kommen müssen, sind die Vertragsparteien wohl zur Verhängung strafrechtlicher Sanktionen als besonders abschreckende Gegenmaßnahmen verpflichtet. Das Gebot der strafrechtlichen Sanktion ergibt sich zudem parallel aus Art. 17 der Konvention. Dieser verlangt nicht nur die Verhängung von adäquaten Sanktionen, sondern auch, dass diese die Einhaltung der Konvention in effektiver Weise bewirken und von Verstößen abschrecken sollen.

Gebietsunabhängige Jurisdiktion

Das Kriterium der Effektivität bestimmt auch den von den Maßnahmen betroffenen Personenkreis. Aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Art. 16 folgt eindeutig, dass die Vertragsstaaten ihre Jurisdiktion sowohl nach dem Flaggenprinzip als auch nach dem aktiven Personalitätsprinzip wahrzunehmen haben. Die Reichweite von Sanktionen ist bei der Anwendung des Flaggenprinzips durch die leicht zu realisierende Möglichkeit des Ausflaggens zugegebenermaßen sehr begrenzt. Darüber hinaus kann für fragliche Vorhaben von vornherein ein Schiff unter genehmer Flagge gewählt werden. Durch die Ausdehnung der Strafbarkeit auf die Staatsangehörigen der Konventionsstaaten erhält die Konvention eine ganz andere Reichweite: Durch sie wird die Jurisdiktion von der Begehung der konventionswidrigen Handlung in einem bestimmten Hoheitsgebiet oder auf einem Schiff unter einer spezifischen Flagge entkoppelt.

Auf diese Weise trägt die Konvention üblichen Szenarien bei der Beschädigung und Entfernung von Unterwasserkulturerbe Rechnung: Die Bergung von Gegenständen vom Meeresgrund erfordert regelmäßig den Einsatz komplexer Technik und enormen fachlichen Know-hows sowie eine hohe Mobilität. Insbesondere Staatsangehörige wohlhabenderer Staaten sind daher in der Lage, entsprechende Projekte durchzuführen. Ziel solcher Vorhaben sind überdies häufig solche Teile des Unterwasserkulturerbes, die sich in Gewässern von Staaten befinden, deren Ressourcen keinen wirksamen Schutz nach der Konvention ermöglichen oder aber in Gebieten liegen, die keiner entsprechenden Strafgewalt unterstehen. Um hier keine Lücke im Schutz entstehen zu lassen und damit Sinn und Zweck der Konvention zu verfehlen, sollen gerade solche Personen durch strafbewehrte Verbote ihrer Heimatstaaten von Beeinträchtigungen abgehalten werden.

Norm und Realität: notwendige Umsetzungsschritte

Obwohl Art. 16 den Vertragsstaaten deutliche Verpflichtungen auferlegt, besteht weiterhin erheblicher Umsetzungsbedarf. Angesichts von lediglich 60 Konventionsstaaten sind weitere Beitritte erforderlich – Länder wie die Schweiz und Deutschland bereiten einen solchen vor bzw. beabsichtigen ihn. Zugleich sind auch seitens der Vertragsparteien noch nicht alle notwendigen Schritte erfolgt. Die Dringlichkeit der vollständigen Umsetzung von Artikel 16 zeigt sich auch daran, dass in derselben UNESCO-Sitzung, in der das Schicksal der San José diskutiert wurde, eine weitere Resolution verabschiedet wurde. In dieser Resolution wurden die Vertragsparteien auf die Beteiligung von Staatsangehörigen und Schiffen unter ihrer Flagge an Konventionsverstößen hingewiesen. Während sich die Empfehlungen des Beirats auf praktische Durchsetzungsmaßnahmen richteten, besteht auch auf der Ebene der Rechtsgrundlagen Handlungsbedarf. Die Vertragsstaaten müssen nicht nur entsprechende Strafvorschriften beschließen, sondern auch ihre diesbezügliche Jurisdiktion begründen. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass Art. 16 die Strafbarkeit von Staatsangehörigen nicht von einem Lex-loci-Erfordernis abhängig macht. Die Vertragsparteien müssen folglich – sofern noch nicht geschehen – ihre strafrechtlichen Jurisdiktionsnormen um entsprechende Regelungen ergänzen.

Nächste Stufe: Maßnahmen gegenüber beteiligten Unternehmen

Der Konnex zwischen wohlhabenden Staaten und der Bedrohung des Unterwasserkulturerbes beschränkt sich nicht auf ihre Staatsangehörigen. Auch die Aktivitäten von Unternehmen sind derart problematisch, dass es naheliegt, auch über die Erforderlichkeit von Maßnahmen gegenüber juristischen Personen zu diskutieren. Der Wortlaut von Art. 16 („nationals“) scheint sich zwar nicht auf im jeweiligen Vertragsstaat ansässige Unternehmen zu erstrecken. Nichtsdestotrotz könnte im Lichte der jüngsten Bestrebungen, Unternehmen für die Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen zur Verantwortung zu ziehen, über eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Konvention im innerstaatlichen Strafrecht nachgedacht werden. Das entsprechende UNESCO-Mustergesetz berücksichtigt diese Entwicklung bereits: seine in Bestimmung 22 vorgesehene Sanktionsregelung umfasst ausdrücklich auch Unternehmen. Angesichts der herausgehobenen Rolle, die Unternehmen bei der Durchführung von Bergungsprojekten wie der Hebung der San José einnehmen, erscheint eine Entwicklung in dieser Richtung angezeigt, wenn der Schutz durch die Konvention nicht unvollständig bleiben soll.

Ist der Erhalt des Kulturerbes San José also gesichert?

Für den Schutz des Wracks der San José und des Unterwasserkulturerbes insgesamt ergibt sich nach dem Vorstehenden das folgende Bild: Obwohl Kolumbien die Konvention nicht ratifiziert hat, sieht Art. 16 Maßnahmen durch die Konventionsstaaten vor, die einer Beeinträchtigung des Unterwasserkulturerbes der San José nennenswert entgegenwirken könnten – vorausgesetzt sie wurden bzw. werden alsbald vollständig umgesetzt. Danach würden Staatsangehörige und Schiffe unter der Flagge der 60 Vertragsparteien durch Verbote und strafrechtliche Sanktionen von einer Mitwirkung an der geplanten Bergung abgehalten. Würden die Konventionsstaaten überdies ihre Maßnahmen auf in ihnen ansässige Unternehmen ausweiten, wären auch diese an einer Beteiligung gehindert; umfangreiche Ressourcen stünden so für das konventionswidrige Vorhaben nicht zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund wäre eine Modifikation der Pläne zur Hebung der San José durch die kolumbianische Regierung durchaus denkbar – zugunsten eines konventionskonformen Umganges mit Unterwasserkulturerbe.

 

Anna Petrig ist Professorin für Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Basel.

Maria Stemmler ist wissenschaftliche Assistentin an der Universität Basel, Professur für Völkerrecht und Öffentliches Recht, und Doktorandin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

 

Cite as: Anna Petrig & Maria Stemmler, “Galeone San José: Schatzjagd und Unterwasserkulturerbe. Art. 16 der UNESCO-Konvention von 2001 ermöglicht effektive Schutzmaßnahmen”, Völkerrechtsblog, 1 August 2018, doi: 10.17176/20180801-095737-0.

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