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Die Trump-Administration, der Kongress und das Dilemma des JCPOA

11.12.2017

Nach knapp 12 Jahren stockend verlaufender Verhandlungen, verbunden mit massivem wirtschaftlichen Druck auf Iran, konnten sich am 14.07.2015 die Außenminister der EU-3+3 – Bezeichnung für Staaten (P5+Deutschland), die sich den diplomatischen Bemühungen mit Iran anschlossen – und Iran in Wien auf den gemeinsamen umfassenden Aktionsplan, den JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), einigen. Dieser Meilenstein, insbesondere in den amerikanisch-iranischen Beziehungen, wurde durch die Wahl des moderaten Kandidaten Hassan Rouhani in Iran und die Mitwirkung der Obama-Administration ermöglicht. Die Vereinbarung wurde sodann anhand persönlichen Einbringens von den Chefdiplomaten, Außenministern der USA sowie des Iran, John Kerry und Javad Zarif, ausgehandelt. Grob zusammengefasst beinhaltet die Vereinbarung, dass Iran erhebliche Einschränkungen und erhöhte Transparenz bezüglich seines Atomprogrammes akzeptiert. Im Gegenzug dafür wurden die multi- und unilateralen nuklearbezogenen Sanktionen ausgesetzt. Bereits während der Präsidentschaftswahlen in den USA aber äußerte sich Donald Trump mit extrem scharfen Ton gegen den JCPOA und machte seine Auflösung zur “Priorität Nummer eins“. An dieser anti-JCPOA-Rhetorik hält er auch nach der Wahl – zuletzt in seiner Rede vor der 72. UN-Generalversammlung – fest.

Doch wie kann die Trump-Administration die Wiener Vereinbarung torpedieren und inwieweit wird dies juristisch tragbar sein?

Austritt: Völkerrechtlicher Vertrag oder Soft Law

Völkerrechtliche Verträge sind durch Staaten auf dem Gebiet des Völkerrechts geschlossene Vereinbarungen, die durch übereinstimmenden Rechtsbindungswillen der Parteien völkerrechtliche Rechte und Pflichten begründen können. Diese werden schriftlich verfasst, bedürfen in aller Regel der Zustimmung der Parlamente der jeweiligen Staaten sowie einer nach Außen getragenen Ratifikation. Da ausschließlich Staaten am Abschluss beteiligt sind, mag zunächst scheinen, dass der JCPOA ein völkerrechtlicher Vertrag i.S.d. Art. 2 I lit. a der Wiener Vertragsrechtskonvention sei. Allerdings kann dieser Sichtweise der anderslautende Wille der Hauptakteure (die USA und Iran) sowie der Wortlaut der Vereinbarung entgegengehalten werden. Somit ist die “Freiwilligkeit” der gegenseitigen Maßnahmen unbestreitbar. Ferner wurde der JCPOA weder unterzeichnet noch völkerrechtlich ratifiziert.

Er wurde auch durch die UNSR-Res. 2231 nicht völkerrechtlich verbindlich. Vielmehr hat der Sicherheitsrat ihn seinem unverbindlichen Inhalt nach bestätigt (Operativer Punkt 1) und alle Mitgliedstaaten “aufgerufen”, dessen Umsetzung zu unterstützen (OP 2). Somit lässt sich der JCPOA als eine nichtverbindliche zwischenstaatliche Vereinbarung unter Soft Law kategorisieren. Die US-Regierung kann also jederzeit aus der Vereinbarung austreten, ohne das Völkerrecht zu verletzen. Jedenfalls dadurch, dass der JCPOA multilateral ausgehandelt und auch zu einer UN-Sicherheitsratsresolution annektiert worden ist, ist indes die Schwelle für einen einseitigen Austritt erheblich hoch.

Snap-Back-Funktion

Für mögliche Nichteinhaltungsfälle sieht der JCPOA einen sog. „Snap-Back-Mechanismus“ vor. Demzufolge kann jede Partei Umsetzungsbeschwerden im Rahmen eines Streitschlichtungsverfahrens (OP 36) zunächst der Gemeinsamen Kommission (GK) vorlegen. Ist dies erfolglos, können parallel die Außenminister und ein dreiköpfiger Beratender Ausschuss um eine Stellungnahme gebeten werden. Besteht nach Ansicht des Beschwerdeführers dennoch eine signifikante Nichteinhaltung fort, so kann er seinerseits die Verpflichtungen aus dem JCPOA suspendieren und dies dem Sicherheitsrat mitteilen. Der Sicherheitsrat müsste dann binnen 30 Tagen nach Art. 27 UN-Charta eine Resolution diesmal zur Fortsetzung der Sanktionsaufhebungen verabschieden (OP 37).

