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Internationaler Strafgerichtshof, Den Haag, Niederlande, Roman Boed via pxhere.com.

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Anklägerin auf der Sanktionsliste

Zur Reaktion der USA auf die Ermittlungen des IStGH in Afghanistan

17.09.2020

Die Einleitung von Ermittlungen in Afghanistan durch die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Fatou Bensouda, hat bereits  mehrfach scharfe Reaktionen der USA hervorgerufen (dazu kritisch hier). Unter anderem drohte der damalige US-amerikanische Sicherheitsberater, John R. Bolton, Sanktionen gegen Ermittlungsorgane des IStGH und an Verfahren Beteiligte zu erlassen. Unter US-Außenminister Pompeo realisiert sich nunmehr diese Sanktionsandrohung: etwaiges Vermögen von Bensouda und anderer Beteiligter in den USA soll eingefroren werden. Zur Begründung führt Pompeo an, mögliche  Ermittlungen gegenüber amerikanischen Militärs in Afghanistan seien „illegitim“, weil die USA kein Vertragsstaat des Rom-Statuts des IStGH sind.

Dieser Beitrag zeigt im Anschluss an eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse, dass die Ermittlungsbefugnis des IStGH sehr wohl gegeben ist und argumentiert, dass vielmehr die angekündigten US-amerikanischen Sanktionen gegen Ermittlungsorgane des IStGH als „illegitim“ anzusehen sind.

Einleitung der Ermittlungen und Reaktion der USA

Im Jahr 2017 stellte IStGH Chef-Anklägerin Bensouda einen Antrag, am IStGH Ermittlungen wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen in Afghanistan einzuleiten, welche neben Mitgliedern der Taliban und des afghanischen Sicherheitsapparats auch US-amerikanische Staatsangehörige betreffen könnten. Konkret wurden nämlich US-Soldaten und Mitgliedern des Geheimdienstes CIA die Beteiligung an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verfolgten US-Armee und Geheimdienste vermeintliche Mitglieder der Terrorgruppe Al-Qaeda und der Taliban. Als Ermittlungspraxis zeigte sich eine Verschleppung der Beschuldigten in Internierungslager in Afghanistan und in europäische Staaten, wo Opfer vermeintlich zur Beweiserlangung gefoltert und sexuell misshandelt wurden. Nach einer Ablehnung des Ermittlungsgesuchs durch die  zweite Vorverfahrenskammer des IStGH im April 2019, erteilte erst die Appellationskammer am 05. März 2020 die notwendige Genehmigung.

Bereits auf  das erste Ermittlungsersuchen Bensoudas reagierten die USA mit dem Entzug ihres Einreisevisums. Daneben drohte Bolton damit, US-amerikanische Staatsangehörige oder solche mit permanentem Aufenthaltstitel, bei denen es Zuge eines eventuellen IStGH-Verfahrens zu einer Festnahme oder Internierung in Den Haag kommen könne, notfalls mit Gewaltanwendung zu befreien. Man stütze sich hierbei auf den American Service-Members’ Protection Act  – umgangssprachlich auch als “Hague Invasion Act” bekannt. In Folge der nach Genehmigung durch die Appellationskammer angelaufenen Ermittlungen hat sich die Situation nun zugespitzt. Pompeo betitelte den IStGH als “durch und durch kaputte und korrupte Institution”, die weiterhin US-Bürger im Rahmen der Ermittlungen ins Visier nehme – trotz akuter Drohungen die Ermittlungen einzustellen. Nunmehr seien Wirtschaftssanktionen gerechtfertigt, die aktuell in Form der Einfrierung der Besitztümer Bensoudas und des IStGH-Vertreters Mochochoko auf Grundlage einesvon US-Präsident Trump am 11. Juni 2020 erlassenen Dekrets in Kraft treten. Bensoudas Ermittlung beeinträchtige die Souveränität der USA und gefährde die nationale Sicherheit (im Sinne des International Emergency Economic Powers Act (50 U.S.C. § 1701-1702).

