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„Vor săvoteze, lăsați-i săvoteze!“*

Über Diaspora und Demokratie

02.02.2015

(*“Sie wollen wählen, lasst Ihnen ihre Stimme!“ So der Aufruf zu solidarischen Protesten innerhalb Rumäniens mit den Auslandsrumänen)

Kilometerlange Schlangen, verstopfte Straßenzüge und zunehmend empörte rumänische Staatsbürger*innen – die Bilder, welche aus Brüssel, London, Birmingham, München, Rom, Straßburg, Chisinau, Paris und vielen weiteren Orten mit rumänischen diplomatischen Einrichtungen am Sonntag, den 16. November, auf den sozialen Netzwerken verbreitet wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Zehntausende, welche bis zu zwölf Stunden in winterlicher Kälte vor den Wahlbüros anstehen, Stunde um Stunde vergeblich darauf bangen, dass sie ihre Stimme doch noch abgeben können und nach der Schließung sogar mit Tränengas von der Polizei vertrieben werden, wie in Paris geschehen – dies kann nur skandalös genannt werden. Doch welche Schlussfolgerungen können aus der Situation der rumänischen Diaspora für die jungen Demokratien Südosteuropas gezogen werden und welche rechtlichen und normativen Implikationen gehen damit einher?

Die Diaspora im Rumänischen und Moldawischen Wahlkrimi 2014

Die rumänische Diaspora stand wieder einmal vor massiven Hindernissen, um am Wahlgeschehen ihres Heimatslandes ordnungsgemäß zu partizipieren und ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Dies stellt stellt sicherlich keinen zufälligen Einzelfall dar, sind ähnliche Vorwürfe doch schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 2. November laut geworden. Die folgenden Proteste in einigen europäischen Städten sowie in der Hauptstadt Bukarest blieben weitestgehend erfolglos. Auch Beschwerden an die EU und Kommissionspräsident Juncker führten nicht dazu, dass die Zahl der Wahllokale für die Stichwahl zwischen Victor Ponta (PSD) und Klaus Iohannis (ACL) entsprechend erhöht wurde. Zwei Außenminister mussten im Zuge der gesellschaftlichen Proteste den Hut nehmen.

Zwei Wochen später zeigten sich auch im Nachbarland Moldau ähnliche Schwierigkeiten Die Parlamentswahl am 30. November stand im Mittelpunkt einer politischen Richtungsentscheidung der Republik zwischen Europäischer Union und Russland. Im Gegenzug zum europäischen Nachbar Rumänien, befindet sich der Großteil der moldawischen Diaspora in Russland, wo für nahezu 300.000 moldawische Staatsbürger*innen nur fünf Wahllokale bereit standen. Besonders in Moskau soll es dabei zu chaotischen Szenen gekommen sein. Sogar Spezialeinsatzkräfte der russischen Polizei mussten herbeigerufen werden. Viel schwerwiegender war jedoch die Situation im separatistischen Gebiet Transnistrien, welches durch Russland unterstützt wird. Wie bei den vergangenen Wahlen gab es auch diesmal keine Wahllokale für die mehr als 200.000 moldawischen Staatsbürger jenseits des Dnister. Es wurden jedoch spezielle Wahlstationen in der demilitarisierten Zone um Transnistrien eingerichtet. In beiden südosteuropäischen Staaten haben sich pro-europäische Kandidaten und Parteibündnisse durchgesetzt. Doch die abermalige, systematische Behinderung demokratischer Partizipation der südosteuropäischen Diaspora ist gewiss kein Grund zu Feiern – Katerstimmung macht sich breit.

25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – Wir sind das Volk?

