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Entzug von Mitgliedschaftsrechten zur Implementierung von Demokratie

Die Suspendierung des Sudan durch die Afrikanische Union

28.08.2019

Im Juni 2019 suspendierte die Afrikanische Union (AU) die Mitgliedschaftsrechte der Republik Sudan nach einem Staatsstreich des Militärs gegen den langjährigen Machthaber Umar al-Bashir. Hierdurch machte die AU erneut von einem Mechanismus Gebrauch, der einerseits dazu bestimmt ist, die verfassungsrechtlich vorgesehenen Regierungsstrukturen in den Mitgliedstaaten der AU, besonders vor gewaltsamen Umstürzen, zu schützen, und der andererseits die zügige Implementierung demokratischer Verhältnisse nach solchen Umstürzen befördern soll. Im Falle des Sudan wurde die Anwendung des Mechanismus durch die AU zu einem wichtigen Teil der Anstrengungen zur schellen Ablösung der Militärjunta.

Die Entwicklung im Sudan

Mitte Dezember 2018 kam es in verschiedenen Städten des Sudan zu Protesten aufgrund von steigenden Lebenshaltungskosten und der Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen aller Schichten der sudanesischen Gesellschaft. Während die Protestierenden zu Beginn vor allem zügige Veränderungen in der Wirtschaftspolitik verlangten, wurde schnell auch der Ruf nach einem Rücktritt von Präsident Umar al-Bashir laut. Al-Bashir regierte den Sudan seit 1989, nachdem er als Brigadegeneral der Armee durch einen Staatsstreich gegen Premierminister Sadiq al-Mahdi an die Macht gekommen war. Das Regime des Präsidenten al-Bashir galt als autoritär. Im Jahr 2009 erließ der Internationale Strafgerichtshof gegen ihn Haftbefehl wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der westsudanesischen Region Darfur.

Die sudanesische Regierung antwortete auf die andauernden Proteste mit Gewalt und der Präsident verhängte den Notstand. Anfang April 2019 kam es zu weiteren massiven Demonstrationen. Hierbei schützten schließlich Angehörige der Streitkräfte die Demonstranten vor den Sicherheitskräften, welche die Proteste gewalttätig auflösen wollten. Am 11. April 2019 wurde Al-Bashir, der dreimal, durch wahrscheinlich manipulierte Wahlen, im Amt bestätigt wurde, selbst durch einen Staatsstreich der Streitkräfte entmachtet. Das Militär löste das Kabinett und die Nationalversammlung auf, verhängte einen dreimonatigen Notstand und verkündete eine zweijährige Übergangsphase bis zur Übergabe der Staatsgeschäfte an eine zivile Regierung. Zudem beschloss es die Aussetzung der Verfassung.

Mitte April begannen Gespräche zwischen dem militärischen Übergangsrat und den Anführern der Protestierenden. Das Militär willigte hierbei ein, einen zivilen Premierminister und überwiegend Zivilisten für die Führung der Ministerien zu nominieren. Trotz der Zusagen des Übergangsrates kam es erneut zu Protesten; diesmal gegen die Militärregierung. Am 21. April 2019 brachen die Anführer der Protestierenden die Gespräche mit den Vertretern des Übergangsrates ab, da man der Auffassung war, dass das Militär nicht ernsthaft an einer Übergabe der Macht interessiert sei und die neue Führung sich zu sehr aus Vertretern des Bashir-Regimes zusammensetze. Es wurde zudem zu verstärkten Protesten aufgerufen.

Die stetig zunehmenden Spannungen zwischen zivilen Protestierenden und der Militärregierung entluden sich schließlich am 3. Juni 2019 bei einem Angriff auf ein Protestcamp in Karthum. Paramilitärische Kräfte setzten sowohl Tränengas als auch tödliche Waffengewalt gegen die Teilnehmer der Proteste ein. Hierdurch wurden mehr als 100 Menschen getötet und hunderte unbewaffnete Zivilisten verletzt (siehe Bericht hier). Weiter kam es zu Massenverhaftungen und wohl mehr als 70 Vergewaltigungen.

Die Reaktion der Afrikanischen Union

Seit Aufnahme ihrer Tätigkeit im Jahr 2002 hatte die AU in Fällen von Staatsstreichen des Militärs gegen eine amtierende Regierung regelmäßig die betreffenden Mitgliedstaaten von der Mitarbeit in der Organisation suspendiert. Diese Sanktion wurde etwa über Mauretanien, Guinea, Madagaskar, Niger, die Elfenbeinküste, Mali, die Zentralafrikanische Republik oder Ägypten verhängt. Aufgrund einer Vielzahl von militärischen Staatstreichen seit den Zeiten der Dekolonialisierung und der damit einhergehenden Schwächung demokratischer Strukturen, finden sich im Gründungsakt der AU Regelungen gegen solche Machtübernahmen. So wird in Art. 4 lit. (p) des Verfassungsdokuments der Organisation die „condemnation and rejection of unconstitutional changes of government“ zu einem Funktionsprinzip der AU erklärt, und Art. 30 sieht vor, dass es Regierungen, die durch verfassungswidrige Maßnahmen die Macht erlangt haben, nicht erlaubt sein soll, an den Aktivitäten der AU teilzunehmen.

