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Neue Initiative der polnischen Regierung in Sachen deutscher Weltkriegsreparationen

Reparationsansprüche als Streitapfel auf dem Weg zur Aussöhnung

27.06.2018

In seinem Beitrag unter dem Titel „Germany v. Italy 2.0?“ argumentiert Lukas Kleinert, dass der polnischen Regierung die Rechtsgrundlage für die Reparationsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland fehle. Dieser Beitrag setzt sich mit Kleinerts Analyse auseinander und stellt eine alternative Perspektive vor. Sie unterscheidet sich von Kleinerts Analyse mit Blick auf die Auslegung zweier Aspekte der Erklärung der polnischen Regierung vom 23. August 1953: die Auslegung der in der Erklärung der polnischen Regierung verwendeten Begriffe „Deutschland“ und „Wiedergutmachung“.

Vom politischen Aufreißen längst verheilter Wunden

Wiederholte Äußerungen von den Vertretern der regierenden PiS-Partei in Polen könnten den Eindruck erwecken, dass die polnische Bevölkerung die grausamen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs noch nicht hinter sich gelassen hat. Ein solcher Eindruck wäre allerdings einseitig, insbesondere im Hinblick auf die polnisch-deutschen Beziehungen nach 1945. Symbolische Ereignisse wie der „Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder“ von 1965, Willy Brandts Kniefall in Warschau 1970, die sog. Versöhnungsmessein Krzyżowa 1990 sowie die 1970 und 1990 abgeschlossenen Verträge über die Bestätigung der polnisch-deutschen Grenze weisen darauf hin, dass die Kriegswunden schon lange verheilt sind und nicht Gegenstand der heutigen Beziehungen und Meinungsbildung sein sollten. Allerdings führen nationalkonservative Interessen der PiS-Regierung dazu, dass die Debatte stark emotional geführt wird, und die Berücksichtigung rechtlicher Aspekte oft fehlt. Auf diese rechtlichen Aspekte will der Autor aus der Sicht Polens eingehen.

Wirklich eigenständige Handlung?

Man sollte aufmerksam den tatsächlichen Kontext der Willenserklärung der polnischen Regierung von 1953 bei der Auslegung von deren Inhalt miteinbeziehen. Am 22. August 1953 wurde ein Abkommen der Regierungen der Sowjetunion und der DDR zur Regelung von Reparationen und finanziell-wirtschaftlichen Verpflichtungen geschlossen. In diesem Abkommen verzichtete die Sowjetunion „nach Absprache mit der polnischen Regierung völlig auf weitere Reparationen von Seiten der DDR“ mit Wirkung ab 1. Januar 1954.

Somit ist zu bemerken, dass die Handlungen der polnischen Regierung 1953 keinen völlig eigenständigen Charakter hatten. Die Erklärung vom 23. August 1953 wurde als eine „Anlage“ und Bestätigung zum UdSSR-DDR Abkommen abgegeben. Deswegen sollte sie im Kontext dieses Abkommens ausgelegt werden. Allerdings unterscheidet sich der Text der polnischen Erklärung wesentlich von dem Text des obengenannten Abkommens.

Der Text der polnischen Erklärung liest sich wie folgt: „Mit Rücksicht darauf, dass Deutschland seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen ist (…) hat die Regierung der Volksrepublik Polen den Beschluss gefasst (…) auf die Zahlung von Wiedergutmachung an Polen zu verzichten, um damit einen Beitrag zur Lösung der deutschen Frage (…) zu leisten“.

An dieser Stelle sollte zunächst festgestellt werden, dass von der Wirksamkeit der Erklärung von 1953 auszugehen ist. Die Volksrepublik Polen war ein souveräner und von allen UN-Mitgliedern anerkannter Staat, der eigenständig in zwischenstaatlichen Beziehungen und nicht unter Zwang gehandelt hat. Die sowjetische Armee hat sich zwar zu diesem Zeitpunkt ständig in Polen aufgehalten und die Entscheidungen der polnischen Mächtigen waren vom politischen Willen Moskaus abhängig und beeinflusst, aber völkerrechtlich gesehen war die Volksrepublik Polen völlig handlungsfähig (siehe P. Saganek Akty jednostronne w stosunkach polsko-niemieckich, Warschau2009,anders J. Sandorski Zrzeczenie się w 1953 r. przez Polskę reparacji wobec Niemiec w świetle prawa międzynarodowego Warschau2004). Jegliche andere Interpretation würde die Nichtigkeit aller völkerrechtlichen Akte zwischen 1944 und 1989 bedeuten, deren Signatar die Volksrepublik Polen war. Dem widerspricht, dass alle Regierungen der Dritten Polnischen Republik nach 1989 vertragliche Rechte und Verpflichtungen aus diesem Zeitraum befolgen. Dies zeigt, dass sie die anderen Verträge und Erklärungen sehr wohl als bindend betrachten.

