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„Am Völkerrecht kommt heute niemand mehr vorbei.“

Rudolf Bernhardt und die Leidenschaft fürs Fach

10.07.2015

Professor Rudolf Bernhardt hat eine glanzvolle Karriere hinter sich: Er war Direktor des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht, saß lange Jahre im völkerrechtswissenschaftlichen Beirat des Auswärtigen Amtes, war Richter und Präsident am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Am 29. April diesen Jahres feierte er seinen 90. Geburtstag. Anlass für ein rauschendes Fest, wie es Mitte Mai am Heidelberger Institut stattfand. Aber auch ein Anlass für den Völkerrechtsblog, ein Gespräch mit Rudolf Bernhardt zu führen. Schließlich hatte der Völkerrechtsblog ebenfalls am 29. April Geburtstag: Er wurde ein Jahr alt. Was kann ein so junger Blog von einem so erfahrenen Völkerrechtler lernen?

Herr Bernhardt, was braucht man, um ein guter Völkerrechtler zu sein?

Man muss versuchen, sowohl Optimist als auch Realist zu sein. Weder darf man die Realität aus den Augen verlieren – noch bringt es etwas, zu resignieren, weil die Welt oft nicht so ist, wie sie sein sollte. 

Sie haben sechs Jahrzehnte lang die Entwicklung des Völkerrechts erlebt und wissenschaftlich begleitet. Was war die herausragende Neuerung in diesen Jahrzehnten?

Das sind zunächst die Menschenrechte, die eine herausragende Bedeutung bekommen haben. Zugleich müssen wir vorsichtig sein, das nicht zu hoch zu hängen. Obwohl ich so lange Jahre die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht nur theoretisch sondern auch praktisch begleitet habe, halte ich mich mit Euphorie zurück. Die Menschenrechte werden weltweit zwar diskutiert, aber in vielen Fällen nicht respektiert. Insofern sind sie wichtig, aber noch lange keine Selbstverständlichkeit.

Daneben spielt die Umweltfrage heute eine wichtige Rolle. Die Staats- und Regierungschefs haben bei dem Gipfel in Elmau das Thema „Klimawandel“ ganz oben angeführt. Ob das wirklich etwas ändern wird, müssen wir sehen. In jedem Fall ist die Umweltproblematik heute äußerst wichtig für das Völkerrecht – das ist eine wesentliche Neuerung der letzten zwanzig Jahre.

In Ihre Zeit als Direktor des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht von 1970 bis 1993 fielen große Veränderungen in der Staatenordnung: Das Ende des Kalten Krieges und die Öffnung des Ostblocks. Zugleich die Dekolonisation, im Zuge derer viele Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten und die Vereinten Nationen viele neue Mitglieder bekamen. Wie veränderte das die Völkerrechtswissenschaft?

Die Entwicklung des Völkerrechts verläuft nicht gradlinig, sondern in einem dauernden Auf und Ab. Das prägt auch die Wissenschaft davon. Lange Zeit hatte ich, mit vielen anderen, den Eindruck, dass der Ost-West-Gegensatz ebenso wie der Nord-Süd-Gegensatz das Völkerrecht dominiert. Mit der Helsinki-Akte schien sich das damals zu ändern, und noch stärker gaben die achtziger Jahre Anlass zu Optimismus. Die Öffnung des Ostblocks war eine unglaubliche Veränderung, eine Art Revolution. In den neunziger Jahren war ich einige Mal im Auftrag des Europarats in Moskau, und da hatte man den Eindruck, dass dort wirklich ein Aufbruch im Gange ist, was den Schutz der Menschenrechte angeht. Gegenwärtig erleben wir eher wieder einen Rückschlag.

Sie waren Richter und Präsident am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Das Gericht bildet einen Motor in vielen Bereichen des Völkerrechts, zumindest für die Vertragsstaaten der EMRK. Zugleich schlägt ihm Kritik einzelner Staaten entgegen (vgl. hier und hier), außerdem hat die Zahl der Beschwerden zu einer Überlastung geführt. Wie blicken Sie gegenwärtig auf die Praxis des Gerichts? Wird der EGMR weiterhin ein Gericht mit richtungsweisenden Entscheidungen bleiben?

Eine Antwort können Sie hier im Annual Report von 2014 nachlesen [er zieht das Buch aus einem Stapel auf seinem Schreibtisch]. Da finden Sie ermutigende und deprimierende Feststellungen nebeneinander. Ermutigend ist, dass der Gerichtshof in der Lage war, seinen Rückstand von über 100.000 Fällen zu reduzieren. Aber es ist nach wie vor so, dass besonders für Russland aber auch für die Ukraine viele Fälle unentschieden warten. Die Hoffnung besteht, dass der EGMR in Zukunft besser in der Lage sein wird, die neu eingereichten Beschwerden flüssig zu bearbeiten. Aber auch da braucht man einigen Optimismus.