25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der blutigen Revolution gegen den Diktatur Ceausescu, leben bis zu vier Millionen Rumän*innen im Ausland, vorwiegend in den europäischen Staaten Italien, Spanien, Deutschland und Großbritannien. Auch die Eltern des frisch gewählten Präsidenten Iohannis sind wie viele Angehörige deutscher Minderheiten in den 1990ern nach Deutschland umgesiedelt, wo sich zurzeit circa 200.000 rumänische Staatsbürger*innen dauerhaft aufhalten. Dabei zeigt sich am deutschen Fall eindeutig, wie erfolgreich eine andere Nation ihre große deutsche Diaspora behandelt und versucht diese zunehmend in den demokratischen Prozess zu integrieren. Die Türkei ermöglicht es ihren ungefähr 1,4 Millionen wahlberechtigten Staatsangehörigen in Deutschland nach der Erweiterung des Auslandswahlrechts von Ministerpräsident Erdogan an allen parlamentarischen Wahlen teilzunehmen. Um wirklich allen Wahlberechtigten die Möglichkeit zur Stimmabgabe zu geben, wird dabei kurzerhand das Berliner Olympiastadion zur größten Wahlkabine Deutschlands umfunktioniert.

Im Gegensatz zur türkischen Diaspora, erlangten Angehörige der ehemaligen realsozialistischen Staaten das Auslandswahlrecht schon zu Beginn der 90er Jahre im Zuge umfassender Reformen im Staatsbürgerschaftsrecht. Die im Ausland lebenden Staatsbürger aus Rumänien, Bulgarien, Kroatien oder Moldawien haben damit neben ihrer wirtschaftlichen Unterstützung der Heimatländer durch Rücküberweisungen oft auch eine entscheidende, in der Verfassung verankerte, politische Rolle. Die rumänische Verfassung ist dabei besonders spezifisch, da sie die Verbindung zu den im Ausland lebenden Staatsbürgern („Românii de Pretutindeni“) hervorhebt und sogar eine Abteilung des Auswärtigen Ministeriums der Diaspora gewidmet ist.

Die Erlangung des aktiven und passiven Wahlrechts, verfassungsgemäß verankert als fundamental rights, war sicherlich ein schlagkräftiges Symbol demokratischer Transformation. Bis heute bilden die Auslandsrumänen eine nicht zu unterschätzende politische Kraft, wie vor allem die Wiederwahl Traian Basescus als Staatspräsident 2009 mit dem knappen Vorsprung von 70.000 Stimmen gezeigt hat.

Das Zünglein an der Waage – Die Diaspora zwischen Instrumentalisierung und Ausgrenzung im heutigen Europa

Diaspora kann viele Gesichter haben. Rechtlich und politisch relevant zeigten sich die höchst emotionalen Diskussionen um Staatsbürgerschaft und Wahlrecht der jeweiligen Auslandsbevölkerung in den Regierungen Erdogan und Orban. Die Einführung der Staatsbürgerschaft für circa 2,5 Millionen Auslandsungarn 2010 steht dabei im starken Kontrast zu gegenteiligen Tendenzen in Kroatien und Rumänien, wo Staatspräsident Adrian Nastase 2009 die Abwertung der Stimmen der rumänischen Diaspora im Vergleich zur inländischen Bevölkerung forderte.

Der Report der Venedig Kommission von 2011 zu „Out-of-Country Voting“ und die Europarats Resolution 1696 (2009), gefolgt von der Empfehlung 1890 (2009), sprechen dabei eine deutliche Sprache: obwohl keine einheitliche Praxis innerhalb der Mitgliedsstaaten ermittelt werden kann, wird die Ausweitung des Auslandswahlrecht doch klar begrüßt. Hinzunehmende Einschränkungen des in Artikel 3 Protokoll 1 der EMRK verankerten Rechts auf freie Wahlen sind jedoch durchaus denkbar, wenn beispielweise das Durchführen einer Wahl im Ausland unverhältnismäßig hohe Aufwendungen erfordern würde.