Durch dieses äußerst innovative Instrument könnten die USA de jure ganz eigenständig mit Blick auf ihr Vetorecht das gesamte Sanktionsregime des UNSR wiederbeleben. Warum die Trump-Administration bisher von dieser Option keinen Gebrach gemacht hat, ist nicht schwer zu beantworten. Denn im JCPOA wurde die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) als einziges Organ mit Kontrollbefugnissen bzgl. der von Iran umzusetzenden Maßnahmen beliehen (GP X und OP 15). Seit der Vereinbarung hat die IAEA neun aufeinanderfolgende Berichte veröffentlicht, die alle zum Schluss kommen, dass Iran die Vereinbarung einhält. Somit scheint die Geltendmachung einer signifikanten Nichteinhaltung, die nötig ist, um die Snap-Back-Funktion zu aktivieren, buchstäblich unbegründet. Entgegen der Behauptungen der US-Botschafterin bei den VN Nikki Haley, räumte zuletzt neben dem Vorsitzenden der Armee-Generalschefs Dunford auch der Chefdiplomat Tillerson die „technische Einhaltung“ Irans am JCPOA ein.

Die Raketentests

Auch nach der Vereinbarung führte Iran weiter kontroverse Raketentests durch. Der JCPOA selbst behandelt jedoch das iranische Raketen- und Trägertechnologieprogramm nicht. Er war, wie bei seiner gemeinsamen Ankündigung und später durch die Hohe Vertreterin der EU Mogherini betont, nur auf das iranische Nuklearprogramm gerichtet. Jedoch deutet der Wortlaut der Res. 2231 darauf hin, dass im Rahmen der Verhandlungen auch in diesem Zusammenhang einen Kompromiss geschlossen worden ist. Denn nach dem JCPOA (OP 18) und der entsprechenden Res. 2231 (OP 7 lit. a i.V.m. OP 5) wurden alle vorherigen Sicherheitsratsresolutionen – inkl. der UNSR-Res. 1929, die das Raketenprogramm behandelte – aufgehoben. Somit war eine erneute Stellungnahme des UNSR ohnehin notwendig.

So verbat man in der Res. 1929 Iran mit rechtsverbindlicher Sprache ballistische Raketentests (OP 9).

Decides that Iran shall not undertake any activity related to ballistic missiles capable of delivering nuclear weapons […].

Demgegenüber ersetzt die Res. 2231 dieses Verbot durch eine Aufforderung und nur bzgl. ballistischer Rakete, die zum Tragen von Nuklearwaffen entwickelt worden sind (Annex B OP 3).

Iran is called upon not to undertake any activity related to ballistic missiles designed to be capable of delivering nuclear weapons […].

Seither lassen die Raketentests die Meinungen der P5 im UNSR auseinandergehen. Obwohl die USA die Tests zunächst als einen Verstoß sowohl gegen den „Geist“ des JCPOA (GP VIII), als auch den Wortlaut der Res. 2231 werteten, mussten sie diese Position zuletzt im Rahmen einer gemeinsamen Erklärung mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland relativieren und sich mit der Formulierung „unvereinbar mit der Res. 2231“ zufriedengeben. Allerdings wird selbst die „Unvereinbarkeit“ von China und Russland nicht mitgetragen. Sie scheinen sich der Argumentation Irans anzuschließen, nach der die Raketen nicht zum Tragen der ohnehin nicht vorhandenen nuklearen Sprengköpfe entwickelt werden.

Jedenfalls ist festzuhalten, dass der JCPOA und die Res. 2231 zwei getrennte (Rechts-)Regime verkörpern. Nimmt man allenfalls die völkerrechtlich folgenlose „Unvereinbarkeit“ der Raketentests mit der neuen Resolution an, so bleibt der JCPOA davon unberührt. Im Widerspruch zu einigen Stellungnahmen aus Iran verstieß aber auch das unilateral durch die USA verabschiedete Sanktionsgesetz H.R.3364 (Sec. 104) als Reaktion auf das Raketenprogramm nicht gegen den JCPOA.

Sunset clause 

Ein weiterer Aspekt der Vereinbarung, der von der Trump-Administration missbilligt wird und nach deren Ansicht neu verhandelt werden muss, ist die sog. Auslaufklausel. Solche Klauseln legen als auflösende Bedingung das Außerkrafttreten einer Einigung fest. Der JCPOA enthält aber keine generelle Auslaufklausel. Gleichwohl sind viele nuklearbezogenen Beschränkungen Irans auf eine bestimmte Zeit begrenzt. So etwa bzgl.

  • der Anzahl und Art der funktionierenden Zentrifugen und des Urananreicherungsgrads auf jeweils bis zu 15 Jahre (OP 2 ff.),
  • der Schwerwasserreaktortechnologie auf bis zu 15 Jahre (OP 10 ff.)
  • und der Gewährung von Transparenz und anderer vertrauensbildender Maßnahmen auf bis zu 25 Jahre (OP 15), wobei die Verpflichtung Irans zur Anwendung des nicht kündbaren Zusatzprotokolls zum Nichtverbreitungsvertrag (NPT) durch dessen Ratifikation dauerhaft werden soll (OP 13 i.V.m. Annex V OP 8 u. 22).