Lassen Sie uns aus aktuellem Anlass noch über den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) sprechen. Schon der Haftbefehl gegen Omar Al-Baschir war heiß umstritten: Ein amtierender Staatspräsident, gegen den Anklage erhoben werden sollte. Jetzt sah es kurz so aus, als könnte man mit einer Auslieferung rechnen, aber Südafrika hat Al-Baschir nun doch wieder ausreisen lassen. Entgegen den Vorgaben des Rom-Statuts?

Das müsste man genauer prüfen. Generell lässt sich sagen: Es gab und gibt starke Vorbehalte gegen eine internationale Strafgerichtsbarkeit. Ich war damals als Mitglied des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 1998 in Rom am Rande dabei, als das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs akzeptiert wurde. Aber mit China und den USA hatte dieses Abkommen von Beginn an zwei große Gegner. Zugleich können wir hoffen, dass dieser Strafgerichtshof etwas im Guten bewirkt, Signale sendet. Es bleibt ein Problem, dass der Fokus des IStGH bislang ganz auf Afrika lag.

Sie haben sich in früheren Jahren schon intensiv zum Thema Lehre geäußert. Was empfehlen sie heute, um die völkerrechtliche Ausbildung an der Universität zu verbessern?

Am Völkerrecht kommt heute niemand mehr vorbei. Früher war es eine akademische Disziplin, die eher wenige interessierte. Und auch heute arbeitet natürlich nur ein kleiner Teil der Juristen explizit zum Völkerrecht. Aber das Völkerrecht wird immer relevanter, wir sehen das in den Diskussionen der letzten Monate von welch hochaktueller Bedeutung es ist: Die Ukraine und Russland, die Euro-Krise, die Katastrophen der Flüchtlingsboote. Zudem sind das nationale Recht und das Völkerrecht immer stärker verschränkt.

Daher ist es wichtig, dass auch Dozenten, die keine Völkerrechtler sind, völkerrechtliche Überlegungen einbeziehen. Noch drängender ist diese Notwendigkeit ja im Europarecht: Man kann heute kaum mehr Fälle juristisch bearbeiten ohne das Europarecht gedanklich einzubeziehen. Jeder Dozent muss daher entsprechend geschult sein. Das Gleiche gilt aber auch für völkerrechtliche Normen, zum Beispiel für die Europäische Menschenrechtskonvention.

Wer im Völkerrecht promovieren möchte und noch nicht entschieden ist, in welchem Bereich: Was raten Sie?

Ich nehme keine Doktoranden mehr an. Aber wenn früher Leute zu mir kamen, dann sollten sie schon Interesse an einem Thema haben, und einen Vorschlag mitbringen. Ich hatte nie eine Liste mit Promotionsthemen. Aber um noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen, was man braucht, um ein guter Völkerrechtler zu sein: Eigentlich nur Interesse für ein Thema.

 

[Rudolf Bernhardt spricht danach noch lange über Russland, die Ukraine, die Europäische Union, die Vereinten Nationen. Er hat, so scheint es, ein brennendes Interesse für ein Thema: das Völkerrecht.]

 

Cite as: Dana Schmalz, “„Am Völkerrecht kommt heute niemand mehr vorbei.“ Rudolf Bernhardt und die Leidenschaft fürs Fach”, Völkerrechtsblog, 10 July 2015, doi: 10.17176/20170920-111947.

Author
Dana Schmalz

Dana Schmalz is a postdoctoral research fellow at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, she holds a scholarship from the Alexander von Humboldt-Foundation. Her work centers on refugee and migration law, human rights, and legal philosophy. In her current research project, she is exploring how population growth has been an object of international legal activities.

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1 Comment
  1. Schade, dass wir von diesem brennenden Interesse nicht mehr erfahren haben. Gerade ueber die Ukraine koennte man doch noch viel sagen. Vielleicht mehr als ueber Klimaziele.

    Was wuerde zum Beispiel Savigny ueber die Gebiethoheit der Ukraine sagen? Was hat sie eigentlich von Jelzin bekommen? Konnte die Ukraine damals davon ausgehen, nunmehr ohne Weiteres die Krim der NATO geben zu koennen?

    Das deutsche Abstraktionsprinzip und das Recht des Besitzes. Es gibt vielleicht nicht nur immer ein Auf und Ab bis hin zum Verbot des Angriffskrieges, es gibt vielleicht gelegentlich auch ganz neue Probleme oder ganz alte Probleme in einem ganz neuen Gewand.

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