Grundlegend für die Aufnahme dieser Regelungen in den Gründungsakt der AU war die im Jahr 2000, im Rahmen der Vorgängerin der AU, der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU), verabschiedete Lomé-Erklärung, in der ein Rahmen für die Reaktion der OAU auf verfassungswidrige Regierungswechsel abgesteckt worden war. Ein solcher Regierungswechsel liegt danach z.B. in Fällen militärischer Staatsstreiche, der Machtergreifung durch Aufständische oder von Söldnerinterventionen mit dem Ziel eines Regierungswechsels vor. Die Prinzipien der Lomé-Erklärung wurden zudem in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und weiteren Dokumenten, die den Gründungsakt der AU flankieren und teils präzisieren, übernommen. In Art. 25 Abs. 1 der Afrikanischen Charta über Demokratie, Wahlen und Regierungsführung ist insoweit die Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte in der AU als Sanktion für einen Mitgliedstaat vorgesehen, in dem sich ein verfassungswidriger Regierungswechsel zugetragen hat. Die Entscheidung über die Suspendierung steht dabei nach Art. 7 lit. (g) des Protokolls über seine Errichtung dem Friedens- und Sicherheitsrat der AU zu.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund verurteilte der Rat am 15. April 2019 die Machtergreifung durch das Militär im Sudan scharf und wies den Plan des Übergangsrates für eine zweijährige Übergangsphase zurück. Das Militär wurde aufgerufen, jedwede Maßnahme oder Erklärung zu unterlassen, die die Situation im Land weiter verkomplizieren und negative Einflüsse auf die regionale Sicherheit und Stabilität haben könne. Zudem wurde angedroht, dass die Mitgliedschaft des Sudan von der AU suspendiert werden würde, falls nicht innerhalb von zwei Wochen die Staatsgewalt in die Hände einer zivilen Regierung übergehen sollte. Auf einem Gipfeltreffen von Staats- und Regierungschefs afrikanischer Staaten in Kairo wurde diese Position jedoch bereits am 23. April revidiert und der Übergangsrat aufgerufen, innerhalb von drei Monaten demokratische Wahlen zu organisieren.

Die Suspendierung des Sudan von allen Aktivitäten der AU erfolgte dann am 6. Juni 2019 durch den Friedens- und Sicherheitsrat. In seinem Communiqué zur Lage im Sudan gab der Rat seiner Besorgnis über fehlende Fortschritte bei der Errichtung einer zivilen Regierung Ausdruck. Zudem wurde, mit Blick auf das Massaker von Karthum, die Gewalt, die zu Toten und Verletzten geführt hatte, scharf verurteilt. Die Suspendierung selbst wurde mit sofortiger Wirkung ausgesprochen. Eine Aufhebung solle erst erfolgen, wenn die Macht an eine zivile Regierung übergeben worden sei. Dies sah der Rat als einzige Möglichkeit zur Beendigung der Krise im Sudan an.

Fazit

Auch wenn die Suspendierung durch die AU keinesfalls als einziger Grund für die zwischenzeitliche Unterzeichnung einer Verfassungserklärung und die Einigung zwischen Übergangsrat und den Kräften der Zivilgesellschaft auf einen Machtübergang gelten kann, so ist diese Sanktion doch Teil des Drucks, der von der regionalen Gemeinschaft auf das Militärregime ausgeübt wurde, um Schritte zur Aufgabe der Macht zu erreichen. Der Fall des Sudan zeigt einmal mehr, dass die Suspendierung der Mitgliedschaft für die AU ein veritables Mittel ist, um auf gewaltsame Machtübernahmen und Palastrevolten in den Mitgliedstaaten zu reagieren. Im Zuge der Bemühungen um die Errichtung der AU hatte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan den Staaten des afrikanischen Kontinents und ihren Anführern ins Gewissen geredet: Man dürfe verfassungswidrige Machtübernahmen nicht weiter zulassen. Dieser Erkenntnis ist zu zustimmen, denn die gewaltsame Verschiebung der politischen Kontrolle in den ohnehin oftmals fragilen Staatswesen auf dem afrikanischen Kontinent birgt stets das Potential in sich, die politische, aber auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den betroffenen Staaten zu hemmen.

 

Manuel Brunner ist als Rechtsanwalt in der Kanzlei Wolter Hoppenberg tätig. Er unterrichtet als Lehrbeauftragter regelmäßig Verfassungs- und Völkerrecht.

 

Cite as: Manuel Brunner, “Entzug von Mitgliedschaftsrechten zur Implementierung von Demokratie”, Völkerrechtsblog, 28 August 2019, doi: 10.17176/20190828-213201-0.

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Manuel Brunner
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