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Bauern vs. Monsanto

Die Kollision des Patent- und Sortenschutzes für Saatgut in Argentinien

16.12.2015

Im Konflikt um das Recht am Geistigen Eigentum und die Lizenzgebühren auf genverändertes Soja in Argentinien seit 1997 waren die widersprüchlichen Rechtsregime des Sortenschutzes und des Patentschutzes für Saatgut ein Schlüsselbaustein. Der Fall veranschaulicht die Frage, wie überlappende Rechtsregime und -normen sich in der praktischen Anwendung zu einander verhalten. Ich argumentiere hier, dass kollidierende Rechtsregime zwar formal-rechtlich gleichwertig bleiben, aber temporär in der politischen Aushandlung einem Regime der Vorrang eingeräumt wird. Für diese praktische Gültigkeit sind vor allem die zugrundeliegenden Machtverhältnisse relevant. In diesem Fall waren es die argentinischen Bauern, die sich mit ihrem Anliegen gegen Monsanto durchsetzten und den Vorrang des Sortenschutzes gegenüber dem Patentschutz erwirkten.

Zur Beleuchtung der zugrundeliegenden Prozesse wende ich den folgenden Zusammenhang zwischen Recht und politischen Aushandlungsprozessen, der in der Forschung zur Nichtbefolgung des Rechts in Lateinamerika (Costa et al. 2009, Werle et al. 2011) erarbeitet wurde, an. Rechtsnormen werden als zunächst abstrakte Regelungen, die nur auf dem Papier stehen, verstanden. In der politischen Aushandlung werden diese Rechtsnormen interpretiert und legitimiert, und ihre Durchsetzung verhandelt. Dadurch erlangen die abstrakten Rechtsnormen entweder praktische Gültigkeit – oder eben nicht. Die politische Aushandlung als Filter des Rechts ist von asymmetrischen Machtverhältnissen zwischen den beteiligten Akteuren durchdrungen. Dabei kann das Recht selbst als Machtressource (Araujo 2012) fungieren. Die Kollision von Rechtsregimen und -normen wird von Staaten (vgl. hier) und nicht-staatlichen Akteuren wie z.B. Interessengruppen, sozialen Bewegungen, Unternehmen (McCann 2006, Keck/Sikkink 1999, Teubner/Korth 2009) genutzt, um ihre Interessen in politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen durchzusetzen.

Das Recht wird also erst in Verbindung mit anderen Machtressourcen, die dem Recht Gültigkeit verschaffen, zur Machtressource. In diesem Sinne weist McCann (2006) darauf hin, dass soziale Bewegungen neben der Mobilisierung des Rechts weitere Aktionsformen wie Demonstrationen und Medienkampagnen nutzen, um ihre Interessen in politische Entscheidungen umzusetzen.

Übertragen auf die Frage der widersprüchlichen Rechtsregime und -normen bedeutet dies, dass trotz ihrer formalen Gleichwertigkeit, ihre Gewichtung in der Praxis politisch ausgehandelt und entschieden wird. Dadurch kann eine formal bestehende Rechtsnormkollision in der praktischen Implementierung der Rechtsnormen nicht zur Anwendung kommen.

Kommen wir zum konkreten Fall des Konfliktes zwischen argentinischen Landwirten und dem Saatgut-Konzern Monsanto: Der rechtliche Rahmen des politischen Konflikts um das Recht am Geistigen Eigentum und die Lizenzgebühren auf genverändertes Soja in Argentinien besteht in widersprüchlichen Rechtsregimen zum Sortenschutz und zum Patentschutz, sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene. Während der Sortenschutz auf Saatgut und Pflanzen zugeschnitten ist, bezog sich der Patentschutz ursprünglich auf industrielle Produkte sowie Verfahren, und wurde erst in den letzten Jahrzehnten auf Lebewesen ausgedehnt. Sowohl im Sorten- als auch im Patentschutz ist der Schutz des Geistigen Eigentums des Saatgutzüchters und seine Entschädigung durch Lizenzgebühren verankert. Der Widerspruch beider Rechtsregime liegt aber in der Reichweite des Schutzes des Geistigen Eigentums und damit verknüpft die Erhebung von Lizenzgebühren auf Saatgut, Erntegut und/oder unmittelbar daraus hergestellte Erzeugnisse: Das internationale Sortenschutzabkommen UPOV sowie das daran angelehnte argentinische Saatgutgesetz sehen das Recht auf freie Nutzung reproduzierten Saatguts im eigenen Betrieb vor. Das Recht am Geistigen Eigentum wird auf das ursprünglich von Saatgutzüchtern vertriebene Saatgut beschränkt. Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums im Rahmen der Welthandelsorganisation (TRIPS) und das in Folge dessen erlassene argentinische Patentgesetz verbieten dagegen die ungenehmigte Produktion und Nutzung eines patentierten Produkts oder Prozesses.