Deswegen ist es nicht überzeugend, von einer Unwirksamkeit der Handlungen der polnischen Regierung aufgrund  einer etwaigen sowjetischen Einflussnahme auf die Regierenden auszugehen. Strittig bleibt allerdings der exakte Inhalt der Erklärung: Bezieht sich der Verzicht auf ganz Deutschland? Und was soll man unter Verzicht auf „Wiedergutmachung“ verstehen?

Was bedeutete „Deutschland“ im Jahr 1953?

Angesichts der Tatsache, dass die Erklärung der polnischen Regierung eine lediglich bestätigende Funktion zur sowjetischen Erklärung hatte, kann man argumentieren, dass die Erklärung sich ausschließlich auf die Ansprüche gegen die DDR, nicht gegen die BRD richtet. Bemerkenswert ist, dass die Volksrepublik Polen zu diesem Zeitpunkt, also 1953, formell keine diplomatischen Beziehungen zur BRD unterhielt – diese wurden erst 1970 geknüpft. Es wurde in der Erklärung auf „Deutschland“ verwiesen, weil formell für die polnische Regierung nur ein deutscher Staat existierte – die DDR.

Die Konsequenz einer solchen Interpretation wäre, dass die Erklärung gegenüber „Deutschland“keine Wirkung für den westlichen Teil des geteilten Landes hätte. Folglich wäre dann zu prüfen, in welchem Umfang die BRD nach der Wiedervereinigung 1990 rechtlicher Sukzessor der DDR war und ob sich der Verzicht auf Ansprüche gegenüber der DDR mit dem Einigungsvertrag auch auf die BRD erstreckt. Die BRD entschied, sich bezüglich des „Übergangs völkerrechtlicher Verträge der Deutschen Demokratischen Republik nach Konsultationen mit den jeweiligen Vertragspartnern“festzulegen. Es ist zweifelhaft, ob der „2+4 Vertrag“ von 1990 als solche Konsultation mit Polen angesehen werden darf, da die Reparationsfrage im Vertragstext nicht berücksichtigt wurde. Damit ist eine Rechtsnachfolge in die Verzichtserklärung zweifelhaft.

Gegen eine solche Interpretation spricht allerings der Wortlaut der Erklärung und der Grundsatz der restriktiven Auslegung von einseitigen Erklärungen im Völkerrecht. Demnach sollte der Begriff„Deutschland“im Sinne einer Einheit interpretiert werden, die nur vorübergehend künstlich geteilt wurde. Darauf würde die Erwähnung des Strebens nach „Schaffung des vereinigten, demokratischen und friedliebenden Deutschlands“verweisen. Um die Divergenz zwischen beiden Positionen aufzulösen, muss man die Erklärung im Lichte der Auslegungsgrundsätze für einseitige völkerrechtliche Handlungen interpretieren.

Nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (im Weiteren WÜRV) ist ein Vertrag (was auch auf einseitige Erklärungen per analogiamAnwendung finden soll) „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“. Dementsprechend ist „Deutschland“einhinreichend bestimmter Begriff  und bedeutet „jeder deutsche Staat“, solange nichts anderes vorbehalten wurde. Da die Erklärung der polnischen Regierung keinen solchen Vorbehalt beinhaltet, ist anzunehmen, dass sie sich auf beide deutsche Staaten bezieht.

Verzicht ja, aber worauf?