Befugnisse unter dem International Emergency Economic Powers Act

Vorgesehen sind sowohl Einreiseverbote für Beamte, Angestellte und Agenten sowie deren unmittelbare Familienangehörige, als auch das Einfrieren von Vermögen dieser Personengruppen. Trumps Dekret geht sogar so weit, Personen einzuschließen, die den IStGH materiell unterstützen oder bei Ermittlungen in sonstiger Weise beistehen. Mit dieser Argumentation könnten die Sanktionen allerdings auf jeden Vertragsstaat des Rom-Statuts aufgrund der allgemeinen Beitragszahlungspflicht erweitert werden. Kurzum, jeder, der in irgendeiner Weise den IStGH unterstützt, wäre Gefährder der nationalen US-amerikanischen Sicherheit. Der IStGH veröffentlichte ein Statement, in dem es heißt: „Diese Zwangshandlungen, die sich gegen eine internationale Rechtsinstitution und ihre Beamten richten, sind beispiellos und stellen ernsthafte Angriffe gegen den Gerichtshof, das System der internationalen Strafgerichtsbarkeit nach dem Römischen Statut und die Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen dar“ (siehe hier). Der Präsident der IStGH-Vertragsstaatenversammlung, O-Gon Kwon, verurteilte das Sanktionsregime und sprach dem IStGH volle Unterstützung zu.

Ohne im Detail auf die rechtlichen Ausführungen der Appellationskammer zur Genehmigung der IStGH-Ermittlungen in Afghanistan einzugehen (dazu z.B. schon hier), zeigt dieser Beitrag, dass der IStGH durchaus dazu befugt ist, Kernverbrechen zu verfolgen, die durch US-amerikanische Akteure begangen wurden. Das Bestreiten der Jurisdiktionsgewalt soll offensichtlich die Personen in den eigenen Reihen vor Strafverfolgung schützen. Insoweit stützen sich die USA auf Scheinargumente.

Der Präsident des IStGH Chile Eboe-Osuji äußerte sich zu den Einwendungen der USA in einer 56-seitigen Ausarbeitung unter dem Titel „US-Founders respected International Law“, die er am 06. Juli 2020 beim „Council on Foreign Relations“ einreichte, einem US-amerikanischen Think Tank. Darin leitet Eboe-Osuji in einer historisch geprägten, rechtspolitischen Argumentation her, dass die Aburteilung völkerrechtlich pönalisierter Verbrechen durch internationale Instanzen ein Anliegen der USA sei. Er zitiert dabei jüngste Aussagen von Bolton und Pompeo und kontrastiert diese mit Zitaten früherer US-Präsidenten. Anders als im von Präsident Trump unterzeichneten Dekret dargestellt  könne eine nationale Sicherheitsgefahr für die USA durch IStGH-Ermittlungen nicht vorliegen, wenn die Nation sich bereits ganz grundsätzlich für die Aburteilung von Völkerrechtsverbrechen, unabhängig von der Herkunft der Täter (US-Founders S. 37), entschieden habe. Genau dies sei hier der Fall; die Schaffung des Internationalen Strafrechts sei maßgeblich von US-amerikanischen Akteuren beeinflusst worden. So verfasste der US-amerikanische Richter Francis Biddle als Reaktion auf die in der Charter für die Nürnberger Protokolle (IMT-Charter)  niedergelegten und durch Rechtsprechung des Nürnberger Tribunals entwickelten Grundsätze, einen ausführlichen Report an Präsident Harry S. Truman, in dem er die strikte Verfolgung internationaler Straftaten an einem permanenten Gerichtshof  (US-Founders S. 4f.) anregte. Truman (US-Founders S. 3) stieß sodann die Verhandlung von Resolution 95 der VN Generalversammlung an,  welche die allgemeinen Grundsätze des (internationalen) Strafrechts anerkennt. Nach wie vor findet sich in Artikel VI (2) der US-Verfassung eine Inkorporierung völkerrechtlicher Verträge (und damit der Genfer Konventionen und der UN-Antifolterkonvention), als Teil des „supreme law of the land“, höchstes Landesrecht (US-Founders S. 22, s. aber hier zu den Schwierigkeiten der Umsetzung im US-amerikanischen Recht). Der IStGH-Präsident fragt zurecht wie also Ermittlungen in diesem Sinne einen Angriff auf die nationale Sicherheit darstellen können.