Was allerdings das Auslaufen der Res. 2231 selbst und somit die Beendigung der Snap-Back-Funktion anbelangt, so ist dies auf 10 Jahre nach der Annahme des JCPOA (Adoption Day, 18.10.2015) festgesetzt (OP 8 Res. 2231, Annex V OP 23 JCPOA). Auch wenn diese Beendigung unbeschadet der über 10 Jahre hinaus andauernden Verpflichtungen Irans erfolgt (Annex V OP 26), steht danach realistisch gesehen den westlichen Großmächten kein internationales sofort zu ergreifendes Druckmittel mehr zur Verfügung. Denn bei einem Verstoß seitens Iran wird für neue Sicherheitsratsresolutionen wiederum die Mitwirkung von China und Russland notwendig. Ob die Parteien zum jetzigen Zeitpunkt bereit sind, auf Wunsch der neuen US-Administration diese Bestimmungen neu zu verhandeln, ist mit Blick auf die offensichtliche Ablehnungen sowohl durch Iran als auch die EU, China und Russland zu verneinen.

Corker-Cardin Law

Bemerkenswert ist, dass die Anwendung der unilateralen Sanktionen der USA durch die Durchführungsbefugnisse des amerikanischen Präsidenten nur „eingestellt“ worden ist. Denn der mehrheitlich republikanisch besetzte Kongress zeigte bereits im Laufe der Verhandlungen seine Abneigung bezüglich der Aufhebung der US-Sanktionen. Folglich wurde nach der Einigung durch den Erlass des „Iran Nuclear Agreement Review Act of 2015“ eine neue Hürde für die Umsetzung des JCPOA geschaffen. So verpflichtet INARA durch die Novellierung von Sec. 135(d)(6) des „Atomic Energy Act of 1954“ den US-Präsidenten, alle 90 Tage zu zertifizieren, dass

  • Iran die Vereinbarung weiterhin vollständig implementiert,
  • keine terroristischen Handlungen gegen die USA vorgenommen oder direkt unterstützt hat,
  • die Suspendierung der Sanktionen geeignet und verhältnismäßig sowie notwendig für das nationale Sicherheitsinteresse der USA

Erteilt der Präsident die geforderte Zertifizierung nicht, so reklamiert der Kongress für sich das Recht, binnen 60 Tagen den JCPOA zu überprüfen und ggf. die US-Sanktionen zurück ins Leben zu rufen. Nachdem Trump im April und Juli das Vorliegen der o.g. Voraussetzungen, wenn auch mit Unwillen, bestätigt hat, hat er dies am 13.10.2017 erwartungsgemäß abgelehnt und die Entscheidung dem Kongress überlassen.

Corker-Cotton Law

Nun arbeiten zwei republikanische Senatoren an einem neuen Gesetzesentwurf zur Behandlung der „Mängel“ des JCPOA. Soweit es bisher bekannt geworden ist, sollen demnach die US-Sanktionen wieder in Kraft treten, sollte Iran nach Beendigung der Einschränkungsphase die sogenannte Breakout-Frist von einem Jahr annähern. Die Breakout-Frist berechnet sich nach dem Zeitfenster, das benötigt wird, um für eine Nuklearbombe genügend Uran anzureichern. Dabei fallen die Art und Zahl der aktiven Zentrifugen ins Gewicht. Unklar ist allerdings bis dato, welche Stelle über die Breakout-Frist entscheidet. Außerdem soll anhand permanenter sowie erweiterter Inspektionen gegen die „Auslaufklauseln“ vorgegangen werden. Aus den Stellungnahmen geht hervor, dass dem JCPOA zuwider und anders als in INARA die Raketentests mit der Nuklearfrage verbunden werden sollen, was die schon komplizierte Lage mehr durcheinanderbringen würde.

Ausblick

Allenfalls erwartet man bis zum Jahresende ein klares Signal aus dem Kongress und der Administration in Washington. Es bleibt zu sehen, ob die Bemühungen insbesondere durch die EU tatsächlich fruchten oder ob der JCPOA als eines der wenigen Hoffnungszeichen zur Verhinderung einer militärischen Auseinandersetzung durch die Diplomatie unterminiert wird. Ein möglicher Austritt der USA trägt einem nuklearen Rüstungslauf im Nahen Osten bei und beeinträchtigt das Nichtverbreitungsregime. Zudem wirkt sich die extreme Beschädigung der Glaubwürdigkeit der USA mittelbar auf die sich verschärfende Nordkorea-Krise durchaus negativ aus.

 

Cite as: Khashayar Biria, “Die Trump-Administration, der Kongress und das Dilemma des JCPOA”, Völkerrechtsblog, 11 December 2017 Year, doi:10.17176/20171211-083256.

Author
Khashayar Biria

Khashayar Biria is a doctoral candidate at the University of Hamburg and a research associate at the Max Planck Institute for Comparative and International Private Law in Hamburg. His dissertation project deals with certain aspects of sanctions as encountered at the intersection of international law and (international) private law.

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