In der Praxis des EGMR findet sich eine Reihe relevanter Urteile zu möglichen Verletzungen des Wahlrechts. Hilbe v. Liechtenstein, Shindler v. United Kingdom oder Melnychenko v. Ukraine können jedoch nur als Einzelfälle wahrgenommen werden. Die Situation der Staatsbürger in der Diaspora wird im Rahmen von Oran v. Turkey sowie Sitaropoulos and Giakoumopoulos v. Greece angesprochen, dennoch sind diese Fälle nicht repräsentativ für die südosteuropäische Diaspora. Diese steht nicht nur quantitativ, sondern auch historisch in einem anderen Kontext. Als stark heterogene Gruppe beinhaltet sie nicht nur meist zeitlich befristete Arbeitsmigrant*innen, sondern auch Angehörige von historisch gewachsenen Minderheiten, welche durch den zunehmenden Abbau von Grenzen an Bedeutung gewinnen. Die südosteuropäische Diaspora ist vergleichsweise jung und kaum organisiert. Sie besitzt jedoch durch ihre Rücküberweisungen einen hohen Stellenwert für ihre Heimatstaaten.

Die Diaspora als demokratisches Subjekt 

Schon der Begriff der Diaspora beinhaltet theoretisch und praktisch ein duales Element, da in ihm zwei Gruppen von Menschen zusammengefasst werden: die dauerhaft in einem anderen Land lebenden Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft genauso wie Migrant*innen. Ihm liegt das Prinzip der Staatsbürgerschaft zugrunde, welches in Bezug auf das Wahlrecht zwischen zwei Polen oszilliert: Zum einen die Anbindung des Wahlrechts an die territorialen Grenzen des Nationalstaats, zum anderen die vollkommene Abkoppelung des Wahlrechts vom Staatsbürgerschaftsstatus.

Ein expansives Staatsbürgerschaftsmodell mit weitreichenden Wahlrechten für die Diaspora sieht sich mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Einerseits erlangen besonders historisch gewachsene Diaspora durch nationale Argumentationsmuster gewöhnlich mehr Mitbestimmungsrechte, andererseits stehen sie in Gefahr durch einen ethnischen Nationalismus instrumentalisiert zu werden. Auch das Prinzip des Quod omnestangit, ab omnibus approbetur steht der extraterritorialen Partizipation entgegen.

Im Zuge von Globalisierung und Modellen dualer Staatsbürgerschaft entwickelt sich die Diaspora zunehmend zum Gegenmodell abgeschlossener nationalstaatlicher Prozesse. Dabei wird im Rahmen philosophischer Vorstellungen wie Post-Nationalismus, Transnationalismus oder Kosmopolitismus das Konzept einer exklusiven, territorialen politischen Sphäre herausgefordert. So kann etwa Seyla Benhabibs Idee der Migration als Zündfunke für neue post-nationale Inklusionsformen moderner Demokratien einige Elemente der überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung südosteuropäischer Diaspora erklären. Der Wille zur demokratischen Partizipation, die „politische Kultur“ nach Robert Putnam, scheint in ihnen besonders ausgeprägt. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die südosteuropäische Diaspora ein Indiz für die Bestätigung der These einer postnationalen Konstellation sein könnte. Demokratische Öffentlichkeit überwindet nicht nur territoriale, sondern auch zeitliche, kulturelle und historische Grenzen. Die wütenden Rumän*innen auf den Straßen Europas sollten uns jedoch zu denken geben, inwieweit dieser normative Anspruch faktisch und rechtlich eingelöst wird. In Ermangelung eines gemeinsamen bindenden Standards in der Europäischen Union, bleibt die Diaspora bislang in der Passivität gefangen.

 

Silvia Steininger ist wissenschaftliche Hilfskraft am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Sie studiert Internationale Politik, Moderne Politische Theorie und Völkerrecht im Master an der Universität Heidelberg.

 

Cite as: Silvia Steininger, “’Vor săvoteze, lăsați-i săvoteze!’*”, Völkerrechtsblog, 2 February 2015, doi: 10.17176/20170125-204356.

Author
Silvia Steininger
Silvia Steininger is a Research Fellow at the Max Planck Institute for Comparative Law and International Law in Heidelberg.
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