Die Antwort ist offensichtlich politischer Natur. Die USA haben kein Interesse daran, dass ausländische Akteure über Personen in den eigenen Reihen Strafhoheit ausüben. Die jetzige Duldung solcher Ermittlungen würde die Akzeptanz künftiger Ermittlungen bedeuten. Zwar standen die USA seit Schaffung des IStGH diesem stets ablehnend gegenüber und sind kein Mitglied des Rom-Statuts. Das bedeutet aber eben nicht, dass der IStGH in keinem Fall über die Staatsangehörigen eines Nichtvertragsstaates Strafhoheit ausüben kann. Der IStGH wendet derivativ das Recht an, welches die Staatengemeinschaft als Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Strafhoheit anerkannt hat und vorgibt. Es ist zwar richtig, dass jede Aburteilung „Fremder“, einen Eingriff in die Personalhoheit eines Staates darstellt. Dieser Eingriff mündet aber nicht regelmäßig in einer Verletzung der Staatensouveränität. Vielmehr stellt vorliegend das völkerrechtlich – auch von den USA – anerkannte Territorialitätsprinzip einen Legitimationstatbestand dar. Den Regelungsgehalt des Territorialitätsprinzips gibt das Völkerrecht maßgeblich vor, wenn auch viele normative Erwägungen Berücksichtigung finden müssen. Im vorliegenden Fall entspricht die Appellationskammer dem regelmäßigen Inhalt des Territorialitätsprinzips. Gem. Art. 12 (2)(a) Rom Statut übt der IStGH seine Gerichtsbarkeit in Staaten aus, auf deren Territorium Verbrechen begangen wurden. Im Fall möglicher zu untersuchender Verbrechen in Afghanistan liegen Beweise dafür vor, dass die vorgeworfenen Tathandlungen auf afghanischem Territorium begannen (Appeal-Chamber Fn. 103), wenn diese auch vermutlich, im Falle der Verschleppung von Beschuldigten in ausländische Internierungslager, erst im Ausland in einen Taterfolg mündeten (Appeal-Chamber para. 76), Das Territorialitätsprinzip geht bei Kriegsverbrechen allerdings soweit, dass auch Straftaten verfolgt werden können, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt stehen und sich auf dem Territorium eines Nichtvertragsstaates ereignen (Appeal-Chamber para. 79). Das Beharren der US-amerikanischen Regierung auf der eigenen Souveränität in dieser Sache überrascht vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass die USA in ihrem nationalen Strafanwendungsrecht die sog. Effects Doktrinvertreten, den weitesten Anwendungsgrundsatz im Rahmen des Territorialitätsprinzips. Danach üben die USA territoriale Strafhoheit selbst dann aus, wenn ein Sachverhalt zwar keinerlei physische Berührungspunkte mit US-amerikanischem Territorium hat, aber auf irgendeine Weise US-amerikanische Belange tangiert (zur völkerrechtlichen Legitimität siehe S. 6f.)

Bei Betrachtung ihrer eigenen sehr extensiven Strafausübung und ihrer Bewertung jener des IStGH wird deutlich, dass die USA mit zweierlei Maß messen. Während das Tätigwerden des IStGH rechtlich einwandfrei ist, fragt sich, woraus sich eine Legitimation der US-Sanktionen ergeben soll.

Author
Özgen Özdemir , Bochum

Özgen Özdemir ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum und Doktorandin an ihrer juristischen Fakultät. Kontakt: oezgen.oezdemir@rub.de

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1 Comment
  1. Sehr richtige Schlussfolgerung.

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