Des weiteren ist fraglich, ob Polen nicht nur auf zwischenstaatliche, sondern auch Ansprüche seiner Bürger verzichtet hat. Sollte die Erklärung restriktiv und wortgetreu ausgelegt werden, würde dies bedeuten, dass die Regierung der Volksrepublik Polen auf Ansprüche der polnischen Bürger verzichtete. Es ist nach Ansicht des Autors höchst zweifelhaft, ob der Staat im Namen seiner Bürger überhaupt rechtswirksam solche Erklärungen abgeben kann. Der Rechtsanspruch des polnischen Staates auf Reparationszahlungen durch die DDR und BRD ist Ausfluss des bellum iniustum Grundsatzes und wurde danach auch im Potsdamer Abkommen bestätigt. Deswegen konnte durch den Verzicht der polnischen Regierung lediglich der Zahlungsanspruch des polnischen Staates erlöschen. Das gilt allerdings nicht für die Ansprüche privater Personen, da die Anspruchsgrundlage unterschiedlich ist: Die Reparationsansprüche folgen aus dem Völkerrecht und können durch völkerrechtliche Akte wieder aufgehoben werden, wohingegen die Wiedergutmachungsansprüche der Bürger einen privatrechtlichen Charakter haben.

Der Staat handelt auf völkerrechtlicher Ebene als Vertreter seiner Bürger und übt ihre Rechte nur als Stellvertreter aus. Die Ansprüche der Bürger werden aber nicht auf den Staat übertragen, weshalb der Staat auch nicht durch eigene Handlungen über diese verfügen kann (R. Jennings, A. Watts, Oppenheim’s International Law, London-New York, 1997).

Klagen, aber wo?

Somit könnten die polnischen Bürger die materiellen Schadensersatzansprüche gegen Deutschland auf dem Gerichtsweg realisieren. Dies wird jedoch durch formelle Zulässigkeitsbedingungen in Polen und in Deutschland erschwert. Die polnischen Gerichte haben keine Jurisdiktion bei Rechtsverletzungen polnischer Bürger von Seiten ausländischer Staaten. Überdies ist in diesem Zusammenhang immer die Frage der Reichweite der Staatenimmunität zu erläutern. Umgekehrt konnten polnische Bürger in der Vergangenheit wegen der im Bundesentschädigungsgesetz vom 19. Juli 1957 (BEG) begründeten mangelnden Zuständigkeit ratione personaedeutscher Gerichte auch hierzulande den Rechtsweg nicht beschreiten.

Der von Kleinert beschriebene „amerikanische Weg“ im Sinne einer Geltendmachung der Ansprüche vor amerikanischen Gerichten aufgrund des Alien Tort Statute wird jetzt in einem spannenden Fall von zwei namibischen Völkern – den Ovaherero und Nama – beschritten. Vor dem Gericht in New York läuft gerade ein Schadensersatzprozess gegen Deutschland. Laut den erhobenen Vorwürfen sei Deutschland für den Tod von rund 80.000 Menschen während der deutschen Kolonialzeit im ehemaligen „Deutsch Süd-West-Afrika“ verantwortlich. Wenn in diesem Verfahren ein Präzedenzfall für die Verantwortung eines Staates für „vergangene Taten“und die Zuständigkeit des New Yorker Gerichts trotz starker Bedenken bezüglich der Staatenimmunität geschaffen wird, könnte das auch für die deutsch-polnischen Schadenersatzforderungen bedeutsam sein.

Beseitigung des Streitapfels als Aufgabe für Politiker

Es lässt sich zudem nicht verhehlen, dass Deutschland erhebliche Aufwendungen für polnische Opfer des NS-Unrechts erbracht hat. Diese betrafen zwar hauptsächlich Zahlungen für die Opfer der pseudomedizinischen Experimente und die humanitäre Tätigkeit der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung. Sie zeigen aber insgesamt, dass der Wille der deutschen Regierung zur Wiedergutmachung des polnischen Leids vorhanden war und ist.

Es bleibt zu hoffen, dass genug politischer Wille auch in Polen präsent ist, diesen Stolperstein in den gegenseitigen Beziehungen gemeinsam zu überwinden. Obwohl die rechtliche Debatte wohl noch lange andauern wird, sollte sie nicht verdecken, dass die bisherige Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen ein wertvolles und lehrendes Beispiel der gegenseitigen Aussöhnung nach schwierigen gemeinsamen Erfahrungen bildet.

 

Wojciech Lewandowski ist Doktorand am Lehrstuhl für Europäisches Recht an der Universität Warschau.

 

Cite as: Wojciech Lewandowski, “Neue Initiative der polnischen Regierung in Sachen deutscher Weltkriegsreparationen. Reparationsansprüche als Streitapfel auf dem Weg zur Aussöhnung”,  Völkerrechtsblog, 27. Juni 2018, doi: 10.17176/20180627-174412-0.

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Wojciech Lewandowski
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