Die Hersteller von Saatgut, allen voran Monsanto, verlangen die Durchsetzung ihres Rechts am Geistigen Eigentum nach dem Patentgesetz und pochen auf die ausnahmslose Zahlung von Lizenzgebühren für die Nutzung ihres genveränderten Sojas. Demgegenüber verweisen die argentinischen Agrarproduzenten, indigene Kleinbauern, NGOs und weitere gesellschaftliche Gruppen auf das Saatgutgesetz und das darin vorgesehene Recht, das Saatgut zu reproduzieren und ohne die Zahlung von Lizenzgebühren für die nächste Aussaat zu verwenden.

Bis jetzt wurden keine Lizenzgebühren auf genverändertes Soja in Argentinien gezahlt. Seit 1997 versuchten die großen Saatgutzüchter ihre Marktmacht zu nutzen, um den Patentschutz für genverändertes Soja in privatrechtlichen Verträgen mit Agrarproduzenten zu erzwingen. Darüber hinaus verhandelten sie mit der Regierung über die Einführung von Lizenzgebühren auf die Sojaernte und über die Einschränkung des Rechts auf die freie Nutzung reproduzierten Saatguts im Saatgutgesetz. Dabei wurden sie durch Regierungsmitglieder und -funktionäre der USA, die Druck auf die argentinische Regierung ausübten, unterstützt. Dagegen vermehrten die Agrarproduzenten das Sojasaatgut und handelten mit dem unregistrierten Saatgut. Unter Berufung auf das Saatgutgesetz verweigerten sie jegliche Zahlung von Lizenzgebühren auf das selbst reproduzierte Saatgut. Gegen die privatrechtlichten Verträge zwischen Saatgutzüchtern und einzelnen Agrarproduzenten gingen die Bauernverbände gerichtlich vor. Durch Mobilisierungen und Demonstrationen wehrten sich Agrarproduzenten, NGOs und gesellschaftliche Gruppen gegen die Veränderung des rechtlichen Rahmens und die Anwendung des Patentgesetzes. Auch nutzten die Bauernverbände die wirtschaftliche Bedeutung des Agrarsektors für die argentinische Wirtschaft, um die argentinische Regierung von ihrer Position zu überzeugen. Die argentinische Regierung nahm eine ambivalente Position ein: Obwohl sie zahlreiche Vorschläge zur Zahlung von Lizenzgebühren und zur Reform des Saatgutgesetzes machte, wurden diese von der Regierung wieder verworfen oder versandeten im Kongress unter Beteiligung der Regierungspartei.

Das heißt: Obwohl Saatgut- und Patentgesetz formal gleichgestellt waren, wurde in der Praxis dem Saatgutgesetz Priorität eingeräumt und auf diese Weise der Widerspruch der Rechtsregime politisch entschieden. Entscheidend für die politische Aushandlung waren die asymmetrischen Machtverhältnisse zugunsten der Agrarproduzenten in Argentinien. Die Machtverhältnisse zwischen den Konfliktakteuren divergieren allerdings in anderen Ländern. Zudem sind die politischen Entscheidungen über eine Rechtsnormkollision ebenso wie die Machtverhältnisse nur temporärer Natur. Dass eine Priorisierung der Rechtsregime und -normen zu einem späteren Zeitpunkt erneut ausgehandelt und verändert werden kann, zeigte sich auch im Fall Kolumbiens: Dort wurde im Jahr 2010 zuerst die freie Nutzung reproduzierten Saatguts verboten, die entsprechende Norm aber nach zahlreichen Protesten im Jahr 2013 wieder außer Kraft gesetzt. Der Konflikt um das Saatgutrecht findet also in zahlreichen Staaten und Weltregionen statt, und beschränkt sich nicht auf Lateinamerika – wie der Fall der EU Saatgutverordnung zeigt.

 

Markus Rauchecker ist Gastdozent am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Eine ausführliche Analyse des Falls findet sich hier.

 

Cite as: Markus Rauchecker, “Bauern vs. Monsanto: Die Kollision des Patent- und Sortenschutzes für Saatgut in Argentinien”, Völkerrechtsblog,  16 December 2015, doi: 10.17176/20171004-110238.

Author
Markus Rauchecker
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